Neu im Kino/Filmkritik: Lieber Andreas… „In Liebe, eure Hilde“

Oktober 19, 2024

Beginnen wir gleich, um die Größe des Scheiterns zu Illustrieren, mit dem größten Problem des Films: es wird keine einzige Jahreszahl eingeblendet. Auch andere Orientierungsmarken für eine schnelle zeitliche Einordnung sind bestenfalls rudimentär vorhanden. Wer mit dem Namen Coppi nichts verbindet, könnte problemlos vermuten, dass der Film in der DDR oder irgendeiner anderen wahren oder erfundenen Diktatur spielt.

Das tut er nicht. Er spielt während der Nazi-Diktatur. Und die Hauptpersonen in Andreas Dresens neuem Film, wieder nach einem Drehbuch von Laila Stieler, gehören zur „Roten Kapelle“.

Die „Rote Kapelle“ war die größte und ist immer noch die unbekannteste Widerstandsgruppe gegen die Nazi-Diktatur. Sie war nämlich als loses Netzwerk organisiert und existierte, weil die Nazis einfach Ereignisse und Menschen zu dieser Gruppe zusammenfassten. Heute sind ungefähr vierhundert Mitglieder der Gruppe namentlich bekannt. Die meisten Mitglieder lebten in Berlin. Der gemeinsame Nenner war, wie der Name nahelegt, dass die Mitglieder irgendwie kommunistisch waren und sie während des Zweiten Weltkriegs Spionage für die Sowjetunion betrieben.

Sie verteilten Flugblätter, halfen Juden und Oppositionellen, dokumentierten Verbrechen der Nazis, schrieben aufklärerische Briefe an Soldaten, die an der Ostfront kämpften, und sie versuchten, zur Übermittlung strategisch wichtiger Nachrichten, ein stabil funktionierendes Funknetz in die Sowjetunion aufzubauen.

Im Gegensatz zu anderen Widerstandskämpfern, wie die Gruppe um Graf von Stauffenberg, die Geschwister Scholl oder der Einzeltäter Georg Elser, die heute allgemein bekannt sind, arbeiteten die Mitglieder der „Roten Kapelle“ im Verborgenen.

Nach dem Krieg wurde die „Rote Kapelle“ in der Bundesrepublik und der DDR unterschiedlich beurteilt. In der DDR wurden sie als Helden verehrt. Im Westen ignoriert. Erst in den letzten Jahren zeichnete sich eine Veränderung der Wahrnahme ab.

Dresens „In Liebe, eure Hilde“ kann dazu sicher weiter beitragen.

Er erzählt nicht historisierend, sondern gegenwärtig und den Freiheitsdrang der jungen Protagonisten ernst nehmend und zeigend.

Allerdings sind sie, wobei der Film sich auf Hilde Coppi konzentriert, die meiste Zeit im Gefängnis. Abgesehen von einigen Rückblenden erzählt Dresen nur von Hilde Coppis Zeit im Gefängnis zwischen ihrer Verhaftung am 12. September 1942 und ihrem Tod am 5. August 1943. Am 27. November 1942 kam im Frauengefängnis Barnimstraße Berlin ihr Sohn Hans Coppi junior zur Welt.

Dresen schildert, wie sie im Gefängnis lebt und überlebt, ohne ihre Freunde zu verraten. Denn zusammen mit ihrem Mann Hans und ihren Freunden kämpfen sie gegen die Regierung. Über den Sinn und Unsinn ihrer Aktionen diskutieren sie im Film nicht. Diese Entscheidung haben sie bereits vorher getroffen. Jetzt überkleben sie Nazi-Plakate mit eigenen Botschaften, drucken und verteilen Flugblätter, für die Hilde Coppin während ihrer Arbeit als Sachbearbeiterin bei der Reichsversicherungsanstalt das Papier besorgt. Sie transportiert auch ein Funkgerät durch Berlin in die Tegeler Kleingartenkolonie „Am Waldessaum“, in der sie seit 1941 mit ihrem Mann lebte.

