Neu im Kino/Filmkritik: Über Luca Guadagninos William-S.-Burroughs-Verfilmung „Queer“

Dezember 27, 2024

William Lee driftet durch Mexico City. Es sind die frühen fünfziger Jahre und er ist einer der vielen US-Amerikaner, die dort leben und Freiheiten geniessen, die sie in ihrer Heimat nicht haben. In seinem Fall sind das Alkohol, andere Drogen und Sex. Bevorzugt mit Männern. Das neueste Objekt seiner Begierde ist Eugene Allerton, ein gut aussehender junger Mann.

Nach seinem 1953 unter dem Pseudonym Willliam Lee erschienenem Debüt „Junkie“ erzählt William S. Burroughs in seinem als zweiten Roman geplantem Roman „Queer“, literarisch kaum vermäntelt, seine Erlebnisse in Mexiko. Burroughs stellte den Roman nie fertig. Aber die Arbeit bahnte, in jeder Beziehung, den Weg zu seinem nächsten Roman. „Naked Lunch“ erschien 1959 und wurde ein Klassiker. David Cronenberg verfilmte den Roman 1991. „Naked Lunch“ ist auch der einzige Roman von Burroughs, der aktuell auf Deutsch erhältlich sind.

In den Jahren nach der Veröffentlichung von „Naked Lunch“ wurde Burroughs immer wieder auf den nicht publizierten Roman angesprochen. Er nannte das nie fertig geschriebene Buch ‚artist’s poor art school sketches‘ und wollte es lange nicht veröffentlichen. 1985 veröffentlichte er das Romanfragment dann doch. Dieses Fragment wurde bislang nicht ins Deutsche übersetzt.

Das Fragment umfasst in der „25th Anniversary Edition“ knapp hundertzwanzig großzügig gelayoutete Seiten. Der Anfang ist ein gelungener Einblick in das damalige Leben der Expats. Später verliert die Geschichte sich in längliche Monologe. Sie wird kurzatmiger. Die einzelnen Szenen sind zunehmend nur skizziert. Plötzlich interessiert sie sich nicht mehr für die Liebesgeschichte zwischen Lee und Allerton, sondern für die Suche nach der legendaren Yage-Wunderdroge. Außerdem hat die Geschichte kein befriedigendes Ende. Sie hört einfach mit einem zwei Jahr später spielendem Epilog auf.

Dieses Ende hat Luca Guadagnino in seiner kongenialen Verfilmung des Romans jetzt im Geist von Burroughs erfunden. Daniel Craig übernahm die Hauptrolle und ein radikalerer Bruch mit seiner vorherigen Rolle als James Bond ist kaum vorstellbar. William Lee ist in der Beziehung ein Anti-Bond – und wie James Bond ein Kind des Kalten Krieges. Seinen ersten Auftritt hatte Bond 1953 in Ian Flemings Roman „Casino Royale“.

Drew Starkey spielt das Objekt seiner Begierde. Jason Schwartzman, Henrique Zaga, Drew Droege, Ariel Schulman und David Lowery spielen weitere in Mexico ziellos vor sich hin lebende Expats, die alle auch als exzellente Verkörperungen des sprichwörtlichen hässlichen Amerikaners sind. Mit ihnen zeichnet Guadagnino in der erste Hälfte ein bestechendes Porträt der damaligen Expat-Szene. Sie treffen sich in Bars, hängen ab, reden miteinander, trinken viel Alkohol, probieren Drogen aus und durchstreifen die Straßen nach dem nächsten Sexabenteuer. Für die Einheimischen und deren Leben interessieren sie sich nicht.

Queer“ ist ein Sittengemälde, weitgehend ohne eine erkennbare Geschichte. Anfangs, wenn Lee seine neue Liebe verfolgt und sie ins Bett bringen will, hat die Geschichte noch einen dramatische Fokus. Später nicht mehr. Lee überzeugt Allerton von einer gemeinsamen Reise nach Südamerika. Im Dschungel hofft Lee, die sagenumwobene Wunderdroge Yage zu finden. Hier verliert der Film, wie die Vorlage, ihren Plot zugunsten einer beliebigen Abfolge von nicht sonderlich interessanten Episoden, die in einer Begegnung mit Doctor Cotter und dem Genuss der Droge münden.

