Neu im Kino/Filmkritik: Über Alex Garland und Ray Mendozas Kriegsfilm „Warfare“

April 17, 2025

Für das Navy-SEAL-Team war der Einsatz am 19. November 2006 im Irak in Ramadi nur ein Routineeinsatz. Sie sollten in der Nacht in der Stadt ein Haus finden und von dort das Gelände beobachten.

Alex Garland und Ray Mendoza, einer der Soldaten, der bei dem Einsatz dabei war, schildern diesen Einsatz von den Sekunden bevor die Einheit das von ahnungslosen Irakern bewohnte Wohnhaus, das ihr Stützpunkt werden soll, besetzen und dem Moment, in dem die Soldaten das zerstörte Haus verlassen.

Der schief laufende Einsatz – die Einheit wird von Einheimischen entdeckt, angegriffen und belagert und muss Hilfe anfordern – wird von Garland und Mendoza chronologisch und minutiös geschildert. Dabei bleiben sie, bis auf einige Drohnen-Aufnahmen von dem Gebiet, immer in dem Wohnhaus und den wenigen Metern zwischen Haus und Straße.

Der aus dieser Begrenzung auf ein Ereignis, einen kurzen Zeitraum und einen Ort entstandene Kriegsfilm „Warfare“ überzeugt vor allem als formale und technische Übung. Und als Actionfilm.

Garland führt in „Warfare“ die Entkernung einer durchaus politischen Geschichte von ihren politischen Implikationen und Einrahmungen, die schon bei seinem vorherigen Film „Civil War“ hochproblematisch war, weiter fort. In „Civil War“ erzählte er von einem Krieg, in dem US-Amerikaner gegen US-Amerikaner kämpfen. Warum sie gegeneinander kämpfen, was die einzelnen Gruppen erreichen wollen und wie es zu dem Bürgerkrieg kam, ist egal. Es geht nur um eine Gruppe A die gegen eine Gruppe B kämpft. In „Warfare“ geht es nur noch um einen kleinen Einsatz. Über das Ziel des Einsatzes werden wir am Filmanfang in wenigen Worten informiert: die Navy SEALs sollen einen Spähposten errichten. Welche Bedeutung er innerhalb des Krieges hat, erfahren wir nicht. Über den Irak-Krieg erfahren wir in dem Film noch weniger. Ohne den Ortshinweis am Filmanfang wüssten wir noch nicht einmal, wo der Film spielt. Und wenn Alex Garland Ray Mendoza nicht am Set von „Civil War“ kennen gelernt und dieser nicht von diesem Einsatz erzählt hätte, hätte der Film genausogut an irgendeinem anderen Ort in irgendeinem anderen Krieg spielen können. Denn „Warfare“ interessiert sich nicht für den Kontext, in dem das Gefecht stattfand. Es ist auch kein Gefecht, das für den damaligen Krieg und die Planung künftiger Einsätze eine Bedeutung hatte.

Über die Soldaten, die um ihr Überleben kämpfen und sterben, erfahren wir nichts. Entsprechend egal ist uns ihr Leid und ihr Tod. Schließlich haben sie sich freiwillig verpflichtet. Anders ist das bei den Hausbewohnern und den beiden irakischen Übersetzern, die zum SEAL-Team gehören. Sie bleiben allerdings Randfiguren. Kanonenfutter, an das die US-Soldaten und der Film keine Gedanken verschwenden.

Warfare“ ist genau der Actionfilm, den Garland und Mendoza machen wollten. Und damit eine gerade wegen seiner Beschränkung auf einen in jeder Beziehung unwichtigen Einsatz todlangweilige technische Übung im luftleeren Raum ohne irgendeinen Erkenntnisgewinn.

Am Ende dieses verfilmten Einsatzberichts bleibt nur die Bestätigung der schon vorher vorhandenen Meinung. Kriegsgegner sehen sich in ihrer Meinung bestätigt, dass Krieg schlimm und sinnlos ist. Soldaten sehen die Dokumentation eines Einsatzes, der ihre Tapferkeit im Kampf gegen einen unsichtbaren, überlegenen, sie aus dem Hinterhalt angreifenden Feind feiert. Andere Romane und Filme über den Krieg, wie Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ (1929) oder Stanley Kubricks „Full Metal Jacket“ (1987), um nur zwei Klassiker zu nennen, waren da vor Jahrzehnten schon weiter.

