Der gerade aus dem Gefängnis entlassene Kleinganove George (Bob Hoskins) darf als Gnadenbrot die Highclass-Prostituierte Simone (Cathy Tyson) durch das nächtliche London zu ihren kutschieren. Zwischen den Kunden kommen die beiden gegensätzlichen Charaktere sich näher. Und das sorgt für Probleme.
Grandioser, sehr selten gezeigter Neo-Noir-Gangsterfilm.
Heute startet Martin McDonaghs neuer hochgelobter Film „The Banshees of Inisherin“ im Kino. Das ist eine gute Gelegenheit, sich noch (?) einmal seinen vorherigen Film anzusehen:
ZDF, 23.00
Three Billboards outside Ebbing, Missouri(Three Billboards outside Ebbing, Missouri, USA 2017)
Regie: Martin McDonagh
Drehbuch: Martin McDonagh
Mildred Hayes (Frances McDormand, die für ihre Rolle ihren zweiten Oscar erhielt) ist stinkig. Ihre Tochter wurde vergewaltigt und ermordet. Aber die Polizei findet den Täter nicht. Also macht sie auf drei angemieteten Werbetafeln ihrem Ärger Luft – und setzt damit im Dorf einiges in Gang.
Kommen wir zum neuesten Eintrag in der stetig wachsenden Liste von Musiker-Biopics. Zuletzt liefen im Kino Baz Luhrmanns „Elvis“ (über Elvis Presley) und Liesl Tommys Aretha-Franklin-Biopic „Respect“. Jetzt porträtiert Kasi Lemmons („Harriet – Der Weg in die Freiheit“) Whitney Houston.
Houston wird am 9. August 1963 in New Jersey geboren. Ihre Mutter ist die Soul- und Gospel-Sängerin Cissy Houston. 1983 unterschreibt Whitney Houston bei Arista Records. 1985 veröffentlich sie dort ihre erste LP. „Whitney Houston“ wird ein voller Erfolg. Die LP und die Singles stürmen die Charts. Das gleiche gilt für die beiden folgenden LPs „Whitney“ (1987) und „I’m your Baby tonight“ (1990). 1992 spielt sie in der enorm erfolgreichen Thriller-Schmonzette „Bodyguard“ eine Hauptrolle. Der Soundtrack, auf dem sie sechs Songs singt, ist ein Verkaufserfolg. Sie erhält etliche Grammys, Billboard Music Awards und American Music Awards. 1992 heiratet sie den R&B-Sänger Bobby Brown. Ihre gemeinsame Tochter wird 1993 geboren. Sie nimmt Drogen und veröffentlicht kaum noch neue Songs. Am 11. Februar 2012 ertrinkt sie, einen Tag vor der Verleihung der Grammy Awards, in Beverly Hills in einem Hotelzimmer in einer Badewanne. Ihr Drogenkonsum und eine Herzkrankheit sollen ihren Tod mitverschuldet haben.
Das wären die nackten Daten eines kurzen Lebens, die in einem Biopic natürlich ausgefüllt werden müssen. Kasi Lemmons tut dies arg konventionell, vollkommen unkritisch und indem sie das ganze Leben von Whitney Houston von ihren musikalischen Anfängen bis zu ihrem Tod erzählt. In 145 Minuten erzählt sie 30 Jahre Leben, garniert mit 22 neu abgemischten Hits aus Houstons Repertoire, die auch im Film weitgehend von Houston gesungen werden. Für die Fans der vor zehn Jahren verstorbenen Sängerin dürfte das genug sein, um sich das Biopic anzusehen.
Aber für alle anderen gibt es erstaunlich wenig Gründe, sich „Whitney Houston: I wanna dance with somebody“ anzusehen. Das beginnt mit der Machart. Lemmons erzählt einfach Stationen und Episoden aus dem Leben der Sängerin nach. Filmisch aufregend ist da, im Gegensatz zu Luhrmanns „Elvis“ (der ersten Hälfte) oder Dexter Fletchers grandiosem Elton-John-Biopic „Rocketman“, nichts.
Die Geschichte selbst krankt an der bis auf wenige Ausnahmen zum Scheitern verurteilten Idee, in einem Film ein ganzes Leben abzuhandeln. Besser ist es, sich auf eine wichtige Phase im Leben der porträtierten Person zu konzentrieren oder einen bestimmten Teil des Lebens dieser Person im Gegensatz zu allen anderen Phasen radikal hervorzuheben.
