Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: Über Michel Hazanavicius‘ Jean-Claude-Grumberg-Verfilmung „Das kostbarste aller Güter“

März 6, 2025

Es lebten einmal in einem großen Wald eine arme Holzfällersfrau und ein armer Holzfäller.

Nein, nein, nein, ganz gewiss handelt es sich hier nicht um den Däumling. (…) Wo oder wann hat es denn schon so etwas gegeben, dass Eltern ihre Kinder ausgesetzt haben, weil sie sie nicht ernähren konnten?“

Mit diesem Worten beginnt Jean-Claude Grumbachs „Das kostbarste aller Güter“, ein schmales Buch von 136 Seiten, das als Märchen, als Fabel und als Jugendbuch bezeichnet wird und das sich kunstvoll zwischen alle Stühle setzt. Jetzt wurde die Geschichte von „The Artist“-Regisseur Michel Hazanavicius, nach einem zusammen von ihm und Grumberg geschriebenem Drehbuch, als Animationsfilm verfilmt. In der Originalfassung ist Jean-Louis Trintignant, in der deutschen Fassung Jürgen Prochnow der Erzähler der Geschichte von dem Holzfällerpaar.

Diese spielt Anfang 1943 in Polen, wenige Kilometer vom Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Im Buch wird das auf den ersten Seiten verraten. Im Film wird erst im letzten Drittel wirklich deutlich, wann und wo die Geschichte spielt. Bei den Zuggleisen findet die arme alte Holzfällerfrau im Schnee ein Baby. Es wurde von seinem Vater aus dem Zug geworfen. Sie nimmt es mit nach Hause und beginnt es, gegen den anfänglichen Widerstand ihres Mannes, zu pflegen.

Während sie von Anfang an in dem Mädchen ein Geschenk Gottes sieht und es ohne Vorbehalte akzeptiert, lehnt er es anfangs ab. Er hält es für ein Wesen ohne Herz, das zu dem Stamm gehört, der Gott getötet hat. Aber er überprüft seine Vorurteile und verteidigt die Herzlosen vor seinen Arbeitskollegen.

Jean-Claude Grumberg, der 1939 in Paris geborene Autor der Buchvorlage, ist ein bekannter Theater- und Drehbuchautor. Immer wieder beschäftigt er sich mit seiner traumatischen Kindheit während des Zweiten Weltkriegs, der Nazi-Diktatur und dem Antisemitismus. Sein Vater, ein rumänischer Jude, wurde in Auschwitz ermordet. Zu Grumbergs Drehbüchern gehören „Die letzte Metro“ (Le Dernier Métro, 1980), „Die kleine Apokalypse“ (La petite apocalypse, 1992; seine erste Zusammenarbeit mit Costa-Gavras), „Der Stellvertreter“ (Amen, 2002) und „Die Axt“ (Le couperet, 2005).

Für die Verfilmung seines Märchens „Das kostbarste aller Güter“ veränderte er in dem zusammen mit Hazanavicius geschriebenem Drehbuch einige Details. Dummerweise sind die ursprünglich gewählten Lösungen besser. So ist im Film bis zum letzten Drittel unklar, wann und wo genau die Geschichte spielt. Mit den ersten Worten „Es lebten einmal in einem großen Wald eine arme Holzfällersfrau und ein armer Holzfäller.“ wird die Geschichte in das Reich der Märchen und Fabeln verwiesen. Alles verbleibt in einer zeitlich und örtlich nicht genau definierten Welt, die auch eine Fantasiewelt sein kann. Im Buch wird nach dem ersten Satz sehr schnell mehr über den Handlungsort und die -zeit gesagt. Es ist klar, dass die Züge zu einem Konzentrationslager fahren.

