Ein kurzer Hinweis: Nach einigen wenigen Tagen in wenigen Kinos läuft Guillermo del Toros Interpretation von „Frankenstein“ jetzt auf Netflix – und eigentlich muss man Netflix schon dankbar sein, dass Einige ihn im Kino sehen konnten.
LV: Mary Shelley: Frankenstein, 1818 (Frankenstein oder Der moderne Prometheus)
mit Oscar Isaac, Jacob Elordi, Mia Goth, Felix Kammerer, David Bradley, Lars Mikkelsen, Christian Convery, Charles Dance, Christoph Waltz, Nikolaj Lie Kaas, Ralph Ineson
Es war einmal ein Buch und viele, sehr viele, also wirklich sehr viele Filmversionen, die die Geschichte von Victor Frankenstein und dem von ihm geschaffenem Geschöpf, das früher Monster, heute eher Kreatur genannt wird, allgemein bekannt machten.
Es war einmal ein Regisseur, der diese Geschichte verfilmen wollte. Schon als Kind war er von der Geschichte und James Whales „Frankenstein“ fasziniert. Damals hatte er schon die ersten Ideen für eine Verfilmung. Aber noch keine Kamera. Vor fast zwanzig Jahren gab es die ersten konkreten Ideen und Finanzierungen für einen „Frankenstein“-Film. Die seitdem bekannt gewordenen Pläne für eine Verfilmung waren mal mehr, mal weniger nah an einer Verwirklichung. Die Zeit füllte Guillermo del Toro (Uh, nachträglich alles Gute zum Geburtstag. Der war am 9. Oktober) überaus produktiv mit „Hellboy“ (I und II), „Pans Labyrinth“, „Crimson Peak“, „Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“ und „Nightmare Alley“.
Letztes Jahr war es dann soweit. Mit einem kolportierten Budget von 120 Millionen US-Dollar und einer Starbesetzung – Oscar Isaac und Jacob Elordi übernahmen die Hauptrollen – wurde der Horrorfilm von Februar bis September 2024 unter anderem in Toronto, Aberdeen und Edinburgh gedreht.
Die Premiere war am 30. August 2025 bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig.
Und jetzt kommt seine von Netflix produzierte Neuinterpretation der Frankenstein-Geschichte für einige Tage ins Kino. Im Stream ist der Film ab dem 7. November verfügbar.
Del Toro hält sich an die bekannten Eckpunkte der Geschichte, die wirklich als bekannt vorausgesetzt werden können. Er nimmt viele aus früheren Filmen bekannte Elemente wieder auf, variiert sie teilweise und gewährt der von Frankenstein geschaffenen Kreatur viel Raum. Sie erzählt sogar den zweiten Teil des Films aus ihrer Sicht. Der erste, chronologisch davor spielende Teil, wird von Victor Frankenstein erzählt. Er erzählt, ebenfalls im Voice-Over, ausführlich aus seinem Leben und wie er in seinem Labor, das dieses Mal malerisch an einem einsamen Strand liegt, aus Leichenteilen und Wissenschaft eine Kreatur erschafft.
Nun ist Voice-Over nichts schlechtes. Martin Scorsese ist ein Meister des Voice-Over. Immer wieder zeigt er, wie wirkungsvoll dieses Stilmittel sein kann. Wie sehr eine Erzählerstimme die Geschichte verdichten, vorantreiben und interessanter machen kann.
In „Frankenstein“ ist sie dagegen eher überflüssig. Dass Frankensteins Kreatur redet, ist zwar neu, aber sie fügt dieser Kreatur nichts bei, was nicht schon Boris Karloff in James Whales klassischem Universal-„Frankenstein“-Film von 1931 und der Fortsetzung „Frankensteins Braut“ (1935) zeigte.
Ein weiterers Problem ergibt sich aus der von del Toro gewählten Struktur. In der Nähe des Nordpols gelangen Frankenstein und die Kreatur auf ein Schiff, das zum Nordpol fahren will. Zuerst erzählt Frankenstein dem Kapitän die Geschichte. Er will die Seeleute vor der Kreatur warnen. Danach erzählt die Kreatur die Geschichte weiter. Strukturell kann „Frankenstein“, auch wegen seiner epischen Länge von hundertfünfzig Minuten als aus zwei weitgehend unabhängigen Teilen bestehender TV-Zweiteiler gesehen werden, in dem jeder Teil einen anderen Erzähler hat. Der große Bogen vom Filmanfang zum Filmende ist höchstens rudimentär enthalten, weil Anfang und Ende auf dem Schiff spielen. Die Geschichte von Frankenstein und seiner Kreatur erfolgt dazwischen als eine banale Abfolge von Ereignisse, die frei von tragfähigen Konflikten sind. Entsprechend flach und eindimensional sind die Figuren. Das ist vor allem bei Frankenstein und der Kreatur ein Problem. Bei den anderen Figuren ist das weniger ein Problem, weil sie eh nur schnell aus der Geschichte verschwindende Stichwortgeber sind.
Auch visuell ist „Frankenstein“ enttäuschend. Die großen, prächtigen Kinobilder werden fast alle im Trailer gezeigt. Der Film spielt dann in wenigen geschlossenen Räumen, oft mit nur einer oder zwei Personen im Bild und im Raum. Das sind TV-Bilder.
