Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: Der Dokumentarfilm „Werner Herzog – Radical Dreamer“ und Werner Herzogs Biographie „Jeder für sich und Gott gegen alle“

Oktober 28, 2022

Im Umfeld von Werner Herzogs achtzigstem Geburtstag gibt es so etwas wie Herzog-Festspiele. Neben einer Ausstellung in der Deutschen Kinemathek gibt es einen im Kino laufenden Dokumentarfilm über sein Leben und seine Autobiographie „Jeder für sich und Gott gegen alle“

Außerdem verzeichnet die IMDb für dieses Jahr zwei von Herzog inszenierte Dokumentarfilme („Theatre of Thought“ und „The Fire Within: A Requiem for Katia and Maurice Krafft“). Für nächstes Jahr ist bereits ein weiterer Film („Fordlandia“) amgekündigt.

In seiner Dokumentation „Werner Herzog – Radical Dreamer“ zeichnet Thomas von Steinaecker Herzogs Leben chronologisch nach. Dafür unterhielt er sich ausführlich mit Herzog und besuchte mit ihm für ihn wichtige Orte, wie das Haus in Sachrang, einem oberbayerischem Dorf nahe der Grenze zu Österreich, in dem er seine Kindheit verbrachte. Dazu gibt es Statements von Freunden und Menschen, mit denen er arbeitete. Wim Wenders und Volker Schlöndorff, die wie er zum Jungen Deutschen Film (aka dem Neuem Deutschen Film) gehören, sind dabei. Ebenso einige Schauspieler, mit denen er zusammen arbeitete, wie Christian Bale, Nicole Kidman und Robert Pattinson, und Bewunderer, wie Chloé Zhao (sie erhielt 2017 für „The Rider“ den Werner-Herzog-Filmpreis). Dazu gibt es Ausschnitte aus einigen Filmen von Werner Herzogs.

Entstanden ist ein formal konventioneller, sehr informativer Film über sein Leben.

Für Herzog-Fans, die immer sein gesamtes Werk im Blick hatten, gibt es deshalb in diesem gleungenem Dokumentarfilm wenig Neues zu Entdecken. Für sie ist der Film höchstens eine willkommene Auffrischung und ein Schwelgen in Erinnerungen. Ergänzt um einige neue Statements von Werner Herzog, die sich mühelso in frühere Statements einreihen und in denen Herzog seinen Ruf als originärer, sympathisch verschrobener und oft sehr tiefsinniger Denker pflegt.

Herzog-Fans, die glauben, dass er nach „Fitzcarraldo“ keine Filme mehr drehte, sondern irgendwo im Dschungel verschwunden ist und Schuhe isst (Wunderschön sind die Reaktionen der Hollywood-Stars, wenn sie von dieser Herzog-Aktion erfahren, die Les Blank in seinem Kurzfilm „Werner Herzog Eats His Shoe“ dokumentierte.), werden erstaunt feststellen, dass Herzog in den vergangenen vierzig Jahren einige weitere Spielfilme und viele Dokumentarfilme drehte. Außerdem wurde Herzog zu einer Figur der US-Popkultur mit Auftritten bei den „Simpsons“ und kleineren Auftritten als Schauspieler in hoch budgetierten Hollywood-Produktionen wie „Jack Reacher“ und „The Mandalorian“.

Seine jüngeren Fans, die ihn aus den „Simpsons“ kennen, dürften erstaunt sein, dass er davor einer der wichtigen Regisseure des deutschen Films der siebziger Jahre war. Schon damals genoss er einen legendären Ruf als der Weltreisende des deutschen Films. Seinen Kaspar-Hauser-Film „Jeder für sich und Gott gegen alle“ drehte er in Deutschland. Aber fast alle sene anderen Filme drehte er im Ausland. Mit „Aguirre, der Zorn Gottes“ und „Fitzcarraldo“ ging es nach Südamerika. Mit „Nosferatu – Phantom der Nacht“ inszenierte er seine von Murnau deutlich beeinflusste Dracula-Version. Und in „Cobra Verde“ beschäftigte er sich mit dem Sklavenhandel im 19. Jahrhundert. Ein Teil des in Kolumbien und Ghana gedrehten Films spielt im aktuell aus „The Woman King“ bekanntem Königreich von Dahomey.

