Neu im Kino/Filmkritik: Singen & Tanzen nach klassischen Vorlagen: „Cyrano“ und „Coppelia“

März 3, 2022

Fans klassischer Stücke dürfen diese Woche den geliebten durchgesessenen Theaterstuhl mit dem bequemen Kinosessel tauschen und sich dort die neuesten sehenswerten Adaptionen von „Cyrano“ und „Coppelia“ ansehen. Beide Neuinterpretationen haben einen diversen Cast und die Macher änderten einiges an den Vorlagen. „Cyrano“ ist die Verfilmung einer Musicaladaption des bekannten Theaterstücks mit bekannten Schauspielern. „Coppelia“ ist eine modernisierte Fassung des bekannten Ballettstücks, die von sprachlosen Ballettstars und Tänzern des Niederländischen Nationalballetts ausdrucksstark getanzt wird.

Cyrano“ erzählt die in der Mitte des 17. Jahrhunderts in Frankreich spielende Geschichte von Cyrano de Bergerac (Peter Dinklage), der unsterblich in Roxanne (Haley Bennett) verliebt ist. Sie ist eine Frau von überirdischer Schönheit. Er ist es nicht. Und er ist fest davon überzeugt, dass eine so schöne Frau keine Liebesbeziehung zu ihm haben will. Aber dafür kann der Hasardeur und Dichter ausgezeichnet mit Worten umgehen. Also schreibt er fortan Liebesoden, die von dem gut aussehendem, aber tumben Kadetten Christian Neuvillette (Kelvin Harrison Jr.) vorgetragen werden. Denn in ihn ist Roxanne verliebt und auf ihn soll er, so Roxannes Wunsch, im Militär aufpassen.

In der aktuellen Kinoversion dieser von Edmond Rostand in Versen geschriebenen und seitdem immer wieder adaptierten Geschichte, spielt Peter Dinklage Cyrano. Sein Handicap ist seine Körpergröße. Er ist ein Zwerg. Ältere Semester erinnern sich an Jean-Paul Rappenaus überwältigende Verfilmung des Theaterstücks von 1990 mit Gérard Depardieu als Cyrano de Bergerac. Sein Handicap war seine Nase.

Auch Joe Wright hat Cyranos Geschichte durch diesen Film kennen gelernt und auch er war begeistert. An eine eigene Verfilmung des klassischen Stoffes dachte er allerdings nicht. Ihr stand nämlich immer Cyranos imposante Nase im Weg. Erst als er Erica Schmidts 2018 aufgeführte Musicalversion sah, wusste er, wie er um die Nase herumkommen könnte. Denn Cyrano wurde von Peter Dinklage gespielt – und schon war das Problem mit der Nase gelöst. Roxanne wurde von Bennett gespielt. Beide nahmen für die Verfilmung ihre Rollen wieder auf.

Außerdem basiert Wrights Film auf dieser Musicalversion. Erica Schmidt, die auch das Drehbuch für Joe Wrights Verfilmung schrieb, veränderte alle Figuren etwas. So wird angedeutet, dass Roxanne das Spiel von Cyrano und Christian durchschaut, Christian ist nicht nur ein tumber Tor und auch bei den anderen Figuren wurden Kleinigkeiten geändert.

Das sind Nuancen, die zusammen mit Peter Dinklages Spiel zu einem Problem werden. Dinklage ist als lebenslustiger, allseits geachteter, raumgreifender, furchtloser, wort- und kampfstarker Offizier und Poet so überzeugend, dass es kaum glaubwürdig ist, dass ihn ausgerechnet gegenüber Roxanne der Mut verlässt und dass die sehr unabhängige Roxanne sich nicht in ihn verliebt und ihn sofort heiraten würde. Denn er ist der beste Mann in der Stadt.

Dadurch wird „Cyrano“ zu einem Stück, dessen zentraler Konflikt für mich nie glaubwürdig ist. Darüber können die farbenprächtigen Sets (gedreht wurde in Sizilien, vor allem in Noto), die spielfreudigen Schauspieler und die gelungene Musik von den „The National“-Mitgliedern Matt Berninger, Aaron und Bryce Dessner und Carin Besser, die für die Band Songs schreibt, nicht hinwegtäuschen. Sie machen viel Lärm um nichts.

