Ich glaube zwar nicht, dass es notwendig ist, aber: Spoilerwarnung.
Passend zu Til Schweigers Eingeständnis, dass er in der Vergangenheit zu viel Alkohol getrunken habe und ihm das in den vergangenen Jahren auch immer wieder von einigen Freunden gesagt wurde LINK, läuft Markus Gollers neuer Film „One for the Road“ an. Sein Drama illustriert und kommentiert Schweigers Eingeständnis erstaunlich präzise; fast so, als habe Schweiger das ‚Interview zum Film‘ gegeben.
Im Mittelpunkt des Spielfilms steht Mark Jung (Frederick Lau), ein Alkoholiker, der bei einer Verkehrskontrolle stockbetrunken in seinem Auto erwischt und direkt zum MPU-Vorbereitungskurs geschickt wird.
Dort sitzt er und denkt, dass er kein Alkoholproblem hat. Im Gegensatz zu den anderen Kursteilnehmern. Schließlich ist er ein erfolgreicher Bauleiter. Aktuell ist er für die große Baustelle am Alexanderplatz zuständig. Trinken tut der Junggeselle nach der Arbeit. Mit seinen Kumpels in der Kneipe. Dabei sorgt er für gute Stimmung. Jeder Abend ist für ihn eine Party.
Die einzige Kursteilnehmerin, mit der er sich sofort versteht, ist Helena (Nora Tschirner). Die Grundschullehrerin kennt den Kurs und die damit verbundenen Abläufe und Gefühle. Sie ist schlagfertig. Sie fordert ihn heraus und lässt sich kein X für ein U vormachen. Entsprechend höhnisch reagiert sie auf sein Versprechen, er werde, bis er seinen Führerschein wieder hat, keinen Tropfen Alkohol trinken. Sie weiß, wie schwer das ist.
„One for the Road“ ist nicht „Das verlorene Wochenende“ (The lost Weekend, USA 1945), „Unter dem Vulkan“ (Under the Volcano, USA 1984) oder „Leaving Las Vegas“ (USA 1995), drei der besten Trinkerdramen, die es gibt.
Aber der neue Film von Regisseur Markus Goller und Drehbuchautor Oliver Ziegenbalg, von denen auch das vergnügliche und an der Kinokasse erfolgreiche Road-Movie „25 km/h“ ist, ist ein (erstaunlich) gelungenes und sehr stimmiges Trinkerporträt. Im Rahmen eines Mainstream-Films behandeln sie das Thema Alkoholismus und bleiben durchgehend nah an der Realität. Sie verzichten auf den didaktisch erhobenen Zeigefinger. Bei ihnen gibt es keine einfachen Antworten, die dann ebenso einfach wie falsch sind. Es gibt kein verlogenes Alles-ist-gut-Kitsch-Happy-End und die Liebesgeschichte des Films fällt auch flach.
Mark und Helena sind nicht zusammen, weil sie sich lieben, sondern weil sie die einzigen beiden Menschen in der Therapiestunde sind, die nach der Stunde noch miteinander reden wollen. Und sich dabei in Marks Stammbar betrinken. Wenn Helena ein Mann gewesen wäre, hätte ihn das auch nicht gestört. Sie ist einfach für die nächsten Tage sein Teilzeit-Kumpel, der ihm auf dem Weg zur Erkenntnis, dass er Alkoholiker ist, zur Seite steht. Seine Freunde und Arbeitskollegen wissen das schon lange. Auch wir wissen es nach wenigen Minuten. Dafür muss Mark noch nicht einmal besoffen in sein Auto einsteigen.
Wenn „One for the Road“ dazu führt, dass einige über ihren Drogenkonsum nachdenken, hat er sein Ziel erreicht. Goller und Ziegenbalg erzählen nämlich in erster Linie einfach nur die Geschichte eines alleinstehenden Mannes, der für sein Leben immer noch nicht die Verantwortung übernommen hat und der mit mindestens einer Lebenlüge aufräumen muss. In ihrem Film zeigen sie, wie schwer dieser erste Schritt ist.
Zum Schluss noch ein vom Herzen kommender Lektüretipp: Die US-amerikanischen Krimi-Autoren Lawrence Block und James Lee Burke erfanden mit Matthew Scudder und Dave Robicheaux Ermittler, die über Jahre mit ihrem Alkoholismus kämpfen. Während Burkes Robicheaux-Romane zuletzt in einer immer ermüdenderen Wiederholungsschleife gefangen sind, erzählt Block in vielen in jeder Beziehung sehr, sehr lesenswerten Romanen Scudders sich langsam vollziehende Entwicklung von einem Alkoholiker, der zuerst einmal erkennen muss, dass er ein Alkoholiker ist (was nicht in einem Buch geschieht) und der in den folgenden Jahren unzählige Treffen der Anonymen Alkoholiker besucht. Es gibt Rückfälle, aber die Tage, Wochen, Monate, Jahre, in denen er keinen Alkohol trinkt, werden länger.

One for the Road (Deutschland 2023)
Regie: Markus Goller
Drehbuch: Oliver Ziegenbalg
mit Frederick Lau, Nora Tschirner, Burak Yiğit, Friederike Becht, Godehard Giese, Nina Kunzendorf, Henning Peker, Eva Weißenborn, Lena Schmidtke
Länge: 115 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Hinweise
Filmportal über „One for the Road“
Moviepilot über „One for the Road“
Meine Besprechung von Markus Gollers „25 km/h“ (Deutschland 2018)
Veröffentlicht von AxelB 
