Neu im Kino/Filmkritik: Stoßseufzer eines Teenagers: „Gott, du kannst ein Arsch sein!“

Oktober 3, 2020

Eine UFA-Fiction-Produktion in Zusammenarbeit mit RTL; mit Til Schweiger in einer wichtigen Rolle. Das weckt bestimmte Erwartungen. Auch die Synopse ändert nichts daran.

Steffi Pape (Sinje Irslinger) hat gerade ihren Realschulabschluss in der Tasche. Die Sechzehnjährige hat das Leben vor sich, wozu der erste Sex mit ihrem Freund (in Paris in einem romantischen Hotelzimmer während einer Klassenfahrt) und der erste Job (sie freut sich wie Bolle auf ihre Arbeit als Polizistin) gehören. Da erfährt sie, dass sie Krebs hat und wahrscheinlich an Weihnachten tot ist.

Ihre Mutter Eva (Heike Makatsch) möchte am Liebsten sofort mit der mütterlichen Rundumversorgung beginnen und ihre Tochter in die Chemotherapie schicken. Ihr Vater Frank (Til Schweiger) ist da entspannter, aber auch ratloser und passiver.

Als Steffi den selbstmordgefährdeten Zirkusartisten Steve (Max Hubacher) kennen lernt, entschließen sie sich, gemeinsam nach Paris zu fahren. Mit wenig Geld in der Tasche und so viel Unverständnis gegeneinander, dass der kundige Zuschauer die nächsten Stationen des Dramas schon ahnt.

Da hilft auch nicht der Authentizität heischende Hinweis, dass „Gott, du kannst ein Arsch sein“ auf einer wahren Geschichte beruht, die Steffis Vater Frank Pape nach ihrem Tod aufschrieb. In der episodischen, sich weit von der Buchvorlage entfernenden Verfilmung reiht sich ein Klischee an das nächste und, immerhin reden wir hier von einer RTL-Produktion, bleibt alles an der hübsch anzusehenden Oberfläche. Mit etlichen Merkwürdigkeiten, die in der Realität vielleicht störend, in der TV-Parallelwelt normal sind: so macht Steffis Klasse ihre Abschlussfahrt nach der Abschlussfeier. So schenkt Vater Frank seiner Tochter einen Pickup zum Schulabschluss. Dass sie in dem Moment noch lange nicht volljährig ist und den Wagen höchstens auf dem selbstverständlich malerisch abgelegenem, großen Hof fahren darf: Geschenkt.

Regisseur André Erkau vermeidet in seinem neuen Film alle möglichen Tiefen des Themas. Stattdessen gibt es zwei parallel erzählte Roadmovies. In dem einem fährt Steve Steffi nach Paris. In dem anderen verfolgen Steffis Eltern die beiden, erfahren dabei von einigen Eskapaden ihrer Tochter und benehmen sich wie ein gut eingespieltes Comedy-Paar. Das sorgt selbstverständlich für einige vergnügliche Momente, wenn Frank sich nicht an die Nummer seiner Kreditkarte erinnert oder wenn sie Steffi und Steve im Hotel (selbstverständlich in der teuren Hochzeitssuite) erwischen, aber thematische Vertiefungen gehen anders.

Dabei hätte es in der Geschichte durchaus Ansätze gegeben, die dann nicht weiter beachtet wurden. So ist Frank Pape Pfarrer. Für die Filmgeschichte ist das allerdings vollkommen unwichtig. Dieser Beruf und die damit verbundene Auffassung vom Leben hätte einen Schlüssel geboten, um über den Sinn des Lebens und ob das Leben gerecht ist, zu erzählen. Es hätte auch dazu geführt, dass der Spruch „Gott, du kannst ein Arsch sein!“ mehr als nur ein larmoyantes Tattoo auf Steffis Brust und eine damit verbundene Provokation an ihren überaus liebevollen und knuddeligen Vater wäre.

Die Tätowierung markiert das Ende einer Nacht, die Steffi mit Tammy (Jasmin Gerat), einer allein auf einem Dorf lebenden, tätowierten Kellnerin, verbringt. Tammy ist auch für die Lebensweisheit des Films, die von den Indianern kommenden vier Stufen der Liebe, zuständig.

So bleibt nach knapp hundert Filmminuten Kitsch für Teenager lediglich eine „Lebe das Leben“-Botschaft in schönster Hochglanz-Werbefilmoptik. Aber wer hat von einem RTL-Film ernsthaft etwas anderes erwartet?

