Neu im Kino/Filmkritik: „The many Saints of Newark“ erzählt von Tony Sopranos Jugend

November 4, 2021

Wie wurde Tony Soprano Tony Soprano? Diese Frage wird in „The many Saints of Newark“ nicht wirklich beantwortet.

Doch bevor wir zu diesem Kinofilm, der immer wie ein hoch budgetierter Prestige-TV-Film wirkt, kommen, muss ich einiges über Tony Soprano sagen. Gespielt wurde er von James Gandolfini in der Rolle seines Lebens. In den USA war die sich auf ihn, sein Leben und seine Familie konzentrierende TV-Serie ein Hit und ein kulturelles Phänomen. Sie revolutionierte das Erzählen im Fernsehen und wurde auch noch nach ihrem Ende in den höchsten Tönen gelobt. Die Writers Guild of America nannte „Die Sopranos“ die am besten geschriebene TV-Serie aller Zeiten. Das Magazin „Rolling Stone“ setzte „Die Sopranos“ auf den ersten Platz ihrer Liste der besten TV-Serien aller Zeiten. Bei uns wurde die Serie vor zwanzig Jahren zunächst auf einem schlechten Sendeplatz gezeigt, der durch einem noch schlechteren Sendeplatz ersetzt wurde, ehe auf die weitere TV-Ausstrahlung verzichtet wurde. Immerhin erschien auch in Deutschland die Serie vollständig auf DVD. Entsprechend überschaubar dürfte hier die Zahl der „Sopranos“-Fans sein.

Tony Soprano ist in der TV-Serie, die von 1999 bis 2007 produziert wurde, ein hoffnungslos überforderter, in New Jersey lebender Caporegime. Der Mafiosi muss auf seine Leute aufpassen, Konkurrenten in Schach halten, ein guter Vater, Ehemann und Sohn sein. Vollkommen überfordert von diesen Anforderungen begibt er sich in Psychotherapie. Mit seiner nichtsahnenden Therapeutin konnte er über seine Probleme reden. Nach acht Jahren und sechs Staffeln war dann Schluss.

The many Saints of Newark“ springt jetzt zurück in die Kindheit und Jugend von Tony Soprano, der in dem Film nur eine Nebenrolle hat.

Die erste Hälfte des Mafiafilms spielt 1967. Tony ist noch ein Kind. ‚Hollywood Dick‘ Moltisanti kommt aus Italien mit einer deutlich jüngeren, wie Sophia Loren aussehenden Frau zurück. Giuseppina stellt schnell fest, dass das Leben in den USA nicht ihrem Bild von Amerika entspricht. Moltisantis Sohn Dickie Moltisanti ist ebenfalls ein Mobster. Er kümmert sich um das Tagesgeschäft. Er sammelt Schutzgeld. Er fährt, stilvoll gekleidet, mit seinem Chevrolet Impala Cabrio durch Newark. Er ist der Onkel von Tony Soprano. Und der elfjährige Tony bewundert seinen Onkel.

Als die Polizei einen schwarzen Taxifahrer zu Tode prügelt, ist das der Ausgangspunkt für mehrtägige, historisch verbürgte Straßenschlachten.

1971 ist Tony ein Teenager, der kleinere Verbrechen begeht. Tonys Vater ist aus dem Gefängnis entlassen worden. Schwarze Verbrecher machen der DiMeo-Verbrecherfamilie das Leben schwer. Wenn die Mafiosi nicht gerade ihre Familienmitglieder umbringen.

Auch in diesem Teil ergeben die Episoden aus Newark keine Geschichte. Es ist ein Blättern im Familienalbum. Tony Soprano stolpert manchmal durch das Bild. Einen Einfluss auf die Ereignisse hat er nicht. Dafür ist er noch zu jung und viel zu weit unten in der Mafia-Hierarchie. Immerhin kann er für die abendlichen Partys mit seinen Klassenkameraden stimmungssteigernde Drogen besorgen.