Coppelia“ geht einen ganz anderen Weg. Während Joe Wright in seinem „Cyrano“ mit bekannten Schauspielern und Schauwerten protzt, haben Jeff Tudor, Steven De Beul und Ben Tesseur unbekannte Schauspieler engagiert. Genaugenommen sind sie noch nicht einmal Schauspieler, sondern sie sind Stars der internationalen Ballettszene, wie Michaela DePrince, Daniel Camargo, Vito Mazzeo, Darcey Bussell und Irek Mukhamedov, und Mitglieder des Corps de Ballet des Niederländischen Nationalballetts, die hier ihr Filmdebüt geben. Das Ballettstück „Coppelia“ wurde bereits 1870 von Léo Delibes geschrieben. Es handelt sich dabei um eine Adaption von E. T. A. Hoffmanns „Der Sandmann“. Der Film basiert auf einer 2008 von Ted Brandsen für das Niederländische Nationalballett erstellten Produktion, die die Geschichte aktualisierte.

Die temperamentvolle und fröhliche Swan lebt in einer mediterran-französischen Kleinstadt noch bei ihrer Mutter. Auf dem Dorfplatz betreibt sie eine Saftbar. Verliebt ist sie in Franz, der eine Fahrradwerkstatt hat. Alle Mädchen des Dorfes sind in ihn verliebt, aber er hat nur Augen für Swan. Es ist ein heiteres und unbeschwertes Leben, bis Doktor Coppelius auftaucht. Er errichtet eine Schönheitsklinik, die schon auf den ersten Blick wie das Schloss eines Bösewichts aussieht. Und das ist sie auch. Zusammen mit seiner Muse Coppelia, einer alle Schönheitsideale erfüllenden Roboterfrau, verführt er die Dorfbewohner. In seiner Klinik kann er sie von ihren Schönheitsmakeln befreien. Über den Preis schweigt er sich aus.

Nur Swan und ihre Freunde sind nicht begeistert. Als Coppelia Franz betäubt und in die Klinik führt, verfolgt Swan sie. Sie will ihren Freund retten.

Gut, die Geschichte gewinnt keinen Innovationspokal. Sie wurde so schon unzählige Male erzählt und die begrüßenswerte Moral der Geschichte – „Oberflächliche Schönheit ist nicht alles, die wahre Schönheit kommt von innen und Diversität ist etwas, das gefeiert werden sollte.“ (Tudor, De Beul, Tesseur) – ist auch vorhersehbar. Es sind die Tänzer und die Machart, die „Coppelia“ zu einem besonderen Film machen. Denn sie tanzen in einer durchgängig gezeichneten Welt. Ihre Gesichter werden, wenn sie sich in die Hände von Doktor Coppelius begeben, ebenfalls zu Animationen. Jeff Tudor, Steven De Beul und Ben Tesseur erzählen das ohne Worte. „Coppelia“ ist nämlich ein getanzter Stummfilm.

Eben diese Machart spricht für den Film. Und die kurze Laufzeit von achtzig Minuten.

Coppelia“ ist ein herziges Märchen mit Humor, Musik und Tanz. Für alte und junge Menschen.

Cyrano (Cyrano, USA 2021)

Regie: Joe Wright

Drehbuch: Erica Schmidt

LV: Edmond Rostand: Cyrano de Bergerac, 1897 (als Musical adaptiert von Erica Schmidt)

Musik: Aaron Dessner, Bryce Dessner (Musik), Matt Berninger, Carin Besser (Texte)

mit Peter Dinklage, Haley Bennett, Kelvin Harrison Jr., Ben Mendelsohn, Bashir Salahuddin, Monica Dolan, Mark Benton, Peter Wight

Länge: 124 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Cyrano“

Metacritic über „Cyrano“

Rotten Tomatoes über „Cyrano“

Wikipedia über „Cyrano“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Joe Wrights „Wer ist Hanna?“ (Hanna, USA/GB/D 2011)

Meine Besprechung von Joe Wrights „Die dunkelste Stunde“ (Darkest Hour, Großbritannien 2017)

Coppelia (Coppelia, Niederland/Belgien/Deutschland 2021)

Regie: Jeff Tudor, Steven De Beul, Ben Tesseur

Drehbuch: Jeff Tudor, Steven De Beul, Ben Tesseur

LV: Léo Delibes: Coppélia ou La Fille aux yeux d’émail, 1870 (Coppelia oder Das Mädchen mit den Glasaugen)

mit Michaela DePrince, Daniel Camargo, Vito Mazzeo, Darcey Bussell, Irek Mukhamedov, Corps de Ballet des Niederländischen Nationalballetts

Länge: 82 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Filmportal über „Coppelia“