Warfare (Warfare, USA/Großbritannien 2025)

Regie: Alex Garland, Ray Mendoza

Drehbuch: Alex Garland, Ray Mendoza

mit D’Pharaoh Woon-A-Tai, Charles Melton, Joseph Quinn, Cosmo Jarvis, Will Poulter, Evan Holtzman, Finn Bennett, Noah Centineo, Henrique Zaga, Taylor John Smith, Kit Connor, Michael Gandolfini, Adain Bradley

Länge: 95 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Warfare“

Metacritic über „Warfare“

Rotten Tomatoes über „Warfare“

Wikipedia über „Warfare“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Alex Garlands „Ex Machina“ (Ex Machina, USA/Großbritannien 2014)

Meine Besprechung von Alex Garlands Jeff-VanderMeer-Verfilmung „Auslöschung“ (Annihilation, USA 2018)

Meine Besprechung von Alex Garlands „Men – Was dich sucht, wird dich finden“ (Men, Großbritannien 2022)

Meine Besprechung von Alex Garlands „Civil War“ (Civil War, USA 2024)


Neu im Kino/Filmkritik: „Bob Marley: One Love“ für Jamaika und den Rest der Welt

Februar 15, 2024

Bob Marley: One Love“ gehört zu den Biopics, die nicht das gesamte Leben eines Menschen von der Wiege bis zur Bahre schildern, sondern die sich auf einen kurzen entscheidenden Abschnitt im Leben des Porträtierten konzentrieren. „Selma“ war so ein Biopic.

Reinaldo Marcus Green, der zuletzt das Biopic „King Richard“ (über Richard Williams und seine Töchter Venus und Serena Williams) inszenierte, beginnt sein Bob-Marley-Biopic Ende 1976. Jamaika versinkt im nachkolonialen Bürgerkriegschaos. Bob Marley, schon damals ein Star, möchte mit einem Friedenskonzert zur Versöhnung aufrufen. Politisch ist das selbstverständlich unglaublich naiv. Aber Bob Marley ist ein Künstler und ein gläubiger Rastafari. Am 3. Dezember 1976, zwei Tage vor dem Smile Jamaica Concert, wird in seinem Haus in Kingston ein Anschlag auf ihn verübt. Neben ihm werden seine Frau Rita, sein Manager Don Taylor und der Band-Assistent Louis Griffiths teils schwer verletzt. Wie durch ein Wunder überleben alle.

Nach dem Konzert verlässt Bob Marley die Insel. Der Druck ist zu groß. Seine Frau Rita und seine Kinder schickt er in die USA zu Verwandten (und ziemlich vollständig aus der Filmgeschichte). Er selbst fliegt mit seiner Band, den Wailers, nach London. Dort nimmt er seine nächste Platte auf. „Exodus“ wird am 3. Juni 1977 veröffentlicht und ein riesiger Erfolg. Bob Marley wird noch populärer.

Er tourt durch die Welt. Sein Wunsch, auch in Afrika zu spielen, verwirklicht sich in dem Moment noch nicht.

Am 22. April 1978 kehrt er zu einem weiteren Friedenskonzert, dem One Love Peace Concert, nach Jamaika zurück.

Diese beiden Konzerte bilden in Greens Film die erzählerische Klammer.

Dazwischen gibt es viele Episoden und Musik, aber es wird nie klar, was Green an genau diesem Teil aus Bob Marleys Leben interessiert. Alle damit zusammenhängenden potentiell interessanten Fragen werden vermieden. Es gibt auch keine Perspektive auf Marleys Leben, die das präsentierte Material irgendwie ordnen würde. Entsprechend ziellos plätschert das Biopic zwischen Episoden aus Marleys Familienleben, Proben und Abhängen mit seiner Band, Auftritten und Gesprächen mit Vertrauten und zusammenhanglos eingestreuten Rückblenden vor sich hin.

Dabei hätten diese anderthalb Jahre das Potential gehabt, eine interessante Geschichte zu erzählen. Green hätte erzählen können, wie es ist, wenn man aus seiner Heimat flüchten muss und wieder zurückkehren und Frieden stiften möchte. Oder wie es ist, wenn man plötzlich von einem weltweit bekannten Star, der schon damals in Jamaika gottgleich verehrt wurde, zu einem Superstar wird und man so zu einer einflussreichen Stimme wird. Oder wenn man von Freunden ausgenutzt und Vertrauen missbraucht wird. Oder wie ein Künstler, der in London auf Punk-Musiker trifft, sich mit seinem neuen Werk neu erfinden möchte. Oder über seine Beziehung zu seiner Frau. Das alles wird in „Bob Marley: One Love“ kurz angesprochen, aber nie konsequent vertieft.

Stattdessen rückt mit zunehmender Filmzeit die Rastafari-Religion immer mehr in den Mittelpunkt. Allerdings auf einem so plakativen und nervigem Niveau, das wir sonst nur aus unerträglichen christlichen Faith-based-Movies kennen.