Auch das Ende ist im Buch dank seiner Kürze gelungener. Im Film verliert die Fabel mit dem Kriegsende ihren dramatischen Fokus. Das hindert Hazanavicius nicht daran, noch mehrere Minuten weiter zu erzählen, was in den Tagen und Jahren nach der Befreiung geschieht. Dabei dauert der Film ohne Abspann keine achtzig Minuten. Mit den drastischen Bilder aus und vor dem Konzentrationslager wird „Das kostbarste aller Güter“ in dem Moment zu einem Film, der eher ein erwachsenes Publikum anspricht.

Überzeugend ist im Buch und im Film die Darstellung des Lebens des Holzfällerpaares, wie sie sich um das von den ‚Göttern des Zuges‘ erhaltene Geschenk kümmert und wie er seine Haltung zu dem Baby verändert.

Das kostbarste aller Güter (La plus précieuse des marchandises, Frankreich 2024)

Regie: Michel Hazanavicius

Drehbuch: Jean-Claude Grumberg, Michel Hazanavicius

LV: Jean-Claude Grumberg: La plus précieuse des marchandises, 2019 (Das kostbarste aller Güter)

Länge: 81 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Die Vorlage

(nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2021 in der Kategorie „Nominierungen der Jugendjury“)

Jean-Claude Grumberg: Das kostbarste aller Güter – Ein Märchen

(übersetzt von Edmund Jacoby, mit Zeichnungen von Ulrike Möltgen)

Verlagshaus Jacoby & Stuart, 2020

136 Seiten

16 Euro

Originalausgabe

La plus précieuse des marchandises. Un conte

Éditions du Seuil/Librairie du XXle siècle, Paris 2019

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Das kostbarste aller Güter“

AlloCiné über „Das kostbarste aller Güter“

Metacritic über „Das kostbarste aller Güter“

Rotten Tomatoes über „Das kostbarste aller Güter“

Wikipedia über „Das kostbarste aller Güter“ (Buch: deutsch, englisch, französisch, Film: deutsch, englisch, französisch)

Meine Besprechung von Michel Hazanavicius‘ „The Artist“ (The Artist, Frankreich 2011)

Meine Besprechung von Michel Hazanavicius‘ „Final Cut of the Dead“ (Coupez!, Frankreich 2022) (ein gänzlich anderes Werk)

Jacoby & Stuart über das Buch


Neu im Kino/Filmkritik: „Final Cut of the Dead“, ein Zombiefilm, eine Komödie, ein Making-of – und ein großer Spaß

Februar 16, 2023

Es beginnt mit einer furiosen 32-minütigen Einstellung, die mit einem Abspann endet. Wer jetzt hastig, immerhin hat er in dem Moment schon einen Film mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende gesehen, seine Sachen zusammenpackt und den Kinosaal in Richtung Ausgang verlässt, verpasst das Beste. Deshalb sollte jeder, der den ganzen Film sehen möchte, sitzenbleiben, bis im Saal das Licht angeht.

In einer abgelegen von der Stadt liegenden Fabrikruine dreht Rémi einen No-Budget-Horrorfilm. Es geht um Romero-typisch schlurfende Zombies, die Menschen angreifen, töten und essen. Während der Dreharbeiten, die aus Sicht des hyperaktiven und cholerischen Regisseurs nicht zufriedenstellend verlaufen, scheinen echte Zombies am Drehort aufzutauchen.

Als seine Stars beginnen, kreischend vor den Untoten wegzulaufen, brüllt er nur „Weiterdrehen!“. Jetzt hat er von seinen minderbegabten Schauspielern endlich die Reaktionen, auf die er den ganzen Tag erfolglos hinarbeitete. Dass sie dabei aufgegessen werden könnten, ist ein Opfer, das für die Kunst erbracht werden muss.

Mehr soll hier über „Final Cut of the Dead“ nicht verraten werden. Denn die irrwitzigen Wendungen des Films in seinem zweiten und dritten Akt sind ein großer Teil des Vergnügens. Dann werden auch die Merkwürdigkeiten des ersten Akts, wie dass französische Schauspieler sich mit japanischen Namen ansprechen, ihre teils peinlich schlechten Dialoge und die teils grottenschlechte Kameraführung erklärt.

