Ganz kommen wir um die tragische Entstehungsgeschichte von Joel Souzas Western „Rust – Legende des Westens“ nicht herum. Denn sie ist der Grund, warum der Western nach einer Unterbrechung fertig gedreht wurde und jetzt sogar im Kino läuft.
Bei den ursprünglichen Dreharbeiteten erschoss Hauptdarsteller Alec Baldwin am 21. Oktober 2021 am zwölften Drehtag Kamerafrau Halyna Hutchins. Entgegen den Sicherheitsbestimmungen war der Revolver mit scharfer Munition geladen. Baldwin sollte den Revolver auf die Kamera richten und abdrücken. Das tat er. Hutchins starb. Souza wurde von der gleichen Kugel verletzt.
Danach wurden die Dreharbeiten zuerst unter-, später abgebrochen. In den folgenden Tagen wurde mehr über die chaotischen Dreharbeiten bekannt. Unter anderem gab es mehrere Klagen und Kündigungen von Crewmitgliedern wegen der Nichtbefolgung von Sicherheitsvorschriften, die solche tödlichen Unfälle verhindern sollten. Es kam zu Gerichtsverfahren, Urteilen und außergerichtlichen Einigungen.
Am 20. April 2023 wurden die Dreharbeiten fortgesetzt. Teils mit anderen Schauspielern und Crewmitgliedern. Regisseur Souza sagte, er wolle möglichst viel von Halyna Hutchins gedrehtem Material verwenden. Wie viele von Hutchins gemachten Aufnahmen jetzt in „Rust – Legende des Westens“ verwendet wurden, ist unklar. Es ist auch unklar, wie umfangreich der Nachdreh, der am 22. Mai 2023 endete, war.
Am Ende des Abspanns wird gesagt, dass alle Einnahmen aus dem Film der Familie von Halyna Hutchins zugute kommen sollen.
Wer mehr über den tödlichen Unfall lesen will, findet auf der deutschen und der englischen Wikipedia-Seite umfangreiche Informationen dazu.
Ob man die Fertigstellung und kommerzielle Verwertung das Films als eine ablehnenswerte Pietätlosigkeit oder als eine letzte Ehrerbietung gegenüber der Toten wertet, liegt im Auge des Betrachters. Das ändert nichts daran, dass in der Vergangenheit auch nach tödlichen Unglücken die Filme nach mehr oder weniger kurzer Zeit ins Kino kamen. Bei „The Crow“ (dem Original, nicht dem schon jetzt vergessenem Remake) war der Tod von Hauptdarsteller Brandon Lee, ebenfalls mit einer scharfen Schusswaffe während der Dreharbeiten, das Marketing-Tool um den Fantasy-Horrorfilm, auch wegen der Filmgeschichte und der Inszenierung, zu einem Kultfilm zu machen.
Im Fall von „Rust – Legende des Westens“ ist der durch den Hauptdarsteller, der gleichzeitig einer der Produzenten des Films ist, verursachte Tod der Kamerafrau eine Tatsache, die zu wichtig ist, um sie in Besprechungen nicht anzusprechen, aber für den Film an sich ist sie unerheblich.
Und eben diesem Film wollen wir uns jetzt zuwenden.
Der von Joel Souza inszenierte Western spielt in den frühen 1880er Jahren in Kansas. Dort versucht der 13-jährige friedfertige Lucas Hollister (Patrick Scott McDermott) mit seinem jüngerem Bruder in einer einsam gelegenen Holzhütte und etwas Subsistenzland- un Viehwirtschaft zu überleben. Als er einen Kojoten erschießen will, erschießt er zufällig einen Mann. Er wird zum Tod durch den Strang verurteilt. Sein jüngerer Bruder kommt, auch mit der Hilfe einer ihm bislang unbekannten Tante, in ein Kinderheim.
Kurz darauf – in dem Moment ist die erste halbe Stunde des 140-minütigen Films bereits um – taucht aus heiterem Himmel der uns bislang gänzlich unbekannte Harland Rust (Alex Baldwin) auf. Der berüchtigte Outlaw und Großvater von Lucas befreit den Jungen. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg Richtung Mexiko. Verfolgt werden sie von dem Sheriff, seinen Männern und vielen Kopfgeldjägern, die das hohe, auf Harland ausgetzte Kopfgeld haben wollen.
Was spätestens jetzt zu einem zünftigen Western werden könnte, plätschert weiter bedeutungsschwanger vor sich hin. Die Story ist aus unzähligen Western bekannt. Souza, der auch das Drehbuch schrieb, reiht die bekannten Versatzstücke aneinander. Er spricht immer wieder interessante Aspekte an, die aus einem anspruchlosem B-Picture einen besseren Film hätten machen können. Es sind Momente, in den der Western-Fan sich sehnsüchtig einen Sam Peckinpah oder Walter Hill als Regisseur wünscht. Bei Souza reicht es nur für ein überlanges B-Picture. Er benötigt epische hundertvierzig Minuten für eine Geschichte, die in den fünfziger Jahren ein routinierter Western-Regisseur in der halben Zeit besser erzählt hätte.
Die Kameraarbeit von Halyna Hutchins und Bianca Cline, die nach ihrem Tod den Posten übernahm, ist gelungen und deutlich besser als in vergleichbar budgetierten B-Western. Vor allem die Landschaftsaufnahmen gefallen. Bei den gut ausgeleuchteten Innenaufnahmen nervt die Marotte, als sei man auf einer John-Ford-Gedächtnisveranstaltung, immer mindestens eine Aufnahme einzufügen, in der die Kamera aus dem Raum auf eine im Tageslicht vor der offenen Tür stehenden Person blickt. Vor allem bei den Innenaufnahmen bevorzugen Hutchins und Cline wenig Licht und eine monochrome Farbgestaltung in verschiedenen Brauntönen. Gerne nehmen sie Menschen aus einer leichten Untersicht auf. Auch wenn einges über die gesamte Laufzeit nervt, ist das nicht ihre, sondern die Schuld des Regisseurs, der nicht in der Lage war, „Rust“ auf eine Laufzeit von deutlich unter zwei Stunden zu kürzen.
„Rust – Legende des Westens“ ist ein okayer, wenn auch deutlich zu lang geratener B-Western, bei dem die überlegte Bildgestaltung positiv auffällt. Ohne den Todesfall bei den Dreharbeiten wäre der Western bei uns irgendwann direkt auf DVD erschienen.

Rust – Legende des Westens (Rust, USA 2024)
Regie: Joel Souza
Drehbuc: Joel Souza
mit Alec Baldwin, Patrick Scott McDermott, Travis Fimmel, Frances Fisher, Josh Hopkins, Jake Busey, Devon Werkheiser
Länge: 140 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Hinweise
Veröffentlicht von AxelB 