Für alle, die bislang wenig bis nichts über Werner Herzog wussten, ist „Werner Herzog – Radical Dreamer“ eine gelunge, konzentrierte, die richtigen Schwerpunkte setzende Einführung in sein Werk.

Werner Herzog – Radical Dreamer (Deutschland/USA 2022)

Regie: Thomas von Steinaecker

Drehbuch: Thomas von Steinaecker

mit Werner Herzog, Wim Wenders, Volker Schlöndorff, Lena Herzog, Nicole Kidman, Christian Bale, Robert Pattinson, Chloé Zhao, Thomas Mauch, Joshua Oppenheimer, Patti Smith, Lucki Stipetic, Carl Weathers, Peter Zeltinger

Länge: 103 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Der Buchtipp

Werner Herzog erzählt sein Leben. Schön kurzweilig und immer nah an der Herzog-Wahrheit.

Werner Herzog: Jeder für sich und Gott gegen alle – Erinnerungen

Hanser Verlag, 2022

352 Seiten

28 Euro (gebundene Ausgabe)

20,99 Euro (E-Book)

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Werner Herzog – Radical Dreamer“

Moviepilot über „Werner Herzog – Radical Dreamer“

Wikipedia über Werner Herzog (deutsch, englisch)

Homepage zum Werner Herzog

Meine Besprechung von Werner Herzogs „Königin der Wüste“ (Queen of the Desert, USA/Marokko 2015)

Meine Besprechung von Werner Herzogs „Salt and Fire“ (Salt and Fire, Deutschland/USA/Frankreich/Mexiko 2016)

Werner Herzog in der Kriminalakte

Meine Besprechung von Thomas von Steinaecker/Barbara Yelins „Der Sommer ihres Lebens“ (2017)


Neu im Kino/Filmkritik: „The Northman“ – kloppen und köpfen nach barbarischer Wikingerart

April 21, 2022

Ich könnte jetzt mühelos über Robert Eggers‘ neuen Film „The Northman“ ablästern. Dieses Menge an bodybuilding-gestählten strubbeligen Männern, die ständig, wilde Urlaute ausstoßend, aufeinanderprallen, sich prügeln mit Fäusten, Äxten, Schwertern und was sonst noch so gerade herumliegt, blutig die Köpfe einschlagen und dabei guttural grunzen, ist in den kommenden Monaten und wohl auch Jahren das dankbare Material für unzählige Memes. Da muss nur die DVD eingelegt werden und schwuppdiwupp hat man schon ein schönes Bild gefunden. Dass das alles mit bekannten, teils unter der Maske nicht erkennbaren Schauspielern inszeniert wurde und die Bilder in jeder Beziehung äußerst gelungen sind, erhöht da nur noch das Vergnügen am Erstellen der Memes.

Aber Robert Eggers wollte sicher nicht die Vorlage für unzählige Parodien abliefern. Schließlich inszenierte er vorher die äußerst gelungenen, sehr ernsten, sich an Erwachsene richtende Horrorfilme „The Witch“ und „Der Leuchtturm“. Sein Co-Drehbuchautor Sjón ist Romanautor, Texter für Björk (die in „The Northman“ mitspielt) und Co-Drehbuchautor von dem sanften, von isländischen Volksmärchen inspiriertem Horrorfilm „Lamb“. Von beiden ist also keine tumbe Schlachtplatte zu erwarten.

Die Story beginnt 895 nach Christus Geburt als König Aurvandil (Ethan Hawke) von einem Feldzug zurückkehrt. Kurz darauf wird er von seinem Halbbruder Fjölnir (Claes Bang) ermordet. Sein Sohn Amleth beobachtet die Tat seines Onkels. Weil er nicht ebenfalls getötet werden will, flüchtet er.

Zwanzig Jahre später kehrt Amleth (jetzt gespielt von Alexander Skarsgård), gestählt von Kämpfen (vulgo Gemetzeln) im Land der Rus, zurück. Der junge Mann will immer noch seinen Vater rächen. Dafür schleicht er sich unter falscher Identität am Hof von Fjölnir ein. Hof ist hier wörtlich zu verstehen. Fjölnir lebt in Island nicht in einer Festung, sondern in der Einsamkeit in einer willkürlichen Ansammlung von wenigen Häusern, die eher an einen Bauernhof erinnert. Bei ihm lebt Amleths Mutter Gudrún (Nicole Kidman).

