Über Marc-Uwe Klings düsteren KI-Thriller „Views“

Juli 3, 2024

Spurlos verschwindet die aus Halberstadt am Harz kommende sechzehnjährige Lena Palmer. Als drei Tage nach ihrem Verschwinden im Internet ein Video auftaucht, das zeigt, wie sie von drei afrikanisch aussehenden Männern vergewaltigt wird, erhält BKA-Kommissarin Yasira Saad den Fall. Einerseits, weil sie eine gute Ermittlerin ist und sie ein gutes Team hat, andererseits weil sie eine Frau und Migrantin ist. Damit können für die Öffentlichkeit gleich einige positive Signale gesendet werden.

Aber sie und ihr Team kommen bei ihren Ermittlungen nicht weiter. Sicher, sie findet den Freund von Lena: einen siebenundzwanzigjährigen Kleindealer, der behauptet, er habe sie am Tag ihres Verschwindens nicht gesehen. Aber mehr ermitteln sie nicht.

Gleichzeitig tauchen Videos von einer sich Aktiver Heimatschutz nennenden Gruppe auf. Sie ruft zur Selbstjustiz auf. Später scheint sie solche Taten auch zu dokumentieren. Denn der entscheidende Moment, der aus einem aufrührerisch-geschmacklos-gewaltverherrlichendem Video die Dokumentation einer schweren Straftat machen würde, wird nicht gezeigt. Dennoch verfehlen die Videos, auch weil die üblichen Verdächtigen beim Anstacheln des rechts-reaktionären Volkszorns mitmachen, im Netz und auf der Straße nicht ihre Wirkung.

Da fragt Yasira sich, ob das Video von Lenas Vergewaltigung echt ist. Denn sie haben innerhalb einer Woche keine einzige erfolgsversprechende Spur gefunden. Sie konnten den Tatort nicht finden. Sie konnten die Vergewaltiger nicht finden. Aus der Bevölkerung gibt es, obwohl das Video allgemein bekannt ist, keine Hinweise auf den Tatort und die Täter.

Diese Theorie sorgt allerdings zunächst für mehr Fragen und mehr Ermittlungsansätze, die verfolgt werden müssen.

Nach Comedy (seine Känguru-Geschichten), Science-Fiction („QualityLand“) und Fantasy („Der Spurenfinder“) schreibt Marc-Uwe Kling nun einen Kriminalroman, bei dem zwei Dinge auffallen. Er ist überraschend gelungen und er ist quasi humorfrei. „Views“ ist keine schluffige Krimikomödie, in der herumgeblödelt wird, bis der Täter aufgibt, sondern ein straff erzählter düsterer Kriminalroman, der sich auf die Ermittlungen der Polizei konzentriert, verschiedene Verdächtige präsentiert, nach Motiven forscht, Spuren sucht und sich mit dem Thema Künstliche Intelligenz beschäftigt. Dabei, immerhin ist „Views“ ein Krimi, stehen natürlich die Gefahren von KI im Vordergrund.

Das ist von der ersten bis zur letzten Zeile näher an Jeffery Deaver, dem Erfinder von Lincoln Rhyme, der sich in seinen Thrillern immer wieder kundig mit den Gefahren der Informationstechnologie auseinandersetzt, als an Rita Falk oder Sebastian Fitzek.

Auf knapp 270 Seiten erzählt Marc-Uwe Kling in „Views“ eine spannende Noir-Kriminalgeschichte mit glaubwürdigen Figuren und ohne Mord und Totschlag. Gleichzeitig vertieft er sich in ein brandaktuelles und für die gesamte Gesellschaft wichtiges Thema.

Sehr gelungen! In jeder Beziehung.