Inszeniert wurde die sehr komische und hoffnungslos abgedrehte Horrorkomödie von Michel Hazanavicius, dem Regisseur von „The Artist“ und zwei OSS-117-Filmen. Er liebäugelte schon länger mit der Idee, eine Komödie über einen Filmdreh zu machen. Als er mit Vincent Maraval, einem der Produzenten des Films, darüber sprach, sagte er ihm, er habe die Rechte an einem japanischen Studentenfilm erworben. Hazanavicius sah sich den Film an. Er gefiel ihm und weil der Film die Themen behandelt, die er in seinem Film auch behandeln wollte, beschloss er, ein Remake der Horrorkomödie über einen aus dem Ruder laufenden Dreh eines Zombiefilms zu drehen.

Vor dem Dreh überarbeitete Hazanavicius das Drehbuch. Aber viel veränderte er nicht. Letztendlich polierte und verfeinerte er nur Shin’ichirô Uedas Überraschungserfolg „One Cut of the Dead“ (2017). Hier und da gibt es in seinem Drehbuch kleinere Änderungen und es wird das Verhältnis von Remake und Original angesprochen. Das Budget war höher. Die Schauspieler sind bekannter. Dazu gehören Romain Duris und Bérénice Bejo. Duris spielt den hyperaktiven Regisseur spielt, der während des schief gehenden Drehs manisch improvisieren und viel, sehr viel, herumrennen muss. Bejo spielt seine Frau, die auch am Set ist. Weil sie sich früher zu sehr in ihre Rollen hineinsteigerte, hat sie mit der Schauspielerei aufgehört. Für die Fans des Originals ist Yoshiro Takehara als aufgesetzt fröhlich lachende, immer hemmungslos begeisterte Produzentin wieder dabei.

Final Cut of the Dead“ ist die polierte, perfekt abgemischte Stadionrockvariante eines rumpeligen Punksongs. Das gefällt jederzeit. Es dürfte auch denen gefallen, die das bei uns nur auf DVD erschienene Original kennen, und jetzt jede Wendung und Überraschung des Remakes kennen. Mir gefallen beide Versionen; wobei mir das Remake etwas besser gefällt.

Hazanavicius‘ Komödie ist ein großer Spaß für Fans von Zombiefilmen, die schon immer wissen wollten, wie so ein Film ohne Geld, aber mit viel Enthusiasmus entsteht. Denn selbstverständlich gibt es im „Final Cut of the Dead“ keine CGI-Effekte.

Final Cut of the Dead (Coupez!, Frankreich 2022)

Regie: Michel Hazanavicius

Drehbuch: Michel Hazanavicius (nach der Geschichte/Drehbuch von Shin’ichirô Ueda und Ryoichi Wada)

mit Romain Duris, Bérénice Bejo, Grégory Gadebois, Finnegan Oldfield, Matilda Lutz, Sébastien Chassagne, Raphaël Quenard, Simone Hazanavicius, Jean-Pascal Zadi, Yoshiko Takehara

Länge: 112 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

AlloCiné über „Final Cut of the Dead“

Moviepilot über „Final Cut of the Dead“

Metacritic über „Final Cut of the Dead“

Rotten Tomatoes über „Final Cut of the Dead“

Wikipedia über „Final Cut of the Dead“ (deutsch, englisch, französisch)

Cannes Filmfest über den Film

Meine Besprechung von Michel Hazanavicius‘ „The Artist“ (The Artist, Frankreich 2011)


TV-Tipp für den 4. April: The Artist

April 3, 2020

3sat, 23.25

The Artist (The Artist, Frankreich 2011)

Regie: Michel Hazanavicius

Drehbuch: Michel Hazanavicius

Michel Hazanavicius‘ Tragikomödie ist eine Liebeserklärung an Hollywood und an den Stummfilm. Selbstverständlich in SW und als Stummfilm.

