Neu im Kino/Filmkritik: „Good Fortune – Ein ganz spezieller Schutzengel“, der nur helfen will

Oktober 16, 2025

Im ersten Moment, wenn der Schutzengel Gabriel traurig und gelangweilt von seinem Alltag auf seine Stadt blickt, denken wir Cineasten und in Berlin lebenden Menschen sofort an Wim Wenders, der in „Der Himmel über Berlin“ Engel durch die damals noch geteilte deutsche Hauptstadt streifen ließ.

Dieser Eindruck, nämlich dass „Good Fortune – Ein ganz spezieller Schutzengel“ Wenders‘ Klassiker schamlos kopiert, verflüchtigt sich schnell. Gabriel, kongenial von Keanu Reeves gespielt, ist ein Schutzengel auf einer der untersten Hierarchiestufen. Er soll Menschen, die im Verkehr auf ihr Handy starren, vor Unfällen bewahren. Das geschieht durch eine sanfte Berührung.

Als er Arj (Aziz Ansari) trifft, möchte er ihm helfen. Arj hat das College abgeschlossen. Er möchte Film-Cutter werden. Im Moment schlägt er sich mit mehreren Jobs mehr schlecht als recht durchs Leben. Er schläft in seinem Auto und er ist, wenig überraschend, unzufrieden mit seinem Leben.

Eines Tages beauftragt ihn Selfmade-Millionär Jeff (Seth Rogen) via eines Gelegenheitsjobs-Portals mit dem Entrümpeln seiner Garage. Jeff findet Arj sympathisch und stellt ihn ein. Er gibt sich kumpelhaft. Aber nach einer kleinen Verfehlung entlässt er Arj sofort.

In diesem Moment beschließt Gabriel, einzugreifen. Schon lange will er etwas Gutes tun; etwas, das das Leben eines Menschen entscheidend zum Besseren beeinflusst. Er vertauscht die Körper von Arj und Jeff. Er hofft, Arj so zu überzeugen, dass Geld allein nicht glücklich macht und dass sein Leben am unteren Rand des Existenzminimums gar nicht so schlimm ist.

Arj sieht das allerdings anders. Er genießt seinen plötzlichen Reichtum und will dieses Leben unbedingt weiterführen.

Währenddessen beauftragte Gabriels Chefin ihren übereifrigen Engel, das von ihm verursachte Chaos wieder rückgängig zu machen. Und degradiert ihn zum Menschen. Zusammen mit Jeff, der möglichst schnell wieder in sein altes Leben zurück will, versucht Gabriel Arj zu überzeugen, wieder in sein altes Leben zurückzukehren.

Good Fortune – Ein ganz spezieller Schutzengel“ ist das Spielfilmdebüt von Aziz Ansari, der auch das Drehbuch schrieb und die Hauptrolle übernahm. Bekannt ist Stand-up-Komiker Ansari als Schauspieler aus den Serien „Parks and Recreation“ und „Master of None“.

Der Film selbst ist eine wunderschön entspannt erzählte und gespielte, leicht sozialkritische Komödie mit einem erstaunlich präzisen und nüchternen Blick auf den US-amerikanischen Kapitalismus. Die Stimmung ist durchgehend sehr freundlich. Die Botschaft zutiefst humanistisch, das Positive sehend und an das Gute glaubend. „Good Fortune“ ist einer dieser kleinen Filme, denen man unbedingt eine Chance geben sollte. Auch wenn er auf den ersten Blick wie ein verzichtbarer Direct-to-DVD/Streaming/Nachmittags-TV-Film aussieht.

Die humorvoll-ernste Geschichte dieses sympathisch tölpelhaften Schutzengels und seiner sich zunehmend schwierig gestaltenden Mission könnte sogar zu einem kleinen Sleeper-Hit werden, den man sich gerne immer wieder ansieht. Die Komödie könnte auch die Inspiration für eine Feelgood-TV-Serie werden, in der die Engel, die wir im Film während ihrer Treffen kennen lernen, jede Woche in Los Angeles Seelen retten müssen.

