Während der Revolution in Mexiko kämpfen ein Gringo, ein Banditenanführer und ein General mit- und gegeneinander um, nun, verschiedene Dinge.
Der Italowestern (und Politthriller) „Töte Amigo“ ist kraftvoll, kurzweilig, mit burlesken Übertreibungen, sehr unterhaltsam und brutal. Dass die Geschichte eher grob gestrickt ist, stört dabei kaum.
Moldawien, frühes siebzehntes Jahrhundert: Prinzessin Asa Vajda und ihr Liebhaber werden von ihrem Bruder auf einem Scheiterhaufen verbrannt, weil sie eine Hexe und er ein Vampir, vielleicht sogar Dracula höchstselbst, sein sollen.
Zweihundert Jahre später entdecken Professor Krubajan und sein Assistent Gorobec während ihrer Fahrt zu einem Ärztekongress das Grab von Asa und durch eine Verkettung unglücklicher Umstände erwecken sie sie zum Leben. Sie und ihr damaliger, ebenfalls von den Toten zurückkehrender Liebhaber Javutich wollen sich jetzt an Asas Nachfahren rächen.
Dracula, um gleich ein Missverständnis auszuräumen, das es nur in der deutschen Fassung von Mario Bavas Regiedebüt gibt, ist der aus kommerziellen Erwägungen gewählte Quasi-Name von Javutich – und, zugegeben, der Titel „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ klingt verdammt gut. Auch wenn „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ auf der Geschichte „Wij“ von Nikolai Gogol basiert. Aber auch mit dieser Geschichte hat der Film wenig zu tun. Bava, ein Fan der Geschichte, übernahm nur einige Elemente aus ihr.
Letztendlich ist das egal, weil „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ der surrealen Logik eines Alptraums folgt, rudimentär aufgehängt an der bekannten und unzählige Male wiederholten Vampirgeschichte, in der ein Vampir wieder auftaucht, Menschen aussaugt, andere Menschen ihn besiegen wollen und es eine bedrohte Jungfrau gibt.
Dazu fand Bava Bilder, die sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben, wie die Metallmaske, die auf Asas Gesicht gedrückt wird, und der ganze Film hat eine auch heute noch verstörende Atmosphäre von Sex, Sadismus, Gewalt, Angst und Wahnsinn. In einer sich an den schon damals klassischen Hollywood-Horrorfilmen aus den dreißiger und vierziger Jahren orientierenden, allerdings viel opulenteren Ausstattung mit sumpfiger Landschaft zwischen Friedhöfen und alten Gemäuern, klaustrophobisch engen Wegen durch dorniges Gebüsch und kafkaesken, teils verfallenen Gebäuden und Gemächern voller Spinnennetzen und flackernden Kerzen.
Mario Bava, der vor seinem offiziellem Regiedebüt „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ bereits bei Dutzenden Filmen Kameramann war und auch ohne Namensnennung einige Filme zumindest teilweise inszenierte, inszenierte die Horrorgeschichte mit einem deutlichen Blick auf effektive und auch effektheischerische Bilder hin. Dass Javutich und Asa, die langsam von den Toten erwacht, immer wieder aus dem Nichts auftauchen und im Nichts verschwinden, trägt zu dieser alptraumhaften Stimmung bei. Außerdem hat Barbara Steele eine Doppelrolle: sie ist Asa und Katia, die schöne Schlossherrin, in die sich Gorobec bei ihrem ersten, bedrohlich abgehobenem Auftreten, sofort verliebt. Sie ist auch die Jungfrau, die Asa töten will.
1960, als der Film in die italienischen Kinos kam, muss das, neben klinisch reinen Doris-Day- und Heinz-Erhardt-Filmen ein Schock gewesen sein. Alfred Hitchcocks grenzüberschreitender und stilbildender (Horror-)Thriller „Psycho“ (der allerdings auf einer anderen Ebene für Entsetzen sorgte) lief fast gleichzeitig in unseren Kinos an. Denn in Deutschland lief Bavas Film bereits 1961 in einer minimal gekürzten Fassung in den Kinos. In die englischen Kinos kam Bavas Film 1968 in einer stark gekürzten Fassung. Erst 1992 erschien dort eine ungekürzte Fassung.
Und heute?
Über seinen Einfluss gibt es kaum Diskussionen. So orientierte Francis Ford Coppola sich 1992 beim Set-Design von seinem Dracula-Film mehrmals an Bavas Sets. Tim Burton nannte ihn 1998 seinen Lieblingshorrorfilm und in „Sleepy Hollow“ (1999) spielte er auf ihn an. Und in zahlreichen Listen taucht er auf. Beispielsweise in Frank Schnelle/Andreas Thiemans Meta-Liste „Die 50 besten Horrorfilme“ (2010), für die sie fünfzig Bestenlisten und Umfragen der letzten Jahre auswerteten.
Ronald M. Hahn und Volker Jansen vertreten, um auch einige der wenigen negativen Stimmen zu nennen, im „Lexikon des Horrorfilms“ (1985/1989) die Minderheitenmeinung: „hanebüchene Streifen…ein geistloser alter Stinkkäse…Ein völlig überbewerteter Grusler, der den Horror aus abscheulich zugerichteten Gesichtern statt aus unterschwelligem Nervenkitzel bezieht.“
Hanebüchen ist, wenn man versucht die Filmgeschichte nachzuerzählen, „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ unbestritten, aber als atmosphärischer Gruselfilm ist er heute noch enorm effektiv, kurzweilig, unterhaltsam, vergnüglich und sexy.
