A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani(Ghahreman, Iran/Frankreich 2021)
Regie: Asghar Farhadi
Drehbuch: Asghar Farhadi
Weil Rahim Soltani, der gerade eine Haftstrafen wegen hoher Geldschulden verbüßt, während eines Freigangs eine Tasche mit Goldmünzen nicht behält, sondern dem Besitzer zurückgibt, wird er – widerwillig – zum Volksheld. Alle, vor allem die Gefängnisleitung, sind zufrieden, bis die Presse die Geschichte überprüft und auf Ungereimtheiten stößt.
TV-Premiere. Mit ruhiger Hand erzählt Asghar Farhadi eine zugleich sehr konkrete und abstrakte Geschichte, in der kleine Ereignisse und unterschiedliche Interpretationen von Ereignissen eine fatale Dynamik entwickeln können. Dabei lotet er das Graufeld zwischem egoistischem und alturistischem Handeln aus. Und überlässt dem Publikum die Entscheidung darüber, was von Rahims Taten zu halten ist.
Neben der neuen Marvel-Origin-Story „Morbius“(ein Arzt experimentiert sich zum Vampir) starten diese Woche auch einige Filme für den Arthouse-Fan. Garantiert ohne Vampire und CGI. Dafür zweimal auf Tatsachen basierend, zweimal könnte es so passiert sein, immer gab es auf Festivals Preise für die Filme und jeder dieser Filme ist, bei allen Unterschieden, sehenswert.
„A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani“ ist der neue Film von Asghar Farhadi. In Cannes erhielt das absolut sehenswerte Drama 2021 den Großen Preis. Weil der titelgebende Rahim Soltani seine Schulden nicht bezahlen kann, verbüßt er eine Haftstrafe. Ab und zu darf er für einen Freigang die Anstalt verlassen. Er versucht seine Schulden irgendwie zu tilgen.
Als seine Freundin an einer Bushaltestelle zufällig eine Tasche mit wertvollen Münzen findet, könnte er damit seine Schulden auf einen Schlag bezahlen. Aber dann, nachdem er feststellt, dass die Münzen dafür nicht ausreichen, packt ihn das Gewissen. Sagt er jedenfalls. Er sucht in Shiraz die Besitzerin. Als sie sich meldet, geben er und seine Freundin ihr die Münzen zurück. Damit könnte die Episode zu Ende sein.
Dummerweise erfahren die Haftanstaltsleiter davon. Sie sind begeistert von dieser Heldentat, die einer ihrer Schützlinge begangen hat. Unverzüglich informieren sie, auch weil sie so ihr Gefängnis in einem positiven Licht präsentieren können, die Öffentlichkeit über Rahims edle Tat. Die Presse ist ebenfalls begeistert; bis sie die Geschichte genauer überprüft und auf immer mehr Widersprüche stößt. Auch Rahims Gläubiger erzählt seine Version und warum er Rahim die Schulden nicht erlassen will.
Nachdem Asghar Farhadi seinen vorherigen, etwas enttäuschenden Film „Offenes Geheimnis“ in Spanien drehte, kehrt er mit „A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani“ wieder in seine Heimat, den Iran, und zu alter Stärke zurück. Rahims Geschichte ist universell und gleichzeitig sehr konkret in der iranischen Wirklichkeit verortet. Es wurde vor Ort gedreht, es gibt einen Einblick in den iranischen Alltag und die Strukturen der Gesellschaft. Gleichzeitig könnte Rahims Geschichte prinzipiell überall spielen. Denn überall kann ein Mann sich mit einer schlechten Geschäftsidee verschulden, überall kann er zufällig etwas wertvolles finden und überall steht er vor der Frage, wie er mit dem Fund umgehen soll. Farhadi gibt allerdings keine einfachen Antworten auf Rahims Dilemma. Er zeigt nur, was geschieht und er präsentiert verschiedene, sich teils widersprechende Perspektiven und Interpretationen der Ereignisse. Es sind Interpretationen, die sich verändern können. So ist der Anstaltsleiter zunächst begeistert von Rahims edler Tat. Er fordert ihn sogar auf, sie etwas auszuschmücken. Als dann die ersten Zweifel an Rahims Geschichte aufkommen, lässt er ihn wie eine heiße Kartoffel fallen. Durch diese interpretationsoffene Erzählweise ist bis zum Schluss unklar, ob der um seine Ehre kämpfende Rahim wirklich so naiv und treudoof ist, wie er sich gibt, oder ob er nicht immer mindestens einen Hintergedanken hatte und der Lauf der Ereignisse sich anders als von ihm geplant entwickelte. Weshalb er wieder etwas tun muss. Dabei scheint es für ihn, auch wenn Menschen ihm helfen wollen, nur immer schlimmer zu werden.
