Schweiz, 1971: in einem Bergdorf im Appenzell ist die Zeit stehen geblieben. Der Mann ist der unumstrittene Herr im Haus und Frauen dürfen nicht wählen. Als die junge Nora Ruckstuhl wieder arbeiten möchte, erfährt sie, dass sie dafür die Erlaubnis ihres Mannes benötigt. Sie empfindet diese Regel als ungerecht. Als ihr Mann für einige Tage auf einer Militärübung ist, hat sie die Zeit sich immer mehr zu politisieren und in den Kampf um das Frauenwahlrecht einzumischen.
Wundervolle, nah an den historischen Fakten entlang erzählte, sehr aufbauende Komödie über Frauen, die beginnen für ihre Rechte zu kämpfen.
mit Marie Leuenberger, Max Simonischek, Rachel Braunschweig, Sibylle Brunner, Marta Zoffoli, Bettina Stucky, Peter Freiburghaus, Therese Affolter, Ella Rumpf, Nicholas Ofczarek, Sofia Helin
Was haben wir? Einen Klassiker der deutschen Literatur, der schon einmal fürs Kino verfilmt verfilmt. Aber das war vor fast 65 Jahren und in Schwarzweiß. Daniel Kehlmann als Drehbuchautor. Detlev Buck als Regisseur. Sie arbeiteten schon bei „Die Vermessung der Welt“ (Deutschland/Österreich 2012) zusammen. Eine prominente Besetzung, bestehend aus Jannis Niewöhner als Felix Krull, David Kross als Marquis Louis de Venosta, Liv Lisa Fries als ihre Freundin Zaza und, in Nebenrollen, Maria Furtwängler, Joachim Król, Nicholas Ofczarek, Annette Frier, Dominique Horwitz, Martin Wuttke und Desirée Nosbusch.
Das klingt nach einer Klassikerverfilmung, die interessant sein könnte.
Felix Krull ist ein Hochstapler, der in Paris zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in einem noblen Straßencafé an einem Abend Marquis Louis de Venosta die Geschichte seines Lebens erzählt. Er erzählt von seiner Kindheit im Rheingau als Sohn eines auf großem Fuß lebenden Inhabers einer Sektfirma. Als die Firma bankrott geht, begeht Krulls Vater Suizid. Danach eröffnet seine Mutter in Frankfurt eine kleine Pension. Aus diesem Leben flüchtet Krull nach Paris, dem Land seiner Träume. In Paris heuert er im Grandhotel als Page an. Schnell steigt der allseits beliebte Schlawiner und anpassungsfähige Charmeur auf.
In Paris trifft er auch wieder Zaza. Mit ihr verbrachte er in Frankfurt glückliche Stunden. Sie ist, wie er, eine Hochstaplerin.
Zaza ist auch die große Liebe des Marquis. Er weiß allerdings nicht, dass Krulls große Liebe auch seine große Liebe ist. Allerdings kann er Zaza wegen ihres Standes nicht heiraten. Außerdem will sein Vater ihn auf eine Weltreise schicken. Der Marquis möchte nicht. Aber der Erhalt seines Erbes ist an diese Reise geknüpft.
Diese väterliche Erpressung, von der wir erst ziemlich spät im Film erfahren, ist dann auch der Grund für Krulls Redseligkeit. Denn Krull würde sehr gerne eine Weltreise unternehmen. Sehr gerne auch unter falschem Namen und mit einer gut gefüllten Reisekasse.
Nach den grandiosen, wagemutigen, sehr eigenständigen neuen Literaturverfilmungen „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ und „Martin Eden“ ist Detlev Bucks „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ mehr als fünf Schritte zurück zu den sattsam bekannten Literaturverfilmungen, die brav die Vorlage bebildern und jegliche eigene Handschrift vermissen lassen. Wenn Detlev Buck nicht als Regisseur genannt würde, würde man es nicht einmal erahnen, dass hier der Regisseur von „Wir können auch anders…“ am Werk war.
„Felix Krull“ ist selbstverständlich kein grottenschlechter Film. Dafür sind die Schauspieler zu gut. Die Kostüme und die Ausstattung ebenfalls. Und natürlich ist alles gut aufgenommen. Auch wenn das im Film gezeigte Paris der Jahrhundertwende verdächtig nach einer missglückten Mischung aus Kulisse und CGI aussieht.