Marc-Uwe Kling: Views

Ullstein, 2024

272 Seiten

19,99 Euro

Hinweise

Perlentaucher über den Noir

Wikipedia über Marc-Uwe Kling

Homepage von Marc-Uwe Kling

Meine Besprechung von Dani Levys Marc-Uwe-Kling-Verfilmung „Die Känguru-Chroniken“ (Deutschland 2020) und der Vorlage(n)

Meine Besprechung von Marc-Uwe Klings „Qualityland“ (2017)

Meine Besprechung von Marc-Uwe Klings „Qualityland 2.0 – Kikis Geheimnis“ (2020)

Meine Besprechung von Marc-Uwe Klings „Die Känguru-Verschwörung“ (Deutschland 2022) (incl. des Storyboard-Comics zum Film)

Meine Besprechung von Johanna, Luise und Marc-Uwe Klings „Der Spurenfinder“ (2023)


Über die Fantasy-Krimi-Komödie „Der Spurenfinder“ von Johanna, Luise und Marc-Uwe Kling

Januar 24, 2024

Marc-Uwe Kling ist ein Lügner.

Jahrelang erzählte er uns, er sei ein schluffiger, erfolgloser, in den Tag hineinlebender, mit einem Känguru zusammen lebender Kleinkünstler.

Angesichts seines Outputs – unter anderem vier Känguru-Bücher, zwei Känguru-Comics, zwei Känguru-Filme, zwei Science-Fiction-Romane – war das schon länger zweifelhaft.

Jetzt erfahren wir, dass er Vater von zwölfjährigen Zwillingen (schon wieder die „zwei“) ist.

Wahrscheinlich erfahren wir demnächst, dass er nicht in Kreuzberg, sondern in Kladow in einem Reihenhaus lebt und jeden Sonntag (soviel Widerstand gegen die samstags singenden Rasenmäher muss sein) den Rasen mäht.

Doch bis dahin können wir uns mit seinem neuen Roman „Der Spurenfinder“, geschrieben von Marc-Uwe Kling, zusammen mit seinen Töchtern Johanna und Luise, beschäftigten. Es ist eine „Fantasy-Krimi-Komödie“ die einem Mittelalter-Fantasy-Land spielt. Elos von Bergen, der titelgebende Spurensucher, ist der Held. Nach zahlreichen Abenteuern, so fing er den Traummörder von Altschwanenberg und löste das Rätsel der Obelisken von Tarnok, lebt er mit seinen Kindern Ada und Naru, zwei zwölfjährige Zwillinge, in Friedhofen zusammen. Es ist ein kleiner, friedlicher, um nicht zu sagen XXXlangweiliger Ort. Das ändert sich, als der Dorfvorsteher ermordet wird und Elos von Bergen beginnt, den Mörder zu suchen. Seine beiden naseweisen Kindern helfen ihm dabei. Zuerst im Dorf. Später, nachdem sie dort nur eine Gestaltwandlerin entdeckten, machen sie sich auf den Weg nach Drachenberg. In der Kaiserstadt, was ein altmodisches Wort für Hauptstadt ist, hoffen sie den Mörder und das Motiv für den Mord zu finden. Zunächst stolpern sie allerdings in Palastintrigen und den Kampf um die Herrschaft über das Reich.

In dem Moment in dem sie Friedhofen verlassen, wird aus dem auf dem Cover angeteasertem Rätselkrimi eine altmodische Abenteuergeschichte, in der Marc-Uwe Klings bekannter Humor nur noch in homöopatischen Dosen vorkommt. Bei der Beschreibung von Friedhofen und dem Beginn der Mördersuche ist er reichlich vorhanden. Die Erlebnisse das Vater-Sohn-Tochter-Trio auf der Reise und in Drachenberg sind dann nicht mehr so witzig. Stattdessen werden in der zweiten Hälfte des Romans aus Abenteuer- und Fantasy-Geschichten bekannte Handlungselemente formelhaft aneinandergereiht. Die Gags wiederholen sich, bis sie zu nicht mehr witzigen Running Gags werden. Das macht „Der Spurenfinder“ zu Klings langweiligstem Buch.