Farhadi erzählt diese Geschichte eines Mannes, der um seine Ehre kämpft, mit nie nachlassender Spannung in einem ruhigen Erzähltempo.
A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani (Ghahreman, Iran/Frankreich 2021)
Regie: Asghar Farhadi
Drehbuch: Asghar Farhadi
mit Amir Jadidi, Mohsen Tanabandeh, Fereshteh Sadrorafaii, Sahar Goldoust, Maryam Shahdaie, Ali Reza Jahandideh
Auch Juho Kuosmanens neuer Film „Abteil Nr. 6“ lief 2021 in Cannes und erhielt den „Grand Prix“.
Er erzählt die Geschichte von Laura, einer finnischen Archäologiestudentin, die im Winter von Moskau nach Murmansk aufbricht. Dort will sie die berühmten uralten Felsmalereien der Stadt besichtigen. Den tagelangen Weg dorthin legt sie in einem Zug zurück. Ihr Abteil muss sie mit Ljoha teilen. Der Jung-Macho ist das genaue Gegenteil der Studentin. Er ist ein Bergarbeiter, trinkfest, vulgär, ungebildet und scheinbar absolut unsensibel. Immerhin ist er in der ersten gemeinsamen Nacht zu betrunken, um sich ihr zu nähern. Lauras Versuch, in ein anderes Abteil zu wechseln, schweitert. Deshalb muss sie notgedrungen mit Ljoha arrangieren.
Kuosmanen („Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki“) konzentriert sich in seinem Roadmovie darauf, wie Laura und Ljoha im titelgebenden „Abteil Nr. 6“ eine für die Reise andauernde Freundschaft entwickeln.
Laura, die junge, lesbische, unglücklich verliebte, sich im Moskauer Intellektuellenmilieu bewegende Studentin, entdeckt nämlich ungeahnte Facetten in Ljoha. Er versucht, auf seine jugendlich-unbeholfene Art, sie zu beeindrucken. Er will ihr, soweit das auf einer Zugfahrt mit wenigen Stopps möglich ist, sein Land und die russische Seele zu zeigen. Dazu gehört auch ein Besuch bei seiner Pflegemutter. Und er wird zu ihrem Beschützer und Reiseführer.
Im Presseheft sagt Kuosmanen, dass er, mit Einverständnis von Rosa Liksom, so viel an ihrem Roman veränderte, dass der Film jetzt nur noch von ihm inspiriert sei: „Wir haben so viel geändert, dass die eigentliche Frage ist, was nicht geändert wurde.“
Das erklärt vielleicht, warum es keine Filmausgabe von Liksoms Roman gibt.
Abteil Nr. 6 (Hytti nro 6, Finnland/Deutschland/Russland/Estland 2021)
Regie: Juho Kuosmanen
Drehbuch: Andris Feldmanis, Juho Kuosmanen, Livia Ulman, Lyubov Mulmenko (russische Dialoge)
LV: Rosa Liksom: Hytti nro 6, 2011 (Abteil Nr. 6)
mit Seidi Haaria, Yuriy Borisov, Dinara Drukarova, Julia Aug, Lidia Kostina
Audrey Diwans „Das Ereignis“ erhielt 2021 in Venedig den Goldenen Löwen als Bester Film. Wie Kuosmanen erzählt sie die Geschichte aus der Perspektive einer jungen Frau. Es handelt sich um die Geschichte von Annie Ernaux, die 1963 in Frankreich schwanger wurde. 2000 erschien ihr Buch über ihre Schwangerschaft. Damals studierte sie Literatur an der Universät und sie stand kurz vor den Abschlussprüfungen. Ein Kind hätte das Ende ihrer beruflichen Ambitionen bedeutet. Eine Abtreibung könnte ihren Tod bedeuten oder, wenn sie erwischt wird, eine Haftstrafe. Keine diese Möglichkeiten ist besonders prickelnd für die unverheiratete, in keiner festen Beziehung lebende Studentin.
Diwan erzählt diese in wenigen Wochen spielende Geschichte immer nah bei der an Anamaria Vartolomei gespielten Anne. Die Handkamera verfolgt sie und nimmt ihren Blick ein, wenn sie verschiedene Ärzte besucht, erfolglos verschiedene Abtreibungsmethoden ausprobiert und die Schwangerschaft vor ihren Eltern und Freundinnen verheimlichen will. Das wird natürlich zunehmend schwieriger.