Gut, den Plot kennen wir. Wer will, kann hier einige Shakespeare-Stücke einfügen und damit seine abendländische Bildung beweisen. Vor allem sollte er an „Hamlet“ denken und sich daran erinnern, dass Shakespeare sich für dieses Stück bei der Amletus-Sage bediente. Die englische Schreibweise von Amletus ist Amleth.

Aber für die Story und die damit verbundenen Themen interessiert Eggers sich kaum. Die Rachegeschichte entwickelt sich vollkommen überraschungs- und spannungsfrei in den bekannten Bahnen. Die Figuren, immerhin dauert der Film deutlich über zwei Stunden, bleiben eindimensional. Entsprechend wenig interessieren uns ihre Konflikte, die kaum bis überhaupt nicht vorhanden sind.

Die Rachegeschichte wird in langen Kampfszenen erzählt. Die Dialoge zwischen den Gemetzeln sind, wie bei einem Computerspiel, nur die knappen Anweisungen für den nächsten Kampf und die nächste Gore-Szene. Bei all dem spritzendem Blut, den abgetrennten Gliedern und herausquellenden Gedärmen fällt irgendwann auf, dass Eggers das alles ausführlich und leinwandfüllend präsentiert, aber seine Wikinger asexuell sind. Sie sind wie kleine vorpubertäre Jungs, die zwar ganze Dorfbevölkerungen abschlachten, dabei aber keine einzige Frau vergewaltigen. Auch später, wenn Amleth Olga von Birkenwald (Anya Taylor-Joy, erfolgreich bemüht um maximale Ausdruckslosigkeit) trifft, ändert sich das nicht. Liebe und Sex sind halt nichts für gestandene Wikinger. Sie vertreiben sich lieber die Zeit mit blutspritzenden Schlägereien im Matsch.

Diese äußerst brutalen Kämpfe sehen in jeder Beziehung toll aus. Ohne Schnitt bewegt die Kamera sich durch ein Dorf, das gerade geplündert wird. Auch in anderen Kampfszenen wird wenig geschnitten. Die Bilder von Eggers‘ Stammkameramann Jarin Blaschke erinnern an detailversessene Gemälde.

Aber all die Bildgewalt hilft nicht, wenn man sich für keine der Figuren interessiert. „The Northman“ ist eine fast hundertvierzigminütige Schlachtplatte mit Minimalstory.

The Northman (The Northman, USA 2022)

Regie: Robert Eggers

Drehbuch: Robert Eggers, Sjón

mit Alexander Skarsgård, Nicole Kidman, Claes Bang, Ethan Hawke, Anya Taylor-Joy, Gustav Lindh, Elliott Rose, Willem Dafoe, Björk, Oscar Novak, Kate Dickie, Ralph Ineson

Länge: 137 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „The Northman“

Metacritic über „The Northman“

Rotten Tomatoes über „The Northman“

Wikipedia über „The Northman“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Robert Eggers‘ „The Witch“ (The Witch: A New-England Folktale, Kanada/USA 2015)

Meine Besprechung von Robert Eggers‘ „Der Leuchtturm“ (The Lighthouse, USA 2019)


TV-Tipp für den 7. Dezember: Die Dolmetscherin

Dezember 6, 2021

Nitro, 22.30

Die Dolmetscherin (The Interpreter, Großbritannien/Frankreich/USA 2005)

Regie: Sydney Pollack

Drehbuch: Charles Randolph, Scott Frank, Steven Zaillian (nach einer Geschichte von Martin Stellman und Brian Ward)

UN-Dolmetscherin Silvia Broome behauptet, dass sie ein Gespräch belauschte, in dem im Landesdialekt über ein Mordkomplott gegen den verhassten Diktator ihres Heimatlandes gesprochen wurde. Er soll in New York ermordet werden. Agent Tobin Keller soll die wichtige Zeugin beschützen. Gleichzeitig fragt er sich, ob die schöne Frau mit rätselhafter Vergangenheit, die Wahrheit sagt.