Währenddessen bringt Hans sich das Funken bei. Danach senden sie, ohne zu wissen, ob jemand sie hört, Nachrichten in Richtung Osten.

Neben ihrer Untergrundtätigkeit sind sie einfach junge Leute, die Leben wollen und im See baden. Der 1916 geborene Hans und die 1909 geborene Hilde, die sich erstmals 1940 trafen und im Juni 1941 heirateten, sind auch ein Liebespaar.

Diese Rückblenden schildert Andreas Dresen dann mit einem Nouvelle-Vague-Feeling und ohne zeittypische Insignien, wie schwarz-weiß-rote Nazi-Fahnen, Hakenkreuze und marschierenden Soldaten. Das, die Sprache und ein lässiger Umgang mit der Ausstattung (so gibt Dresen im Presseheft unumwunden zu, dass auch bei H&M eingekauft wurde) machen die Liebesgeschichte zeitlos. Die Bedrohung wird aus ihrem Verhalten spürbar.

In den im Gefängnis spielenden Szenen zeigt er dann, wie die gefangenen Frauen um ihre Würde kämpfen und wie die stille Hilde Coppi nie ihren Optimismus verliert. Obwohl sie keine Chance hat, das Gefängnis lebendig zu verlassen.

In Liebe, eure Hilde“ ist mehr ein Liebesfilm über Liebe unter widrigen Umständen als ein Film über tapfere Widerstandskämpfer, die vom Drehbuch genötigt werden, in langen Monologen ihre Motivation zu erklären. Das ist kein Nachteil, sondern erfrischend anders.

Nein, eigentlich ist der größte Nachteil des Films nur ein Nachteil für Menschen, die sich an der Kinokasse spontan für den Film entscheiden, weil ihnen das Plakat und der Titel gefallen. Wer die Namen Hans und Hilde Coppi kennt, wer schon einmal etwas von der „Roten Kapelle“ gehört hat (auch wenn die Fremdbezeichnung „Rote Kapelle“ im Film nicht genannt wird), den wird das Fehlen von Jahreszahlen nicht stören. Er weiß, dass die Geschichte während des Zweiten Weltkriegs spielt.

In Liebe, eure Hilde (Deutschland 2024)

Regie: Andreas Dresen

Drehbuch: Laila Stieler

mit Liv Lisa Fries, Johannes Hegemann, Lisa Wagner, Alexander Scheer, Emma Bading, Sina Martens, Lisa Hrdina, Florian Lukas

Länge: 125 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „In Liebe, eure Hilde“

Moviepilot über „In Liebe, eure Hilde“

Rotten Tomatoes über „In Liebe, eure Hilde“

Wikipedia über „In Liebe, eure Hilde“ (deutsch, englisch)

Berlinale über „In Liebe, eure Hilde“

Meine Besprechung von Andreas Dresens „Als wir träumten“ (Deutschland/Frankreich 2015)

Meine Besprechung von Andreas Dresens James-Krüss-Verfilmung „Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen“ (Deutschland 2017)

Meine Besprechung von Andres Dresens „Gundermann“ (Deutschland 2018)

Meine Besprechung von Andreas Dresens „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ (Deutschland/Frankreich 2022)

Meine Besprechung von Carl-Ludwig Rettingers „Die Rote Kapelle“ (Deutschland/Belgien/Israel 2020)


TV-Tipp für den 13. Februar: Lieber Thomas

Februar 12, 2023

Arte, 22.25

Lieber Thomas (Deutschland 2021)

Regie: Andreas Kleinert

Drehbuch: Thomas Wendrich

TV-Premiere. Absolut sehenswertes und oft mitreisendes Biopic über Thomas Brasch (1945 – 2001) und sein Leben in der DDR und, seit 1976, der BRD.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung des mit neun Deutschen Filmpreisen, unter anderem als bester Film, ausgezeichneten SW-Biopics.