All das macht del Toros „Frankenstein“, schöne Bilder hin, schöne Dekors her, musikalisch unterlegt von Alexandre Desplat, zu einer ziemlich enttäuschenden und auch überflüssigen Angelegenheit.
Frankenstein(Frankenstein, USA 2025)
Regie: Guillermo del Toro
Drehbuch: Guillermo del Toro
LV: Mary Shelley: Frankenstein, 1818 (Frankenstein oder Der moderne Prometheus)
mit Oscar Isaac, Jacob Elordi, Mia Goth, Felix Kammerer, David Bradley, Lars Mikkelsen, Christian Convery, Charles Dance, Christoph Waltz, Nikolaj Lie Kaas, Ralph Ineson
Maxine Minx hat es geschafft. Naja, irgendwie so halb. Sie lebt inzwischen in Hollywood, hat einen Agenten und dreht Filme. Allerdings nur Pornos und langsam – wir reden hier von 1985 – wird die Dreiunddreißigjährige zu alt für diese Filme. Außerdem möchte sie immer noch ein echter Hollywood-Star werden. Das könnte ihr mit der Hauptrolle in dem Horrorfilm „The Puritan 2“, die sie nach einem erfolgreichen Vorsprechen erhielt, gelingen.
Zur gleichen Zeit sorgt ein Serienmörder in Los Angeles für Angst und Schrecken. Wie sein Spitzname Night Stalker verrät, ist er bevorzug nachts unterwegs. Um diese Zeit ist auch Maxine unterwegs. Im Gegensatz zu anderen Frauen hat sie keine Angst vor dem Night Stalker. Eher müssen die Männer, Night Stalker hin, Night Stalker her, Angst vor ihr haben.
Genrefans kennen Maxine aus Ti Wests „X“. Das war 2022 ein wunderschön unterhaltsamer Retro-Slasher, der gelungen das „Texas Chainsaw Massacre“ mit dem Pornofilm verband. „X“ spielt 1979 auf einer Farm in Texas. Dort wollen einige Jungfilmer einen Porno drehen und so viel Geld verdienen. Sie haben allerdings nicht mit der Hausherrin Pearl gerechnet, die sie der Reihe nach umbringt. Mia Goth spielte Maxine und, auf alt geschminkt, Pearl.
Weil Ti West, Mia Goth und das gesamte Team wegen der Coronavirus-Pandemie vor der Einreise nach Australien, wo der Film gedreht wurde, in Quarantäne waren, erfanden West und Goth für Pearl eine ausführliche Biographie. Das Drehbuch gefiel den Produzenten so gut, dass sie „Pearl“ direkt nach „X“ verfilmen konnten. Sie blieben einfach etwas länger am Drehort. „Pearl“ verbindet die Technicolor-Hollywood-Dramen von Douglas Sirk mit dem „Zauberer von Oz“ und dem Slasherfilm. Die tiefgläubige, etwas junge Pearl möchte 1918 aus dem US-amerikanischen Hinterland-Farmland nach Hollywood und dort berühmt werden. Als es Probleme gibt, zückt sie das Messer und sticht zu. Auch diese KombinationSLASHHommage mehrerer Genres, wieder stilecht in der Optik dieser Genres inszeniert, überzeugte Kritik und Fans.
Mit „MaXXXine“ erzählen West und Goth jetzt, mit einem größeren Budget, die Geschichte von Maxine weiter. Vor dem Dreh hieß es, dieser Film sei das Ende einer Trilogie; wobei die drei Filme keine durchgehende Geschichte erzählen, sondern durch den Regisseur, die Hauptdarstellerin und Ähnlichkeiten in Thema, Stil und Herangehensweise miteinander verbunden sind. Sie sind also, wie die Filme von Eric Rohmer, der mit Frauen ganz andere Filme drehte und sie zu verschiedenen Zyklen zusammenfasste, eher ein Zyklus, der noch nicht abgeschlossen ist. Schon vor dem Kinostart sagte Ti West, dass er bereits an einem weiteren Film mit Maxine arbeite.
Bis dahin haben wir „MaXXXine“, der nahtlos an die beiden vorherigen Filme anknüpft. Wieder geht es um christlichen Fundamentalismus und die damit verbundene Abscheu vor Pornographie, lustvollem, vorehelichem Sex und anderen weltlichen Vergnügen. Wieder spielt Mia Goth die Hauptrolle. Sie ist, wie man damals sagte, ein echter Hingucker. Und wieder kopiert Ti West Filmstile, die während der Handlungszeit des Films populär waren. Das heißt, dass er dieses Mal förmlich im 80er-Jahre-Horrorfilm, dem damaligen Hollywoodkino, vor allem den B-Pictures, und dem Pornofilm badet. West zeigt Los Angeles und Hollywood als einen einzigen Sündenpfuhl voller Sex und Gewalt. Mit der Bibel in der Hand, rechtschaffener Empörung über den Verfall der Sitten und hysterischen Warnungen vor den allgegenwärtigen Gefahren für Jugendliche kämpften die Sittenwächter dagegen an.