Gott, du kannst ein Arsch sein! (Deutschland 2020)

Regie: André Erkau

Drehbuch: Tommy Wosch, Katja Kittendorf

LV: Frank Pape: Gott, du kannst ein Arsch sein!, 2016

Mit Sinje Irslinger, Max Hubacher, Til Schweiger, Heike Makatsch, Nuala Bauch, Jonas Holdenrieder, Benno Fürmann, Jürgen Vogel, Jasmin Gerat, Dietmar Bär, Inka Friedrich

Länge: 98 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Filmportal über „Gott, du kannst ein Arsch sein!“

Moviepilot über „Gott, du kannst ein Arsch sein!“

Meine Besprechung von André Erkaus „Arschkalt“ (Deutschland 2011)

Meine Besprechung von André Erkaus „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ (Deutschland 2012)


Neu im Kino/Filmkritik: Das Udo-Jürgens-Musical „Ich war noch niemals in New York“ jetzt in der Kinoversion

Oktober 17, 2019

Nachdem seine Lieder jahrzehntelang aus jedem Radio ertönten und seit seiner Premiere 2007 fast fünf Millionen Besucher das aus seinen bekanntesten Hits bestehende Musical „Ich war noch niemals in New York“ gesehen haben, müssen Udo Jürgens und seine Lieder wahrscheinlich nicht mehr vorgestellt werden. Seine Lieder sind so bekannt und beliebt, dass damit auch ein großes Kinopublikum angesprochen wird.

Das war wohl die Überlegung der Macher des Film-Musicals „Ich war noch niemals in New York“, das sich sehr, sehr locker an den Figuren und der Geschichte des Musicals orientiert. Wer also das Musical kennt, wird über die fast vollkommen neue Geschichte etwas erstaunt sein.

Als Maria Wartberg (Katharina Thalbach) in ihrer Wohnung unglücklich stürzt, verliert sie ihr Gedächtnis. Sie erinnert sich nur daran, dass sie noch niemals in New York war. Um sich diesen Wunsch zu erfüllen, schleicht sie sich auf den luxuriösen Ozeandampfer „Maximiliane“.

Ihre Tochter Lisa (Heike Makatsch), eine zickige TV-Moderatorin, eilt ihr hinterher. Bevor sie ihre Mutter gefunden hat, legt das Schiff ab und die Filmgeschichte fräst sich durch den Fundus altmodischer Gesangs- und Verwechslungskomödien, die immer den Muff deutscher Schlagerfilme, verströmt. Da sind der nette Vater Axel Staudach (Moritz Bleibtreu) und sein zwölfjähriger Sohn Florian (Marlon Schramm), die an eine Mischung aus e. o. plauens „Vater und Sohn“-Bildergeschichten (plauen lebte von 1903 bis 1944) und der Heinz-Rühmann-Komödie „Wenn der Vater mit dem Sohne“ (1955) erinnern. Die beiden ‚Unterhalter‘ Otto (Uwe Ochsenknecht) und James (Mat Schuh) sind ölige Casanovas für älteren Damen, die nicht den Mumm haben, echte Heiratsschwindler zu sein. Costa (Pasquale Aleardi) ist, abgefüllt mit „Griechischer Wein“, der hyperpotente Südländer, der, immerhin Leben wir nicht mehr in den fünfziger Jahren, homosexuell ist. Bis er sich dazu bekennt, vergeht viel Filmzeit. Der zweite Schwule ist Lisas Maskenbildner Fred (Michael Ostrowski), der sich erfolgreich bemüht, alle Klischees über Schwule herunterzuspielen, als habe es die „Bullyparade“ und „Der Schuh des Manitu“ noch nicht gegeben.

Der Humor ist altbacken. Die Klischees über Geschlechter und Berufe scheinen direkt aus den Fünfzigern zu kommen.

In dieser quietschbunten Retro-Kunstwelt singen die Schauspieler die bekannten Udo-Jürgens-Hits und tanzen dazu. Beides natürlich nicht so gut, wie es echte Sänger und Tänzer getan hätten, aber dafür authentisch.

Die Tanznummern zitieren dabei immer wieder bekannte Vorbilder. Nur wenn es in Hollywood ein Pool war, in dem mindestens eine halbe Hundertschaft Schwimmerinnen ein atemberaubendes Wasserballett präsentierten, ist es in der deutschen Version ein kleiner Pool auf einem Ozeandampfer, der schon mit einer Skatrunde übervoll ist.

Die Lieder von Udo Jürgens, die immer deutlich besser als das übliche deutsche Schlagergedöns waren (und sind), erfahren eine Retro-Bearbeitung, die ihre Botschaft ins Gegenteil verkehren. Anstatt dem Aufbruch nach New York wird gleich nach Klein-Kleckersdorf abgebogen.

Ich war noch niemals in New York“ reanimiert die gruseligen Schlagerfilme, die vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren von deutschen Produzenten in Serie hergestellt wurden. An der Kinokasse waren diese Schlager- und Heimatschnulzen erfolgreich, weil sie dem Publikum eine heile Welt zeigten, die nichts mit der aktuellen Realität und der deutschen Vergangenheit zu tun hatte.

