Neu im Kino/Filmkritik: Über James Mangolds Bob-Dylan-Biopic „Like a Complete Unknown“

Februar 27, 2025

Als Bob Dylan (Timothée Chalamet) im Januar 1961 in New York ankommt, wartet niemand auf ihn. Er ist nur ein weiterer junger Mann mit einer Gitarre und dem Wunsch als Folk-Musiker Geld zu verdienen.

Wahnsinnig schnell steigt er, mit ein wenig väterlicher Hilfe von Pete Seeger (Edward Norton), den er am Krankenbett von seinem Idol Woody Guthrie trifft, zum Star und zur Stimme einer Generation auf.

Fünf Jahre später wagt er den Bruch mit der Folk-Szene. Er stöpselt seine Gitarre ein – und der Rest ist Rockgeschichte.

James Mangold der Regisseur des Johnny-Cash-Biopics „Walk the Line“, beschäftigt sich in seinem neuesten Film „Like a Complete Unknown“ mit diesen fünf entscheidenden Jahren in Bob Dylans Karriere. In diesen Jahren legte er das Fundament. Er schrieb viele Songs, die heute immer noch fest im kollektiven Gedächtnis verhaftet sind. Er elektrifizierte, mit einigen begnadeten Begleitmusikern, die Folkmusik zum Folkrock. Es ist auch eine Zeit, die musikhistorisch gut aufgearbeitet ist. Genannt seien hier, neben zahlreichen Büchern und Reportagen, Martin Scorseses vorzüglicher Dokumentarfilm „No Direction Home“, der sich ebenfalls mit diesen Jahren in Bob Dylans Leben beschäftigt, und die vielen CDs in Dylans „The Bootleg Series“, die sich intensiv mit diesen Jahren beschäftigen und bei Fans immer wieder für Erstaunen sorgen. Denn gerade wenn man glaubt, auch wirklich den allerletzten Alternate Take eines Songs gehört zu haben, veröffentlicht Dylan einen weiteren Alternate Take.

Über Dylans Privatleben ist weniger bekannt, was auch daran liegt, dass in Musikzeitschriften, LP-Kritiken und Dokumentarfilmen sich auf das Werk und damit zusammenhängende Äußerungen des Künstlers konzentriert wird. In einem Spielfilm ist das dann anders. Entsprechend großen Raum nehmen Dylans Beziehung zur Folk-Ikone Joan Baez (Monica Barbaro) und zu Suze Rotolo ein. Im Film heißt die politische Aktivistin und Friedenskämpferin Sylvie Russo (Elle Fanning). Beide animierten Dylan zu mehr politischen Liedern. Ein klassischer Polit-Sänger wurde er nie und er benimmt sich ihnen gegenüber immer wieder, wie Mangold in seinem Biopic zeigt, wie ein Arschloch. Seine erste Ehefrau, Sara Lownds, die er 1965 heiratete, wird im Film nicht erwähnt.

James Mangold stellt diese Zeit detailgetrau nach. Bei den Fakten nimmt er sich Freiheiten, die Dylan-Fans teilweise die Wände hochlaufen lassen. Salopp gesagt: die Gitarre stimmt, die Frisur stimmt, die Kleider stimmen, wahrscheinlich stimmt sogar Dylans Unterhose, die Lampe im Hintergrund sowieso, aber dann singt Dylan sein großes Liebeslied vor der falschen Frau oder zum falschen Zeitpunkt. „Like a complete unknown“ ist wahrlich kein verfilmter Wikipedia-Artikel, sondern ein Dylan-Biopic, das ein Gefühl von Dylans Aura vermitteln will und ihn als jungen, von Erfolg zu Erfolg eilenden Künstler zeigt, während Timothée Chalamet die unkaputtbaren Songs von Bob Dylan spielt.

Like a complete unknown“ kann daher gut als Startpunkt für weitere Dylan-Studien verwendet werden. Außerdem hat Bob Dylan, geboren 1941 als Robert Allen Zimmerman in Duluth, Minnesota, schon am Beginn seiner Karriere einer guten Geschichte immer den Vorzug gegenüber der historischen Wahrheit gegeben.