Marc-Uwe Kling/Johanna & Luise Kling: Der Spurenfinder

(mit Illustrationen von Bernd Kissel)

Ullstein, 2023

336 Seiten

19,99 Euro

Hinweise

Wikipedia über Marc-Uwe Kling

Homepage von Marc-Uwe Kling

Meine Besprechung von Dani Levys Marc-Uwe-Kling-Verfilmung „Die Känguru-Chroniken“ (Deutschland 2020) und der Vorlage(n)

Meine Besprechung von Marc-Uwe Klings „Qualityland“ (2017)

Meine Besprechung von Marc-Uwe Klings „Qualityland 2.0 – Kikis Geheimnis“ (2020)

Meine Besprechung von Marc-Uwe Klings „Die Känguru-Verschwörung“ (Deutschland 2022) (incl. des Storyboard-Comics zum Film)


Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: „Die Känguru-Verschwörung“ bestätigt die richtige Weltsicht

August 25, 2022

Nach einem gescheiterten romantischen Abendessen im Dunkelrestaurant – Marc-Uwe war etwas unbeholfen und sein Mitbewohner, der ohne eine Einladung dabei war, kommentierte alles süffisant und schaltete im Restaurant das Licht an – hofft Marc-Uwe auf eine zweite Chance bei seiner großen Liebe Maria. Er wettet mit ihr, dass er ihre Mutter aus ihrem verschwörungstheoretischem Wahn wieder in die reale Welt zurückholt. Dabei soll ihm sein Mitbewohner, das Känguru, helfen. Es ist ein echtes Känguru, das bei ihm wohnt, redet, politisiert, klugscheißt und sich durchschnorrt. Die Geschichte ihrer ersten Begegnung wird in „Die Känguru-Chroniken“ erzählt.

Das von Marc-Uwe Kling erfundene Känguru hatte seinen ersten Auftritt 2008 in dem wöchentlichen Podcast „Neues vom Känguru“ beim RBB-Radiosender „Fritz“. Die kurzen Geschichten kamen gut an. Später wurden sie als Bücher veröffentlicht und zu Bestsellern. 2020 kam mit „Die Känguru-Chroniken“ die Verfilmung in die Kinos. Die Komödie war das erste prominenten Opfer der Covid-Pandemie. Denn kurz nach dem erfolgreichen Kinostart schlossen die Kinos. Trotzdem sahen über 800.000 Zuschauer den Film in den Kinos. Er steht auf dem neunten Platz der besucherstärksten Filme des Jahres 2020 in den deutschen Kinos. Da war eine Fortsetzung unvermeidlich. „Die Känguru-Verschwörung“ heißt sie und sie läuft jetzt in den Kinos an.

Wenn der schluffige Kleinkünstler Marc-Uwe die Wette gewinnt, muss Maria ihn zu einem Essen in Paris einladen. Wenn er verliert, muss er Maria und ihrem Sohn seine günstige, große Kreuzberger Mietwohnung überlassen.

Das Känguru kommentiert die Wette durchaus prophetisch mit der rhetorischen Frage: „Bist du wahnsinnig?“

Im folgenden erzählt „Die Känguru-Verschwörung“, wie Marc-Uwe und das Känguru versuchen, Marias Mutter ‚Diesel-Liesel‘ Lisbeth Schlabotnik von ihrem verschwörungstheoretischem Denken abzubringen. Dummerweise ist sie von den verschiedenen Verschwörungstheorien hundertfünfzig Prozent überzeugt und in der Szene der aufstrebende Star. Entsprechend desaströs verläuft für unsere beiden Helden die erste Begegnung mit Diesel-Liesel in Köpenick bei einer Diskussionsveranstaltung über die Klimalüge.

Als nächstes soll sie in Bielefeld auf der „Conspiracy Convention“ vor Adam Krieger, dem großen Star der Szene, auftreten. Das ist für Marc-Uwe und das Känguru die zweite Chance, die Wette zu gewinnen.

Die Story dient Marc-Uwe Kling, der hier neben dem Drehbuch (zusammen mit Jan Cronauer) auch die Regie übernahm, natürlich nur als grober Rahmen für eine enttäuschende Nummernrevue. Die Hauptstory wird immer wieder von Episoden unterbrochen, die mit ihr nichts zu tun haben. Sie bringen sie in keinster Weise voran und könnten ohne einen Verlust aus dem Film herausgeschnitten werden. Das sind ein Kampf mit dem Hauptmann von Köpenick, eine Auseinandersetzung mit einem BVG-Busfahrer, ein Drogentrip und ein Reenactment der Varusschlacht, in das unsere beiden Helden kurz vor Bielefeld hineinstolpern. Die beiden Hauptfiguren variieren teils aus den Känguru-Geschichten altbekannte Gags. Die Witze über Verschwörungstheorien und deren Verfechter sind nicht besonders gelungen. Viel zu oft wiederholen sie nur naheliegende und altbekannte Gags über Verschwörungstheoretiker und ihre abstrusen Theorien. Dazwischen gibt es, an den unpassendsten Stellen, das Alternative-Zitate-Spiel (in dem Zitate verändert oder den falschen Personen zugeordnet werden), und immer wieder, immer in Zeitlupe, Schnick Schnack Schnuck (bzw. Schere, Stein, Papier). Mit diesem Spiel treffen Marc-Uwe und dem Känguru Entscheidungen; wobei Marc-Uwe immer verliert.

