Neu im Kino/Filmkritik: Über den Pixar-Film „Alles steht Kopf 2“

Juni 14, 2024

Nun also die Pubertät. 2015 erlebten wir in dem Pixar-Film „Alles steht Kopf“, wie es in dem Kopf der elfjährigen Riley Andersen aussieht und wie ihre unterschiedlichen Emotionen zusammenarbeiten, damit sie sich Riley-vernünftig verhält. Sie muss nämlich den Umzug von einem Dorf in Minnesota nach San Francisco verarbeiten. Der Film war ein Hit.

Und nachdem auch Pixar in den vergangenen Jahren neben erfolgreichen Einzelfilmen auch Fortsetzungen erfolgreicher Filme produzierte, war die Fortsetzung von „Alles steht Kopf“ wohl nur eine Frage der Zeit. Dramaturgisch notwendig war und ist sie nicht. Wobei die Pubertät neue erzählerische Möglichkeit eröffnet.

Denn Riley ist jetzt ein dreizehnjähriger Teenager. An der Schule ist sie beliebt und erfolgreich. Mit ihren beiden Freundinnen Bree und Grace wird sie zu einem Eishockey-Trainingslager eingeladen, das ihr auch neue schulische Möglichkeiten eröffnet. Wenn sie von der strengen Trainerin aufgenommen wird, hatsie nämlich gleichzeitig einen Platz an einer guten High School. Außerdem möchte Riley die Freundin von Valentina ‚Val‘ Ortiz, dem beliebt-bewunderten Star des Eishockey-Teams, werden.

In dem Moment übernehmen neue, mit der Pubertät zusammenhängende Gefühle die Herrschaft über Riley. Zu den aus dem ersten Film bekannten Emotionen Freude (Joy), Kummer (Sadness), Wut (Anger), Angst (Fear) und Ekel (Disgust) kommen

Zweifel (Anxiety), Neid (Envy), Peinlich (Embarrassment) und Ennui (Ennui; hauptsächlich mit dem lustlosen Herumlungern auf der Couch und der Pflege einer Null-Bock-Haltung beschäftigt) dazu. Sogar Nostalgie (Nostalgia) darf als weitere Emotion, die sich nach der Vergangenheit sehnt, schon zweimal kurz auftauchen.

Weil Freude und die anderen aus dem ersten Film bekannten Emotionen die neue Emotion Zweifel bei ihrer Arbeit zu sehr stören, sperrt sie sie in ein Einmachglas und befördert sie in einen Safe in einer abgelegenen Region von Rileys Gehirn. Dort können sie sich aus dem Safe befreien. Sie machen sich auf den beschwerlichen Weg zurück in Rileys Schaltzentrale.

Kelsey Mann übernahm die Regie. Er arbeitet seit 2009 in verschiedenen Positionen bei Pixar. „Alles steht Kopf 2“ ist sein Spielfilmdebüt. „Alles steht Kopf“-Co-Drehbuchautorin Meg LeFauve und Dave Holstein schrieben das Drehbuch. Und in der Originalfassung liehen viele bekannte Schauspieler, die schon beim ersten Teil dabei waren, den Figuren wieder ihre Stimme. In der deutschen Fassung durften dann Olaf Schubert, Hans-Joachim Heist (bekannter als Gernot Hassknecht aus der „heute-show“), Tahnee und Bastian Pastewka, teils ebenfalls zum zweiten Mal, ran.

Manns Spielfilmdebüt ist ein durchaus unterhaltsamer, aber auch ziemlich hektischer Pixar-Film, der mit den Problemen einer Fortsetzung kämpft. Die Idee von „Alles steht Kopf“, dass wir uns im Kopf einer Person befinden und erleben, wie verschiedene Emotionen zusammenarbeiten, einen Charakter formen und zusammen Entscheidungen fällen, war grandios und sie wurde in ihrer Reduzierung auf fünf wichtige Emotionen überzeugend umgesetzt. Komplexe wissenschaftliche Erkenntnisse konnten so für ein aus Kindern bestehendes Publikum präsentiert und von diesem verstanden werden. Jedenfalls genug, um die Filmgeschichte begeistert mitzuverfolgen, während die Erwachsenen ganz andere Dinge in dem Film sahen. Diese Idee wird jetzt nicht mit fünf, sondern mit, je nach Zählung, neun bis zehn Emotionen wiederholt. Das mag näher an der Wirklichkeit, vor allem der Wirklichkeit eines Teenagers, sein, aber einige Emotionen ähneln sich sehr und keine Emotion kann sich wirklich entfalten. „Alles steht Kopf 2“ ist jetzt keine spannende Diskussion im kleinen Kreis mehr, in dem die verschiedenen Diskursteilnehmenden die anderen ausreden lassen und zu einer Lösung kommen, sondern eine typische chaotische Talkshow, in der irgendwann alle durcheinander reden, während Ennui gelangweilt wegdöst.