„MaXXXine“ ist ein Über-80er-Jahre-Thriller, der damalige Thriller, Horrorfilme, Pornos und Blockbuster kondensiert und, fast wie ein Music-Clip, wieder ausspukt. Entsprechend gut sieht alles aus. Mit einigen bekannten Schauspielern, die offensichtlich ihren Spaß haben, wenn sie ihre Figuren besonders übertrieben spielen, und einer Mia Goth, die wie die von ihr verkörperte Maxine, als der große kommende Star auftritt. Insofern kann „MaXXXine“ auch als Starvehikel gelesen werden, das die Geschichte von Mia Goth erzählt. Goth war vor ihrer Schauspielerkarriere Model.
Außerdem ist „MaXXXine“ eine Liebeserklärung an Hollywood und das Filmemachen. Selten, obwohl es zuletzt „Once upon a time in Hollywood“ und „Babylon – Rausch der Ekstase“ gab, wird in einem Film so ausführlich gezeigt, wie ein Film entsteht, selten wird in einem Film so lange über das Studiogelände durch die Kulissen gefahren und noch seltener, eigentlich nur in den „Psycho“-Filmen und Parodien, wird das „Psycho“-Haus gezeigt. Filmfans können in Ti Wests Film also einiges entdecken.
Trotzdem funktioniert „MaXXXine“ auch gut ohne eine Analyse der Metaebenen als gradliniger Über-80er-Jahre-Thriller. Er lässt uns noch einmal in die Welt eintauchen, die wir, um nur drei bekannte Beispiele zu nennen, aus Filmen wie Brian De Palmas „Blow Out – Der Tod löscht alle Spuren“ und „Der Tod kommt zweimal“ (Body Double) und Abel Ferraras „Fear City“ (der allerdings in New York spielt) kennen. Jeder kann die Liste um weitere damals entstandene blutrünstige, damals und teils heute immer noch schockierende Slasher-, Horrorfilme und Thriller ergänzen. Im Finale, das teilweise auf einem großen Grundstück spielt, das in der Nähe des legendären Hollywood-Schildes liegt, wird dann der finale Schusswechsel aus dem ersten und besten „Beverly Hills Cop“ zitiert.
„MaXXXine“ ist eine verdammt gutaussehende, stilbewusste, ziemlich witzige und blutige Retro-Schlachtplatte.
MaXXXine(MaXXXine, USA 2024)
Regie: Ti West
Drehbuch: Ti West
mit Mia Goth, Elizabeth Debicki, Michelle Monaghan, Kevin Bacon, Halsey, Giancarlo Esposito, Bobby Cannavale, Moses Sumney, Lily Collins, Sophie Thatcher, Simon Prast
Schon vor den Dreharbeiten für „X“ dachten Regisseur Ti West und Schauspielerin Mia Goth über die von Goth gespielte Pearl und ihre Backstory nach. Diese Überlegungen flossen dann – Corona sei Dank! – in ein Drehbuch, das sie direkt nach „X“ verfilmten. Die Location war vorhanden. Das Set, ein einsam gelegenes Farmhaus, musste nur etwas umdekoriert werden. Die Hauptdarstellerin war vor Ort. Etwas Zeit hatten sie auch. Die Finanzierung, immerhin mussten keine Blockbuster-Millionen besorgt werden, ging schnell.
In „X“ bringt, wir erinnern uns, Pearl die Mitglieder einer Filmcrew um. Die wollen 1979 auf ihrem Hof einen pornographischen Film drehen. In dem Film spielt Mia Goth vor allem eine alte Frau. Der Horrorfilm ist deutlich vom Siebziger-Jahre-Horrorfilm, vor allem dem „Blutgericht in Texas“ (inzwischen auch hier bekannter als „The Texas Chainsaw Massacre“), ergänzt um Spitzen gegen die damalige Pornoindustrie und junge, ambitionierte Filmemacher, inspiriert
„Pearl“ spielt dann als Vorgeschichte, die man auch ohne „X“ versteht und die als vollkommen eigentständiger Film glänzend funktioniert, 1918. Die spanische Grippe wütet im Land. Der Krieg ist im ländlichen Texas nur am Mangel an jungen Männern erkennbar. Pearl ist, sechs Jahrzehnte vor den Ereignissen von „X“, ein Teenager mit Träumen von einem anderen Leben. Sie lebt noch bei ihren Eltern auf der Farm, auf der sie ihr Leben verbringen wird. Ihre Mutter ist eine tiefgläubige, deutschstämmige Bäuerin. In der Originalfassung des Films spricht sie deshalb immer wieder einige deutsche Sätze. Mit harter Hand führt sie den Hof. Pearls Vater liegt bewegungslos im Bett oder sitzt ebenso bewegungslos im Rollstuhl.
Pearl hilft auf dem Hof, wartet auf ihren Mann, der noch nicht aus dem Krieg zurück gekehrt ist, und träumt sich in eine Karriere als Hollywood-Girl. Als sie den neuen Filmvorführer, einen Schönling mit Hollywood-Sex-Appeal kennen lernt, zeigt er ihr im Vorführraum eine neue Welt: kurze pornographische angehauchte Filme, die demnächst legal würden. Diese Filme könnten ihr Weg zu Starruhm sein.
Eine andere Möglichkeit ist ein Vortanzen bei einer regionalen Revue-Show. Die Macher suchen neue Tänzerinnen für ihre Tour durch das Land. Pearl, die mit ihrer Schwägerin vortanzen will, hat ihren Tanz vorher heimlich in der Scheune des Hofes geübt. Sowieso funktioniert sie die Scheune immer wieder spontan zu einer Tanzbühne um und integriert die Tiere in ihre Tänze.