Am Ende ist „Bob Marley: One Love“ nur, mit einigen Auslassungen, die Verfilmung einiger Zeilen aus dem Wikipedia-Artikel über Bob Marley. Garniert wird die Bilderbuch-Zusammenstellung nicht zusammenhängender Ereignisse mit vielen Bob-Marley-Songs, die im Film von Bob Marley gesungen werden.

Bob Marley: One Love (Bob Marley: One Love, USA 2024)

Regie: Reinaldo Marcus Green

Drehbuch: Terence Winter, Frank E. Flowers, Zach Baylin, Reinaldo Marcus Green (nach einer Geschichte von Terence Winter und Frank E. Flowers)

mit Kingsley Ben-Adir, Lashana Lynch, James Norton, Tosin Cole, Umi Myers, Anthony Welsh, Nia Ashi, Aston Barrett Jr., Anna-Sharé Blake, Gawaine „J-Summa” Campbell, Naomi Cowan, Alexx A-Game, Michael Gandolfini, Quan-Dajai Henriques, Hector Roots Lewis, Abijah „Naki Wailer” Livingston, Nadine Marshall, Sheldon Shepherd, Andrae Simpson, Stefan A.D Wade

Länge: 108 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Bob Marley: One Love“

Metacritic über „Bob Marley: One Love“

Rotten Tomatoes über „Bob Marley: One Love“

Wikipedia über „Bob Marley: One Love“ (deutsch, englisch) und Bob Marley (deutsch, englisch)

AllMusic über Bob Marley

Meine Besprechung von Reinaldo Marcus Greens „King Richard“ (King Richard, USA 2021)

Bonushinweise

Am Freitag, den 16. Februar, zeigt Arte um 21.45 Uhr die Doku „Marley“ (USA/Großbritannien 2012) und danach um 00.05 Uhr „Bob Marley: Uprising Live!“ (Deutschland 1980). Das Konzert wurde am 13. Juni 1980 in der Dortmunder Westfalenhalle für den „Rockpalast“ aufgenommen.

Wahrscheinlich die bessere Wahl, die auch danach einige Tage in der Mediathek (Folge den Links) verfügbar ist.

Bob Marley live 1977 in London im Rainbow Theatre.

Bob Marley live 1980 in der Dortmunder Westfalenhalle

https://www.youtube.com/watch?v=O3GWfVqqtt0


Neu im Kino/Filmkritik: „The many Saints of Newark“ erzählt von Tony Sopranos Jugend

November 4, 2021

Wie wurde Tony Soprano Tony Soprano? Diese Frage wird in „The many Saints of Newark“ nicht wirklich beantwortet.

Doch bevor wir zu diesem Kinofilm, der immer wie ein hoch budgetierter Prestige-TV-Film wirkt, kommen, muss ich einiges über Tony Soprano sagen. Gespielt wurde er von James Gandolfini in der Rolle seines Lebens. In den USA war die sich auf ihn, sein Leben und seine Familie konzentrierende TV-Serie ein Hit und ein kulturelles Phänomen. Sie revolutionierte das Erzählen im Fernsehen und wurde auch noch nach ihrem Ende in den höchsten Tönen gelobt. Die Writers Guild of America nannte „Die Sopranos“ die am besten geschriebene TV-Serie aller Zeiten. Das Magazin „Rolling Stone“ setzte „Die Sopranos“ auf den ersten Platz ihrer Liste der besten TV-Serien aller Zeiten. Bei uns wurde die Serie vor zwanzig Jahren zunächst auf einem schlechten Sendeplatz gezeigt, der durch einem noch schlechteren Sendeplatz ersetzt wurde, ehe auf die weitere TV-Ausstrahlung verzichtet wurde. Immerhin erschien auch in Deutschland die Serie vollständig auf DVD. Entsprechend überschaubar dürfte hier die Zahl der „Sopranos“-Fans sein.

Tony Soprano ist in der TV-Serie, die von 1999 bis 2007 produziert wurde, ein hoffnungslos überforderter, in New Jersey lebender Caporegime. Der Mafiosi muss auf seine Leute aufpassen, Konkurrenten in Schach halten, ein guter Vater, Ehemann und Sohn sein. Vollkommen überfordert von diesen Anforderungen begibt er sich in Psychotherapie. Mit seiner nichtsahnenden Therapeutin konnte er über seine Probleme reden. Nach acht Jahren und sechs Staffeln war dann Schluss.

