Neu im Kino/Filmkritik: „Heldin“, Chronik einer Schicht im Leben einer Krankenschwester

Februar 26, 2025

Petra Volpes neuer Film beginnt mit dem Beginn der Spätschicht in einem Schweizer Krankenhaus. Und er endet ungefähr acht Stunden später mit dem Ende der Schicht. Dazwischen erzählt Volpe („Die göttliche Ordnung“), strikt chronologisch, mit minimalen Verdichtungen und Dramatisierungen, was in dieser einen Schicht passiert.

Im Mittelpunkt steht die von Leonie Benesch famos gespielte Pflegefachkraft Floria. Nach der Krankmeldung einer Kollegin ist sie mit einer zweiten Fachkraft und einer Erstsemester-Studentin für 26 Patienten verantwortlich. Diese bilden das gesamte Patientenspektrum ab von leicht bis schwer, teils im Sterben liegenden Pflegebedürftigen. Einige sind freundlich, einige fordernd. Einige haben Allergien, andere nicht. Floria muss immer darauf aufpassen, dass sie ihnen die richtigen Medikamente gibt und, egal wie stressig es gerade ist, freundlich und geduldig sein.

Es ist eine ganz normale Schicht ohne besondere Vorkommnisse.

Diese Konzentration auf eine Schicht ist der Vor- und Nachteil des Dramas. So kann Petra Volpe in die Tiefe gehen und einen guten Eindruck von der Arbeit vermitteln. Das macht sie letztendlich mit den Mitteln des Direct Cinema. Die Kamera verfolgt Floria durch die hellen Gänge des Krankenhauses. Sie beobachtet in oft in langen Szenen das Geschehen. Sie verzichtet weitgehend auf Dramatisierungen. Es gibt kein Voice-Over und keine Erklärdialoge. Es gibt nur die Dokumentation der Arbeit. Und diese fängt sie präzise ein. Einige Rollen wurden von Laien und Pflegefachkräften übernommen. Die Macher und die Schauspieler informierten sich vor dem Dreh über die Arbeit auf einer Krankenstation. Hauptdarstellerin Leonie Benesch absolvierte ein Praktikum im Kantonsspital Liestal. Diese Vorbereitung und die Anwesenheit von Fachpersonen beim Dreh führen dazu, dass die Abläufe, die Bewegungen und auch der Tonfall bei Patientengesprächen stimmen.

Fehlen tut allerdings der für Außenstehende nonchalante und verstörende Umgang mit intimen Details und der im Pflegeteam und mit den Patienten vorhandene Humor, ohne den die Arbeit nicht leistbar wäre.

Der Nachteil der von Volpe gewählten Herangehensweise ist, wenn man es denn überhaupt als Nachteil sieht, dass „Heldin“ keine Analyse des Gesundheitssystems, seiner Probleme und möglicher Lösungen ist. Volpe erzählt auch keine Geschichte im klassischen Sinn. Dafür bleibt alles zu sehr im Episodischen einer Schicht. Sie zeigt auch nichts, was nicht auch im Rahmen eines Dokumentarfilms gezeigt werden könnte.

P. S.: Ich habe den sehenswerten Film in der hochdeutschen Synchronisation gesehen. Bei dieser Fassung störte mich der durchgehend klinisch reine Ton und das lehrbuchhafte Hochdeutsch, das immer etwas abgekoppelt von den Geschnissen auf der Leinwand ist. Die Originalfassung scheint – so mein Eindruck vom Trailer – in dieser Hinsicht, obwohl auch hier viel Hochdeutsch gesprochen wird, stimmiger und natürlicher zu sein. Wer also zwischen beiden Fassungen wählen kann, sollte sich unbedingt die Originalfassung ansehen.