mit Albrecht Schuch, Jella Haase, Peter Kremer, Claudio Magno, Jörg Schüttauf, Anja Schneider, Joel Basman, Joana Jacob, Emma Bading

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Lieber Thomas“

Moviepilot über „Lieber Thomas“

Wikipedia über „Lieber Thomas“ (deutsch, englisch) und Thomas Brasch (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Andreas Kleinerts „Lieber Thomas“ (Deutschland 2021)


Neu im Kino/Filmkritik: „Lieber Thomas“ Brasch, das ist Dein Film

November 11, 2021

Eine auf Tatsachen fußende Fiktion eines realen Lebens“ nennt Regisseur Andreas Kleinert seinen Film über Thomas Brasch, diesen 1945 in Westow, North Yorkshire, geborenen Künstler. Kurz nach seiner Geburt ziehen Braschs Eltern in die DDR. Sein Vater ist überzeugter Kommunist und von 1966 bis 1969 sogar stellvertretender Minister für Kultur. Zu ihm hat er immer ein problematisches Verhältnis. Die Zeit in der Kadettenschule der Natioalen Volksarmee in Naunburg von 1956 bis 1960 ist für Thomas Brasch traumatisch. Während seines 1967 begonnenen Studiums an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg protestiert er mit Gleichgesinnten gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings. Sein Vater verrät ihn danach an die Stasi. Brasch wird zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Später wird er auf Bewährung entlassen und arbeitet im Transformatornwerk Oberschöneweide.

Und er schreibt. Seinen ersten Kurzgeschichtenband „Vor den Vätern sterben die Söhne“ will er in der DDR veröffentlichten. Das geht nicht. Er unterzeichnet die Resolution gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Danach stellt er einen Ausreiseantrag und darf 1976 ausreisen.

In Westberlin wurde „Vor den Vätern sterben die Söhne“ im Rotbuch Verlag veröffentlicht (inzwischen ist es bei Suhrkamp erhältlich). Die Kritik ist begeistert. Er ist ein Star der westdeutschen Literaturszene. Er schreibt Theaterstücke. Großen Erfolg hat er mit dem Stück „Lovely Rita“, das er in der DDR schrieb und das im Westen mit seiner Freundin Katharina Thalbach in der Hauptrolle seine Premiere hat. Und er inszeniert Filme. Sein erster Spielfilm, das in SW gedrehte Gangsterepos „Engel aus Eisen“ über die Gladow-Bande, feiert seine Premiere in Cannes. Zu dieser Zeit, die späten siebziger und achtziger Jahre, war Thomas Brasch eine Gruppe männlicher und weiblicher Bewunderer um sich gescharrt.

In den Neunzigern zieht er sich zurück um „Mädchenmörder Brunke oder Die Liebe und ihr Gegenteil“ zu schreiben. Das Manuskript hat über vierzehntausend Seiten. Zu Braschs Lebzeiten wird ein keine hundert Seiten umfassendes Fragment veröffentlicht.

Am 3. November 2001 stirbt er in der Berliner Charité an Herzversagen.

Thomas Brasch war ein widersprüchlicher Geist, der die DDR nie verlassen wollte, der in Westdeutschland nie heimisch wurde und dessen Leben, inclusive der schwierigen Beziehung zu seinem Vater, auch paradigmatisch für die Geschichte Deutschlands zwischen Kriegsende und Jahrtausendwende steht. Mit gewissen blinden Stellen. Und einem breitbeinigem Machotum, das mit seiner Selbstinszenierung, seiner offen zur Schau getragenen Sensibilität und der ebenso offenen Faszination für die Halbwelt, heute nicht mehr zeitgemäß ist.