Guadagninos nah an der Vorlage mäandernde und damit zu lang geratene Burroughs-Verfilmung erinnert mehr als einmal an David Cronenbergs „Naked Lunch“. Das liegt daran, dass Burroughs Romanfragment rückblickend als Vorstudie für seinen zweiten veröffentlichten Roman angesehen werden kann und dass Cronenberg in seinem Film ikonische Bilder schuf.

Und so bleibt am Ende ein zwiespältiger Eindruck: „Queer“ ist von Guadagnino-Stammkameramann Sayombhu Mukdeeprom vorzüglich gefilmt, gut gespielt, wobei vor allem Daniel Craig überrascht, und überzeugend in seinem Porträt der damaligen Expat-Szene. Aber bei einer Laufzeit von deutlich über zwei Stunden fällt auch die nicht vorhandene Geschichte auf. Und keine der mehr oder weniger unsympathischen, ziellos vor sich hin lebenden Figuren weckt nachhaltiges Interesse. Guadagninos Verfilmung hat, trotz des etwas anderen Endes, die gleichen Probleme wie das Romanfragment.

Queer (Queer, Italien/USA 2024)

Regie: Luca Guadagnino

Drehbuch: Justin Kuritzkes

LV: William S. Burroughs: Queer, 1985

Musik: Trent Reznor, Atticus Ross

mit Daniel Craig, Drew Starkey, Jason Schwartzman, Henrique Zaga, Drew Droege, Andra Ursuta, Ariel Shulhman, Andres Duprat, Omar Apollo, David Lowery

Länge: 137 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Aktuell wird „Queer“ in einigen wenigen Kinos gezeigt. Der bundesweite Start ist am 2. Januar 2025.

Hinweise

Moviepilot über „Queer“

Metacritic über „Queer“

Rotten Tomatoes über „Queer“

Wikipedia über „Queer“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Luca Guadagninos „A bigger Splash“ (A bigger Splash, Italien/Frankreich 2015) und der DVD

Meine Besprechung von Luca Guadagninos „Call me by your Name“ (Call me by your Name, USA 2017)

Meine Besprechung von Luca Guadagninos „Suspiria“ (Suspiria, Italien/USA 2018)

Meine Besprechung von Luca Guadagninos „Bones and All“ (Bones and All, Italien/USA 2022)

Meine Besprechung von Luca Guadagninos „Challengers – Rivalen“ (Challengers, USA 2024)


TV-Tipp für den 15. März: Der beste Film aller Zeiten

März 14, 2024

Bayern, 22.50

Der beste Film aller Zeiten (Competencia oficial, Spanien/Argentinien 2021)

Regie: Gastón Duprat, Mariano Cohn

Drehbuch: Andres Duprat, Gastón Duprat (Co-Autor), Mariano Cohn (Co-Autor)

Ein Konzernchef möchte der Welt etwas Bleibendes hinterlassen. Nämlich den besten Film aller Zeiten. Er kauft die Rechte an dem Roman eines Nobelpreisträgers, engagiert eine bei der Kritik beliebte Regisseurin und zwei Stars. Was kann da schiefgehen?

TV-Premiere. Köstliche Farce über Künstler, ihre aufgeblasenen und zerbrechlichen Egos und den Dreharbeiten für ein Meisterwerk, das alle Filmpreise erhalten wird. Wenn es denn jemals fertig gestellt wird..