Kling führte hier erstmals, durchaus gelungen Regie. Er hat viele Ideen. Er denkt in Filmbildern und es gibt etliche Nebenbei-Gags, die für mich zu den gelungensten Witzen des Films zählen. Allerdings nervt die immergleiche Präsentation von Schnick Schnack Schnuck, das im Film viel zu oft gespielt wird. Die Dialoge sind eher ambitionslos auf dem Niveau einer schlechteren TV-Sketch-Comedy inszeniert. Das Timing ist entsprechend. Und die Schauspieler spielen alle zu ausdruckslos. Das ist zwar angenehmer als ein permanentes Overacting, aber es ist hier einfach zu emotionslos.

Am Ende ist „Die Känguru-Verschwörung“ linksalternatives Wohlfühlkino, das niemanden überfordern oder verunsichern will. Das könnte zum Nachdenken führen.

Zum Filmstart erschien „Der Storyboard-Comic zum Film“. Dafür wurde das Storyboard, also die von Axel Eichhorst vor den Dreharbeiten gezeichnete Visualisierung des Films, die einen genauen Eindruck von dem späteren Film vermittelt, genommen und von Michael Holtschulte (Text), Ralf Marczinczik und Jan Thüring (Layout) für die Buchveröffentlichung bearbeitet. Das jetzt veröffentlichte Storyboard vermittelt einen guten, aber auch eigenständig lesbaren Eindruck von dem Film. Die Zeichnungen wirken immer wie Skizzen, die in erster Linie Anweisungen sind, die den Mitarbeitern am Set die Vision des Regisseurs vermitteln sollen. Die Dialoge und Abläufe sind aus dem Drehbuch und dem Film entnommen.

Die Känguru-Verschwörung (Deutschland 2022)

Regie: Marc-Uwe Kling

Drehbuch: Marc-Uwe Kling, Jan Cronauer

Buch zum Film: Marc-Uwe Kling/Jan Cronauer/Axel Eichhorst: Die Känguru-Verschwörung, 2022

mit Dimitrij Schaad, Rosalie Thomass, Petra Kleinert, Michael Ostrowski, Benno Fürmann, Volker Zack, Adnan Maral, Tim Seyfi, Carmen-Maja Antoni, Melanie Straub, Daniel Zillmann, Nils Hohenhövel

Länge: 103 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Das Buch zum Film

Marc-Uwe Kling/Jan Cronauer/Axel Eichhorst: Die Känguru-Verschwörung

Ullstein, 2022

296 Seiten

20 Euro

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Die Känguru-Verschwörung“

Moviepilot über „Die Känguru-Verschwörung

Wikipedia über „Die Känguru-Verschwörung“ und über Marc-Uwe Kling

Homepage von Marc-Uwe Kling

Meine Besprechung von Dani Levys Marc-Uwe-Kling-Verfilmung „Die Känguru-Chroniken“ (Deutschland 2020) und der Vorlage(n)

Meine Besprechung von Marc-Uwe Klings „Qualityland“ (2017)

Meine Besprechung von Marc-Uwe Klings „Qualityland 2.0 – Kikis Geheimnis“ (2020)


Marc-Uwe Kling erzählt Geschichten aus dem Qualityland

März 10, 2021

Hardcore-Science-Fiction-Fans, die ihren William Gibson neben Cixin Liu neben Ted Chiang (um nicht noch einmal die alten Recken zu bemühen) fein säuberlich im Regal stehen haben, dürften von „Qualityland“ und „Qualityland 2.0“ enttäuscht sein. Zu episodisch sind die beiden Bücher, zu vertraut die Gedanken zur Überwachung, Computern und Algorithmen und zu didaktisch die Dialoge. So in Richtung „Die Sendung mit der Maus“ gehend. Auch gestandene Überwachungsgegner, die ihre Bücher von und über Edward Snowden neben die Sachbücher über Facebook, die globale Überwachung und den Cyberwar stehen haben, dürften in den „Qualityland“-Büchern vor allem vertraute Befürchtungen in neuen Formulierungen finden.