Kleinert erzählt, wundervoll in farbenfrohem SW gedreht, dieses Leben in über hundertfünfzig Minuten von der frühen Kindheit bis zu Brachs Tod nach. Aber Dank des schon erwähnten Kunstgriffs, das Leben von Thomas Brasch als eine sich Freiheiten nehmende Fiktion zu begreifen, entgeht er in „Lieber Thomas“ den üblichen Biopic-Fallen. Auch wenn Brachs frühen Jahre, also die Kindheit, Jugend, Studienzeit und die ersten Jahre in Westberllin deutlich mitreisender sind als die späteren Jahre sind. Ungefähr mit der Premiere von „Engel aus Eisen“ in Cannes beginnt der Film zunehmend episodischer zu werden. Der klassische Biopic-Drang, jede irgendwie wichtige Episode im Leben des Porträtierten bis zu seinem Tod chronologisch abzuhandeln wird spürbar. Bis dahin gibt es zahlreich mitreisende Momente, satirisch zugespitzte, surrealistische und absurde Szenen. Auch die Cannes-Episode mit ihrer aus dem Ruder laufenden Vater-Sohn-Begegnung gehört dazu.

Albrecht Schuch, der aktuell ungefähr in jedem zweiten deutschen Film und in jedem sehenswertem deutschen Film (nicht jeder sehenswerte Film ist unbedingt ein guter Film) dabei ist, spielt Thomas Brasch und verleiht ihm dabei sehr aussagekräftige Konturen als schreibsüchtiger, sensibler Macker. Die anderen Schauspieler – immerhin auch Jella Haase, Jörg Schüttauf und Joel Basman (der, wie Schuch, durch die interessanten deutschen Filme tingelt) – verblassen dagegen. Aber das war wohl zu Braschs Lebzeiten so.

P. S.: Das Erste zeigt am Freitag, den 12. November, um 22.15 Uhr den von Andreas Kleinert inszenierten Münchner Tatort „Freies Land“ (Deutschland 2017)

Lieber Thomas (Deutschland 2021)

Regie: Andreas Kleinert

Drehbuch: Thomas Wendrich

mit Albrecht Schuch, Jella Haase, Peter Kremer, Claudio Magno, Jörg Schüttauf, Anja Schneider, Joel Basman, Joana Jacob, Emma Bading

Länge: 157 Minuten

FSK: ab 16 Jahre (hätte eher auf eine FSK-12 getippt)

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Lieber Thomas“

Moviepilot über „Lieber Thomas“

Wikipedia über Thomas Brasch (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: Über Ulrich Köhlers Versuchsanordnung „In my Room“

November 10, 2018

Als Armin aufwacht ist irgendetwas mit der Welt geschehen. Denn über Nacht verschwanden alle anderen Menschen.

Das ist die, uuh, Ausgangslage von Ulrich Köhlers neuem Film „In my Room“. Es ist der Werbeschwerpunkt und die spannende „Was würdest du tun, wenn“-Frage kann erst danach gestellt und beantwortet werden. Aber bevor Armin der letzte Mann auf der Erde ist und wir beobachten, wie er darauf reagiert, sehen wir ihn erst einmal lange in seinem normalen Leben in Berlin als Kameramann für die TV-Nachrichten, auf der Suche nach einem One-Night-Stand. Erkennbare Ambitionen hat er keine und wahrscheinlich auch niemals gehabt. Er fährt in sein Heimatdorf in Ostwestfalen-Lippe. Seine Großmutter liegt im Sterben. Seine inzwischen getrennt lebenden Eltern lernen wir da auch gleich kennen. All das beobachtet Köhler sehr präzise.

Dieses lange und letztendlich viel zu lange und für die restliche Filmgeschichte viel zu bedeutungslose Vorspiel weist schon darauf hin, dass Köhler nicht an einem Endzeitdrama und den Versuchen des Protagonisten interessiert ist, gegen alle möglichen und unmöglichen Widerstände zu überleben, und seiner Suche nach einem Grund für das plötzliche Verschwinden der Menschheit.

Denn Armin hat keine Gegner. Niemand und nichts bedroht sein Leben. Er hat auch kein Interesse daran, die Welt zu erkunden, nach anderen Menschen zu suchen und herauszufinden, was geschah.