Einerseits ist „Das Ereignis“ ein historischer Film. Er spielt 1963 als Abtreibung in Frankreich verboten war. 1975 wurde sie legalisiert. Seitdem gab es weitere Gesetzesänderungen, die die Rechte der betroffenen Frauen stärkten. Andererseits ist in anderen Ländern die Abtreibung verboten und auch in Ländern, in denen sie erlaubt ist, wird heftig über sie gestritten. So wurden in den USA in den vergangenen Monaten in einigen Staaten Gesetze formuliert, die eine Abtreibung verhindern sollen. Auch bei einer Vergewaltigung oder Inzest. Diese Aktualität des Themas ist in Diwans Drama jederzeit spürbar.
Gleichzeitig gelingt es ihr, nachvollziehbar zu machen, warum eine Frau abtreiben möchte und welchem Druck sie ausgesetzt ist. Von der Gesellschaft, ihren Eltern, Freunden und den Ärzten, die damals alle ausnahmslos Männer waren.
Das Ereignis (L’événement, Frankreich 2021)
Regie: Audrey Diwan
Drehbuch: Audrey Diwan, Marcia Romano, Anne Berest
„Bis wir tot sind oder frei“ lief nicht auf diesen großen Festivals. Das auf wahren Ereignissen basierende Drama hatte seine Premiere 2020 beim Filmfest Hamburg. Beim Black Nights Film Festival Talinn 2020 wurde die Hauptdarstellerin ausgezeichnet. Beim Avanca Film Festival 2021 wurde das Drama unter anderem als bester Film ausgezeichnet.
In den deutschsprachigen Regionen der Schweiz lief Oliver Rihs‘ Film bereits im Januar 2021 an. Und das ist nachvollziehbar. Denn trotz der auch bei uns bekannten Schauspieler, wie Marie Leuenberger, Joel Basman, Jella Haase, Anatole Taubman und Bibiana Beglau in den Hauptrollen, ist es primär ein schweizer Film der eine schweizer Geschichte erzählt. Nämlich die von dem Ausbrecherkönig Walter Stürm und wie er in den Achtzigern zu einer Symbolfigur und Held der linken Szene wurde. Einige wichtige Rolle spielte dabei Barbara Hug.
Sie gehört zu dem 1975 gegründeten Zürcher Anwaltskollektiv. Diese Anwälte verteidigen, teils zu symbolischen Honoraren, Linke, Mieter*innen, Arbeitnehmer*innen und, im Allgemeinen und im Besonderen, von der staatlichen Repressionsmaschinerie betroffene Menschen. Das können mehr oder weniger friedliche Demo-Teilnehmer*innen, Autonome oder auch Menschen, die wegen terroristischer Taten angeklagt sind, sein. Das Kollektiv versteht sich als Teil einer Bewegung für eine Schweiz, die weniger verknöchert und rückständig ist. Und das war die Schweiz damals. Sie liegen im ständigen Streit mit dem sie bei der Arbeit behindernden Staat. Die seit ihrer Kindheit gehbehinderte Hug ist eine taffe Anwältin, die wegen ihres Verstandes und ihrer ebenso klaren, wie kämpferischen Argumentation vor Gericht hohes Ansehen genießt.
Der 1942 geborene Unternehmersohn Walter Stürm ist zu diesem Zeitpunkt – der Film beginnt 1980 – bereits ein bekannter Berufsverbrecher mit zahlreichen Gefängnisaufenthalten und -ausbrüchen. Ihm geht es um Geld und Frauen. Politik interessiert ihn nicht. Aber sein unbändiger Freiheitsdrang und sein damit verbundener Kampf gegen das System sind anschlussfähig bei den Linken. Und so wird der unpolitische, aber charismatische Stürm, mit Hilfe seiner Anwältin Barbara Hug, zu einer Symbolfigur der Linken, irgendwo zwischen Robin Hood und Mini-Che-Guevara. Hug stellte ihn auch Mitgliedern der zweiten Generation der RAF vor.
Rihs‘ Drama konzentriert sich auf die Beziehung zwischen Hug und Stürm – und den historischen Hintergrund, der inzwischen immer mehr in Vergessenheit gerät. Denn auch die Schweiz hatte ihre 68er-Bewegung.