Der Film selbst wirkt dabei immer wie der Besuch in einem Museum. Es ist informativ und kurzweilig in seiner Mischung aus Information und Musik. Vieles wird angesprochen, aber nie aus einer bestimmten Perspektive, sondern nüchtern-objektiv wie ein Text in einer Ausstellung, in dem dann steht, dass Dylan 1965 in Newport nicht mit der im Folk akzeptierten Akustikgitarre, sondern mit einer E-Gitarre auftrat und er von einer Rockband begleitet wurde. Teile des Publikums buhten über diesen Verrat an der Folkmusik. Dieser Auftritt bildet den Höhepunkt und das krachende Finale des Biopics. Die Songs funktionieren, das um den Auftritt ausbrechende Chaos verfolgt man eher ungerührt, weil einerseits an der Mythenbildung weitergearbeitet wird und andererseits nicht wirklich erfahrbar gemacht wird, wie groß der Bruch mit damaligen Folk-Szene war.

Like a complete unkown“ bleibt in diesem Moment, wie während des gesamten Films, an der glänzenden Oberfläche, die nichts von den Leiden und Selbstzweifeln eines Künstlers verrät. Dylan tut, was Dylan tun muss. Die Folk-Szene und seine Beziehungen bleiben der folkloristische Hintergrund für ikonische Bilder. Das ist nie wirklich schlecht und immer gut gemacht, aber auch nie wirklich befriedigend.

Wer mehr über die damalige Folk-Szene und deren Innenleben erfahren möchte, sollte sich „Inside Llewlyn Davis“ ansehen. Der Film der Coen-Brüder endet mit der Ankunft von Dylan in Greenwich Village. Trotzdem ist es der bessere Film über Bob Dylan, die damalige Folk-Szene und die inneren und äußeren Kämpfe eines Musikers. Und dann gibt es noch Martin Scorseses bereits erwähnten Dokumentarfilm „No Direction Home“ über diese erste Schaffensphase in dem an Irrungen, Wirrungen, Ab- und Umwegen reichen Werk von Bob Dylan und seinen Erforschungen der amerikanischen Seele.

Like a complete unknown (A complete unknown, USA 2024)

Regie: James Mangold

Drehbuch: James Mangold, Jay Cocks

LV: Elijah Wald: Dylan Goes Electric!, 2015

mit Timothée Chalamet, Edward Norton, Elle Fanning, Monica Barbaro, Boyd Holbrook, Dan Fogler, Norbert Leo Butz, Scott McNairy

Länge: 142 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Like a complete unknown“

Metacritic über „Like a complete unknown“

Rotten Tomatoes über „Like a complete unknown“

Wikipedia über „Like a complete unknown“ (deutsch, englisch) und Bob Dylan (deutsch, englisch)

AllMusic über Bob Dylan

Homepage von Bob Dylan

Meine Besprechung von James Mangolds “Wolverine – Weg des Kriegers” (The Wolverine, USA 2013)

Meine Besprechung von James Mangolds „Logan – The Wolverine“ (Logan, USA 2017)

Meine Besprechung von James Mangolds „Le Mans 66: Gegen jede Chance“ (Ford v Ferrari, USA 2019)

Meine Besprechung von James Mangolds „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ (Indiana Jones and the Dial of Destiny, USA 2023)


TV-Tipp für den 3. April: Frank

April 2, 2020

One, 21.00

Frank (Frank, Irland/Großbritannien 2014)

Regie: Lenny Abrahamson

Drehbuch: Jon Ronson, Peter Straughan

LV: Jon Ronson: Oh Blimey! (Reportage, The Guardian, 2006)

Möchtegernmusiker Jon wird als Keyboarder der legendären Avantgardeband „Soronprfbs“ engagiert und das Mitglied einer sehr seltsamen Gemeinschaft. Angeführt wird sie von dem mehr als seltsamen Frank.

Das ist der Film, in dem Michael Fassbender als Bandleader Frank während des gesamten Films eine Pappmaché-Maske trägt.

„Frank“ ist ein herrlich schrulliger Film mit einem liebevollen Blick auf gesellschaftliche Außenseiter, die sich in einer Band einen eigenen, gut funktionierenden Schutzraum geschaffen haben.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Michael Fassbender, Domhnall Gleeson, Maggie Gyllenhaal, Scott McNairy, Francois Civil, Carla Azar

Hinweise
Englische Homepage zum Film
Deutsche Facebook-Seite zum Film
Moviepilot über „Frank“
Metacritic über „Frank“
Rotten Tomatoes über „Frank“
Wikipedia über „Frank“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jon Ronsons “Männer, die auf Ziegen starren” (The men who stare at Goats, 2004)

Meine Besprechung von Jon Ronsons “Die Psychopathen sind unter uns – Eine Reise zu den Schaltstellen der Macht” (The Psychopath Test – A Journey through the Madness Industry, 2011)

Meine Besprechung von Lenny Abrahamsons „Frank“ (Frank, Irland/Großbritannien 2014)

Meine Besprechung von Lenny Abrahamsons „Raum“ (Room, Irland/Kanada 2015)


Neu im Kino/Filmkritik: Nicole Kidmans Tough-Cop-Show „Destroyer“

März 14, 2019

Den Abschluss der kleinen Reihe von Filmen, die in den vergangenen Wochen in unseren Kinos anliefen („Aquaman“, „Der verlorene Sohn“, „Mein Bester & Ich“) und in denen Nicole Kidman ihre schauspielerische Bandbreite zeigt, endet mit „Destroyer“.