Good Fortune – Ein ganz spezieller Schutzengel (Good Fortune, USA 2025)

Regie: Aziz Ansari

Drehbuch: Aziz Ansari

mit Keanu Reeves, Seth Rogen, Aziz Ansari, Sandra Oh, Keke Palmer

Länge: 99 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Good Fortune“

Metacritic über „Good Fortune“

Rotten Tomatoes über „Good Fortune“

Wikipedia über „Good Fortune“ (deutsch, englisch)


TV-Tipp für den 19. April: Tom Thorne: Die Tränen des Mörders

April 19, 2015

ZDF, 22.00
Tom Thorne: Die Tränen des Mörders (Großbritannien 2010, Regie: Benjamin Ross)
Drehbuch: Dudi Appleton, Jim Keeble
LV: Mark Billingham: Scaredy Cat, 2002 (Die Tränen des Mörders)
Zweite und letzte Tom-Thorne-Verfilmung mit David Morrissey (inzwischen der Governeur in „The Walking Dead“) als hartnäckigen Londoner Detective Inspector Tom Thorne.
Dieses Mal will er den Mord an zwei jungen Frauen aufklären. Obwohl der Modus Operandi vollkommen verschieden ist und es, außer dass beide Frauen kurz vor ihrer Ermordung in einer U-Bahn-Station waren, keine Verbindung zwischen ihnen gibt, glaubt Thorne, dass es einen Zusammenhang zwischen den beiden Morden gibt und der Täter schon früher mordete. Thorne glaubt sogar, dass er zwei Serienkiller verfolgt, die gemeinsam morden.
Spannender Thriller, bei dem mich eine falsche Szene auf die falsche Fährte führte. Denn ohne diese Szene hätte ich die Pointe vorhergesehen.
Davon abgesehen: Eddie Marsan ist dabei!!!
mit David Morrissey, Aidan Gillen, Eddie Marsan, Sandra Oh, O. T. Fagbenle, Tom Brooke, Jaleh Alp, Leo Gregory, Jack Shepherd, Joe Absolom
Wiederholungen
Montag, 20. April, 00.50 Uhr (Taggenau!)
ZDFneo, Freitag, 1. Mai, 23.05 Uhr
ZDFneo, Samstag, 2. Mai, 02.40 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Homepage von Mark Billingham

Meine Besprechung von Stephen Hopkins Tom-Thorne-Verfilmung „Der Kuss des Sandmanns – Tom Thorne ermittelt“ (Thorne: Sleepyhead, GB 2010)