„Bis wir tot sind oder frei“ ist eine schöne Zeitreise in die achtziger Jahre, die in der schweizerdeutschen Originalversion sicher rundum überzeugte. Für die hiesige Auswertung sprachen die Schauspieler eine hochdeutsche Synchronisation ein. Diese aseptische Tonspur zerstört viel von der O-Ton-Atmosphäre und verleiht dem Drama das Flair eines bemühten Fernsehspiels.
Gerade weil ich ein wenig Schweizerdeutsch verstehe, hätte ich viel lieber die Orignalversion, gerne auch mit Untertitel, gesehen.
Bis wir tot sind oder frei(Schweiz/Deutschland 2020)
Regie: Oliver Rihs
Drehbuch: Dave Tucker, Oliver Rihs, Ivan Madeo, Norbert Maass, Oliver Keidel
mit Marie Leuenberger, Joel Basman, Jella Haase, Bibiana Beglau, Anatole Taubman, Pascal Ulli, Philippe Graber
Offenes Geheimnis (Todos lo saben, Spanien/Frankreich/Italien 2018)
Regie: Asghar Farhadi
Drehbuch: Asghar Farhadi
Zur Hochzeit ihrer jüngeren Schwester kehrt Laura wieder in ihre alte Heimat zurück. Während der Hochzeitsfeier wird ihre Tochter entführt.
„Offenes Geheimnis“ ist nicht Asghar Farhadis bester Film, aber ein Film mit Penélope Cruz und Javier Bardem ist immer sehenswert. Außerdem ist die erste Hälfte von „Offenes Geheimnis“ sehr gelungen.
Offenes Geheimnis (Todos lo saben, Spanien/Frankreich/Italien 2018)
Regie: Asghar Farhadi
Drehbuch: Asghar Farhadi
Zur Hochzeit ihrer jüngeren Schwester kehrt Laura wieder in ihre alte Heimat zurück. Während der Hochzeitsfeier wird ihre Tochter entführt.
TV-Premiere. „Offenes Geheimnis“ ist nicht Asghar Farhadis bester Film, aber ein Film mit Penélope Cruz und Javier Bardem ist immer sehenswert. Außerdem ist die erste Hälfte von „Offenes Geheimnis“ sehr gelungen.
Ahmad kommt aus Teheran nach Paris, um sich von Marie scheiden zu lassen. Marie, die inzwischen mit einem anderen Mann liiert ist, quartiert ihn im Kinderzimmer ein. Schnell bemerkt Ahmad, dass er mitten in eine verkorkste Beziehungsgeschichte gestolpert ist.
TV-Premiere. „Le Passé – Das Vergangene“ ist ein ruhiges, vielschichtiges, genau beobachtendes Drama über komplizierte Beziehungen und wie Menschen nicht miteinander über ihre Probleme reden können. Sehenswert!
Teheran, Gegenwart: Der beliebte Lehrer Emad inszeniert mit seiner Ehefrau Rana in der Hauptrolle Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“. Eines Abends wird sie in ihrer gemeinsamen neuen Wohnung überfallen und verletzt. Geplagt von Schuldgefühlen beginnt Emad den Täter zu suchen. Außerdem verschwimmen in seiner freien Adaption von Millers Stück die Grenze zwischen dem Stück und der Realität immer mehr.
Mit dem Oscar als bester fremdsprachiger Film 2017 ausgezeichnetes tolles Drama. Im Iran war der Film ein Kassenhit.
Laura (Penélope Cruz) kommt mit ihrer pubertierenden Tochter und ihrem jüngeren Sohn zur Hochzeit von ihrer Schwester zurück in ihr Heimatdorf. Neben ihrer Familie, die sie seit Ewigkeiten nicht gesehen hat, und den Dorfbewohnern trifft sie auch auf ihren Jugendfreund und -liebe Paco (Javier Bardem). Er wuchs als Sohn eines Hausangestellten bei ihnen auf. Inzwischen ist er ein angesehener, wohlhabender, verheirateter Winzer.
Während der Hochzeitsfeierlichkeiten verschwindet Lauras Tochter spurlos. Es gibt Hinweise auf eine Entführung, die sich verdichten, als ein Erpresserbrief auftaucht. Vor einigen Jahren gab es in der Gegend schon einmal eine Entführung, die tragisch endete.
Vor allem Paco will Laura helfen.
Mit der Entführung ist natürlich auch die weitgehend unbeschwerte Feierstimmung futsch.