Der harte Neo-Noir-Cop-Thriller verlangt ihr in puncto Aussehen das Meiste ab. Denn bei den in der Gegenwart spielenden Teilen ist sie auch auf den zweiten und dritten Blick kaum zu erkennen. Sie ist ein klappriges Alkoholwrack, das seit Jahren nur noch mit der Hilfe von Drogen den Tag überlebt. Als Mutter und Kollegin ist Erin Bell die Totalkatastrophe, die den „Bad Lieutenant“ (egal ob in der Version von Abel Ferrara oder Werner Herzog) zum Mitarbeiter des Monats macht.

Als junge FBI-Agentin war Erin Bell Teil eines gefährlichen Undercover-Einsatz gegen Silas und seine skrupellose Bankräuberbande. Der Einsatz ging schief. Wie und warum verrät der Neo-Noir erst gegen Ende.

Siebzehn Jahre später kehrt Silas zurück nach Los Angeles. Er raubt weiterhin Banken aus und es können alte Rechnungen beglichen werden. Aber zuerst muss LAPD Detective Bell Silas finden. Und wie es sich für einen harten Cop gehört, geht Bell nicht zimperlich vor.

Viel mehr kann über Karyn Kusamas „Destroyer“ nicht verraten werden, ohne den gesamten Film zu spoilern. Denn sie erzählt die letztendlich sehr einfache Geschichte durchgehend und in jeder Beziehung fragmentarisch. Das entspricht der Wahrnehmung eines Drogensüchtigen.

Gleichzeitig ist es schwer, sich mit Bell zu identifizieren. Nicht weil sie drogensüchtig und konsequent unhöflich ist, sondern weil ihre Handlungsmotive teilweise bis zum Ende rätselhaft bleiben. So werden die Ereignisse der siebzehn Jahre zurückliegenden Undercover-Operation, die auch der Beginn ihrer Suchtbiographie ist, erst langsam enthüllt. Das ganze Bild hat man erst am Ende. Und erst in der letzten Minute weiß man, wie die verschiedenen Zeitebenen zusammenhängen. Das ist, wenn man Filme gerne mit einem Notizblock ansieht, interessant. Aber emotional involviert ist man nicht. Jedenfalls nicht in diesem Fall.

Dazu kommen im Rahmen des sich realistisch gebenden Noirs hoffnungslos unrealistische Szenen. Zum Beispiel beobachtet Bell bei einer Observation einen Banküberfall. Anstatt auf das Spezialeinsatzkommando zu warten, stürmt sie mit einer Maschinenpistole im Arm und zwei zufällig anwesenden Streifenpolizisten im Schlepptau in die Bank und beginnt eine Schießerei, die eindeutig von „Heat“ inspiriert ist. Menschen sterben. Panik bricht aus. Und sie befördert am helllichten Tag auf einem gut einsehbarem Parkplatz mitten in der Stadt einen der Bankräuber in den Kofferraum ihres Autos. Später im Film wird diese Schießerei und ihre Entführung (Verhaftung kann es nicht genannt werden) nicht einmal erwähnt. Es ist, als habe es den Schusswechsel und die zahlreichen Toten niemals gegeben.

Karyn Kusama, die nach ihren Spielfilmen „Girlfight“, „Æon Flux“ und „Jennifer’s Body“ in den vergangenen Jahren vor allem Episoden für Serien wie „Chicago Fire“, „Halt and Catch Fire“, „The Man in the High Castle“ und „Billions“ inszenierte, ist durch diese TV-Arbeiten den schnellen, effektiven Dreh mit einem überschaubarem Budget gewohnt. Auch bei „Destroyer“ war das Budget mit neun Millionen Dollar überschaubar. Aber dem an ausschließlich an Originalschauplätzen in Los Angeles gedrehtem Film sieht man das niedrige Budget nicht an.

Die Bilder und vor allem Nicole Kidman überzeugen. Sie hält den Film zusammen. Sie ist unbestritten das Zentrum des Films, der seine altbekannte Geschichte viel zu umständlich erzählt.