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Penélope Cruz, Antonio Banderas, Oscar Martinez, Jose Luis Gómez, Manolo Solo, Nagore Aramburu, Irene Escolar

Hinweise

Moviepilot über “Der beste Film aller Zeiten”

Metacritic über “Der beste Film aller Zeiten”

Rotten Tomatoes über “Der beste Film aller Zeiten”

Wikipedia über “Der beste Film aller Zeiten” (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Gastón Duprat/Mariano Cohns „Der beste Film aller Zeiten“ (Competencia oficial, Spanien/Argentinien 2021)


Neu im Kino/Filmkritik: Er ist da: “Der beste Film aller Zeiten”

Juli 1, 2022

Humberto Suárez ist ein stinkreicher, immer noch agiler, aber schon älterer Unternehmer, der jetzt endlich etwas möchte, an das sich die Nachwelt erinnert. Sein Sekretär schlägt ihm eine Brücke mit seinem Namen vor. Für Suárez ist das zu gewöhnlich. Eine Brücke mit seinem Namen kann sich jeder Unternehmer leisten. Er aber will sein Geld für etwas ausgeben, das ungewöhnlich ist und an das die Menschen sich noch nach seinem Tod erinnern. Zum Beispiel einen Film. Allerdings nicht irgendeinen Film, sondern “der beste Film aller Zeiten”. Sein Sekretär soll ihm dafür die beste Regisseurin und die besten Schauspieler besorgen. Die werden dann, so denkt er sich, aus einem Bestseller den besten Film aller Zeiten herstellen. Aus den besten Zutaten kann ja nur das Beste entstehen.

Die Wahl fällt auf Lola Cuevas (Penélope Cruz) und die Schauspieler Félix Rivero (Antonio Banderas) und Iván Torres (Oscar Martinez). Cuevas ist eine rundum exzentrische Avantgarde-Regisseurin mit seltsamen Arbeitsmethoden. Die Kritiker lieben ihre Filme. Rivero ist ein Star, der vor allem in banalen Hollywood-Vehikeln glänzt. Torres ist ein Theaterschauspieler, der um sein Spiel eine ganze Theorie aufgebaut hat. Ihr Spiel und auch ihre Ansprüche an ihre Spiel sind vollkommen verschieden. Aber beide sind von sich überzeugte Gockel, die sich für intelligenter halten als sie sind.

Vor dem Dreh möchte Cuevas mit ihren beiden Stars proben. In einer riesigen, einsam gelegenen modernistischen Villa treffen die Egos aufeinander.

Cuevas bestimmt als Regisseurin zwar die Spielregeln und die immer absurderen Prüfungen, die sie Rivero und Torres auferlegt. Aber es ist immer etwas unklar, ob Cuevas dabei wirklich ein künstlerisches Konzept verfolgt, das zwar mindestens etwas Gaga ist, aber ein Konzept wäre, oder ob sie die beiden Gockel und ihre Eitelkeiten einfach nur zu ihrem (und unserem) Vergnügen demaskieren möchte. In jedem Fall, auch weil Penélope Cruz, Antonio Banderas und Oscar Martinez sich mit Verve in ihre Rollen stürzen, ist „Der beste Film aller Zeiten“ ein Vergnügen.

Leider findet das Vergnügen in einem etwas luftleeren Raum statt. Denn die Regisseure Gastón Duprat und Mariano Cohn beziehen sich primär auf Ideen und Konzepte aus den sechziger und siebziger Jahren.

Am Ende vom ‚besten Film aller Zeiten‘ wissen wir nicht, ob wir den ‚besten Film aller Zeiten‘ gesehen haben, weil wir ja nur die aus dem Ruder gelaufenen Proben für den ‚besten Film aller Zeiten‘ gesehen haben.

Der beste Film aller Zeiten (Competencia oficial, Spanien/Argentinien 2021)

Regie: Gastón Duprat, Mariano Cohn

Drehbuch: Andres Duprat, Gastón Duprat (Co-Autor), Mariano Cohn (Co-Autor)

mit Penélope Cruz, Antonio Banderas, Oscar Martinez, Jose Luis Gómez, Manolo Solo, Nagore Aramburu, Irene Escolar

Länge: 115 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über “Der beste Film aller Zeiten”

Metacritic über “Der beste Film aller Zeiten”

Rotten Tomatoes über “Der beste Film aller Zeiten”

Wikipedia über “Der beste Film aller Zeiten” (deutsch, englisch)