Die in Rileys Kopf spielende Geschichte ist zwar unterhaltsam, aber ohne große dramaturgische Dringlichkeit. Die in der realen Welt spielende Geschichte, also Rileys Kampf um die Aufnahme in das Eishockey-Team und den damit verbundenen Platz in dieser High School, das damit verbundene Leistungsdenken und der Umgang miteinander sind sehr amerikanisch.

Natürlich ist „Alles steht Kopf 2“ kein schlechter Film. Es ist ein Pixar-Film und da ist ein bestimmtes Niveau immer vorhanden. Aber es handelt sich um eine überflüssige Fortsetzung, die niemals die Qualität von „Alles steht Kopf“ erreicht.

Alles steht Kopf 2 (Inside Out 2, USA 2024)

Regie: Kelsey Mann

Drehbuch: Meg LeFauve, Dave Holstein (nach einer Geschichte von Kelsey Mann und Meg LeFauve)

mit (im Original den Stimmen von) Amy Poehler, Liza Lapira, Tony Hale, Lewis Black, Phyllis Smith, Maya Hawke, Ayo Edebiri, Adèle Exarchopoulos, Paul Walter Hauser, Kensington Tallman, Lilimar, Grace Lu, Sumayyah Nuriddin-Green, Diane Lane, Kyle MacLachlan, Frank Oz, Flea, June Squibb

(in der deutschen Synchronisation den Stimmen von) Olaf Schubert, Hans-Joachim Heist, Tahnee, Leon Windscheid, Younes Zarou, Bastian Pastewka

Länge: 96 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Alles steht Kopf 2“

Metacritic über „Alles steht Kopf 2“

Rotten Tomatoes über „Alles steht Kopf 2“

Wikipedia über „Alles steht Kopf 2“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Pete Docter/Ronnie del Carmens „Alles steht Kopf“ (Inside Out, USA 2015)


Neu im Kino/Filmkritik: Ist das Kunst oder „The Kill Room“?

März 21, 2024

Gordon Davis (Samuel L. Jackson) und sein Auftragskiller Reggie Pitt (Joe Manganiello) sind gut im Geschäft. Deshalb sucht Gordon nach einer weiteren Möglichkeit, ihr illegal erworbenes Geld so anzulegen, dass die Herkunft ohne große Verluste verschleiert wird. Gordon ist dabei das Gehirn. Er besorgt die Aufträge von der Mafia. Er betreibt als Tarnung eine Bäckerei. Als er zufällig erfährt, dass mit Kunst viel Geld gemacht werden kann und dass die Preise für Kunstwerke in einem gewissen Rahmen willkürlich festgelegt werden, sieht er eine Möglichkeit zur Geldwäsche. Er fragt die finanziell klamme New Yorker Galeristin Patrice Capullo (Uma Thurman) ob sie für ihn Geld waschen würde. Nach einem kurzen Zögern ist sie einverstanden. Aber sie besteht darauf, dass sie irgendwelche Kunstwerke haben muss. Die Qualität der Werke ist egal. Sie sollen der illegalen Geldwäsche lediglich einen legalen Anschein geben. Also beauftragt Gordon Reggie mit der Herstellung dieser Werke. Es sind dilletantische Farbkleksereien und Abfall-Installationen, die er als „The Bagman“ signiert.

Ungeahnt schnell werden die Werke von „The Bagman“ zum letzten Schrei in der New Yorker Kunstszene. Jeder Sammler will ein Bagman-Werk haben. Sie bieten Patrice Höchstpreise für die Werke des unbekannten, öffentlichkeitsscheuen Künstlers. Patrices Galerie wird belagert. Gordon fragt sich, wie er seine Geschäftidee, die unter dem Radar der Öffentlichkeit ablaufen soll, retten kann. Und der etwas tumbe Reggie genießt die Anerkennung, die er plötzlich als Künstler für seine Arbeit erhält, Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis der ganze Schwindel auffliegt.