Ich war noch niemals in New York (Deutschland 2019)

Regie: Philipp Stölzl

Drehbuch: Alexander Dydyna, Philipp Stölzl, Jan Berger (Mitarbeit), Karsten Dusse (Dialog Polish)

mit Heike Makatsch, Moritz Bleibtreu, Katharina Thalbach, Uwe Ochsenknecht, Michael Ostrowski, Pasquale Aleardi, Marion Schramm, Mat Schuh, Andreja Schneider, Stefan Kurt, Frank Zander

Länge: 129 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Facebook-Seite zum Film

Filmportal über „Ich war noch niemals in New York“

Moviepilot über „Ich war noch niemals in New York“

Wikipedia über „Ich war noch niemals in New York“

Meine Besprechung von Philipp Stölzls „Der Medicus“ (Deutschland 2013)


Neu im Kino/Filmkritik: „The Jungle Book“ – neue Version aus dem Haus Disney

April 14, 2016

Natürlich kennen wir „Das Dschungelbuch“. Wenn wir nicht die Geschichtensammlung von Rudyard Kipling (eigentlich sind es zwei Geschichtensammlungen) gelesen haben, dann haben wir die Disney-Verfilmung von 1967 gesehen. Der Zeichentrickfilm mit vielen Gassenhauern war damals ein langlebiger Kinohit und gehörte (gehört?) für jedes Kind zum festen, von den Eltern festgelegten Filmkanon. Die anderen Verfilmungen sind dagegen fast unbekannt.

Jetzt hat „Iron Man“-Regisseur Jon Favreau sich für Disney an eine Neuverfilmung von Kiplings Buch gewagt und es gelingt ihm eine vollständig eigenständige Version des Dschungelbuches. Er stolpert in keine der verschiedenen Fallen, die wir aus den missglückten Neuinterpretationen bekannter Stoffe kennen, in denen vermeintliche Verbesserungen letztendlich Verschlimmbesserungen waren. Trotzdem verweist er immer wieder in einzelnen Szenen und Momenten auf das 1967er-Original, das, ich gestehe, ich mir jetzt nicht extra noch einmal angesehen habe. Letztendlich sind „Das Dschungelbuch“ (1967) und „The Jungle Book“ (2015) zwei vollkommen verschiedene Filme, die halt beide, der eine weniger, der andere mehr, auf dem gleichen Buch basieren.

Im Mittelpunkt des Films steht das Menschenkind Mogli (Neel Sethi), das von Wölfen groß gezogen wurde. Als Mogli älter wird, verlangt der furchterregende Tiger Shir Khan, dass das Gesetz des Dschungels beachtet werden muss. Mogli muss sterben.

Moglis Freunde schicken ihn daher auf die Reise zu den Menschen, von denen er bisher nur die Geschichten der Tiere kennt, die sie ihm erzählten. Und eigentlich will er bei seiner aus Wölfen bestehenden Familie bleiben.

Favreau erzählt kurzweilig die Reise von Mogli zu den Menschen und wir begegnen dem gemütlichen Bären Balu, der verführerischen Schlange Kaa und dem hinterlistigen Affen King Louie und seiner Horde, Elefanten, Wölfen und natürlich dem Panther Baghira, der vor Jahren das Baby Mogli vor dem Tod rettete, aber keinen Menschen.

Auch wenn „The Jungle Book“ jetzt als Realfilm oder Live-Action-Adaption beworben wird, ist er eigentlich ein Animationsfilm. Denn außer dem Mogli-Darsteller Neel Sethi spielen keine Menschen mit. Sets wurden kaum errichtet. Dafür wurden alle möglichen Computertechniken angewandt, die dazu führten, dass der Trickfilm in jeder Sekunde mit seinen fotorealistischen Aufnahmen beeindruckt. Obwohl alles künstlich ist, wirkt hier nichts künstlich. Es ist eine beeindruckende Technikschau, die immer im Dienst der Geschichte steht. Und das ist gut so.

The Jungle Book“ ist ein sehr schöner, spannender, farbenprächtiger Abenteuerfilm für Kinder jedes Alters. Aber wer hätte bei Disney auch ernsthaft etwas anderes erwartet?

Inzwischen, also zwischen Kritikerlob und Kinostart, hat Disney schon eine Fortsetzung angekündigt. Vielleicht wieder mit Jon Favreau als Regisseur.

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The Jungle Book (The Jungel Book USA 2016)

Regie: Jon Favreau

Drehbuch: Justin Marks

LV: Rudyard Kipling: The Jungle Book, 1894 (Das Dschungelbuch)

mit Neel Sethi

(im Original den Stimmen von) Bill Murray, Ben Kingsley, Idris Elba, Lupita Nyong’o, Scarlett Johansson, Giancarlo Esposito, Christopher Walken

(in der deutschen Synchronisation den Stimmen von) Armin Rohde, Joachim Król, Ben Becker, Heike Makatsch, Jessica Schwarz, Justus von Dohnányi, Christian Berkel

Länge: 106 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „The Jungle Book“

Metacritic über „The Jungle Book“

Rotten Tomatoes über „The Jungle Book“

Wikipedia über „The Jungle Book“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jon Favreaus „Cowboys & Aliens“ (Cowboys & Aliens, USA 2011)

Meine Besprechung von Jon Favreaus “Kiss the Cook – So schmeckt das Leben” (Chef, USA 2014)