Die ‚A Star is born‘-Schmonzettenstory – Stummfilmstar George Valentin lehnt den Tonfilm ab. Er verliebt sich in das Starlet Peppy Miller, das durch den Tonfilm zum Star aufsteigt. – dient dabei nur als Rahmen für eine mit vielen wundervollen Details verzierte Liebeserklärung an das Kino.

Zum Kinostart wurde die Komödie überall abgefeiert und mit Preisen überhäuft. Unter anderem erhielt der französische Film fünf Oscars, unter anderem den Oscar als bester Film des Jahres.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Jean Dujardin, Bérénce Bejo, John Goodman, James Cromwell, Penelope Ann Miller, Missi Pyle, Malcolm McDowell, Uggy (Palm Dog Award Cannes 2011 als bester Hundedarsteller)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „The Artist“

Wikipedia über „The Artist“ (deutsch, englisch, französisch)

Meine Besprechung von Michel Hazanavicius‘ „The Artist“ (The Artist, Frankreich 2011)


TV-Tipp für den 18. April: The Artist

April 18, 2019

3sat, 22.25

The Artist (The Artist, Frankreich 2011)

Regie: Michel Hazanavicius

Drehbuch: Michel Hazanavicius

Michel Hazanavicius‘ Tragikomödie ist eine Liebeserklärung an Hollywood und an den Stummfilm. Selbstverständlich in SW und als Stummfilm.

Die ‚A Star is born‘-Schmonzettenstory – Stummfilmstar George Valentin lehnt den Tonfilm ab. Er verliebt sich in das Starlet Peppy Miller, das durch den Tonfilm zum Star aufsteigt. – dient dabei nur als Rahmen für eine mit vielen wundervollen Details verzierte Liebeserklärung an das Kino.

Zum Kinostart wurde die Komödie überall abgefeiert und mit Preisen überhäuft. Unter anderem erhielt der französische Film fünf Oscars, unter anderem den Oscar als bester Film des Jahres.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Jean Dujardin, Bérénce Bejo, John Goodman, James Cromwell, Penelope Ann Miller, Missi Pyle, Malcolm McDowell, Uggy (Palm Dog Award Cannes 2011 als bester Hundedarsteller)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „The Artist“

Wikipedia über „The Artist“ (deutsch, englisch, französisch)

Meine Besprechung von Michel Hazanavicius‘ „The Artist“ (The Artist, Frankreich 2011)


TV-Tipp für den 2. Januar: The Artist

Januar 1, 2019

Arte, 20.15

The Artist (The Artist, Frankreich 2011)

Regie: Michel Hazanavicius

Drehbuch: Michel Hazanavicius

Unglaublich, aber wahr: Heute ist die TV-Premiere von „The Artist“, den Film, den damals alle liebten und der damals mit Preisen überhäuft wurde. Unter anderem erhielt der französische Film fünf Oscars, unter anderem den Oscar als bester Film des Jahres.

Michel Hazanavicius‘ Tragikomödie ist eine Liebeserklärung an Hollywood und an den Stummfilm. Selbstverständlich in SW und als Stummfilm.

Die ‚A Star is born‘-Schmonzettenstory – Stummfilmstar George Valentin lehnt den Tonfilm ab. Er verliebt sich in das Starlet Peppy Miller, das durch den Tonfilm zum Star aufsteigt. – dient dabei nur als Rahmen für eine mit vielen wundervollen Details verzierte Liebeserklärung an das Kino.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Jean Dujardin, Bérénce Bejo, John Goodman, James Cromwell, Penelope Ann Miller, Missi Pyle, Malcolm McDowell, Uggy (Palm Dog Award Cannes 2011 als bester Hundedarsteller)

Wiederholungen

Sonntag, 6. Januar, 09.25 Uhr

Freitag, 11. Januar, 01.35 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „The Artist“

Wikipedia über „The Artist“ (deutsch, englisch, französisch)

Meine Besprechung von Michel Hazanavicius‘ „The Artist“ (The Artist, Frankreich 2011)