Destroyer (Destroyer, USA 2018)

Regie: Karyn Kusama

Drehbuch: Phil Hay, Matt Manfredi

mit Nicole Kidman, Toby Kebbell, Tatiana Maslany, Sebastian Stan, Scott McNairy, Bradley Whitford, Toby Huss, James Jordan, Beau Knapp, Bradley Whitford

Länge: 122 Minuten

FSK: ab 12 Jahre (hätte eher mit FSK-16 gerechnet)

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Destroyer“

Metacritic über „Destroyer“

Rotten Tomatoes über „Destroyer“

Wikipedia über „Destroyer“ (deutsch, englisch)

Ein Mini-Werbe-Making-of

Ein Q&A beim TIFF mit Karyn Kusama, Nicole Kidman, Tatiana Maslany, Sebastian Stan, Phil Hay und Matt Manfredi

Scott Feinberg unterhält sich mit Karyn Kusama und Nicole Kidman


TV-Tipp für den 26. März: Frank

März 26, 2018

WDR, 23.20

Frank (Frank, Irland/Großbritannien 2014)

Regie: Lenny Abrahamson

Drehbuch: Jon Ronson, Peter Straughan

LV: Jon Ronson: Oh Blimey! (Reportage, The Guardian, 2006)

Möchtegernmusiker Jon wird als Keyboarder der legendären Avantgardeband „Soronprfbs“ engagiert und das Mitglied einer sehr seltsamen Gemeinschaft, angeführt.

Das ist der Film, in dem Michael Fassbender als Bandleader Frank während des gesamten Films eine Pappmaché-Maske trägt.

Frank“ ist ein herrlich schrulliger Film mit einem liebevollen Blick auf gesellschaftliche Außenseiter, die sich in einer Band einen eigenen, gut funktionierenden Schutzraum geschaffen haben.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung der heutigen TV-Premiere.

mit Michael Fassbender, Domhnall Gleeson, Maggie Gyllenhaal, Scott McNairy, Francois Civil, Carla Azar

Hinweise
Englische Homepage zum Film
Deutsche Facebook-Seite zum Film
Film-Zeit über „Frank“
Moviepilot über „Frank“
Metacritic über „Frank“
Rotten Tomatoes über „Frank“
Wikipedia über „Frank“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jon Ronsons “Männer, die auf Ziegen starren” (The men who stare at Goats, 2004)

Meine Besprechung von Jon Ronsons “Die Psychopathen sind unter uns – Eine Reise zu den Schaltstellen der Macht” (The Psychopath Test – A Journey through the Madness Industry, 2011)

Meine Besprechung von Lenny Abrahamsons „Frank“ (Frank, Irland/Großbritannien 2014)

Meine Besprechung von Lenny Abrahamsons „Raum“ (Room, Irland/Kanada 2015)