Stattdessen wird er sesshaft. Am Waldrand baut er sich eine Hütte und er wird zum Bauern. Das geschieht ebenfalls ohne große Probleme; was etwas erstaunlich ist, weil nicht alle Jungs, die auf dem Land groß wurden handwerkliche Fähigkeiten haben und Armins uns bekanntes Leben keinen Hinweis auf diese praktischen Fähigkeiten lieferte. In Berlin konnte er noch nicht einmal die Kamera richtig bedienen (was zu einem wunderschön absurden Filmanfang führt) und sein Mini-Apartment hatte den Charme einer Studentenwohnung. Jetzt passt er sich scheinbar mühelos, klaglos und schnell an seine neue Situation an. Aber vielleicht hat Armin diese Anpassungsprobleme auch zwischen den Bildern gehabt. Als Bauer wirkt er glücklich.

Eines Tages (und reichlich spät im Film) trifft er Kirsi. Die junge Frau fährt durch die Welt. Jetzt zieht sie bei ihm ein. Aber wird sie bleiben? Und werden die beiden letzten Menschen auf der Welt ein Paar?

In my Room“ ist „ein Film über das beängstigende Geschenk absoluter Freiheit“ (Presseheft). „Das Verschwinden der Menschheit ist der Rahmen für ein Experiment, das den Widerspruch zwischen Freiheitsdrang und dem Wunsch nach Geborgenheit untersucht. Die menschenleere Welt ist eine Versuchsanordnung, die der Frage nachgeht, ob wir – frei von sozialen Zwängen – zu einem Neuanfang in der Lage wären“, so Ulrich Köhler über seinen Film.

Daher knüpft „In my Room“ auch nicht an Dystopien wie „I am Legend“ oder, obwohl da sehr viele Menschen und Zombies überlebten, „The Walking Dead“ an. Eher schon ist Marlen Haushofers „Die Wand“ eine Inspiration. In dem inzwischen auch verfilmten Klassiker ist die Protagonistin in den Alpen plötzlich von einer unsichtbaren Wand, die sie am Verlassen des Gebiets hindert, umgeben. Auch „Die Arbeit der Nacht“ von Thomas Glavinic fällt einem wegen der gleichen Ausgangssituation ein. In diesem Roman sucht der Protagonist allerdings nach anderen Menschen und er verlässt seinen Heimatort. Erklärungen für das Verschwinden der Menschen fehlen und es wird keine Interpretation vorgegeben. Wie in Köhlers Film.

Am Ende ist Köhlers zweistündige, in drei Teile zerfallende, handlungsarme Versuchsanordnung das Porträt eines bindungslosen Mannes, der die absolute Freiheit nur nutzt, um sich in seiner alten Heimat eine Hütte zu bauen.

In my Room (Deutschland/Italien 2018)

Regie: Ulrich Köhler

Drehbuch: Ulrich Köhler

mit Hans Löw, Elena Radonicich, Michael Wittenborn, Ruth Bickelhaupt, Emma Bading, Katharina Linder, Felix Knopp, Kathrin Resetarits

Länge: 120 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „In my Room“

Moviepilot über „In my Room“

Rotten Tomatoes über „In my Room“

Wikipedia über „In my Room“

Ulrich Köhler spricht in Cannes auf Englisch über seinen Film


Neu im Kino/Filmkritik: Stockholm Syndrom ist „Berlin Syndrom“

Mai 26, 2017

Stockholm-Syndrom: „ein psychologisches Phänomen, bei dem Opfer von Geiselnahmen ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen. Dies kann dazu führen, dass das Opfer mit den Tätern sympathisiert und mit ihnen kooperiert.“ (Wikipedia)

Berlin Syndrom“ könnte der Titel eines Films von Dario Argento sein. Dann wäre es ein herrlich durchgeknallter Horrorfilm der den Exzess zum Stilprinzip erhebt.