Moviepilot über „Coppelia“

Rotten Tomatoes über „Coppelia“

Wikipedia über das Ballett „Coppelia“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: „Anna und die Apokalypse – Ein Zombie-Weihnachts-Musical“ – nuff said

Dezember 11, 2018

Die sympathische Zombie-Komödie lief auf dem Fantasy-Filmfest und da (oder an Orte mit einem ähnlichem Publikum) gehört dieser Film mit blutbespritzten Schauspielern, knirschenden Zombieschädeln und einem groben Humor auch hin. Die Story ist in ihren Grundzügen aus unzähligen Zombie-Filmen bekannt: Anna und ihre Freunde kämpfen sich durch ihre Heimatstadt Little Haven, während sie links und rechts Zombies töten. Sie will zu ihrem Vater, dem Schulhausmeister, und sie alle wollen zu ihren Freunden, die in der Schule sind. Die Geschichte spielt, wie so oft, in einer Kleinstadt. Ungewöhnlicher ist schon, dass die Macher von „Anna und die Apokalypse“ die titelgebende Apokalypse in die Vorweihnachtszeit verlegen. Schon durch die Handlungszeit ist der Film eindeutig ein Weihnachtsfilm für die Weihnachtsfilmhasser. Zur Vorweihnachtszeit gehört auch eine Weihnachtsaufführung in der Schule, zu der sich dann fast das gesamte Dorf versammelt. Auch die Zombies.

Und wenn Regisseur John McPhail diese rudimentäre Geschichte nur mit einer ordentlichen Portion Splatter-Humor gewürzt hätte, wäre seine Komödie einfach nur die nächste Komödie im Stil von „Shaun of the Dead“. Aber er verknüpft die Horrorkomödie mit dem Musical.

Vor allem am Anfang widersprechen sich die doch arg schnulzigen und poppigen Songs mit den Bildern, die die unschöne Realität zeigen. Da will das im Song beschworene Liebespaar nichts voneinander wissen. Da wird aneinander vorbeigesungen und geträumt, weil die große Schulhofliebe doch lieber mit einem anderen Jungen ausgeht. Die Schulgänge und Schulräume werden zur Kulisse von ausgedehnten Musical-Tanznummern. Und Anna tanzt nach dem Aufstehen fröhlich singend durch die Stadt, ohne etwas von der um sie herumtobenden Zombie-Apokalypse mitzubekommen. Es gibt satirische Spitzen und der Humor speist sich – auch weil es noch keine Zombies gibt – nicht aus den verschiedenen Methoden, einen Zombie möglichst blutspritzend umzubringen.

Zu schnell verschießt „Anna und die Apokalypse“ sein kreatives Pulver und es gibt so ab der Filmmitte nur noch die bekannte Mischung aus Zombies töten, Blödeleien und Sterben. Mit, zugegeben, sympathischen, jungen Schauspielern, einigen grandios absurden Momenten und weit unter dem Potential, das der Film verspricht..

Mit dem richtigen Publikum kann „Anna und die Apokalypse“ ein gelungener Vorweihnachtsabend werden. Jedenfalls solange die Zombies nicht reingelassen werden.

Anna und die Apokalypse (Anna and the Apocalypse, Großbritannien 2018)

Regie: John McPhail

Drehbuch: Alan McDonald, Ryan McHenry

mit Ella Hunt, Malcolm Cumming, Sarah Swire, Christopher Leveaux, Marli Siu, Ben Wiggins, Mark Benton, Paul Kaye

Länge: 98 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Facebook-Seite zum Film

Moviepilot über „Anna und die Apokalypse“

Metacritic über „Anna und die Apokalypse“

Rotten Tomatoes über „Anna und die Apokalypse“

Wikipedia über „Anna und die Apokalypse“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: „Eddie the Eagle“ fühlt sich gut

April 1, 2016

Olympische Winterspiele 1988 in Calgary: Michael ‚Eddie‘ Edwards, genannt „Eddie the Eagle“ landet als Skispringer auf dem letzten Platz und freut sich wie Bolle. Denn er ist am Ziel seiner Träume. Er nimmt an den Olympischen Spielen teil. Er wird, die Älteren dürften sich noch daran erinnern, zum Publikumsliebling, weil er den Olympischen Geist verkörpert.