Viel wichtiger als Tony Soprano sind die anderen Familienmitglieder. Fans der TV-Serie müssten sie kennen und sich darüber freuen, sie in diesem Prequel-Film in jungen Jahren zu sehen. Alle anderen müssen die unzähligen familiären und kriminellen Verflechtungen erdulden, die nur deshalb Teil der Filmgeschichte sind, weil sie in der TV-Serie wichtig waren und ein solches Prequel in jedem Fall ein Film sein muss, der die Fans der Serie bedient.

Der gesamte Film zerfällt in unzählige Episoden. Figuren, die teils von hochkarätigen und bekannten Schauspielern wie Vera Farmiga, Ray Liotta, Jon Bernthal und Corey Stoll gespielt werden, tauchen kurz auf, verschwinden für Ewigkeiten aus der Filmhandlung und sind dann plötzlich wieder da. Die geisterhafte Voice-Over-Stimme könnte die disparaten Episoden zusammenhalten. Dieser Erzähler verrät uns schnell, von wem er später erschossen wird und wir sehen Ereignisse, bei denen er nicht dabei war. Da ist es fast schon überflüssig, zu sagen, dass das Voice-Over in „The many Saints of Newark“ niemals die Präsenz und den Druck entwickelt, den die Erzählerstimme in Martin Scorseses grandiosem Mafia-Epos „GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia“ hatte. Die Erinnerungen an Scorseses Gangsterfilm zeigen schmerzlich, wie sehr Alan Taylor („Thor – The Dark Kingdom“ [Thor: The Dark World], „Terminator: Genisys“ und mehrere „The Sopranos“-Episoden“) als Regisseur versagt. Wobei das auch am Drehbuch von „Sopranos“-Erfinder David Chase und Lawrence Konner liegt.

The many Saints of Newark“ ist ein Film, der beständig in seine Teile zerfällt, die unverbunden nebeneinander stehen und sich in unzählige Sackgassen verirrt. Das führt dazu, dass der Gangsterfilm sich deutlich länger anfühlt als er ist.

The many Saints of Newark – A Sopranos Story (The many Saints of Newark, USA 2021)

Regie: Alan Taylor

Drehbuch: David Chase, Lawrence Konner (basierend auf von David Chase erfundenen Figuren)

mit Alessandro Nivola, Leslie Odom Jr., Vera Farmiga, Jon Bernthal, Corey Stoll, Ray Liotta, Michela De Rossi, Michael Gandolfini, Billy Magnussen, John Magaro, Michael Imperioli

Länge: 121 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „The many Saints of Newark“

Metacritic über „The many Saints of Newark“

Rotten Tomatoes über „The many Saints of Newark“

Wikipedia über „The many Saints of Newark“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Alan Taylors „Terminator: Genisys“ (Terminator: Genisys, USA 2015)


Neu im Kino/Filmkritik: „Terminator: Genisys“ – verlorenen in einer anderen Zeitlinie