In „Whitney Houston: I wanna dance with somebody“ geht es, bis auf zwei Jahreszahlen am Filmanfang, ohne weitere Jahreszahlen chronologisch und an den falschen Stellen elliptisch durch die Jahrzehnte. Da wird von ihrer ersten Veröffentlichung gleich etliche Hits weiter gesprungen. Von den Dreharbeiten an ihrem ersten Film geht es zu der Bemerkung, dass sie inzwischen in drei Filmen mitgespielt habe. Arista-Chef Clive Davis sagt einmal, sie habe seit sieben Jahren keine LP mehr veröffentlicht. Sie heiratet Bobby Brown. Ihre Tochter ist im nächsten Bild ein ungefähr sechsjähriges Kind und im übernächsten ein Teenager. Houston ist plötzlich drogensüchtig und soll in eine Entziehungsklinik gehen. Sie begibt sich auf eine Welttournee. Kurz darauf ist sie tot. So episodisch und unverbunden, wie ich das jetzt aufgeschrieben habe, wird Houstons Leben, mit etlichen Live-Auftritten, im Film präsentiert.
In all den Episoden wird vieles angesprochen, aber auch nichts vertieft. Einiges, wie Bobby Browns bekannte Gewalttätigkeit, wird übergangen. Houstons Drogensucht wird oberflächlich angesprochen. Ihre Beziehung zu ihrer Jugendfreundin Robyn Crawford wird am Filmanfang ausführlich als auch lesbische Beziehung gezeigt. Irgendwann in der zweiten Filmhälfte verschwindet Crawford ohne Erklärung aus dem Film. Houstons Zerrisenheit zwischen der von ihr gewünschten Akzeptanz beim schwarzen Publikum und ihrem Erfolg beim weißen Publikum wird ebenfalls angesprochen, aber nicht vertieft. Ihr später immer wieder behaupteter Kampf um künstlerische Unabhängigkeit wird schon beim ersten Gespräch mit ihrem außergewöhnlich verständnisvollem Plattenproduzenten Davis (der auch einer der Produzenten dieses Films ist) konterkariert. Sie fordert die besten Komponisten für die besten Songs, die sie musikalisch herausfordern. Die Sängerin bekommt sie. Später wählt sie in gemeinsamen Sitzungen spontan neue Songs aus – und Davis stimmt ihr immer zu.
Zwischen all diesen Episoden ist abseits der reinen Chronologie kein roter Faden und auch kein eigenständiger Zugriff auf das Leben von Whitney Houston erkennbar. Weil Lemmons fast vollständig auf Jahreszahlen und tiefergehende Informationen verzichtet, empfiehlt sich vor dem Filmgenuß die Lektüre des Wikipedia-Artikels über die Sängerin. Der füllt dann die Lücken aus, die der Film hat.
Dabei hätte Houstons Leben für so vieles stehen können. Dafür hätte es natürlich einen Drehbuchautor und Regisseurin gebraucht, die eine eigenständige Sicht auf Houstons Leben entwickelt hätten und uns erzählen würden, warum wir uns heute für Whitney Houston interessieren sollten. Also inwiefern sie für irgendetwas ein Vorbild, gerne auch ein schlechtes Vorbild, sein könnte.
Dieser mangelnde Mut macht „Whitney Houston: I wanna dance with somebody“ zu einem Biopic, das all die Probleme hat, die entstehen, wenn in zwei Stunden das gesamte Leben der porträtierten Person von ihren Anfängen bis zu ihrem Tod behandelt wird und wenn im Film porträtierte Personen oder Angehörige der porträtierten Person beteiligt sind. Da ist kein Platz für kritische Worte.
Am Ende erschöpft sich die Leistung dieses Biopics in der Aufbereitung von 22 Popsongs für das Kino.
Whitney Houston: I wanna dance with somebody (Whitney Houston: I wanna dance with somebody; USA 2022)
Regie: Kasi Lemmons
Drehbuch: Anthony McCarten
mit Naomi Ackie, Stanley Tucci, Ashton Sanders, Tamara Tunie, Nafessa Williams, Clarke Peters
Three Billboards outside Ebbing, Missouri(Three Billboards outside Ebbing, Missouri, USA 2017)
Regie: Martin McDonagh
Drehbuch: Martin McDonagh
Mildred Hayes (Frances McDormand, die für ihre Rolle ihren zweiten Oscar erhielt) ist stinkig. Ihre Tochter wurde vergewaltigt und ermordet. Aber die Polizei findet den Täter nicht. Also macht sie auf drei angemieteten Werbetafeln ihrem Ärger Luft – und setzt damit im Dorf einiges in Gang.
Three Billboards outside Ebbing, Missouri(Three Billboards outside Ebbing, Missouri, USA 2017)
Regie: Martin McDonagh
Drehbuch: Martin McDonagh
Mildred Hayes (Frances McDormand, die für ihre Rolle ihren zweiten Oscar erhielt) ist stinkig. Ihre Tochter wurde vergewaltigt und ermordet. Aber die Polizei findet den Täter nicht. Also macht sie auf drei angemieteten Werbetafeln ihrem Ärger Luft – und setzt damit im Dorf einiges in Gang.