Neu im Kino/Filmkritik: „Frank“, das Genie unter der Maske

August 30, 2015

Dass „Frank“ es doch noch in unseren Kinos gezeigt wird (wobei der DVD-Start schon für den 30. Oktober angekündigt ist), ist schon eine kleine, freudige Überraschung. Immerhin hatte der Musikfilm bereits im Januar 2014 seine Premiere auf dem Sundance-Festival. In England startete er am 9. Mai 2014. Die schrullige Komödie wurde allgemein abgefeiert und erhielt einige Preise. Aber von einer deutschen Veröffentlichung war nichts zu hören. Bis jetzt. Dabei sollte doch allein schon der Hinweis, dass Everbody’s Darling Michael Fassbender die Hauptrolle spielt, für Interesse sorgen.
Fassbender spielt Frank, einen genialen, aber auch seltsamen Musiker. Sein Gesicht verbirgt er hinter einem riesigen Pappmaché-Kopf, auf dem ein immer leicht erstaunt wirkendes, kindlich naives Gesicht gemalt ist und die von ihm geleitete Band „Soronprfbs“ ist zwar unter Alternative-Fans beliebt, aber kommerziell vollkommen erfolglos. Außerdem hat die Band genialer Dilletanten ein ständiges Keyboarder-Problem. Der letzte wurde nach einem erfolglosen Suizid-Versuch ins Krankenhaus eingeliefert.
Jon (Domhnall Gleeson), ein introvertierter Möchtegern-Musiker, der seine banalen Alltagsbeobachtungen mit Keyboardklängen abschmeckt, wird als Ersatz-Keyboarder angeheuert. Frank ist von ihm begeistert. Er lädt ihn zu einer Aufnahmesession ein, die nicht, wie Jon erwartet, im Studio um die Ecke an einem Nachmittag, sondern in einer einsam an einem irischen See gelegenen Hütte ist und die achtzehn Monate dauert, in der die Band, die aus merkwürdigen Gestalten und fragilen Beziehungen besteht, dank der ungefragten Social-Media-Arbeit von Jon zu einem Auftritt bei dem Indie-Festival „South by Southwest“ in Austin, Texas führt, was den Durchburch bedeuten könnte.
„Frank“ spielt zwar in der Gegenwart, aber die Musik und die Anspielungen kommen dann doch aus der Vergangenheit. Der Film basiert nämlich sehr lose auf einer Reportage von Jon Ronson, die er und Peter Straughan stark bearbeiteten. Wie schon bei ihrer Bearbeitung von Ronsons Sachbuch „Männer, die auf Ziegen starren“. Denn Ronsons Reportage „Oh Blimey“ ist über Frank Sidebottom, ein von dem verstorbenen Komiker Chris Sievey 1984 erfundener Kunstcharakter, dessen wahre Identität zunächst unbekannt war. Frank Sidebottom tourte Ende der Achtziger und in den Neunzigern durch England, hatte zahlreiche Fernsehauftritte und es gab einen Comicstrip mit ihm. Eine Zeit lang spielte Ronson in Sidebottoms Band Keyboard.
Dieser Charakter, bzw. die Idee eines genialen Musiker, der immer mit einem Pappmaché-Kopf auftritt und einer ihn bewundernden Band, wurde dann in die Gegenwart transferiert und eine neue Geschichte erfunden, bei der das Wissen um die Ursprünge eher stört. Denn „Frank“ ist kein Biopic und von ‚wahren Ereignissen‘ ist er auch nicht inspiriert. Dafür sind die Änderungen dann zu groß.
Trotzdem wirkt Lenny Abrahamsons Film immer wie ein aus der Zeit gefallener Bastard, bei dem die modernen Elemente eher stören. Denn Franks Musik, die absurde Heldenvereherung seiner Mitmusiker für ihn und seine Suche nach dem perfekten Ton als Teil der nur in seinem Kopf vorhandenen depressiven Symphonie und die monatelange Aufnahmesession in einer einsam gelegenen Hütte atmen in jeder Sekunde den depressiven Geist der achtziger Jahre, inclusive dem vom Punk kommenden Hang zum Dilletantismus und einen unbedingten Experimentierwillen.
So nennen die Macher den manisch-depressiven Singer/Songwriter Daniel Johnston, der seit den frühen Achtzigern Platten veröffentlicht, und Captain Beefheart, ein Frank-Zappa-Mitmusiker, der in den frühen Siebzigern seine großen Erfolge hatte (wobei er über Kultstatus nie hinauskam), als Inspiration für ihre Musik.
Sie hätten auch die Residents nennen können. Die bereits 1969 gegründete Band wurde mit seltsamen Cover-Versionen und Aktionen zwischen Musik und Kunst bekannt (naja, ebenfalls primär Kultstatus). Die Musiker halten ihre Identität immer noch geheim und sie treten immer maskiert auf.
Jons deprimierend eintönige, mit spartanischen Keyboarklängen zu Songs verarbeitete Alltagsbeobachtungen erinnern dann an Depeche Mode, eine 1980 gegründete Synthie-Pop-Band, die lange Zeit auf Gitarren verzichtete.
Trotzdem ist „Frank“ ein herrlich schrulliger Film mit einem liebevollen Blick auf gesellschaftliche Außenseiter, die sich in einer Band einen eigenen, gut funktionierenden Schutzraum geschaffen haben.

Frank - Plakat

Frank (Frank, Irland/Großbritannien 2014)
Regie: Lenny Abrahamson
Drehbuch: Jon Ronson, Peter Straughan
LV: Jon Ronson: Oh Blimey! (Reportage, The Guardian, 2006)
mit Michael Fassbender, Domhnall Gleeson, Maggie Gyllenhaal, Scott McNairy, Francois Civil, Carla Azar
Länge: 95 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Englische Homepage zum Film
Deutsche Facebook-Seite zum Film
Film-Zeit über „Frank“
Moviepilot über „Frank“
Metacritic über „Frank“
Rotten Tomatoes über „Frank“
Wikipedia über „Frank“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jon Ronsons “Männer, die auf Ziegen starren” (The men who stare at Goats, 2004)

Meine Besprechung von Jon Ronsons “Die Psychopathen sind unter uns – Eine Reise zu den Schaltstellen der Macht” (The Psychopath Test – A Journey through the Madness Industry, 2011)