Ihr Tanz vor dem stocksteifen Gremium, das in einer Dorfkirche über die Aufnahme der jungen Tänzerinnen in die Revue entscheidet, ist wirklich anders als die Tänze ihrer erfolglosen Mitbewerberinnen. Aber sie ist kein All-American-Girl.
Derweil lebt sie ihre sexuellen Bedürfnisse an einer Vogelscheuche aus und versucht ihrem Vater eine Reaktion zu entlocken. Mal indem sie ihn verführt, mal indem sie versucht, ihn zu ermorden.
Und, das ist jetzt für alle, die entweder „X“ oder den Trailer gesehen haben, keine Überraschung, sie begeht einige ziemlich blutige Morde. Vor allem wenn jemand ihre Talente nicht genügend würdigt oder ihr etwas verbieten will.
Bis Pearl ihren ersten Mord begeht viel Filmzeit, in der Regisseur Ti West und „Pearl“-Darstellerin Mia Goth tief in Pearls Psyche einsteigen und ihr Handeln nachvollziehbar machen.
So entsteht ein bedrückendes, sehr schwarzhumoriges Porträt von religiösem Wahn, Einsamkeit, gesellschaftlicher Rückständigkeit, unterdrückten sexuellen Gelüsten und Gewalt in all ihrn Schattierungen. Stilistisch orientiert Ti West sich mit wundervollen Technicolor-Farben am „Der Zauberer von Oz“ und einem Fünfziger-Jahre-Hollywood-Melodrama. Diese Bilder täuschen im ersten Moment über den Inhalt hinweg. Douglas Sirk war in ein Meister darin.
Ti Wests grandioser American-Gothic-Horrorfilm endet mit einer minutenlangen Einstellung auf Pearl, die verstörender, grauenerregender und gruseliger als all ihre vorherigen Untaten ist.
Die Gemengelage zwischen American Gothic in seiner düstersten, sexuell aufgeladenen Variante, unterdrückten, dennoch deutlich sichtbaren sexuellen Bedürfnissen und auch etwas blutiger Gewalt erklärt dann die FSK-18-Freigabe. Denn so blutig wie andere FSK-18-Horrorfilme ist „Pearl“ nicht. Eigentlich ist er für einen FSK-18-Film, der mit blutigen Morden wirbt, sogar äußerst unblutig.
Pearl(Pearl, USA 2023)
Regie: Ti West
Drehbuch: Ti West, Mia Goth
mit Mia Goth, David Corenswet, Tandi Wright, Matthew Sunderland, Emma Jenkins-Purro, Alistair Sewell
Schnell, kurz und reichlich spät komme ich meiner Chronistenpflicht nach. Denn die letzten Tage war ich mit einem Projektantrag beschäftigt. Doch das ist eine andere Geschichte, zu der ich vielleicht irgendwann mehr schreiben werde.
Jetzt schreibe ich etwas über die neuen Filme von Christian Petzold, Sam Mendes und Brandon Cronenberg, die bei allen Unterschieden eine Gemeinsamkeit haben: sie gefielen mir nicht so gut wie erwartet.
Beginnen wir mit Sam Mendes‘ „Empire of Light“ und seiner Liebeserklärung an seine Mutter, das Kino und seine Jugend; – wobei es sich hier um kein Biopic, sondern ein ein ‚inspiriert von‘ und damit eigentlich nur um eine in der Vergangenheit spielende Geschichte handelt.
Die Filmgeschichte spielt in den frühen Achtzigern in einem an der Südküste von England liegendem Küstenort. Dort steht das Empire Kino, ein Kinopalast, der schon vor Ewigkeiten erbaut und seitdem kaum verändert wurde. Er hat seine besten Zeiten schon lange hinter sich. Überall ist die wohlige Patina besserer Zeiten. Nur noch zwei Säle werden bespielt. Das Dachrestaurant mit Seeblick ist eine verstaubte Ruine. Dort trifft sich Hilary Small (Olivia Colman), die schon etwas ältere Managerin des Empire, die psychische Probleme hat, mit Stephen (Micheal Ward). Der junge Schwarze ist der jüngste Angestellten des Kinos.
Mendes entfaltet die Beziehung zwischen den beiden und zwischen dem Kinopersonal nur langsam und in Andeutungen. Das ist von Roger Deakins edel gefilmt. Die Sets und die Ausstattung sind überaus stimmig. Trent Reznor und Atticus Ross schrieben die atmosphärische Musik. Stars des britischen Kinos, wie Colin Firth und Toby Jones, spielen mit. Und sie sind gewohnt gut. Kleine Details und Gesten sind in diesem langsam erzähltem Drama, das sich genau so entwickelt, wie man es erwartet, wichtig.
Die Probleme des Films liegen in seinem langsamen Erzähltempo und dass viele Themen, wozu auch die Konflikte und gesellschaftlichen Spaltungen während der Thatcher-Regierung, zwar angesprochen, aber nicht vertieft werden.
„Empire of Light“ ist mehr das langsame Blättern in einem edel gestaltetem Fotoalbum als ein packender Kinofilm. Alles ist einfach zu leblos.