Das Drehbuch krankt an seiner Rückblenden-Struktur, die keine Spannung aufkommen lässt. Schließlich ist Krull jeder gefährlichen Situation entkommen. Sonst könnte er dem Marquis jetzt nicht seine Lebensgeschichte erzählen. Warum er das tut, wird erst viel zu spät im Film deutlich und das Erzählen der eigenen Untaten ist sicher nicht die geeignetste Methode, um einen anderen Menschen zu einem Identitästausch anzustiften.
Krulls in Rückblenden erzählte Lebensgeschcihte wird so präsentiert, als gäbe es nur eine Wahrheit und als ob der passionierte Schwindler sie genau jetzt erzählt. Mit dieser Erzählhaltung fällt Bucks „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ erzählerisch hinter Alfred Hitchcocks „Die rote Lola“ (1950) zurück. In dem Film zeigte Hitchcock eine Rückblende, die eine Lüge war. Dabei galt bis dahin die Regel, dass in Rückblenden, weil sie bebildert sind, die Wahrheit erzählt wird. Heute, auch nach Filmen wie „Rashomon“ (ebenfalls 1950), betrachten wir eine Rückblende als die subjektive Sicht des Erzählenden auf die Ereignisse.
Auch Krull könnte uns belügen. Es gibt im Film allerdings keinen entsprechenden Hinweis. Außer vielleicht, dass Krull nur von schönen Frauen und honorigen Männern begehrt wird.
Und so ist „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ als langweiliges, niemals herausforderndes oder irritierendes Bildungsbürgertumskino nur die nächste Klassikerverfilmung für den Deutschunterricht.
Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (Deutschland 2021)
Regie: Detlev Buck
Drehbuch: Daniel Kehlmann, Detlev Buck
LV: Thomas Mann: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull, 1954
mit Jannis Niewöhner, Liv Lisa Fries, David Kross, Maria Furtwängler, Nicholas Ofczarek, Joachim Król, Christian Friedel, Harriet Herbig-Matten, Dominique Horwitz, Annette Frier, Martin Wuttke, Anian Zollner, Désirée Nosbusch, Detlev Buck, Heinrich Schafmeister
Schweiz, 1971: in einem Bergdorf im Appenzell ist die Zeit stehen geblieben. Der Mann ist der unumstrittene Herr im Haus und Frauen dürfen nicht wählen. Als die junge Nora Ruckstuhl wieder arbeiten möchte, erfährt sie, dass sie dafür die Erlaubnis ihres Mannes benötigt. Sie empfindet diese Regel als ungerecht. Als ihr Mann für einige Tage auf einer Militärübung ist, hat sie die Zeit sich immer mehr zu politisieren und in den Kampf um das Frauenwahlrecht einzumischen.
TV-Premiere. Wundervolle, nah an den historischen Fakten entlang erzählte, sehr aufbauende Komödie über Frauen, die beginnen für ihre Rechte zu kämpfen.
mit Marie Leuenberger, Max Simonischek, Rachel Braunschweig, Sibylle Brunner, Marta Zoffoli, Bettina Stucky, Peter Freiburghaus, Therese Affolter, Ella Rumpf, Nicholas Ofczarek, Sofia Helin
1971: Die Jugend probiert den Aufstand. Freie Liebe. Hippies. Woodstock. Janis Joplin. Jim Morrison. Jimi Hendrix. Grenzen werden niedergerissen. Traditionen und Konventionen missachtet. Schwule gehen auf die Straße. Schwarze träumen von der Revolution. Frauen zeigen ihre Brüste. Auch in Europa ist etwas von dem revolutionären Zeitgeist zu spüren. In Deutschland bombt die RAF sich durch die Bundesrepublik.
Und in der Schweiz gibt es eine eidgenössische Abstimmung zum Frauenwahlrecht.
An dieser Volksabstimmung sind selbstverständlich nur Männer stimmberechtigt. Trotzdem gab es eine Mehrheit für das Frauenstimmrecht. Auf kantonaler Ebene wurde es Frauen dagegen teilweise noch lange verwehrt. Als letzter Kanton führt 1990 Appenzell Innerrhoden, gezwungen durch einen Entscheid des Bundesgerichts, das Stimmrecht für Frauen auf kantonaler Ebene ein.