Heldin (Schweiz/Deutschland 2025)

Regie: Petra Volpe

Drehbuch: Petra Volpe

mit Leonie Benesch, Sonja Riesen, Alireza Bayram, Selma Aldin, Urs Bihler, Margherita Schoch, Albana Agaj, Ridvan Murati, Urbain Guiguemdé

Länge: 91 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Heldin“

Moviepilot über „Heldin“

Rotten Tomatoes über „Heldin“

Wikipedia über „Heldin“ (deutsch, englisch)

Berlinale über „Heldin“

Meine Besprechung von Petra Volpes „Die göttliche Ordnung“ (Schweiz 2017)


TV-Tipp für den 10. März: Die göttliche Ordnung

März 9, 2023

3sat, 20.15

Die göttliche Ordnung (Schweiz, 2017)

Regie: Petra Volpe

Drehbuch: Petra Volpe

Schweiz, 1971: in einem Bergdorf im Appenzell ist die Zeit stehen geblieben. Der Mann ist der unumstrittene Herr im Haus und Frauen dürfen nicht wählen. Als die junge Nora Ruckstuhl wieder arbeiten möchte, erfährt sie, dass sie dafür die Erlaubnis ihres Mannes benötigt. Sie empfindet diese Regel als ungerecht. Als ihr Mann für einige Tage auf einer Militärübung ist, hat sie die Zeit sich immer mehr zu politisieren und in den Kampf um das Frauenwahlrecht einzumischen.

Wundervolle, nah an den historischen Fakten entlang erzählte, sehr aufbauende Komödie über Frauen, die beginnen für ihre Rechte zu kämpfen.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Marie Leuenberger, Max Simonischek, Rachel Braunschweig, Sibylle Brunner, Marta Zoffoli, Bettina Stucky, Peter Freiburghaus, Therese Affolter, Ella Rumpf, Nicholas Ofczarek, Sofia Helin

Hinweise

Schweizer Homepage zum Film

Moviepilot über „Die göttliche Ordnung“

Wikipedia über „Die göttliche Ordnung“

Meine Besprechung von Petra Volpes „Die göttliche Ordnung“ (Schweiz 2017)


TV-Tipp für den 11. März: Die göttliche Ordnung

März 10, 2020

Arte, 20.15

Die göttliche Ordnung (Schweiz, 2017)

Regie: Petra Volpe

Drehbuch: Petra Volpe

Schweiz, 1971: in einem Bergdorf im Appenzell ist die Zeit stehen geblieben. Der Mann ist der unumstrittene Herr im Haus und Frauen dürfen nicht wählen. Als die junge Nora Ruckstuhl wieder arbeiten möchte, erfährt sie, dass sie dafür die Erlaubnis ihres Mannes benötigt. Sie empfindet diese Regel als ungerecht. Als ihr Mann für einige Tage auf einer Militärübung ist, hat sie die Zeit sich immer mehr zu politisieren und in den Kampf um das Frauenwahlrecht einzumischen.

TV-Premiere. Wundervolle, nah an den historischen Fakten entlang erzählte, sehr aufbauende Komödie über Frauen, die beginnen für ihre Rechte zu kämpfen.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Marie Leuenberger, Max Simonischek, Rachel Braunschweig, Sibylle Brunner, Marta Zoffoli, Bettina Stucky, Peter Freiburghaus, Therese Affolter, Ella Rumpf, Nicholas Ofczarek, Sofia Helin

Hinweise

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Meine Besprechung von Petra Volpes „Die göttliche Ordnung“ (Schweiz 2017)


Neu im Kino/Filmkritik: Was ist „Die göttliche Ordnung“? Und sollte sie bestehen bleiben?

August 4, 2017

1971: Die Jugend probiert den Aufstand. Freie Liebe. Hippies. Woodstock. Janis Joplin. Jim Morrison. Jimi Hendrix. Grenzen werden niedergerissen. Traditionen und Konventionen missachtet. Schwule gehen auf die Straße. Schwarze träumen von der Revolution. Frauen zeigen ihre Brüste. Auch in Europa ist etwas von dem revolutionären Zeitgeist zu spüren. In Deutschland bombt die RAF sich durch die Bundesrepublik.

Und in der Schweiz gibt es eine eidgenössische Abstimmung zum Frauenwahlrecht.

An dieser Volksabstimmung sind selbstverständlich nur Männer stimmberechtigt. Trotzdem gab es eine Mehrheit für das Frauenstimmrecht. Auf kantonaler Ebene wurde es Frauen dagegen teilweise noch lange verwehrt. Als letzter Kanton führt 1990 Appenzell Innerrhoden, gezwungen durch einen Entscheid des Bundesgerichts, das Stimmrecht für Frauen auf kantonaler Ebene ein.