Bis dahin ist Asghar Farhadis erster auf spanisch gedrehter Film nämlich ein wunderschönes, an Robert Altmans Ensemblefilme erinnerndes Porträt einer Hochzeitsgesellschaft und eines Ortes. Witz, Drama, kleine Spitzen und Gehässigkeiten vermischten sich zu einem vergnüglichen Gesellschaftsporträt.
Aber mit der Entführung wird in der zweiten Filmhälfte aus dem Drama ein Kriminalfilm, der immer wieder mit der Logik zu kämpfen hat, weil er offensichtliche Fragen nicht beantwortet. So ist nicht erklärbar, warum niemand im gesamten Dorf die Polizei informiert. Und Pacos Bereitschaft, seiner Ex-Freundin zu helfen, ist verdächtig großzügig.
Diese Filmhälfte ist deutlich schlechter geraten als die erste Hälfte. Daran ändern auch die letzten Wendungen des Films, in denen „Offenes Geheimnis“ zum Noir wird, nichts.
Die gute erste Hälfte, die guten Schauspieler, die schöne spanische Landschaft und die präzise Inszenierung werden unter einem mehr als halbgaren Krimi begraben.
Der Iraner Asghar Farhadi inszenierte „Nader und Simin – Eine Trennung“, „Le Passé – Ds Vergangene und „The Salesman“.
Offenes Geheimnis (Todos lo saben, Spanien/Frankreich/Italien 2018
Regie: Asghar Farhadi
Drehbuch: Asghar Farhadi
mit Penélope Cruz, Javier Bardem, Ricardo Darin, Eduard Fernández, Bárbara Lennie, Inma Cuesta, Elvira Mínguez, Ramón Barea, Carla Campra
„The Salesman“ ist für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert und ich hoffe, dass er ihn erhält. Nicht weil er unbedingt der beste der nominierten Filme ist (ich kenne ja nicht alle Nominierten), sondern weil Asghar Farhadi und alle, die an dem Film mitarbeiteten, nicht in die USA einreisen dürfen, weil Donald Trump und seine Entourage gerade einen „Muslim ban“ verhängten. Als Mittel gegen den Terrorismus dürfen Staatsbürger aus sieben Ländern (auch Doppelstaatler und Green-Card-Inhaber und Menschen, die aus diesen Ländern kommen und schon seit Ewigkeiten in den USA leben [so aufgeschrieben erinnert mich das an etwas aus unserer deutschen Geschichte]) nicht einreisen. Nach Protesten wurde zwar – vielleicht – einiges geändert und die Trump-Administration widerspricht sich öfters, aber es ändert nichts: Moslems dürfen nicht rein. Christen aus den Ländern schon. Und der „Muslim ban“ kann, auch das hat die Trump-Administration schon gesagt, auf weitere Länder ausgeweitet werden. Dann vielleicht auch auf Länder, von denen für die USA wirklich aufgrund früherer Anschläge eine Gefahr ausgeht.
Da wäre ein Oscar für „The Salesman“ ein gutes Signal.
Auch weil der Film, ohne explizit politisch zu werden, ein Iran im Umbruch zeigt. Der Film spielt in Teheran – einer 8-Millionen-Einwohnerstadt mit einer ähnlichen Bevölkerungsdichte wie New York – in der dortigen Mittelschicht, die sich gar nicht so sehr von westlichen Mittelschichten, ihren Ansichten und ihren Problemen unterscheidet.
Auch deshalb hat Farhadi als zweite Ebene eine Theaterinszenierung von Arthur Millers Theaterklassiker „Tod eines Handlungsreisenden“ von 1949 eingeflochten. Das Stück erweitert und spiegelt die Handlung von „The Salesman“.
Im Mittelpunkt des Films stehen Emad und seine Ehefrau Rana. Er ist ein beliebter Lehrer für Literatur in einer Jungenschulklasse. In seiner Freizeit inszeniert er eine freie Adaption von Millers „Tod eines Handlungsreisenden“. Er spielt auch die Hauptrolle. Seine Frau spielt die Frau des Handlungsreisenden; was dazu führt, dass ihr Leben in dem Stück – in den Texten, den teils spontanen Abweichungen von Millers Text und der freien Interpretation des Stückes – eine Fortsetzung findet. Und umgekehrt.
Das liegt auch daran, dass ihr Leben aus den Fugen gerät. Nachdem durch Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück ihr Mietshaus unbewohnbar wird, müssen sie sich eine neue Wohnung suchen. Allerdings sind in der neuen Wohnung noch viele Gegenstände der Vormieterin, die sie irgendwann abholen will, vorhanden und die Nachbarn machen Andeutungen über ihr Leben.