Der Weg dorthin war steinig und wird, mit etlichen erzählerischen Freiheiten, in Dexter Fletchers herzigem Feelgood-Movie „Eddie the Eagle“ nachgezeichnet. Denn so naiv und auch dumm, wie Eddie Edwards im Film gezeigt wird, ist er in Wirklichkeit nicht. Nach seiner Olympia-Teilnahme – weil die Regeln geändert wurden, blieb es seine einzige – machte der gar nicht so unsportliche Michael Edwards seine Schulabschlüsse, studierte und erhielt eine Zulassung als Anwalt. Das wird im Film, der sein Herz am richtigen Fleck hat, nicht erwähnt. Vieles in dem Film ist auch einfach erfunden. Eddie Edwards, dem der Film gefällt, meint, etwa fünf Prozent entsprächen der Wahrheit.

Dafür erfahren wir, wie er schon als Kind in seinem Geburtsort Cheltenham begeistert alle Sportdisziplinen ausprobiert. Meist erfolglos, aber mit unbändigem Optimismus, bis er schließlich beim Skispringen landet. Weil seit Jahrzehnten kein Brite in dieser Disziplin teilnahm, gibt es keine Konkurrenten und auch der damals gültige britische Rekord ist zu schaffen.

In den Alpen beginnt er mit dem Training, wird von der Restaurantbesitzerin Petra (Iris Berben) aufgenommen, überzeugt den ehemaligen Skispringer Bronson Peary (Hugh Jackman) ihn zu trainieren und stellt bei den Nordischen Skiweltmeisterschaften in Oberstdorf einen neuen britischen Rekord auf, obwohl er bei dem Wettbewerb mit gesprungenen 73,5 Metern der schlechteste Teilnehmer war.

Während er von persönlichem Bestwert zu Bestwert fliegt, versucht das britische Olympiakomitee durch Änderungen der Regeln die Teilnahme des durchgeknallten Außenseiters aus der Arbeiterklasse zu verhindern. Die olympische Idee des Dabeiseins ist alles und die Vision vom Treffen von Sportamateuren aus der ganzen Welt in einem friedlichen Wettkampf stehen zwar auf dem Papier, aber die Olympischen Spiele sind schon lange ein großes Geschäft. Ein Paradiesvogel wie Eddie stört da nur den Ablauf und gefährdet das seriöse Image der britischen Olympia-Teilnehmer.

Taron Egerton, der zuletzt in „Kingsman: The Secret Service“ quasi eine andere britische Ikone verkörperte, hat für die Rolle zugenommen, sein Kinn konsequent nach vorne geschoben (wegen Eddies markantem Unterbiss) und sich ein dickes Kassengestell (aufgrund seiner Weitsichtigkeit musste Eddie immer eine Brille tragen) aufgesetzt und schlüpfte so, auch körperlich, in die Rolle des optimistischen Naivlings, der sich durch ein „Nein“ nicht von seinen Zielen abbringen lässt.

Dexter Fletcher („Wild Bill“, „Make my Heart fly“) inszenierte das Feelgood-Movie mit spürbarer Sympathie für seine Charaktere in einem Tempo, das trotz der vorhersehbaren Geschichte (auch wenn man die wahre Geschichte nicht kennt), keine Langeweile aufkommen lässt. Es ist ein Film, der genau weiß, was er will und dabei alles richtig macht.

Die Initialzündung für den Film war ein Fernsehabend von „Kingsman“-Regisseur Matthew Vaughn, der „Eddie the Eagle“ produzierte. Er sah „Cool Runnings“ und wollte genau so einen Film machen, den er auch seinen Kindern zeigen könnte. „Cool Runnings“ erzählt die Geschichte des jamaikanischen Bob-Teams, die ebenfalls bei den Winterspielen in Calgary dabei waren und ebenfalls keine Medaillen gewannen, aber den olympischen Geist verkörperten. Der Film geht ebenfalls sehr freizügig mit den Fakten um. Aber im Gegensatz zu Eddie the Eagle wurden die Bobfahrer erst durch den Film bekannt.

Eddie the Eagle - Plakat

Eddie the Eagle – Alles ist möglich (Eddie the Eagle, Großbritannien/USA/Deutschland 2016)

Regie: Dexter Fletcher

Drehbuch: Sean Macaulay, Simon Kelton

mit Taron Egerton, Hugh Jackman, Iris Berben, Tim McInnerny, Keith Allen, Mark Benton, Jo Hartley, Christopher Walken

Länge: 106 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Eddie the Eagle“

Metacritic über „Eddie the Eagle“

Rotten Tomatoes über „Eddie the Eagle“

Wikipedia über „Eddie the Eagle“ (deutsch, englisch)

History vs. Hollywood prüft den Realitätsgehalt des Film