Koch Media veröffentlichte den Horrorfilmklassiker jetzt als Beginn ihrer „Mario Bava Collection“ erstmals auf Blu-ray in einer Blu-ray/DVD-Sammleredition mit umfangreichem Bonusmaterial, unter anderem einem hörenswerten, nicht untertitelten Audiokommentar von Filmhistoriker Tim Lucas, Interviews mit Barbara Steele und Lamberto Bava, einer geschnittenen Szene, einer umfangreichen Bildergalerie und einer alternativen Schnittfassung. Das Bonusmaterial müsste identisch mit der früheren, nicht mehr erhältlichen DVD-Ausgabe von e-m-s sein.
Die Stunde, wenn Dracula kommt (La Maschera del Demonio, Italien 1960)
Regie: Mario Bava
Drehbuch: Ennio de Concini, Mario Serandrei
LV: Nikolai Gogol: Вий, 1835 (erschienen in „Миргород“) (Wij, Kurzgeschichte)
mit Barbara Steele, John Richardson, Andrea Checchi, Ivo Garrani, Arturo Dominici, Enrico Olivieri, Antonio Pierfederici
Ton Deutsch, Englisch, Italienisch (Dolby Digital [DVD], DTS-HD Master Audio 2.0 [Blu-ray])
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial (angekündigt): Trailer, Audiokommentar, Interviews mit Barbara Steele und Lamberto Bava, Alternative Filmfassung, Geschnittene Szene, Bildergalerie
Später, in den Siebzigern und Achtzigern, war Damiano Damiani einer der führenden und genreprägenden Vertreter des italienischen Polit-Thrillers. Er inszenierte „Der Tag der Eule“ (der ja öfters im TV läuft), „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“ (der nie im TV läuft), „Warum musste Staatsanwalt Traini sterben?“/“Der Terror führt Regie“ und die TV-Serie „Allein gegen die Mafia“, die damals ein weltweiter Erfolg war.
Der Italo-Western „Töte Amigo“ ist eines seiner Frühwerke, in dem die Revolution in Mexiko der Hintergrund für eine explosions- und bleihaltige Geschichte ist. Wobei Geschichte fast schon übertrieben ist. Im Mittelpunkt stehen die Kämpfe, die durch eine Geschichte, die inzwischen archetypisch für den Italo-Western ist, zusammengehalten werden. Denn es geht um die Freundschaft zwischen El Gringo Bill Tate (Lou Castel) und dem Banditenanführer El Chuncho (Gian Maria Volonté), der Waffen für General Elias, den sich in den Bergen versteckt haltenden Anführer der Revolution, sammelt und dafür Züge, die Waffen transportieren, überfällt. Weil der Gringo sich mit einer Lüge in Chunchos Bande einschleicht, wissen wir, dass er mindestens ein doppeltes Spiel treibt (was ja typisch für einen Italo-Western ist) und er etwas von General Elias will (was im US-Titel und US-Trailer verraten wird). Und dass in einer von Gier und Dummheit beherrschten Welt Freundschaften und Koalitionen schnell wechseln, gehört zum festen Inventar eines Italo-Western. Ebenso der interessante Spagat zwischen Verklärung der Revolution, dem Kampf gegen die korrupten Herrscher und einem, spätestens am Ende, illusionslosen Blick auf den Menschen als von Gier getriebenem Wesen.
„Töte Amigo“ ist kraftvoll, kurzweilig, mit burlesken Übertreibungen, sehr unterhaltsam und brutal. Wobei die „ab 18 Jahre“-Freigabe aus heutiger Sicht doch etwas übertrieben ist. Dass die Geschichte eher grob gestrickt ist, stört dabei kaum.
Koch Media veröffentlichte den Film jetzt erstmals in einer vollständig synchronisierten Fassung auf DVD und Blu-ray. Im Kino lief er in einer um zwanzig Minuten gekürzten Fassung; was aber damals, in den Sechzigern und Siebzigern nicht ungewöhnlich war. Denn damals veränderte der Verleih in der Synchronisation öfters die Handlung und Stimmung des Films und kürzte auch gerne wild herum.
In der IMDB und dem „Western-Lexikon“ von Joe Hembus wird eine Originallänge von 135 Minuten genannt. Eine solche Fassung scheint allerdings nirgends zu existieren.
Töte Amigo (Quien Sabe, Italien 1966)
Regie: Damiano Damiani
Drehbuch: Salvatore Laurani, Franco Solinas
mit Gian Maria Volonté, Lou Castel, Klaus Kinski, Martine Beswick, Jaime Fernadez, Andrea Checchi
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DVD
Koch Media
Bild: 2,35:1 (16:9)
Ton: Deutsch, Englisch (alte und neue Synchronisation), Italienisch (Dolby Digital 2.0)
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial: Interview mit Regisseur Damiano Damiani, Interview mit Darsteller Lou Castel, 3 Kinotrailer, Bildergalerie