Im Appenzell, das optisch eine richtige Postkarten-Schweiz ist, drehte Petra Volpe ihren neuesten Film „Die göttliche Ordnung“, in dem sie vom Kampf um die Abstimmung für das Frauenwahlrecht 1971 erzählt. In dem im Film nicht genannten Ort ist damals die Welt noch in Ordnung. Die Straßen sind sauber. Die Männer arbeiten. Die Frauen machen den Haushalt und kümmern sich um die Kinder. Sonntags wird in die Kirche gegangen und der Pfarrer predigt über die göttliche Ordnung. Das Frauenwahlrecht und die Ideen von Gleichberechtigung sind Verstöße dagegen. Einige Frauen, wie Dr. Charlotte Wipf, Firmenchefin und Vorsteherin des „Aktionskomitees gegen die Verpolitisierung der Frau“, sind gegen ein Frauenwahlrecht.

Nora Ruckstuhl macht sich darüber keine Gedanken. Aber dass sie ihren Mann Hans darum bitten muss, wieder in ihrem Ausbildungsberuf arbeiten zu dürfen, empfindet sie als ungerecht.

Als Hans für einige Tage zu einer Militärübung muss, kann sie sich ungestört politisieren. Sie nimmt immer mehr Ungerechtigkeiten des unumstritten herrschenden Patriarchats wahr. Der Mann ihrer Schwägerin kann seine Tochter wegsperren lassen, weil sie ihm zu aufständig ist. Die ehemalige Bären-Wirtin Vroni ist von ihrer Tochter finanziell abhängig, weil ihr Mann das gesamte Geld verschleuderte. Der gesamte Haushalt und die Kindererziehung wird von den Frauen gemacht, aber das ist ja keine Arbeit, weil nur die Männer arbeiten; – das klingt jetzt vielleicht urig schweizerisch, aber auch in Deutschland wurde damals ähnlich gedacht.

Als Nora sich auf einer öffentlichen Veranstaltung für das Frauenwahlrecht ausspricht, wird sie, von anderen Frauen mehr gezwungen und gedrängt, als aus eigenem Antrieb, im Dorf zur Sprecherin für das Frauenwahlrecht. Die Bären-Wirtschaft, jetzt geführt von der alleinstehenden Italienerin Graziella, die aus dem Gasthof eine Pizzeria machen will, wird zum Zentrum des Widerstandes, in dem sich immer mehr Dorffrauen versammeln. Aber können sie in ihrem Kanton unter den Männern eine Mehrheit für das Frauenwahlrecht herstellen? Denn den Männern gefällt die bisherige gesellschaftliche Ordnung, die sie zur göttlichen Ordnung verklären, sehr gut.

Petra Volpe („Traumland“, Drehbücher für „Lovely Louise“ und „Heidi“) inszenierte einen liebevoll nostalgischen, im Zeitkolorit badenden und die Solidarität zwischen Frauen beschwörenden Blick zurück in eine andere Zeit, in der die Enge (in jeder Beziehung) auch immer etwas heimeliges hat. Dass die Männer Probleme mit ihrer Rolle als Familienoberhaupt haben und vom Haushalt keine Ahnung haben, verschweigt sie nicht. Aber weil Volpe niemanden verurteilen will und für alle Verständnis hat, ist ihr Film dann auch immer harmloser als nötig. „Die göttliche Ordnung“ ist keine Anklage gegen die männliche Vorherrschaft, sondern nostalgisch gefärbtes Feelgood-Kino.

Das liegt auch daran, dass heute niemand das Frauenwahlrecht abschaffen will.

Die Argumente, die im Film gegen das Frauenwahlrecht vorgebracht werden, – um endlich den Sprung in die Gegenwart (und auch nach Deutschland) zu schaffen -, werden heute, wie ein Blick auf die „Wir wählen“-Seite zeigt, gegen ein Ausländerwahlrecht vorgebracht.

Und natürlich ist der Kampf um Gleichberechtigung noch nicht vorbei. Aber dafür interessiert sich „Die göttliche Ordnung“ nicht.