In „Roter Himmel“ erzählt Christian Petzold von vier jungen Menschen, die einige Tage in einem abgelegen gelegenem Ferienhaus an der Ostsee verbringen und sich kennen und lieben lernen. Es sind ein Schriftsteller, der an seinem zweiten Roman schreibt, aber lieber prokrastiniert, sein Freund, ein Kunststudent, der eigentlich für seine Bewerbung bei der Universität der Künste etwas machen sollte, aber vor lauter anderen ‚Projekten‘ nicht zum prokrastinieren kommt, eine junge Frau, die im Sommer als Eisverkäuferin arbeitet und ihr Freund, ein Rettungsschwimmer, der total wahre Geschichten aus seinem Leben erzählt und nicht länger als bis zum Ende des Sommers ihr Freund ist.
Das ist, wie immer bei Petzold, gut inszeniert, gut gespielt und voller Anspielungen. Aber ich konnte mit „Roter Himmel“ nichts anfangen. Dafür blieben mir die Figuren durchgehend zu fremd. So fand ich die Freundschaft zwischen dem Schriftsteller und seinem fotografierenden Schulfreund unglaubwürdig. Dass die vier jungen Menschen am Filmanfang, eine Nacht und einen Tag in dem kleinen Ferienhaus verbringen, ohne sich zu begegnen oder sich zu begrüßen, fand ich genauso unglaubwürdig. Als würde nicht die Anwesenheit von zwei neuen Mitbewohnern neugierig machen, wird sich stattdessen in getrennten Betten vergnügt. In der zweiten Hälfte gibt es dann eine Enthüllung über die Eisverkäuferin, die nur deshalb überrascht, weil der Schriftsteller, obwohl er in sie verliebt ist, sich bis dahin nicht für ihr Leben abseits der Tage in dem Ferienhaus interessierte. Dass er ein ziemlich Stinkstiefel ist, der seine schlechte Laune kultiviert und trotzig, vollständig angekleidet, in die Ostsee starrt, anstatt ins Wasser zu springen, gefällt dann schon wieder in Petzolds Sommerkomödie.
Auf der Berlinale gab es dafür Kritkerlob und den Silbernen Bären.
Roter Himmel(Deutschland 2023)
Regie: Christian Petzold
Drehbuch: Christian Petzold
mit Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel, Enno Trebs, Matthias Brandt
Vollkommen ratlos lässt einen Brandon Cronenbergs neuer Horrorfilm „Infinity Pool“ zurück. Protagonist ist James Foster. Der Schriftsteller schiebt seit Ewigkeiten die Arbeit an seinen zweiten Roman vor sich her. Jetzt verbringt er mit seiner Frau einige Tage in einem noblen Ferienresort, in dem, unter tropischer Hitze vor sich hin dösend, die Tage zwischen Hotelbar, Hotelpool und Hotelstrand verbracht werden. Der Kontakt zu den Einheimischen beschränkt sich auf folkloristische Darbietungen im Hotelrestaurant zum Abendessen.
Als James und seine Frau mit einem Paar, das sie im Hotel kennen lernten, die hoch gesicherte Ferienanlage für einen Ausflug zu einer verschwiegenenen Bucht verlassen, nimmt ihr Leben eine dramatische Wende. Denn auf der Rückfahrt überfährt James betrunken einen Einheimischen. Ihr Plan, die Leiche verschwinden zu lassen geht schief und sie werden verhaftet. Der ermittelnde Polizist erklärt James, dass hier das Prinzip der Blutrache gelte. Aber es gäbe einen Ausweg.
In diesem Moment nimmt „Infinity Pool“ eine Wende ins fantastische und ein vollkommen wirrer Trip beginnt.
Brandon Cronenberg (Ja, der Sohn von David Cronenberg und wie sein Vater macht er Body Horror) spricht alles an, was einem zu „westliche Urlauber in Dritte-Welt-Ländern“ einfällt, garniert es mit Sex und Gewalt, und führt keinen Gedanken konsequent zu Ende. Dafür darf sich dann jeder sein persönliches Interpretationsgoldstück herausholen. So ist der Film eine Anklage gegen den Tourismus. Es geht um unser Verhältnis zu den Einheimischen, die vor den Touristen folkloristisch tanzen dürfen als müssten sie einen Film aus den Fünfzigern über den archaischen wilden Mann wieder auferstehen lassen. Es geht um Klon-Experimente, geheime Gesellschaften, das Verhältnis von Erster zu Dritter Welt, oder, weil es mehr der Attitüde der im Ferienresort urlaubenden Gästen entspricht, von Herrenmenschen zu dem Aberglauben zugeneigten Ureinwohnern.
Das hat durchaus seine Momente. Insgesamt ist der sich stilistisch am 70er-Jahrer-Horrrorfilm orientierende „Infinity Pool“ nach seinem vorherigen Film „„Posessor“ nur eine riesengroße, langweilige, konfuse, bestenfalls pseudo-provokante Enttäuschung mit einem unbefriedigendem Ende.
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Hm, das war jetzt doch nicht so kurz.
