TV-Tipp für den 18. Mai: Raw

Mai 17, 2022

Tele 5, 22.10

Raw (Grave, Frankreich/Belgien/Italien 2016)

Regie: Julia Ducournau

Drehbuch: Julia Ducournau

Nach einem Uni-Initiationsritual entwickelt eine junge Studentin einen besorgniserrengenden Appetit auf Menschenfleich.

Spielfilmdebüt von Julia Ducournau, deren nächster Spielfilm „Titane“ ebenfalls ein Body-Horrorfilm ist. „Raw“ ist ein „Meisterstück der französischen harten Welle“ (Fantasy Filmfest), das bei allem Schrecken eine „suggestive Auseinandersetzung mit den Ängsten des Erwachsenenwerdens“ (Lexikon des internationalen Films) ist.

Mit Garance Marillier, Ella Rumpf, Rabah Nait Oufella, Laurent Lucas, Joana Preiss

Wiederholung: Samstag, 21. Mai, 00.15 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Raw“

Wikipedia über „Raw“ (deutsch, englisch, französisch)

Meine Besprechung von Julia Cucournaus „Titane“ (Titane, Frankreich 2021)


Neu im Kino/Filmkritik: Der Cannes-Gewinner 2021: „Titane“ von Julia Ducournau

Oktober 7, 2021

Jetzt ist er da: der diesjährige Cannes-Gewinner. Ein spektakulär gutaussehender Film, der das Potential für einen Skandalfilm hat. Allerdings ist die Zeit der Skandalfilme, also die Zeit, als Kritiker wutschnaubend die Vorstellung verließen, kirchliche Würdenträger den endgültigen Verfall der Sitten konstatierten (natürlich ohne das Werk gesehen zu haben), Zuschauer bei der Vorstellung ohnmächtig wurden und der Film anschließend in mehreren Ländern verboten wurde, vorbei.

Heute gibt es für so einen Film eine Freigabe ab 16 Jahre; was, zugegeben, eine ziemlich gewagte Entscheidung ist. Denn „Titane“ ist mit seinen zahlreichen intensiven Body-Horror-Szenen wirklich kein Film für zartbesaitete Zuschauer.

Im Mittelpunkt steht Alexia (Agathe Rousselle). Als Kind wurde sie bei einem von ihrem Vater verursachtem Autounfall schwer verletzt. Seitdem hat sie eine Titanplatte in ihrem Kopf. Inzwischen ist sie eine junge Frau. In einer Autoshow, die sich kaum von einem Stripclub unterscheidet, arbeitet sie als Tänzerin. Nach der Show hat sie zuerst etwas, das wie wilder Sex mit einem Auto aussieht, und dann auf dem Parkplatz Ärger mit einem übergriffigem Gast.

Er ist eines ihrer Opfer und weil sie keine Energie darauf verschwendet, ihre Spuren zu verwischen, wird sie schnell als Serienkillerin gesucht. Im Fernsehen sieht sie auch das Bild eines vor zehn Jahren veschwundenen Jungen. Sie hat eine entfernte Ähnlichkeit mit ihm. Deshalb schneidet sie sich die Haare, bricht sich die Nase und gibt sich, in körperverhüllenden Kleidern, als Adrien aus.

Adriens Vater Vincent (Vincent Lindon) ist der Kommandant einer einsam gelegenen Feuerwehrstation. Die jugendlichen Feuerwehrleute, die er ausbildet und die ausschließlich Männer sind, übernachten dort. Für sie ist er die unumstrittene Führerfigur, die entsprechend frei schalten und walten kann. Eine Welt außerhalb der Station scheint es nicht zu geben.

Vincent akzeptiert Alexia sofort als Adrien. Ihr Schweigen und ihr ruppig-abweisendes Verhalten erklärt er sich mit den traumatischen Erfahrungen ihrer/seiner Entführung. Er sieht auch über Alexias dicker werdenden Bauch (einiges spricht dafür, dass der Vater kein Mensch, sondern ein Auto ist) hinweg. Aber wie lang kann er die immer offensichtlicher werdende Realität ignorieren?

Bereits mit ihrem ersten Film „Raw“ (Grave, Frankreich/Belgien 2016), der bei uns nur auf DVD erschien, tobte Julia Ducournau sich im Horrorgenre aus. Im Mittelpunkt ihrer Coming-of-Age-Geschichte steht eine Sechzehnjährige, die zur Kannibalin wird.

Auch „Titane“ ist ein heftiger Film. So weckt der erste Teil, wegen seiner Verbindung von Body-Horror, Autos und Sex, spontan Erinnerungen an David Cronenbergs J.-G.-Ballard-Verfilmung „Crash“. Die Serienkillergeschichte ist oft äußerst blutig und schwarzhumorig. Dabei ist es Alexia letztendlich egal, wen sie warum umbringt. Ihre Morde haben eine beeindruckende rohe Effektivität und sie sind durchaus einfallsreich in ihrer Brutalität. Aber nachdem die Polizei öffentlich nach ihr fahndet, muss sie ihr Aussehen verändern und untertauchen.

Der dann folgende zweite und subjektiv längere Teil des Films (Sorry, ich hatte nicht auf die Uhr gesehen.) führt in eine seltsam Testosteron-gesteuerte Männerwelt, die mit dem ersten Teil nichts zu tun hat.

Beide Teile können, wenn man die einzelnen Episoden zu einem überwölbenden Thema zusammenfassen will, als ein verquerer Schrei nach Zuneigung und ein Aufruf zur Toleranz gelesen werden kann. Jedenfalls wollte Ducourneau etwas über die Liebe erzählen.

Am Ende wirkt „Titane“ wie eine Best-of-Compilation des harten Horrorfilms: stilsicher inszeniert, – was in diesem Fall auch heißt, stilsicher Geschmacks-, Ekel- und Toleranzgrenzen des Publikums auslotend -, immer wieder überzeugende Szenen, die sich tonal vollkommen von der vorherigen Szene unterscheiden können, immer wieder strange und zu offensichtlich auf die große Empörung des Publikums spekulierend.

Ich war am Ende des Films ratlos, was ich von diesem disparatem Potpourri aus Ideen halten sollte und was mir der Film sagen wollte. Das liebt auch daran, dass ich mich aus Prinzip weigere, ohne Nachzudenken, auf einen hysterischen Erregungszug aufzuspringen oder besinnungslos die aktuellen Feuilleton-Schlagworte herunterzubeten.

Auch rückblickend ändert sich das nicht.

Titane (Titane, Frankreich 2021)

Regie: Julia Ducournau

Drehbuch: Julia Ducournau

mit Vincent Lindon, Agathe Rousselle, Garance Marillier, Lais Salameh

Länge: 108 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

AlloCiné über „Titane“

Moviepilot über „Titane“

Metacritic über „Titane“

Rotten Tomatoes über „Titane“

Wikipedia über „Titane“ (deutsch, englisch, französisch)


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