In unseren Kinos läuft der Schweizer Kinohit in der schweizerdeutschen Originalversion und einer auf Hochdeutsch synchronisierten Version. Wer das Schweizerdeutsche versteht, sollte sich die authentischere Originalversion ansehen.

Die göttliche Ordnung (Schweiz, 2017)

Regie: Petra Volpe

Drehbuch: Petra Volpe

mit Marie Leuenberger, Max Simonischek, Rachel Braunschweig, Sibylle Brunner, Marta Zoffoli, Bettina Stucky, Peter Freiburghaus, Therese Affolter, Ella Rumpf, Nicholas Ofczarek, Sofia Helin

Länge: 96 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Schweizer Homepage zum Film

Moviepilot über „Die göttliche Ordnung“

Wikipedia über „Die göttliche Ordnung“

Hier, zum Vergleichen, der Originaltrailer


Neu im Kino/Filmkritik: Not so „Lovely Louise“ und ihre Kinder

Februar 13, 2014

 

André gehört nicht zu den Losern, die nach einer gescheiterten Karriere und überstandener Midlife-Crisis, vielleicht sogar inclusive Scheidung, mit Mitte Fünfzig in die elterliche Wohnung zurück ziehen, weil entweder die Eltern gerade gestorben sind oder finanzielle Engpässe ihn dazu zwingen. Der Taxifahrer und Tüftler ist nie bei ihr, der titelgebenden „Lovely Louise“ ausgezogen. Das Muttersöhnchen steht unter ihrer Fuchtel. Immer hält sie ihm, mal mehr, mal weniger höflich, vor, dass sie wegen ihm auf eine glänzende Hollywood-Karriere verzichten und in die kleinbürgerliche Spießigkeit der Schweiz zurückkehren musste. Ihre Selbstbestätigung holt sie sich von ihren Freundinnen, die sie als Diva bewundern. André serviert derweil in dem beengten Apartment die Schnittchen. Sein einziges Hobby ist die Modellfliegerei. Heimlich ist er in die am Flughafen arbeitende Wurstverkäuferin Steffi verliebt, aber ansprechen will er sie nicht.

Eines Tages taucht Louises bislang unbekannter Sohn Bill aus den USA auf, der sich gleich mit amerikanischer Jovialität in der engen Wohnung breitmacht, André in seine Werkstatt verbannt und das fragile Mutter-Sohn-Gefüge stört. Denn Louise wendet ihre ganze Liebe dem verlorenen Sohn zu.

Lovely Louise“, der neue Film von „Die Herbstzeitlosen“- und „Tannöd“-Regisseurin Bettina Oberli ist eine harmlos daherkommende, stille Komödie über Beziehungen, Illusionen, Lügen, Träume, das kleine Glück, gescheiterte Existenzen, der Angst vor Veränderungen, den damit verbundenen Stillstand und dem eigenen Weg. Denn irgendwann sollte André sich doch von seiner dominanten, ihn schamlos ausbeutenden Mutter trennen. Das ist, in einer reduzierten Bildsprache, fein beobachtet und gefällt gerade im Vermeiden von offensichtlichen Spannungsmomenten, vor allem in der Geschichte von Bill, dessen Gehabe und seine kaputten Socken ein untrügliches Zeichen für betrügerische Absichten zu sein scheinen. Und so fällt zunächst kaum auf, wie bösartig und unversöhnlich der bieder daherkommende Film hinter seiner heimeligen Fassade aus Züricher Vorstadt und Provinzflughafen ist.

Vollkommen überflüssig ist allerdings der Spanienausflug von Bill und Louise, inclusive Schwimmbadschlägerei zwischen Bill und André und „Charlie staubt Millionen ab“/“The Italian Job“-Kliffhängerei. Das darf nur Michael Caine. Aber der hatte wahrscheinlich keine Mutter.

Lovely Louise - Plakat

Lovely Louise (Schweiz/Deutschland 2013)

Regie: Bettina Oberli

Drehbuch: Bettina Oberli, Petra Volpe, Xao Seffcheque (Mitarbeit Drehbuch)

mit Stefan Kurt, Annemarie Düringer, Stanley Townsend, Nina Proll, Michael Neuenschwander, Carla Juri

Länge: 95 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Film-Zeit über „Lovely Louise“

Moviepilot über „Lovely Louise“