Im Appenzell, das optisch eine richtige Postkarten-Schweiz ist, drehte Petra Volpe ihren neuesten Film „Die göttliche Ordnung“, in dem sie vom Kampf um die Abstimmung für das Frauenwahlrecht 1971 erzählt. In dem im Film nicht genannten Ort ist damals die Welt noch in Ordnung. Die Straßen sind sauber. Die Männer arbeiten. Die Frauen machen den Haushalt und kümmern sich um die Kinder. Sonntags wird in die Kirche gegangen und der Pfarrer predigt über die göttliche Ordnung. Das Frauenwahlrecht und die Ideen von Gleichberechtigung sind Verstöße dagegen. Einige Frauen, wie Dr. Charlotte Wipf, Firmenchefin und Vorsteherin des „Aktionskomitees gegen die Verpolitisierung der Frau“, sind gegen ein Frauenwahlrecht.
Nora Ruckstuhl macht sich darüber keine Gedanken. Aber dass sie ihren Mann Hans darum bitten muss, wieder in ihrem Ausbildungsberuf arbeiten zu dürfen, empfindet sie als ungerecht.
Als Hans für einige Tage zu einer Militärübung muss, kann sie sich ungestört politisieren. Sie nimmt immer mehr Ungerechtigkeiten des unumstritten herrschenden Patriarchats wahr. Der Mann ihrer Schwägerin kann seine Tochter wegsperren lassen, weil sie ihm zu aufständig ist. Die ehemalige Bären-Wirtin Vroni ist von ihrer Tochter finanziell abhängig, weil ihr Mann das gesamte Geld verschleuderte. Der gesamte Haushalt und die Kindererziehung wird von den Frauen gemacht, aber das ist ja keine Arbeit, weil nur die Männer arbeiten; – das klingt jetzt vielleicht urig schweizerisch, aber auch in Deutschland wurde damals ähnlich gedacht.
Als Nora sich auf einer öffentlichen Veranstaltung für das Frauenwahlrecht ausspricht, wird sie, von anderen Frauen mehr gezwungen und gedrängt, als aus eigenem Antrieb, im Dorf zur Sprecherin für das Frauenwahlrecht. Die Bären-Wirtschaft, jetzt geführt von der alleinstehenden Italienerin Graziella, die aus dem Gasthof eine Pizzeria machen will, wird zum Zentrum des Widerstandes, in dem sich immer mehr Dorffrauen versammeln. Aber können sie in ihrem Kanton unter den Männern eine Mehrheit für das Frauenwahlrecht herstellen? Denn den Männern gefällt die bisherige gesellschaftliche Ordnung, die sie zur göttlichen Ordnung verklären, sehr gut.
Petra Volpe („Traumland“, Drehbücher für „Lovely Louise“ und „Heidi“) inszenierte einen liebevoll nostalgischen, im Zeitkolorit badenden und die Solidarität zwischen Frauen beschwörenden Blick zurück in eine andere Zeit, in der die Enge (in jeder Beziehung) auch immer etwas heimeliges hat. Dass die Männer Probleme mit ihrer Rolle als Familienoberhaupt haben und vom Haushalt keine Ahnung haben, verschweigt sie nicht. Aber weil Volpe niemanden verurteilen will und für alle Verständnis hat, ist ihr Film dann auch immer harmloser als nötig. „Die göttliche Ordnung“ ist keine Anklage gegen die männliche Vorherrschaft, sondern nostalgisch gefärbtes Feelgood-Kino.
Das liegt auch daran, dass heute niemand das Frauenwahlrecht abschaffen will.
Die Argumente, die im Film gegen das Frauenwahlrecht vorgebracht werden, – um endlich den Sprung in die Gegenwart (und auch nach Deutschland) zu schaffen -, werden heute, wie ein Blick auf die „Wir wählen“-Seite zeigt, gegen ein Ausländerwahlrecht vorgebracht.
Und natürlich ist der Kampf um Gleichberechtigung noch nicht vorbei. Aber dafür interessiert sich „Die göttliche Ordnung“ nicht.
In unseren Kinos läuft der Schweizer Kinohit in der schweizerdeutschen Originalversion und einer auf Hochdeutsch synchronisierten Version. Wer das Schweizerdeutsche versteht, sollte sich die authentischere Originalversion ansehen.
Die göttliche Ordnung (Schweiz, 2017)
Regie: Petra Volpe
Drehbuch: Petra Volpe
mit Marie Leuenberger, Max Simonischek, Rachel Braunschweig, Sibylle Brunner, Marta Zoffoli, Bettina Stucky, Peter Freiburghaus, Therese Affolter, Ella Rumpf, Nicholas Ofczarek, Sofia Helin