Infinity Pool (Infinity Pool, USA 2023)
Regie: Brandon Cronenberg
Drehbuch: Brandon Cronenberg
mit Alexander Skarsgård, Mia Goth, Cleopatra Coleman, Jalil Lespert, Thomas Kretschmann, Jeffrey Ricketts, John Ralston, Amanda Brugel, Caroline Boulton, Zijad Gracic, Ádám Boncz
Sie sind nicht die ersten, die auf die Idee gekommen sind. Schließlich begann in den USA die Porno-Hysterie 1972 mit dem Film „Deep Throat“. Der Porno hatte so etwas wie eine Handlung. Vor den Kinos, in denen er gezeigt wurde, bildeten sich lange Schlangen. Bekannte Persönlichkeiten sahen sich das Werk an und sprachen danach darüber.
1979 war diese Hysterie vorbei. Aber sicher konnte man mit einem Porno noch etwas Geld machen. Vor allem wenn der Film ohne ein Budget auf einer abgelegenen Farm in Texas gedreht wird. Das ist jedenfalls die geniale Idee von Barbesitzer Wayne Gilroy, der hier seinen ersten Film produzieren will.
Das einzige was Wayne benötigt, um seine Idee umzusetzen, sind einige junge, knackige Schauspieler und ein ebenso junger, ambitionierter Regisseur, der den Film als sein Ticket nach Hollywood sieht. Dafür darf er gleichzeitig als Kameramann und Toningenieur arbeiten.
Schnell findet Wayne diese Menschen und den richtigen Drehort. Die Regie übernimmt RJ Nichols. Er ist ein Filmstudent, der natürlich einen künstlerisch wertvollen pornographischen Film drehen möchte. Sein Vorbild ist Jean-Luc Godard. Das mutet etwas seltsam an, weil Godards wichtigste Filme in den Sechzigern entstanden. 1979 hatte er schon seit über zehn Jahren keine Filme fürs Kino mehr gedreht. Stattdessen experimentierte er, abseits der internationalen Öffentlichkeit, mit der damals neuen Videotechnik. Aber in Texas gehen die Uhren halt langsamer.
Die weiblichen Rollen in dem geplanten Epos „The Farmer’s Daughter“ werden von den Stripperinnen Maxine Minx und Bobby-Lynne Parker, die männliche Rolle von dem Vietnamveteran Jackson Hole übernommen. Dass er ein Schwarzer ist, der, wie es dem Klischee entspricht, offensiv seine sexuelle Potenz präsentiert, stört hier niemand. Es ist ja auch ein Teil des geplanten Films.
Fünfte im Bund ist Lorraine Day, die Freundin von RJ. Sie soll ihm bei der Arbeit helfen.
Diese Gruppe will innerhalb weniger Stunden im Gästehaus einer abgelegenen Farm ihr künftiges Meisterwerk drehen. Dass ihr Vermieter Howard etwas seltsam ist und an Gedächtnisproblemen leidet, stört sie nicht. Letzendlich sollen er und seine Frau Pearl, die sie aus einem Fenster im ersten Stock des Farmhauses beobachtet, sie nur in Ruhe ihren Film drehen lassen.
Dass der Dreh sich für die fünf Städter zu einem Horrortrip entwickeln wird, wissen Filmfans in dem Moment schon lange. Denn Ti West spart in seinem neuen Film „X“ (was das angestrebte Rating von Waynes Films ist) nicht mit Anspielungen auf Tobe Hoopers Horrorfilmklassiker „The Texas Chainsaw Massacre“ von 1974.
Für den Genrefan entwickelt sich so schnell ein ziemlich intelligentes und beim Erraten der Vorbilder amüsantes Spiel zwischen verschiedenen Metaebenen, Vorbildern aus dem pornographischen (weniger) und dem Horrorfilm (mehr) und „X“. Das gilt auch für die Reihenfolge der Morde und die Art ihres Ablebens.
Bis zum ersten Mord vergeht allerdings über eine Stunde. Auch danach, immerhin gibt es auf der Farm nur eine überschaubare Zahl an potentiellen Opfern, lässt Ti West sich Zeit. Für den Gore-Fan sind die in der Nacht stattfindenden Morde ziemlich enttäusend. Sie geschehen schnell und es ist immer so dunkel, dass sie mehr erahnt als gesehen werden.
Auch ist die Horrorstimmung niemals auch nur im Ansatz so beängstigend wie in „The Texas Chainsaw Massacre“.
So ist „X“ für den Fan des Siebziger-Jahre-Horrorfilms ein schönes, liebevoll ausgestattetes, stilbewusstes Erinnerungsstück, das auch etliche Anspielungen auf den pornographischen Film enthält.
X (X, USA 2022)
Regie: Ti West
Drehbuch: Ti West
mit Mia Goth, Jenna Ortega, Brittany Snow, Scott Mescudi, Martin Henderson, Owen Campbell, Stephen Ure, James Gaylyn, Matthew Saville
Als Dario Argentos „Suspiria“ 1977 in die deutschen Kinos kam, war er bereits um einige Minuten gekürzt und „frei ab 18 Jahre“. Das, die Bilder und das, was man in den folgenden Jahren über den mehr oder weniger verbotenen Film hörte, steigerten natürlich die Neugierde. Seitdem avancierte der Gothic-Horrorfilm zu einem Kultfilm und Klassiker des Horrorfilms. Er ist einer von Argentos besten Filmen. Das düstere, aber farbenprächtige Schauermärchen ist ein Trip, der 1977 in Freiburg im Breisgau spielt. Eine junge US-Amerikanerin will dort an einer Ballettschule studieren und gerät in einen Strudel mysteriöser Ereignisse.