The Kill Room“ ist einer dieser Filme, die meist direkt auf DVD/Blu-ray/Stream erscheinen und die man sich wegen der Hauptdarsteller als „werde ich mir irgendwann einmal ansehen“ notiert. In diesem Fall sind das Uma Thurman und Samuel L. Jackson. „The Kill Room“ ist ihr erster gemeinsamer Film seit Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“; – wobei sie, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, in dem Film keine gemeinsame Szene haben. Samuel L. Jackson ist immer angenehm anzusehen, aber besonders wählerisch ist er bei seiner Rollenwahl nicht. Uma Thurman war vor Jahrzehnten ein Star. Ihr letzter großer Film ist „Kill Bill“. Das war vor zwanzig Jahren. Seitdem drehte sie emsig weiter. Sie spielte in Lars von Triers „Nymphomaniac“ und „The House that Jack built“ mit. Aber diese beiden Filme hat man sich nicht wegen ihr, sondern wegen von Trier angesehen.

Wegen lobender Besprechungen wandert das B-Picture dann auf der Watchlist etwas weiter nach oben und man vergisst den Film, bis er im Fernsehen gezeigt wird. Weil er aber zu einem so ungünstigen Zeitpunkt gezeigt wird, vergisst man ihn wieder – und, ehrlich gesagt, man hat auch nichts großartiges verpasst. Aber, wenn einem kleine, launige Gaunerkomödie mit gut aufgelegten Schauspielen gefallen, wird man vergnügliche hundert Minuten haben.

Regisseurin Nicol Paone vermengt in „The Kill Room“ locker-flockig, durchgehend selbstironisch die snobistische Welt der Kunstwelt mit der Working-Class-Gangsterwelt. Dabei entfaltet die Galeristin schnell eine beachtliche kriminelle Energie. Und der tumbe Killer wird mit seinen primitiven Werken schnell zur Sensation. Das erinnert ein wenig an Tarantinos „Pulp Fiction“ (ohne die Gewalt und Tarantinos Dialoge) und mehr an Woody Allens Gaunerkomödie „Schmalspurganoven“ (Small Time Crooks, 2000), in der eine zur Tarnung eröffnete Bäckerei gewinnbringender als der geplante Bankraub ist.

The Kill Room (The Kill Room, USA 2023)

Regie: Nicol Paone

Drehbuch: Jonathan Jacobsen

mit Uma Thurman, Samuel L. Jackson, Joe Manganiello, Maya Hawke, Debi Mazar, Dree Hemingway

Länge: 102 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „The Kill Room“

Metacritic über „The Kill Room“

Rotten Tomatoes über „The Kill Room“

Wikipedia über „The Kill Room“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: Welcome to „Asteroid City“, Mr. Wes Anderson

Juni 15, 2023

Asteroid City gibt es nicht. Es ist, wie ein sich superseriös gebender, anscheinend direkt aus den Fünfzigern kommender TV-Sprecher am Filmanfang erklärt, eine erfundene Stadt für ein Theaterstück, das jetzt präsentiert wird. Mit einem Blick hinter die Kulissen der Produktion des Theaterstücks, das jetzt ein Film ist, der im Film gezeigt wird. Mit diesem Wissen betreten wir die Welt von Asteroid City, einer Kleinstadt im Südwesten der USA. 87 Einwohner. Eine Tankstelle, Imbiss, Telefonzelle, ein Motel mit zehn Zimmern, eine Sternwarte und ein von einem Asteroideneinschlag verursachter Krater. Zuggleise und eine Straße führen durch die Ansammlung sehr sauberer, frisch gestrichener Bretterbuden. Die Straße wird immer wieder von einem sich vor der Polizei auf der Flucht befindendem Gangsterpärchen benutzt. Sie schießen auf den sie mit Blaulicht verfolgenden Polizeiwagen und rasen durch Asteroid City. Mal in die eine, mal in die andere Richtung.

An diesem Wochenende wird in Asteroid City, wie jedes Jahr, der Asteroidentag gefeiert. Mit mehreren jugendlichen Sternguckern, einem Wettbewerb für sie, einem Fünf-Sterne-General und einer Astronomin. Im Hintergrund sehen wir immer wieder einen Atompilz.

Wir befinden uns in den fünfziger Jahren, als der US-amerikanische Traum intakt war. Das US-Militär führt in der Wüste Tests mit Atombomben durch. Niemand stört sich daran. Die Ufo-Hysterie erreicht ungeahnte Ausmaße. Ein Außerirdischer stört dann auch die Feierlichkeiten zum Asteroidentag. Danach verhängt die Regierung erst einmal eine Quarantäne unbekannter Dauer über Asteroid City.