Es ist aber der Titel des neuen Films der Australierin Cate Shortland („Lore“), der in Berlin spielt und, wenig subtil, auf das Stockholm-Syndrom anspielt.

Die australische Rucksackreisende Clare Havel (Teresa Palmer) trifft in Berlin-Kreuzberg Andi Werner (Max Riemelt). Er ist ein charmanter, literarisch interessierter Englischlehrer, der ihr Berlin abseits der Touristenpfade zeigt. Weil man als Reisende an keinen festen Terminkalender gebunden ist, verbringt sie etwas Zeit mit ihm. Inclusive einer Nacht in seinem Bett. Das ist, immerhin ist „Berlin Syndrom“ ein Thriller, ein böser Fehler. Denn Andi sperrt sie in seiner hermetisch abgeschlossenen Hinterhofwohnung in einem leeren, renovierungsbedürftigen und daher menschenleeren Wohnblock ein.

In diesem Moment ist das Fundament für einen klassischen Konflikt zwischen Entführer und Gefangener gelegt, der natürlich unterschiedlich ausformuliert werden kann. Einerseits, wie in dem Kriegsfilm-Klassiker „Gesprengte Ketten“ oder der Stephen-King-Verfilmung „Misery“, indem die Gefangene von der ersten Minute alles versucht, um auszubrechen. Andererseits indem die Gefangene Sympathie für den Täter entwickelt und sich vielleicht sogar in ihn verliebt.

Shortland beschreitet keinen dieser Wege konsequent. Zwar benutzt Clare etwaige Fluchtmöglichkeiten, wenn sie ihr auf dem Silbertablett serviert werden. Aber das sieht immer nach einer halbherzigen Pflichterfüllung aus. Die üblichen Thrillermechanismen einer Ausbruchsgeschichte werden in diesen Momenten höchst halbherzig bis zum vorhersehbaren Ende, das seine eigenen Probleme hat, bedient.

Als Thriller ist „Berlin Syndrom“ daher eine ziemliche Enttäuschung.

Auf der anderen Seite entwickelt sich keine Beziehung zwischen Clare und Andi. Sie leben fast wie ein altes Ehepaar nebeneinander her. Sie macht mehr oder weniger den Haushalt. Er verdient als Lehrer das Geld und er erzählt auch seinen Arbeitskollegen von seiner neuen Freundin. Dass diese Beziehung nur eine begrenzte Haltbarkeit hat, wird schon früh in einem Gespräch zwischen Andi und seinem Vater (Matthias Habich) deutlich. Er fragt seinen Sohn, warum er immer Berlin-Besucherinnen als Freundin habe.

In diesen Momenten könnte „Berlin Syndrom“ ein Drama über eine eine verquere Beziehung, über die Dynamik zwischen Anziehung und Ablehnung, und über Abhängigkeiten werden. Aber dafür geschieht einfach zu wenig zwischen Clare und Andi und das, was geschieht, bleibt zu sehr an der Oberfläche.

Immerhin liefert Max Riemelt ein hübsches Psychopathenporträt (natürlich mit DDR-Trauma) und es gibt Berlin-Impressionen von dem schon oft abgefilmten Kreuzberg (was bei Berlinern natürlich immer bestimmte Gefühle auslöst), während der Film das Potential seiner Prämisse verschenkt.

Berlin Syndrom (Berlin Syndrome, Australien 2017)

Regie: Cate Shortland

Drehbuch: Shaun Grant, Cate Shortland (zusätzliches Material)

LV: Melanie Joosten: Berlin Syndrome, 2011

mit Teresa Palmer, Max Riemelt, Matthias Habich, Emma Bading, Elmira Bahrami, Christoph Franken, Lucie Aron, Nassim Avat

Länge: 112 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Berlin Syndrom“

Metacritic über „Berlin Syndrom“

Rotten Tomatoes über „Berlin Syndrom“

Wikipedia über „Berlin Syndrom“ (deutsch, englisch)

Berlinale über „Berlin Syndrom“