Der spannende Polit-Thriller ist der letzte Spielfilm von Sydney Pollack. Davor inszenierte er unter anderem “Nur Pferden gibt man den Gnadenschuß” (They shoot horses, don’t they?), “Jeremiah Johnson”, “Yakuza” (The Yakuza), “Die drei Tage des Condors” (Three days of the Condor), “Tootsie”, “Jenseits von Afrika” (Out of Africa) und “Die Firma” (The Firm).

mit Nicole Kidman, Sean Penn, Catherine Keener, Jesper Christensen, Yvan Attal

Hinweise

Moviepilot über „Die Dolmetscherin“

Metacritic über „Die Dolmetscherin“

Rotten Tomatoes über „Die Dolmetscherin“

Wikipedia über „Die Dolmetscherin“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Alan Elliottt/Sydney Pollacks „Aretha Franklin: Amazing Grace“ (Amazing Grace, USA 2018)

Mein Nachruf auf Sydney Pollack


TV-Tipp für den 1. November: Bombshell – Das Ende des Schweigens

Oktober 31, 2021

ZDF, 22.15

Bombshell – Das Ende des Schweigens (Bombshell, USA/Kanada 2019)

Regie: Jay Roach

Drehbuch: Charles Randolph

TV-Premiere. Gelungenes, nah an den Fakten entlang erzähltes, leicht satirisches Drama über die Klagen von Gretchen Carlson und Megyn Kelly gegen ihren Arbeitgeber Fox News.

Anschließend, um 23.55 Uhr, zeigt das ZDF im Rahmen seines #MeToo-Abends (der ruhig früher hätte beginnen können), ebenfalls als TV-Premiere, die spielfilmlange Doku „Unantastbar – Der Fall Harvey Weinstein“ (Großbritannien 2019).

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Charlize Theron, Nicole Kidman, Margot Robbie, John Lithgow, Kate McKinnon, Allison Janney, Connie Britton, Mark Duplass, Nazanin Boniadi, Malcolm McDowell

Wiederholung: Mittwoch, 3. November, 01.00 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Bombshell“

Metacritic über „Bombshell“

Rotten Tomatoes über „Bombshell“

Wikipedia über „Bombshell“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jay Roachs „Trumbo“ (Trumbo, USA 2015)

Meine Besprechung von Jay Roachs „Bombshell – Das Ende des Schweigens“ (Bombshell, USA/Kanada 2019)


TV-Tipp für den 14. März: Die Verführten

März 13, 2021

Arte, 20.15

Die Verführten (The Beguiled, USA 2017)

Regie: Sofia Coppola

Drehbuch: Sofia Coppola (nach dem Roman von Thomas Cullinan und dem Drehbuch von Albert Maltz und Grimes Grice)

LV: Thomas Cullinan: A Painted Devil. 1966 (später „The Beguiled“)

Der schwer verletztem Nordstaaten-Offizier John McBurney wird während des Bürgerkriegs im Feindesland von Miss Martha Farnsworth aufgenommen und gepflegt. Sie leitet ein einsam gelegenes Mädcheninternat. Die Mädchen schwarwenzeln um ihn herum. Und er beginnt sie und ihre erwachenden sexuellen Gefühle auszunutzen.

TV-Premiere. Sehenswertes Southern-Gothic-Historiendrama, das auf einem Roman basiert, die bereits 1971 von Don Siegel mit Clint Eastwood als McBurney verfilmt wurde.

Coppolas Version lässt die Mädchen ungehemmt für den schicken Soldaten schwärmen und ist wirklch exquisit gefilmt.

mit Colin Farrell, Nicole Kidman, Kirsten Dunst, Elle Fanning, Oona Laurence, Angourie Rice, Addison Riecke, Emma Howard

Wiederholung: Montag, 15. März, 13.45 Uhr

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Die Verführten“

Wikipedia über „Die Verführten“ (deutsch, englisch)


TV-Tipp für den 14. September: The Killing of a sacred Deer

September 13, 2020

Arte, 22.00

The Killing of a sacred Deer (The Killing of a sacred Deer, Großbritannien/Irland 2017)

Regie: Yorgos Lanthimos

Drehbuch: Yorgos Lanthimos, Efthimis Filippou

Ein 16-jähriger Junge drängt sich in das Leben eines erfolgreichen Chirurgen.

In „The Killing of a sacred Deer“ interpretiert Yorgos Lanthimos („The Favourite“) den antiken Mythos der Iphigenie. Das Ergebnis enttäuschte mich.