The many Saints of Newark“ springt jetzt zurück in die Kindheit und Jugend von Tony Soprano, der in dem Film nur eine Nebenrolle hat.

Die erste Hälfte des Mafiafilms spielt 1967. Tony ist noch ein Kind. ‚Hollywood Dick‘ Moltisanti kommt aus Italien mit einer deutlich jüngeren, wie Sophia Loren aussehenden Frau zurück. Giuseppina stellt schnell fest, dass das Leben in den USA nicht ihrem Bild von Amerika entspricht. Moltisantis Sohn Dickie Moltisanti ist ebenfalls ein Mobster. Er kümmert sich um das Tagesgeschäft. Er sammelt Schutzgeld. Er fährt, stilvoll gekleidet, mit seinem Chevrolet Impala Cabrio durch Newark. Er ist der Onkel von Tony Soprano. Und der elfjährige Tony bewundert seinen Onkel.

Als die Polizei einen schwarzen Taxifahrer zu Tode prügelt, ist das der Ausgangspunkt für mehrtägige, historisch verbürgte Straßenschlachten.

1971 ist Tony ein Teenager, der kleinere Verbrechen begeht. Tonys Vater ist aus dem Gefängnis entlassen worden. Schwarze Verbrecher machen der DiMeo-Verbrecherfamilie das Leben schwer. Wenn die Mafiosi nicht gerade ihre Familienmitglieder umbringen.

Auch in diesem Teil ergeben die Episoden aus Newark keine Geschichte. Es ist ein Blättern im Familienalbum. Tony Soprano stolpert manchmal durch das Bild. Einen Einfluss auf die Ereignisse hat er nicht. Dafür ist er noch zu jung und viel zu weit unten in der Mafia-Hierarchie. Immerhin kann er für die abendlichen Partys mit seinen Klassenkameraden stimmungssteigernde Drogen besorgen.

Viel wichtiger als Tony Soprano sind die anderen Familienmitglieder. Fans der TV-Serie müssten sie kennen und sich darüber freuen, sie in diesem Prequel-Film in jungen Jahren zu sehen. Alle anderen müssen die unzähligen familiären und kriminellen Verflechtungen erdulden, die nur deshalb Teil der Filmgeschichte sind, weil sie in der TV-Serie wichtig waren und ein solches Prequel in jedem Fall ein Film sein muss, der die Fans der Serie bedient.

Der gesamte Film zerfällt in unzählige Episoden. Figuren, die teils von hochkarätigen und bekannten Schauspielern wie Vera Farmiga, Ray Liotta, Jon Bernthal und Corey Stoll gespielt werden, tauchen kurz auf, verschwinden für Ewigkeiten aus der Filmhandlung und sind dann plötzlich wieder da. Die geisterhafte Voice-Over-Stimme könnte die disparaten Episoden zusammenhalten. Dieser Erzähler verrät uns schnell, von wem er später erschossen wird und wir sehen Ereignisse, bei denen er nicht dabei war. Da ist es fast schon überflüssig, zu sagen, dass das Voice-Over in „The many Saints of Newark“ niemals die Präsenz und den Druck entwickelt, den die Erzählerstimme in Martin Scorseses grandiosem Mafia-Epos „GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia“ hatte. Die Erinnerungen an Scorseses Gangsterfilm zeigen schmerzlich, wie sehr Alan Taylor („Thor – The Dark Kingdom“ [Thor: The Dark World], „Terminator: Genisys“ und mehrere „The Sopranos“-Episoden“) als Regisseur versagt. Wobei das auch am Drehbuch von „Sopranos“-Erfinder David Chase und Lawrence Konner liegt.

The many Saints of Newark“ ist ein Film, der beständig in seine Teile zerfällt, die unverbunden nebeneinander stehen und sich in unzählige Sackgassen verirrt. Das führt dazu, dass der Gangsterfilm sich deutlich länger anfühlt als er ist.

The many Saints of Newark – A Sopranos Story (The many Saints of Newark, USA 2021)

Regie: Alan Taylor

Drehbuch: David Chase, Lawrence Konner (basierend auf von David Chase erfundenen Figuren)

mit Alessandro Nivola, Leslie Odom Jr., Vera Farmiga, Jon Bernthal, Corey Stoll, Ray Liotta, Michela De Rossi, Michael Gandolfini, Billy Magnussen, John Magaro, Michael Imperioli

Länge: 121 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „The many Saints of Newark“

Metacritic über „The many Saints of Newark“

Rotten Tomatoes über „The many Saints of Newark“

Wikipedia über „The many Saints of Newark“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Alan Taylors „Terminator: Genisys“ (Terminator: Genisys, USA 2015)