Aber sie sind auch nicht wirklich das Zielpublikum. Das sind primär die Fans der vier Känguru-Bücher, in denen Marc-Uwe Kling von sich und seinem Mitbewohner, einem kommunistischem Känguru, erzählt. Die Känguru-Geschichten waren zunächst kurze Betrachtungen aus dem Leben des in Kreuzberg (Wo sonst?) ambitionslos vor sich hin lebenden Kleinkünstlers, die in jeder beliebigen Reihenfolge genossen werden können. Später verband Kling einige der immer nur wenige Seiten umfassenden Geschichten miteinander, indem er in neueren Geschichten frühere Gedanken und Ereignisse wieder ansprach, variierte und weiter erzählte. Mit viel Wohlwollen kann man das dann als buchfüllende Geschichte beschreiben. Aber letztendlich bleiben die Känguru-Geschichten episodische Betrachtungen über Gott und die Welt. Sie sind witzig. Der allgemeinverträgliche Humor ist perfekt für kurze Beiträge im Radio und Lesebühnen geeignet. Denn niemand wird in den zwei-, dreiminütigen Stücken intellektuell überfordert. Die Anspielungen setzen ein vulgär-bildungsbürgerliches und rudimentärstes popkulturelles Wissen (mit Bud Spencer und Terence Hill sind Sie auf der sicheren Seite) voraus. Es ist also wichtig, zu wissen, dass Kant ein wichtiger Philosoph war, aber es ist unwichtig zu wissen, was er genau gesagt hat.

Seine beiden „Qualityland“-Büchern wirken wie eine mild satirische Fortsetzung der Känguru-Geschichten im Science-Fiction-Gewand und mit geänderten Namen. Qualityland ist eine Zukunft, in der alle glücklich sind, weil Algorithmen uns alle Entscheidungen abnehmen und Roboter lästige Aufgaben übernehmen. Der Nachname eines Jungen ist jetzt der Beruf seines Vaters, der Nachname eines Mädchens der Beruf ihrer Mutter während der Zeugung. Der gesellschaftliche Status wird über Punkte definiert. Je nachdem, was man tut, ändert sich der Punktestand und damit die gesellschaftliche Position. Letztendlich ist Qualityland eine Fortschreibung der Gegenwart, die mehr Dystopie als Utopie ist.

Der Protagonist der beiden Bücher ist Peter Arbeitsloser, ein Verschrotter von psyschich kranken Robotern. Weil der gelernte Maschinentherapeut es nicht übers Herz bringt, die Maschinen zu verschrotten, lässt er sie in seinem Junggesellenkeller leben. Es sind eine E-Poetin mit Schreibblockade, ein Kampfroboter mit posttraumatischer Belastungsstörung, eine Drohne mit Flugangst und ein Sexdroide mit Erektionsproblemen.

Dazu kommen, als seine menschlichen Freunde, Kiki Unbekannt, eine Hackerin (und mindestens so gesetzesverachtend und systemkritisch wie das schlaue Känguru), seine Ex-Freundin Sandra Admin und, als eremitärer Warner in einer alten Fabrik lebend, der Alte. Er ist ein belesener Computerfreak, der das Internet löschen will.

Im ersten „Qualityland“-Buch erhält Arbeitsloser ungewollt von dem Versandhändler TheShop einen Delfinvibrator. TheShop behauptet, aufgrund einer Algorithmen-Prognose will er einen Delfinvibrator haben. Arbeitsloser sieht das anders und will das Ding zurückgeben. Aber das ist schwieriger als gedacht, weil Algorithmen keine Fehler machen. Und wenn doch, geben sie es nicht zu.

Im zweiten Band erzählt Kling von weiteren Abenteuer von Peter Arbeitsloser. Seine Freundin Kiki Unbekannt will jetzt herausfinden, wer ihre Eltern sind. Außerdem wird sie von dem Puppenspieler gejagt.