Eines Abends, als Emad noch länger im Theater ist, wird Rana in der Wohnung überfallen und vergewaltigt. Sie redet nicht darüber und will auch keine Anzeige erstatten. Er fragt sich, wie er mit der Tat und den Fragen der Nachbarn umgehen soll.
Diese Geschichte entfaltet Farhadi langsam und oft mit Andeutungen, die vor allem für dortige Zuschauer sofort verständlich sind. Manchmal auch mit sehr leicht erkennbaren Anspielungen, wie das unbewohnbare Haus, die sich nicht meldende Vormieterin und ihre persönlichen Habseligkeiten, um die sie sich nicht kümmert. Farhadi zeichnet auch ein Bild der städtischen, kulturell interessierten Mittelschicht und einer Gesellschaft im Wandel zwischen Tradition und Moderne. Dass dabei die Parallelisierung zwischen dem Leben von Emad und Rana und Millers Stück teilweise wie ein Gimmick wirkt, teilweise etwas platt ist und dass der Film mit über zwei Stunden etwas lang geraten ist, sei ihm verziehen. Denn Farhadi erzählt seine Geschichte sehr offen. Er gibt damit keine eindeutige Sichtweise vor, sondern lädt zu verschiedenen Interpretationen ein. So lernen wir auch den Täter und seine Familie kennen.
In seiner Heimat hat Farhadis Film einen Nerv getroffen. Seit seinem Kinostart hat „The Salesman“ im Iran alle Zuschauerrekorde gebrochen. Dabei ist das Drama kein einfacher Film und kein Film, den man sich aus eskapistischen Motiven ansieht. Es ist ein Film, der sich mit den Dingen beschäftigt, die für seine Zuschauer wichtig sind. Auf die Jury, die über den iranischen Oscar-Kandidaten entscheiden sollte, wurde massiv Druck ausgeübt. Trotzdem schlug sie ihn als iranischen Oscar-Beitrag vor. In einem mehrstufigem Verfahren nominierte die Academy of Motion Picture Arts and Sciences (die die Oscars verleiht) „The Salesman“ für den Oscar als bester ausländischer Film.
Und allein diese Nominierung sollte bei uns doch einige Leute ins Kino locken. Sie können den Kinobesuch sogar als politisches Statement verkaufen.
Ach ja: Farhadi inszenierte vorher „Nader und Simin – Eine Trennung“ und „Le Passé – Das Vergangene“.
Einige Tage nach dem deutschen Kinostart erhielt „The Salesman“ den Oscar als bester fremdsprachiger Film. Asghar Farhadi war bei der Preisverleihung nicht dabei. Für ihn nahmen Anousheh Ansari, US-amerikanisch-iranische Unternehmerin und erste Weltraumtouristin, und Dr. Firouz Naderi, ein iranisch-amerikanische Wissenschaftler und Leiter des Programms zur Erforschung des Sonnensystems im JPL (Jet Propulsion Laboratory) den Preis entgegen.
Und mit „Moonlight“ gab es sogar einen Überraschungssieger für den besten Film des Jahres; mit einer ungeplanten Überraschung bei der Verleihung.
Donald Trump versucht immer noch seinen „muslim ban“ durchzusetzen. Bis jetzt erhielt er vor Gericht eine Niederlage nach der nächsten.
Im Iran wurde Hassan Rohaniam 19. Mai bei der Präsidentschaftswahl wiedergewählt. Er war der moderate Kandidat. Er verfolgt eine Reformpolitik, die der Bevölkerung mehr Freiheiten und eine Erholung der Wirtschaft verspricht.
Das Bonusmaterial der DVD besteht aus einem enttäuschendem 23-minütigem Making of, das letztendlich eine B-Roll mit einigen, kurzen Statements vom Regisseur und den Hauptdarstellern ist.