Juli 8, 2015

Nachdem der vorherige „Terminator“-Film „Terminator: Die Erlösung“, höflich formuliert, nicht gut und die in einer anderen Zeitlinie spielende, bestenfalls durchwachsene TV-Serie „Terminator: The Sarah Connor Chronicles“ kurzlebig war, hofften die Fans der Serie, dass mit der Rückkehr von Arnold Schwarzenegger in seiner ikonischen Rolle wieder alles gut wird.
Aber schon schnell, ziemlich genau bei dem ersten Auftritt von Sarah Connor (Emilia Clarke), beschleicht einen ein beunruhiges Gefühl.
2029 kämpfen die letzten Menschen gegen Skynet und die Herrschaft der Roboter. John Connor (Jason Clarke), der tapfere, edle und heroische Anführer der Rebellen, will eine sehr wichtige Skynet-Zentrale vernichten. Aber in der allerletzten Sekunde kann ein Roboter mit einer Zeitmaschine in das Jahr 1984 entkommen. Dort soll der Terminator die Mutter von John Connor töten. Kyle Reese (Jai Courtney) betritt ebenfalls die Zeitmaschine.
In der 1984-Vergangenheit sehen wir dann, im Vergleich zum ersten „Terminator“-Film nur minimal verändert, die Ankunft des Terminators und von Kyle Reese. Der Terminator sieht aus wie der originale Terminator T-800 und damit wie Arnold Schwarzenegger. Digital auf jung bearbeitet. Wenige Sekunden später taucht ein zweiter, deutlich älter aussehender, bekleideter Arnold Schwarzenegger auf, der sich mit dem Neuankömmling schlägt – und damit ist in der neuen Geschichte schon jetzt ein Terminator mehr als im ersten „Terminator“-Film vorhanden.
Zur gleichen Zeit flüchtet Kyle Reese, der in der 1984-Vergangenheit Sarah Connor, die Mutter des damals noch ungeborenen John Connor schützen soll, vor der Polizei und einem Polizisten-Terminator, der dann, abgesehen von der eher dämlichen Idee mit den zu Schwertern werdenden Armen, an den bösen und fast unbesiegbaren T-1000 (Robert Patrick) aus „Terminator 2: Tag der Abrechnung“ erinnert.
Die Jagd findet eine kurze Verschnaufpause, wenn Sarah Connor Kyle Reese vor diesem Terminator rettet. Kurz darauf entdeckt Reese im Frachtraum des Kleintransporters den älteren T-800, der – und ungefähr hier müssen wir akzeptieren, dass „Terminator: Genisys“ auf einer vollkommen neuen Zeitlinie spielt – schon einige Jahre in der Vergangenheit ist. Denn es ist der gute T-800; also der Arnold-Schwarzenegger-Terminator, der in „Terminator 2: Tag der Abrechnung“ Sarah Connor und ihren Sohn John vor dem bösen Terminator T-1000 schützen sollte. In dem neuen Film rettete er sie bereits als Kind vor einem anderen Terminator und wurde ihr Vaterersatz. Seitdem nennt sie ihn ‚Pops‘ und sie kämpfen gemeinsam gegen Skynet und die vielen Terminatoren, die diese Vergangenheit bevölkern.
Weil Kyle Reese bei seinem Sprung in die Vergangenheit eine Vision hatte, springt er mit Sarah Connor in das Jahr 2017. Weil wir in einer anderen Zeitlinie sind, haben in dieser Zukunft die Roboter die Menschheit noch nicht vernichtet. Aufgrund seiner Vision weiß Kyle Reese, dass Skynet jetzt (also in der Zukunft dieser Zeitlinie) „Genisys“ ist. Das Computerprogramm soll in Kürze online gehen. Genisys stellen wir uns am besten als eine Art Super-Facebook-Windows-All-in-one-Cloud-App vor, die dann die Menscheit vernichten wird, weil – – – nun Skynet die Menschheit vernichten will.
In diesem Moment wird offensichtlich, dass die Welt der ersten beiden „Terminator“-Filme vorbei ist und „Terminator 3: Rebellion der Machinen“ (2003) der letzte Film war, der noch glaubwürdig von einem Kampf der Roboter gegen die Menschen erzählen konnte, ohne das Internet zu erwähnen.
Heute, bzw. 2017, ist die damals porträtierte Kalter-Krieg-Welt, absolut anachronistisch. Als James Cameron in den frühen Achtzigern seinen ersten „Terminator“-Film schrieb, war