In einem zweiten Erzählstrang geht es in beiden Büchern um die Politik. So tritt im ersten Band der superschlaue Androide John of Us im Kampf um die Präsidentschaft gegen den hemmungslos an niederste Instinkte appellierende Conrad Koch an. Im zweiten Band, nachdem John of Us bei einem Attentat starb, erzählt Kling, was nach dem Attentat geschieht.

Das liest sich in seiner episodischen, jede Ablenkung dankbar aufnehmenden Struktur durchgehend flott weg, ist auch für einige Lacher gut und bestätigt die eigene Weltsicht. Jedenfalls regte mich nichts zum Nachdenken, zum Widerspruch oder zum Überdenken meiner Meinung an.

Marc-Uwe Kling: Qualityland 2.0 – Kikis Geheimnis

Ullstein, 2020

432 Seiten

19 Euro

Marc-Uwe Kling: Qualityland

Ullstein, 2019

384 Seiten

11 Euro

Gebundene Ausgabe

Ullstein, 2017

Hinweise

Perlentaucher über „Qualityland“ und „Qualityland 2.0“

Homepage von Marc-Uwe Kling

Wikipedia über Marc-Uwe Kling

Meine Besprechung von Dani Levys Marc-Uwe-Kling-Verfilmung „Die Känguru-Chroniken“ (Deutschland 2020) und der Vorlage(n)


Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: „Die Känguru-Chroniken“ transformieren ins Kino

März 5, 2020

Die erste Begegnung läuft im Film genauso undramatisch wie im Buch ab: ein Känguru klingelt und fragt Marc-Uwe Kling, ob er Eier für einen Eierkuchen habe. Kling, eigentlich Marc-Uwe, gibt sie ihm. Ohne sich über das sprechende Känguru zu wundern. Kurz darauf klingelt das Känguru wieder und fragt nach dem Salz. Marc-Uwe gibt es ihm. Nachdem das Känguru sich alle Zutaten für den Eierkuchen zusammengeschnorrt hat, fällt ihm auf, dass es keinen Herd hat.

Das ist der Beginn einer wundervollen Freundschaft. Im Buch war diese Begegnung schon vor über zehn Jahren. Den ersten Auftritt hatte das Känguru 2008 in dem wöchentlichen Podcast „Neues vom Känguru“ beim RBB-Radiosender „Fritz“. Seitdem schrieb Kling unzählige weitere Känguru-Geschichten, die er in bis heute vier Büchern veröffentlichte. Die Bücher wurden Bestseller. Die Hörbücher ebenso. Da war eine Verfilmung nur eine Frage der Zeit. Wobei die Känguru-Bücher sich gegen eine Verfilmung sperren. Sie bestehen aus kurzen, meist drei- bis vierseitigen Geschichten, die wenig bis überhaupt nicht miteinander verbundenen sind. Einige Figuren tauchen öfter auftauchen, ohne dass sie nennenswert an Tiefe gewinnen. Die Wirtin der Eckkneipe ist die Wirtin der Eckkneipe. Der tumbe Nazi der tumbe Nazi.

Für den Film musste daher eine Geschichte erfunden werden. Und die geht so: Kleinkünstler Marc-Uwe und das Känguru, das, philosophisch gebildet, Besitz ablehnt und sich daher schamlos am Eigentum anderer Menschen vergreift und durchschnorrt, leben gemütlich in Marc-Uwes Kreuzberger Altbauwohnung vor sich hin. Als der großkotzige Großinvestor Jörg Dwigs, gleichzeitig Vorsitzender der „Nationalkonservative Partei für Sicherheit und Verantwortung“ den Kiez durchsanieren und die Baugrube neben Marc-Uwes Haus mit einem edlen Schicki-Micki-Hochhaus zubauen will, ist Widerstand angesagt.

Neben diesem Hauptplot gibt es zahlreiche Episoden, die mehr oder weniger direkt auf bereits bekannten Känguru-Geschichten basieren. Dabei bediente Marc-Uwe Kling, der das Drehbuch schrieb, sich bei allen Känguru-Büchern. So hat Dwigs seinen ersten Auftritt erst im zweiten Känguru-Buch „Das Känguru-Manifest“.