The Salesman (Fourshande, Iran/Frankreich 2016)
Regie: Asghar Farhadi
Drehbuch: Asghar Farhadi
mit Shahab Hosseini, Taraneh Alidoosti, Babak Karimi, Farid Sajjadihosseini, Mina Sadati, Maral Bani Adam, Mehdi Kooshki
–
DVD
Panorama Entertainment
Bild: 1,85:1 (16:9 anamorph)
Ton: Deutsch, Farsi
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial: Making of, Deutscher Kinotrailer, Original-Kinotrailer
„The Salesman“ ist für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert und ich hoffe, dass er ihn erhält. Nicht weil er unbedingt der beste der nominierten Filme ist (ich kenne ja nicht alle Nominierten), sondern weil Asghar Farhadi und alle, die an dem Film mitarbeiteten, nicht in die USA einreisen dürfen, weil Donald Trump und seine Entourage gerade einen „Muslim ban“ verhängten. Als Mittel gegen den Terrorismus dürfen Staatsbürger aus sieben Ländern (auch Doppelstaatler und Green-Card-Inhaber und Menschen, die aus diesen Ländern kommen und schon seit Ewigkeiten in den USA leben [so aufgeschrieben erinnert mich das an etwas aus unserer deutschen Geschichte]) nicht einreisen. Nach Protesten wurde zwar – vielleicht – einiges geändert und die Trump-Administration widerspricht sich öfters, aber es ändert nichts: Moslems dürfen nicht rein. Christen aus den Ländern schon. Und der „Muslim ban“ kann, auch das hat die Trump-Administration schon gesagt, auf weitere Länder ausgeweitet werden. Dann vielleicht auch auf Länder, von denen für die USA wirklich aufgrund früherer Anschläge eine Gefahr ausgeht.
Da wäre ein Oscar für „The Salesman“ ein gutes Signal.
Auch weil der Film, ohne explizit politisch zu werden, ein Iran im Umbruch zeigt. Der Film spielt in Teheran – einer 8-Millionen-Einwohnerstadt mit einer ähnlichen Bevölkerungsdichte wie New York – in der dortigen Mittelschicht, die sich gar nicht so sehr von westlichen Mittelschichten, ihren Ansichten und ihren Problemen unterscheidet.
Auch deshalb hat Farhadi als zweite Ebene eine Theaterinszenierung von Arthur Millers Theaterklassiker „Tod eines Handlungsreisenden“ von 1949 eingeflochten. Das Stück erweitert und spiegelt die Handlung von „The Salesman“.
Im Mittelpunkt des Films stehen Emad und seine Ehefrau Rana. Er ist ein beliebter Lehrer für Literatur in einer Jungenschulklasse. In seiner Freizeit inszeniert er eine freie Adaption von Millers „Tod eines Handlungsreisenden“. Er spielt auch die Hauptrolle. Seine Frau spielt die Frau des Handlungsreisenden; was dazu führt, dass ihr Leben in dem Stück – in den Texten, den teils spontanen Abweichungen von Millers Text und der freien Interpretation des Stückes – eine Fortsetzung findet. Und umgekehrt.
Das liegt auch daran, dass ihr Leben aus den Fugen gerät. Nachdem durch Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück ihr Mietshaus unbewohnbar wird, müssen sie sich eine neue Wohnung suchen. Allerdings sind in der neuen Wohnung noch viele Gegenstände der Vormieterin, die sie irgendwann abholen will, vorhanden und die Nachbarn machen Andeutungen über ihr Leben.
Eines Abends, als Emad noch länger im Theater ist, wird Rana in der Wohnung überfallen und vergewaltigt. Sie redet nicht darüber und will auch keine Anzeige erstatten. Er fragt sich, wie er mit der Tat und den Fragen der Nachbarn umgehen soll.
Diese Geschichte entfaltet Farhadi langsam und oft mit Andeutungen, die vor allem für dortige Zuschauer sofort verständlich sind. Manchmal auch mit sehr leicht erkennbaren Anspielungen, wie das unbewohnbare Haus, die sich nicht meldende Vormieterin und ihre persönlichen Habseligkeiten, um die sie sich nicht kümmert. Farhadi zeichnet auch ein Bild der städtischen, kulturell interessierten Mittelschicht und einer Gesellschaft im Wandel zwischen Tradition und Moderne. Dass dabei die Parallelisierung zwischen dem Leben von Emad und Rana und Millers Stück teilweise wie ein Gimmick wirkt, teilweise etwas platt ist und dass der Film mit über zwei Stunden etwas lang geraten ist, sei ihm verziehen. Denn Farhadi erzählt seine Geschichte sehr offen. Er gibt damit keine eindeutige Sichtweise vor, sondern lädt zu verschiedenen Interpretationen ein. So lernen wir auch den Täter und seine Familie kennen.