Und es ist ein Film, bei dem ein Remake prinzipiell zum Scheitern verurteilt ist. Zu deutlich ist Argentos Stil, bei dem die Bilder eindeutig wichtiger als eine konventionelle Filmgeschichte sind. Zu überflüssig wäre ein konventionelles Remake, in dem eine konventionelle Horrorgeschichte konventionell erzählt wird. Und wenn man sich zu sehr an das Original hält, wäre man schnell bei einer Pastiche oder einer Parodie.
Trotzdem hat Luca Guadagnino sich jetzt daran gewagt. Dabei ist es eine alte Idee von ihm. Seit über 25 Jahren sprach er mit Freunden über ein Remake und entwickelte Ideen dazu. Gleichzeitig wurde Guadagnino in den letzten Jahren mit Filmen wie „I am Love – Ich bin die Liebe“, „A bigger splash“ und „Call me by your Name“ zum geachteten Arthouse-Regisseur. Bei ihm war daher ein neuer Ansatz zu erwarten und er nennt seine Version von „Suspiria“ auch nicht Remake, sondern eine persönliche Hommage und eine Cover-Version; – wobei sich bei Cover-Versionen die gleichen Fragen und Probleme wie bei einem Remake stellen.
Auch in Guadagninos Version spielt der Film in Deutschland im Herbst 1977 und er folgt Argentos Geschichte. Auch dieses Mal will eine junge Amerikanerin (Dakota Johnson) in einer renommierten Tanzschule studieren. Die Schule ist die Fassade für etwas ganz anderes. Die Tanzschule steht allerdings nicht in Freiburg, sondern im geteilten Berlin, in Sichtweite der Mauer. Im Radio und Fernsehern laufen die neuesten Meldungen über die terroristischen Anschläge. Die Farben scheinen nur aus verschieden ausgebleichten Braun- und Grautönen zu bestehen. Es ist eine bedrückende, kränklich machende Optik, die an die Optik damaliger Filme erinnert. Vor allem wenn man eine alte, schon tausendmal abgespielte Kopie eiens Farbfilms sieht. Die BRD war schon recht farblos. Die Tanzschule ist ein Ort ohne Männer und alle Frauen sind ‚Fräuleins‘, gespielt von Renée Soutendijk, Angela Winkler und Ingrid Caven, der alten Fassbinder-Schauspielerin. Und Rainer Werner Fassbinder ist auch ein unübersehbarer Einfluss auf den Film.
So entsteht ein Bild von Deutschland als mythischem Reich des Todes, in dem Hexen eine Tanzschule leiten und enthemmte Tänze dämonische Ereignisse heraufbeschwören können.
In seiner hundertünfzigminütigen Version von Argentos hundertminütigem Film entkernt Guadagnino die eh schon kryptische Geschichte noch weiter, bis nur noch eine Abfolge von Sinneseindrücken übrigbleibt. Einige Szenen bieten dabei Ansätze für Interpretationen. Aber letztendlich interessiert Guadagnino sich nicht dafür. Viel lieber lässt er die jungen Frauen unter der Anleitung von Madame Blanc (Tilda Swinton) tanzen, als gelte es eine Feelbad-Version von „Black Swan“ zu inszenieren.
So ist Guadagninos „Suspiria“ durchaus eine eigenständige Interpretation von Argentos Film. Es werden auch viele Themen andeutet, an denen Argento kein Interesse hat. Guadagnino zeichnet ein beklemmendes Bild von Deutschland im Jahr 1977. Aus dem Handlungsort Berlin macht er allerdings erstaunlich wenig. Einerseits weil fast der gesamte Film in der von der Außenwelt hermetisch abgeschlossenen Tanzschule spielt, andererseits weil die auf der Hand liegenden Berlin-Themen nur im Hintergrund, wie die Fernsehnachrichten, wabern, ohne irgendeinen Einfluss auf die Geschichte der Hexen und ihrer Rituale zu haben. Das gleiche gilt für einen in den Zweiten Weltkrieg zurückreichenden Subplot und für die Ermittlungen von Dr. Josef Klemperer. Immerhin zeigt dieser Plot um den alten Psychotherapeuten die schauspielerische Bandbreite von Tilda Swinton. Inzwischen ist die Identität des Klemperer-Schauspielers Lutz Ebersdorf, für den Macher sogar eine Biographie erfanden, enthüllt. Er ist Swinton.
Stilistisch ist das als in sich hermetisch abgeschlossene, beklemmend-klaustrophobische Feelbad-Vision beeindruckend.Aber es ist auch l’Art pour l’Art, bei der man alle Charaktere und ihre Bewegungen durch die Ballettschule gelangweilt betrachtet und sich fragt, ob dieses Remake wirklich nötig ist und ob es wirklich so lang sein muss..
„Radiohead“-Musiker Thom Yorke schrieb die Musik.
P. S.: Arte zeigt am Mittwoch, den 28. November, Dario Argentos in Deutschland von Juni 1983 bis Mai 2014 indizierten Horrorfilm „Suspiria“ ungekürzt um 22.40 Uhr.