Damit ist schon einmal klar, dass der Humor des Films dem der Vorlagen ähnelt. Diese sind klassische Lesebühnentexte, zu denen alle beifällig nicken können und sich niemand jemals überfordert fühlt. Es sind humorig-harmlose Schnurren. Niemand wird verletzt. Es wird auf konsensfähige Gegner eingeschlagen. Im Buch Nazis und Kapitalisten. Im Film eine AfD-ähnliche Partei und Kapitalisten. Es gibt Beobachtungen aus dem Großstadtleben, die ebenso konsensfähig sind. Eine satirische Zuspitzung oder auch eine Demaskierung des eigenen Milieus erfolgt nicht. Dafür sind die Geschichten durchgehend zu nett und zu oberflächlich. Marc-Uwe Kling will kein Max Goldt, Georg Schramm oder Wiglaf Droste sein.

Auch der Film überfordert niemals. Episodisch wird sich von einer Situation zur nächsten gehangelt. Der Kampf gegen das Bauprojekt bleibt eine erzählerische Krücke mit einem Ende, das sich in dem Moment vielleicht gut anfühlt, aber das Problem nicht löst. Es noch nicht einmal versucht. Dabei spricht der Kampf gegen Mietwucher, Großinvestoren und Gentrifizierung reale Berliner Probleme an, die auch die Probleme von allen Metropolen sind. In Berlin führte das zu einer Volksinitiative, die eine Enteignung von großen Wohnungsgesellschaften, wie Deutsche Wohnen, fordert, und einem Mietendeckel.

Die Anspielungen und Zitate auf und aus anderen Filmen – Ich sage nur, ergänzend zu den schon im Trailer gezeigten Anspielungen, Bud Spencer, „Pulp Fiction“ (die goldene Uhr), „The Big Lebowski“ (der Teppich) – sind überdeutlich und peinlich schlecht zitiert. Der Rest spielt sich in der Kreuzberger Wohlfühlzone der saturierten Kapitalismuskritik und des Verkloppens bierbäuchiger und sehr dummer Nazis ab.

Von Regisseur Dani Levy hätte ich mehr als diesen rundum harmlos-gefälligen Klamauk erwartet.

Fans der Känguru-Geschichten werden sich allerdings genau darüber freuen.

Die Känguru-Chroniken (Deutschland 2020)

Regie: Dani Levy

Drehbuch: Marc-Uwe Kling

LV: Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Chroniken, 2009 (naja, eigentlich eher „lose inspiriert“)

mit Dimitrij Schaad, Rosalie Thomass, Adnan Maral, Tim Seyfi,Carmen-Maja Antoni, Bettina Lamprecht, Henry Hübchen, Oscar Strohecker, Volker Zack, Paulus Manker

Länge: 92 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Lesehinweis

 

Wer tiefer in die Welt von Marc-Uwe Kling und seinem Mitbewohner einsteigen will, kann zwischen zwei neuen Ausgaben ihrer Abenteuer wählen. Für den schmalen Geldbeutel erschien der erste Band der Känguru-Geschichten im Filmcover. Der Rest entspricht den früheren Ausgaben.

Als Ostergeschenk eignet sich der Sammelband „Die Känguru-Tetralogie“, der alle bislang erschienenen Känguru-Bücher in einem schicken Schuber enthält. Die Bücher haben einen festen Einband. Ansonsten unterscheiden sie sich nicht von früheren Ausgaben.

Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Chroniken

Ullstein, 2020 (mit Filmcover)

272 Seiten

10,99 Euro

Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Tetralogie (Die Känguru-Werke)

Ullstein, 2020

1184 Seiten

36 Euro

enthält

Die Känguru-Chroniken, 2009

Das Känguru-Manifest, 2011

Die Känguru-Offenbarung, 2014

Die Känguru-Apokryphen, 2018

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Die Känguru-Chroniken“

Moviepilot über „Die Känguru-Chroniken“

Wikipedia über „Die Känguru-Chroniken“

Homepage von Marc-Uwe Kling

Meine Besprechung von Dani Levys „Die Welt der Wunderlichs“ (Deutschland/Schweiz 2016)