Skynet, ein Computer-Selbstverteidigungssystem des Militärs, das sich gegen die Menschen wendet und einen Atomkrieg auslöst. Das war eine bedrückende Vision, die an reale Ängste anknüpfte und das Denken des Kalten Krieges auf eine schwarzhumorige Spitze trieb. Das Internet hatte in damaligen Zukunftsvorstellungen keinerlei Relevanz. Dagegen wurde über autonome Roboter schon lange nachgedacht. Als Helfer oder als Bedrohung für die Menschen. Der Terminator ist ein solcher Roboter, der stumpf einen Befehl ausübt und der deshalb entsprechend bedrohlich ist. Vor allem wenn im Hintergrund die Roboter, ausgehend von ihrer Programmierung, die Macht übernehmen.
Heute – nach dem Ende des Kalten Krieges – funktioniert diese Vision nicht mehr. Aber anstatt in „Terminator: Genisys“ jetzt mit dem „Genisys“-Programm eine umfassende Neubetrachtung des Kampfes zwischen Menschen und Maschinen zu wagen, belassen es die Autoren Laeta Kalogridis („Wächter der Nacht“, „Shutter Island“) und Patrick Lussier („My Boody Valentine 3D“, „Drive Angry“; er ist vor allem als Regisseur bekannt) und Alan Taylor („Thor – The Dark Kingdom“ und viele TV-Serienepisoden) dabei, „Genisys“ als leere Chiffre zu benutzen. Entsprechend blass ist die Bedrohung, die als Skynet-Update so gar nichts mit unserer Gegenwart und unseren Ängsten zu tun hat. Es ist nur noch ein besonders inhaltsleerer Mac Guffin ohne irgendeine Bedeutung.
Sowiewo werden alle philosophischen Überlegungen und naturwissenschaftlichen Erklärungen des Zeitreise- und Zeitlinienproblems schnell weggewischt zugunsten eines Actionfeuerwerks, das alle vorherigen Actionszenen übertrumpfen möchte und spätestens während einer großen Autoverfolgungsjagd, die auf der Golden-Gate-Brücke endet, nur noch langweilt. Denn alles ist viel zu übertrieben und, nachdem ein Bus wie ein Spielzeug sich in der Luft mehrmals überschlägt, langweilig. Es ist eine computeranimierte Chose, die es nicht mit der grandiosen Action aus den früheren „Terminator“-Filmen aufnehmen kann. So wurde in „Terminator 3: Rebellion der Maschinen“ noch lustvoll ein ganzer Straßenzug zerdeppert und man sah, wie gefährlich die Dreharbeiten für die Szene waren. Jetzt verunziert kein Schweißtropfen die glatten Gesichter der Schauspieler.
„Terminator: Genisys“ ist einfach nur 08/15-Blockbuster-Handwerk der banalen Sorte mit einer bestenfalls mediokren Story, Plotlöchern (wenn man wirklich über die zwischen den verschiedenen Zeitlinien und vorherigen Filmen unnötig verwirrend werdende Story mit ihren lustigen Familienverhältnissen nachdenken will), etwas Humor (derzeit in Blockbustern ja extrem rar), übertriebener CGI-Action (in Blockbustern immer überreichlich vorhanden) und bekannten Gesichtern, die außer dem Einstreichen ihrer Gage nicht viel tun müssen. Da ist nichts, das hinter der glänzenden Oberfläche begeistert oder berührt.
Am Ende des Films, der der Beginn einer neuen Trilogie sein soll, bleibt die Erkenntnis, dass man spätestens nach dem dritten „Terminator“-Film hätte aufhören sollen.
P. S.: Hier ist der aktuelle Trailer, der einige Plotspoiler enthält. D. h.: Ansehen auf eigene Gefahr.

Terminator - Genisys - Plakat

Terminator: Genisys (Terminator: Genisys, USA 2015)
Regie: Alan Taylor
Drehbuch: Laeta Kalogridis, Patrick Lussier (basierend auf von James Cameron und Gale Anne Hurd erfundenen Charakteren)
mit Arnold Schwarzenegger, Jason Clarke, Emilia Clarke, Jai Courtney, J. K. Simmons, Matthew Smith, Byung-hun Lee, Courtney B. Vance
Länge: 126 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Deutsche Homepage zum Film
Amerikanische Homepage zum Film
Film-Zeit über „Terminator: Genisys“
Moviepilot über „Terminator: Genisys“
Metacritic über „Terminator: Genisys“
Rotten Tomatoes über „Terminator: Genisys“
Wikipedia über „Terminator: Genisys“ (deutsch, englisch)


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