Suspiria (Suspiria, Italien/USA 2018)
Regie: Luca Guadagnino
Drehbuch: David Kajganich (nach dem Drehbuch von Dario Argento und Daria Nicolodi)
mit Dakota Johnson, Tilda Swinton, Mia Goth, Lutz Ebersdorf, Chloe Grace Moretz, Angela Winkler, Ingrid Caven, Jessica Harper, Elena Fokina, Renée Soutendijk, Alek Wek, Sylvie Testud, Christine Leboutte, Fabrizia Sacchi
Normalerweise würde man „A Cure for Wellness“ als Spaßprojekt bezeichnen. Es ist ein kleiner Film, den der Regisseur macht, um sich von seinen anderen, deutlich höher budgetierten Filmen eine Auszeit zu gönnen. Allerdings ist Gore Verbinski vor allem für die „Pirates of the Carribean“-Filme bekannt und auch sein letzter Film „The Lone Ranger“ schrieben „Spaß“ groß, „Story“ und „Tiefgang“ dagegen klein. „A Cure for Wellness“, gedreht mit dem Budget, das bei den Piratenfilmen für die Garderobe eines Schauspielers verwandt wird, ist wirklich keine Komödie (obwohl, wenn man den Film mit den richtigen Leuten sieht, er sicher eine lustige Angelegenheit wird). Viel „Tiefgang“ und „Story“ hat er auch nicht und mit gut 150 Minuten ist er auch deutlich zu lang geraten. Gekürzt um ein Drittel auf 100 Minuten könnte es ein netter kleiner Horrorfilm sein, in dem der Wall-Street-Broker Lockhart (Dane DeHaan) von seinen Vorgesetzten in die Schweiz geschickt wird. Dort soll er in einem einsam gelegenem Kurhotel den Vorstandsvorsitzenden Pembroke überzeugen, sofort in die USA zurückzukehren. Durch einen Autounfall wird Lockhart unfreiwillig zu einem Gast des Hotels, das von Dr. Heinrich Volmer (Jason Isaacs) geführt wird und der seine sehr wohlhabenden, älteren Gäste, vor, während und nach den Therapien immer mit reichlich Wasser, das heilende Wirkungen haben soll, versorgt. Denn: Trinken ist wichtig.
Schnell bemerkt Lockhart, dass in dem Spa irgendetwas nicht stimmt und langsam, weil Verbinski seinen Film sehr langsam erzählt, entdeckt er einige Merkwürdigkeiten, die ein Best-of-Horrorfilm sind. Inclusive einer Jungfrau, die seit ihrer Jugend in der Wellness-Oase lebt, eine mysteriöse Vergangenheit hat, und in die sich unser Held verliebt. Anscheinend wurde bei den Drehbuchbesprechungen nach der Methode vorgegangen „wenn ein Schloss in den Alpen dabei ist, gehört es in den Film“. So können Horrorfilmfans in jeder Szene mühelos Anspielungen auf zahllose Horrorfilmklassiker entdecken.
Trotz einiger Horrorszenen, die etwas mit dem Wasser zu tun haben, will „A Cure for Wellness“ nie mehr als ein sanfter Grusler sein, der ohne große Veränderungen auch um die Jahrhundertwende oder, einige Jahre früher, im neunzehnten Jahrhundert spielen könnte. Denn ob Lockhart mit einem Auto oder einer Kutsche in das Schloss fährt, ist einerlei. Ebenso ob er auf einem Fahrrad oder einer Kutsche mehr oder weniger erfolglos aus dem Schloss flüchtet.
Filmfans mit einem breiteren Spektrum können dann noch „Der Zauberberg“ (wegen des Handlungsortes) und „Das Apartment“ (wegen der in Manhattan spielenden Büroszenen am Filmanfang) erwähnen, während die Filmgeschichte in jeder Beziehung zunehmend zerfasert. Spätestens ab der Mitte rangiert sie dann ungefähr auf dem chaotisch-sinnfreiem Niveau von „The Lone Ranger“. Allerdings todernst, bedeutungsschwer, getragen und langsam. Sehr langsam.
Anfangs entfaltet sich so – auch wenn man als Zuschauer, während unser Held Lockhart nach der langen Zug- und Autofahrt noch mit der Empfangsdame des Spas über die Besuchszeiten diskutiert, schon die nächsten fünf Plotpunkte kennt – eine hypnotische Stimmung und eine leichte Verschiebung der Realität ins Irreale. Später fragt man sich, was dieser Wust disparater Ideen einem sagen soll.
Dabei ist „A Cure for Wellness“ schön gefilmt in seiner besinnungslosen, todernsten Zitathaftigkeit. Die Drehorte in Deutschland (viel wurde in der Burg Hohenzollern, den Beelitz Heilstätten und, selbstverständlich, den Babelsberg Studios gedreht) sind fotogen und voller naturgegebener Fin-de-Siècle-Atmosphäre. Da muss dann nur noch eine (!) (nicht zwei, drei oder viele) Geschichte erzählt werden.
A Cure for Wellness (A Cure for Wellness, USA/Deutschland 2016)
Regie: Gore Verbinski
Drehbuch: Justin Haythe (nach einer Geschichte von Justin Haythe und Gore Verbinski)
mit Dane DeHaan, Jason Isaacs, Mia Goth, Celia Imrie, Harry Groener, Adrian Schiller, Michael Mendl