Wes Anderson beobachtet in seiner neuen Komödie „Asteroid City“ die zufällig in dem Ort in der Wüste (und im Film, im Theaterstück und den Proben für das Stück) zusammengewürfelten, überwiegend weißen Menschen. Gespielt werden sie von Hollywood-Stars, wie Jason Schwartzman, Scarlett Johansson, Tom Hanks, Jeffrey Wright, Tilda Swinton, Bryan Cranston, Edward Norton, Adrien Brody, Liev Schreiber, Steve Carell, Matt Dillon, Willem Dafoe, Margot Robbie, Tony Revolori und Jeff Goldblum als Alien. Die meisten spielten bereits in früheren Wes-Anderson-Filmen mit. Einige von ihnen haben nur kleine bis kleinste, aber prägnante Rollen. Teilweise sind sie in ihren Kostümen nicht zu erkennen.

Nach der Verhängung der Quarantäne warten sie. Sie langweilen sich. Sie reden miteinander über sich, Gott, die Welt und den Alien, der sie besucht hat und der sich mehr für einen Stein als für sie interessierte. Ein Plot will sich daraus nicht entwickeln. Wes Anderson versucht es noch nicht einmal. Er belässt es beim Spiel mit Meta-Ebenen, bei Zitaten, Anspielungen, Witzen und sorgsam inszenierten Beobachtungen. Einige Personen, wie der Kriegsfotograf Augie Steenbeck, ein Witwer und Vater von vier Kindern (die erst in Asteroid City erfahren, dass ihre Mutter seit drei Wochen tot ist und sie in einer Tupperdose begleitet), und die Marilyn-Monroe-blonde Schauspielerin Midge Campbell, sind öfter im Bild. Aber nicht mehr. Auch ihre Szenen bleiben Vignetten, die jeweils für sich allein stehen und die sich vor allem auf die sichtbare Oberfläche konzentrieren.

Das ist dann wie das Ansehen von präzise arrangierten Postkartenbildern. Jede Farbe stimmt. Im Hintergrund gibt es immer noch etwas zu entdecken. Und es ist wunderschön verschachtelt als Film im Theaterstück in den Proben und Arbeiten für das Theaterstück, das immer wieder von den Figuren kommentiert wird.

Intellektuell ist das natürlich ein Spaß. Auch beim zweiten oder dritten Ansehen.

Aber dieses Mal ist der Spaß auch äußerst blutleer. Keine Figur hat ein nennenswertes Eigenleben. Eine Story gibt es auch nicht. Es gibt nur einige Menschen, die einige Tage in Asteroid City festsitzen, warten und danach wieder ihr Leben leben.

Asteroid City“ ist eine Ansammlung von bekannten Wes-Anderson-Momenten, von denen jeder einzelne für sich gelungen und witzig ist. Als Gesamtwerk ist es trotzdem nicht mehr als ein sorgfältig kuratiertes Fotoalbum für seine Fans.

Asteroid City (Asteroid City, USA 2023)

Regie: Wes Anderson

Drehbuch Wes Anderson (basierend auf einer Idee von Wes Anderson und Roman Coppola)

mit Jason Schwartzman, Scarlett Johansson, Tom Hanks, Jeffrey Wright, Tilda Swinton, Bryan Cranston, Edward Norton, Adrien Brody, Liev Schreiber, Hope Davis, Stephen Park, Rupert Friend, Maya Hawke, Steve Carell, Matt Dillon, Hong Chau, Willem Dafoe, Margot Robbie, Tony Revolori, Jake Ryan, Jeff Goldblum, Grace Edwards, Aristou Meehan, Sophia Lillis, Ethan Josh Lee

Länge: 106 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Filmportal über „Asteroid City“ (weil auch deutsche Geld involviert ist)

Moviepilot über „Asteroid City“

Metacritic über „Asteroid City“

Rotten Tomatoes über „Asteroid City“

Wikipedia über „Asteroid City“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Wes Andersons „The Grand Budapest Hotel“ (The Grand Budapest Hotel, USA/Deutschland 2014)

Meine Besprechung von Wes Andersons „Isle of Dogs – Ataris Reise“ (Isle of Dogs, USA 2018)

Meine Besprechung von Wes Andersons „The French Dispatch“ (The French Dispatch, USA/Deutschland 2021)