Mark Billingham in der Kriminalakte


Neu im Kino/Filmkritik: „Tammy – Voll abgefahren“, aber etwas ziellos

Juli 3, 2014

„Tammy – Voll abgefahren“ ist eine Mogelpackung. Denn der neue Film von und mit Melissa McCarthy ist nur am Anfang eine Komödie. Da wird ihr Auto von einem Hirsch gestoppt. Das Tier überlebt, Ihr Auto ist dagegen ziemlich demoliert. Kurz darauf wird sie von ihrem Chef (Ben Falcone) gefeuert. In einem sinnlosen Wutanfall wirft sie mit Lebensmitteln (soweit das über Fastfood-Kost gesagt werden kann) um sich. Sie fährt nach Hause und erwischt ihren Göttergatten mit einer anderen Frau.
Tammy hat genug. Sie will abhauen, aber nur ihre Oma Pearl (Susan Sarandon, auf steinalt frisiert) verfügt über genug Geld und, was noch wichtiger ist, ein Auto. Die beiden gegensätzlichen Frauen, die in den vergangenen Jahrzehnten wahrscheinlich keine drei Worte miteinander wechselten, machen sich auf den Weg zu den Niagara-Fällen, die Pearl schon immer besuchen wollte. Sagt sie. Außerdem ist Pearl Trinkerin, sexuellen Freuden nicht abgeneigt und sie vergisst schon einmal ihre Tabletten. Einige Tabletten hat sie auch durch wirksamere Medikamente bei dem jugendlichen Drogenhändler um die Ecke eingekauft. Kurz: sie ist vollkommen verantwortungslos.
Bei dieser Prämisse könnte „Tammy“ eine weitere „Hangover“-Variante mit Frauen werden. Auch der Trailer schlägt in diese Kerbe und damit weit daneben. Denn ziemlich schnell wird „Tammy“ immer ernster und zu einer sehr interessanten Variante von Alexander Paynes grandiosem Road-Movie „Nebraska“. Denn beide Male geht es bei dieser Reise, die ein Kind mit einem Elternteil (beziehungsweise Großelternteil) unternimmt, um ein letztes Kennenlernen der Generationen, um Versöhnung und auch um neue Lebensperspektiven. In „Nebraska“ sagt der Sohn auch ausdrücklich, dass diese Reise die letzte Gelegenheit sei, um mit seinem zunehmend dement werdendem Vater, der auch ein Alkoholiker ist, noch einige Tage zu verbringen. In „Tammy“ ist die Reise für Tammy wahrscheinlich die letzte Gelegenheit, aus ihrem Leben auszubrechen. Denn bislang endete jede ihrer Fluchtversuche an der Stadtgrenze. Für Pearl ist es die letzte Möglichkeit, noch einmal etwas anderes zu sehen. Dabei geht es in beiden Filmen um die Reise und die Selbsterkenntnisse der Charaktere. Denn das Ziel – ein falscher Lottogewinn, ein Besuch der Niagara-Fälle – ist nebensächlich. Beide Male geht es auch um Familienbeziehungen. So treffen Tammy und Pearl auf ihrer Reise auch Pearls Cousine Lenore (Kathy Bates), die als bekennende Lesbe ein Leben weitab der Konventionen von Tammys Leben führt.
Aber während „Nebraska“ ein in sich geschlossenes melancholisches SW-Drama ist, ist „Tammy“ eine Komödie, die zu einem Drama wird und die mehr aus Einzelteilen als aus der Summe der Teile besteht. So ist „Tammy“ nie so gut, wie er sein könnte, aber die Komödie ist doch ein Schritt weg von dem inzwischen bekannten Melissa-McCarthy-Fahrwasser. Ich sage nur „Brautalarm“, „Voll abgezockt“ und „Taffe Mädels“.
Wieder beweist Melissa McCarthy einen herrlichen Hang zu unvorteilhaften Kleidern, wilden Frisuren und Schminkkatastrophen. Hässlicher sah wohl schon lange kein Star mehr aus. Wenn man weiß, dass sie zusammen mit ihrem Ehemann Ben Falcone das Drehbuch schrieb, sie den Film mitproduzierten und Falcone hier sein Regiedebüt gab, dann sagt das einiges über die Eitelkeit von Melissa McCarthy aus. Und wohin sie sich in kommenden Filmen bewegen könnte. Denn unter der Komödie scheint auch immer eine gesellschaftskritische und liberale Agenda durch, die auch einen Traum von einem anderen Amerika zeigt.
Insofern ist „Tammy“ ein sehr interessanter filmischer Bastard, den ich trotz seiner Fehler mag. Dazu trägt auch die gute Besetzung bei. Neben Susan Sarandon und Kathy Bates spielen auch Dan Akroyd, Toni Colette und Sandra Oh in kleinen, aber wichtigen Rollen mit. Und „The Descendants“- und „Ganz weit hinten“-Drehbuchautor Nat Faxon spielt Tammys Ehemann, der für die falsche Frau Essen kocht.

Tammy - Plakat

Tammy – Voll abgefahren (Tammy, USA 2014)
Regie: Ben Falcone
Drehbuch: Melissa McCarthy, Ben Falcone
mit Melissa McCarthy, Susan Sarandon, Allison Janney, Gary Cole, Dan Akroyd, Kathy Bates, Nat Faxon, Toni Colette, Sandra Oh, Ben Falcone
Länge: 97 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Tammy“
Moviepilot über „Tammy“
Metacritic über „Tammy“
Rotten Tomatoes über „Tammy“
Wikipedia über „Tammy“
Meine Besprechung der Melissa-McCarthy-Filme „The Nines – Dein Leben ist nur ein Spiel“ (The Nines, USA 2007), „Voll abgezockt“ (Identity Thief, USA 2013) und „Taffe Mädels“ (The Heat, USA 2013)

Zwei Interviews mit Melissa McCarthy über „Tammy“