In seiner Heimat hat Farhadis Film einen Nerv getroffen. Seit seinem Kinostart hat „The Salesman“ im Iran alle Zuschauerrekorde gebrochen. Dabei ist das Drama kein einfacher Film und kein Film, den man sich aus eskapistischen Motiven ansieht. Es ist ein Film, der sich mit den Dingen beschäftigt, die für seine Zuschauer wichtig sind. Auf die Jury, die über den iranischen Oscar-Kandidaten entscheiden sollte, wurde massiv Druck ausgeübt. Trotzdem schlug sie ihn als iranischen Oscar-Beitrag vor. In einem mehrstufigem Verfahren nominierte die Academy of Motion Picture Arts and Sciences (die die Oscars verleiht) „The Salesman“ für den Oscar als bester ausländischer Film.
Und allein diese Nominierung sollte bei uns doch einige Leute ins Kino locken. Sie können den Kinobesuch sogar als politisches Statement verkaufen.
Nader und Simin – Eine Trennung (Iran 2011, R.: Asghar Farhadi)
Drehbuch: Asghar Farhadi
Simin will mit ihrer Tochter und ihrem Mann ins Ausland gehen. Ihr Mann, der Akademiker Nader, will in Teheran bleiben und seinen an Alzheimer erkrankten Vater pflegen. Als Hilfe stellt er die streng religiöse Razie als Pflegerin ein. Konflikte sind vorprogrammiert. Denn Simin will sich scheiden lassen und Razie hadert mit der Pflege.
Nachdem Asghar Farhadis neuester Film „Le Passé – Das Vergangene“ gerade im Kino anlief, lohnt sich ein Blick auf seinen vorherigen Film. Für „Nader und Simin – Eine Trennung“ erhielt er den Goldenen Bären, den Oscar und Golden Globe als bester ausländischer Film und etliche weiter Preise und Nominierungen.
Ein Publikumserfolg war er aus.
In der IMDB ist er derzeit auf dem 101. Platz der 250 beliebtesten Filme.
Anschließend, um 22.15 Uhr, läuft die fünfzigminütige Doku „Es war einmal…: Nader und Simin“ über diesen Film.
Mit Leila Hatami, Peyman Moadi, Sareh Bayat, Shahab Hosseini
Ahmad (Ali Mosaffa) kehrt nach vier Jahren für einige Tage von Teheran nach Paris und zu Marie (Bérénice Bejo) zurück. Er will in einem Hotel übernachten und die Scheidungspapiere unterschreiben. Vielleicht will er auch noch einen Versuch starten, die Beziehung zu kitten. Aber dieser Plan – falls er ihn überhaupt jemals hatte – zerschlägt sich schnell. Marie bringt ihn im Kinderzimmer unter, was bei den Kindern für Verstimmung sorgt. Ihre älteste Tochter Lucie (Pauline Burlet) hat sich gerade, mitten in der Pubertät, mit ihrer Mutter und ihrem neuen Freund zerstritten. Und Marie hat, das erfährt Ahmad nebenbei, einen neuen Freund, der jetzt, aus Rücksicht auf die beiden noch Verheirateten, einige Tage in seiner Wohnung verbringt. Samir (Tahar Rahim) ist verheiratet, aber seine Frau liegt nach einem Suizidversuch im Koma. Sein Sohn lebt auch in Maries Haus.
Ahmad begreift, dass er mitten in eine extrem verkorkste Beziehungsgeschichte hineingeraten ist und er, gerade weil er unbeteiligt und ein guter Zuhörer ist, die Rolle des Therapeuten übernimmt.
„Le Passé – Das Vergangene“ ist ein ruhiger, vielschichtiger, genau beobachtender Film über komplizierte Beziehungen und wie Menschen nicht miteinander über ihre Probleme reden können. Aber mit Ahmad haben sie einen Katalysator gefunden, der immerhin etwas Beziehungsmüll zur Seite schaufeln kann. Das allein ist schon so spannend, dass es den vernachlässigbaren und eher störenden Rätselplot um den Suizidversuch von Samirs Frau, der vielleicht ein Mordversuch war, nicht bedurft hätte.
Asghar Farhadi erhielt für seinen vorherigen Film „Nadar und Simin – Eine Trennung“ bei der 2011er Berlinale den Goldenen Bären für den besten Film. Er war auch ein Publikumserfolg. In Frankreich sahen ihn über eine Million Menschen im Kino.
In Cannes lief „Le Passé“ 2013 im Wettbewerb und Bérénice Bejo wurde dort als beste Schauspielerin ausgezeichnet. Der Film erhielt den Preis der ökumenischen Jury und ist, unter anderem, für den Golden Globe als bester fremdsprachiger Film nominiert.
Le Passé – Das Vergangene (Le Passé, Frankreich/Italien 2013)