Mit den am Dienstag verkündeten Oscar-Nominierungen sind sieben weitere Nominierungen auf das schon gut gefüllte Konto von Martin McDonaghs bitterbösem Country-Noir „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ gekommen. Einziger, aber großer Wermutstropfen bei diesen Nominierungen ist, dass er keine Regie-Nominierung erhalten hat. Dafür wurde sein Drama als bester Film nominiert. Sein Drehbuch ist im Rennen für den Drehbuch-Oscar. Frances McDormand (yep, die aus den Coen-Filmen) ist als beste Hauptdarstellerin nominiert. Woody Harrelson und Sam Rockwell als beste Nebendarsteller. Jon Gregory für den Schnitt und Carter Burwell für die Musik. Auch ihn kennen wir von den Filmen der Coen-Brüdern und, kurz gesagt, ist „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ ein Film für die Fans von „Fargo“. Für den Film schrieb Carter Burwell ebenfalls die Musik und Frances McDormand erhielt den Oscar als beste Hauptdarstellerin.
Und jetzt sollten wir mit den Vergleichen zwischen den beiden Filmen aufhören. Denn „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ ist keine „Fargo“-Pastiche.
Frances McDormand spielt Mildred Hayes, die am Anfang des Films die drei titelgebenden Werbetafeln sieht. Sie stehen an der seit dem Bau der Highway kaum befahrenen Drinkwater Road, sind ziemlich verfallen und wurden schon seit Ewigkeiten nicht mehr für Botschaften an die vorbeifahrenden Autofahrer benutzt. Also kann sie die Tafeln mühelos mieten, solange sie keine Schimpfworte benutzt und auch niemand verleumdet. Das tut sie nicht. Sie fragt auf den Tafeln nur den örtlichen Polizeichef, warum er bis jetzt noch nicht den Vergewaltiger und Mörder ihrer Tochter gefunden hat. Immerhin liegt die Tat schon sieben Monate zurück.
Mit ihrer Aktion legt sie sich offen mit dem Polizeichef und der gesamten Polizei von Ebbing an. Sie setzt ein Räderwerk in Gang, in dem die Hinterwäldler sich gegenseitig malträtieren. Psychsich und physisch. Und auch, nach dem alten Sprichwort „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“, vertragen.
Nach Ebbing, das ist schnell klar, muss kein Fremder ohne Namen einreiten, um eine Welle von Gewalt und Gegengewalt loszutreten. Obwohl irgendwann ein schwarzer Sheriff (Clarke Peters) einreitet, die Polizeistation von Ebbing übernimmt, etwas gegen die dortigen Umgangsformen unternimmt und ansonsten nur Mildred bei ihrer Rachemission beobachten kann.
Martin McDonagh, der Autor und Regisseur von „Brügge sehen…und sterben?“ und „7 Psychos“, inszenierte mit „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ eine weitere Komödie, die vor Gewalt nicht zurückschreckt (auch wenn dieses Mal weniger Menschen als in seinen vorherigen Filmen sterben), fantastische Dialoge und eine grandiose Besetzung hat. Neben den allseits bekannten Stars – Frances McDormand als vom Leid zerfressene, ihre Trauer in kalte Wut verwandelnde, sich kompromisslos mit Gott und der Welt anlegende Mutter, Woody Harrelson als von einer tödlichen Krankheit gezeichneter, eigentlich gutwilliger Polizeichef William Willoughby, Sam Rockwell mit Plauze als minderbemittelter, rassistischer und gewalttätiger Polizist Dixon, Peter Dinklage als kleinwüchsiger Alkoholiker und Gebrauchtwagenhändler, der Mildred Hayes hilft und auf ein Date hofft – treten, um nur zwei zu nennen, verdienstvolle Nebendarsteller wie Zeljko Ivanek als weiteres Mitglied der rassistischen Ebbing-Polizei und John Hawkes als Mildreds inzwischen mit einer sehr jungen Frau liierter Ex-Mann, in kleinen, aber prägnanten Rollen auf. Und sie alle haben zitatwürdige Sätze, weil McDonagh für jeden seiner Charaktere zitatwürdige Sätze und Dialoge schreibt und sie dann wundervoll inszeniert.
Three Billboards outside Ebbing, Missouri(Three Billboards outside Ebbing, Missouri, USA 2017)
Regie: Martin McDonagh
Drehbuch: Martin McDonagh
mit Frances McDormand, Woody Harrelson, Sam Rockwell, Peter Dinklage, Abbie Cornish, John Hawkes, Zeljko Ivanek, Lucas Hedges, Caleb Landry Jones, Sandy Dixon, Clarke Peters, Samara Weaving, Amanda Warren, Kerry Condon
Länge: 116 Minuten
FSK: ab 12 Jahre (da hätte ich aus dem Bauch heraus zu einer FSK-16 tendiert; – so als pädagogische Empfehlung eines Nichtpädagogen)