Warum erkläre ich in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Colin Farrell, Nicole Kidman, Barry Keoghan, Alicia Silverstone, Raffey Cassidy, Sunny Suljic, Bill Camp

Hinweise

Moviepilot über „The Killing of a sacred Deer“

Metacritic über „The Killing of a sacred Deer“

Rotten Tomatoes über „The Killing of a sacred Deer“

Wikipedia über „The Killing of a sacred Deer“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Yorgos Lanthimos‘ „The Killing of a sacred Deer (The Killing of a sacred Deer, Großbritannien/Irland 2017)

Meine Besprechung von Yorgos Lanthimos‘ „The Favourite – Intrigen und Irrsinn“ (The Favourite, USA 2018)


Neu im Kino/Filmkritik: „Bombshell – Das Ende des Schweigens“ über sexuelle Belästigung

Februar 13, 2020

Eine Vorkämpferin für den Feminismus oder die Gleichberechtigung von Frauen war keine von ihnen. Schließlich arbeiteten sie an einem Ort, der täglich dagegen kämpfte. Und es immer noch tut.

Sie arbeiteten bei Fox News, einem US-TV-Sender, der sich Nachrichtensender nennt, damals mit dem Slogan „fair and balanced“ warb, es nicht war und seit der Wahl von Donald J. Trump zum US-Präsidenten endgültig dessen Haussender und Echokammer ist. Dabei kam schon 2011 eine empirische Studie zu dem Ergebnis, dass Zuschauer von Fox News über das tatsächliche politische Tagesgeschehen am wenigsten wüssten. Zuschauer anderer Sender und sogar US-Amerikaner, die keine Nachrichten sehen, waren besser informiert.

Am 6. Juli 2016 klagte Gretchen Carlson, das hübsche Gesicht der Fox-Morningshow „Fox & Friends“, gegen Roger Ailes, den Gründer und Chef des Senders, wegen sexueller Belästigung. Ihre ehemaligen langjährigen Kollegen erklärten öffentlich auf Fox News, dass das die Vorwürfe einer irregeleiteten Frau seien und die Arbeitsatmosphäre bei Fox News fantastisch sei. Das war eine Lüge. Denn Carlson hatte vor ihrer Klage eifrig Beweise gesammelt und auch andere Frauen berichteten von Belästigungen durch Ailes und andere Männer bei Fox News.

Der Skandal wurde so groß, dass Fox News hohe Entschädigungssummen zahlen musste und Fox-News-Eigentümer Robert Murdoch (und, als treibende Kräfte bei Ailes‘ Entlassung, seine beiden Söhne) Ailes am 21. Juli 2016 entließ.

Davor, bereits im August 2015, hatte Megyn Kelly, die ‚First Lady von Fox News‘ und Gastgeberin der „The Kelly File“, Ärger mit ihrem Chef Roger Ailes. Sie hatte in einer Wahlkampfdebatte den damaligen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump auf seine sexistischen Äußerungen angesprochen. Ailes-Freund und Fox-Quotenbringer Trump beleidigte sie danach öffentlich und Ailes sagte ihr, sie solle dazu schweigen.

In seinem Spielfilm „Bombshell – Das Ende des Schweigens“ konzentrieren Regisseur Jay Roach („Trumbo“) und sein Drehbuchautor Charles Randolph („The Big Short“) sich bei ihrem Sittengemälde von Fox News auf Megyn Kelly (Charlize Theron), Gretchen Carlson (Nicole Kidman) und Kayla Pospisil (Margot Robbie). Diese drei Frauenschicksale zeigen verschiedene Facetten des Falls auf; – wobei die Geschichte von Pospisil die schwächste des Films ist. Im Gegensatz zu den realen Fox-News-Moderatorinnen Kelly und Carlson ist sie eine fiktive Figur, die als junge, aufstiegswillige und karrierebewusste Reporterin nichts zum Fortgang der historischen Ereignisse beiträgt.

Stilistisch und erzählerisch orientieren Roach und Randolph an den Werken von Aaron Sorkin („The Social Network“, „Steve Jobs“, „Molly’s Game“) und an Adam McKays „The Big Short“ und „Vice“. Ihr Film ist allerdings bei weitem nicht so dicht wie diese Filme, in denen man jede Sekunde hellwach sein muss, um nicht in der Flut von wichtigen und noch wichtigeren Informationen zu versinken. Da ist der Fall von Fox News und Roger Ailes deutlich einfacher gelagert.

Im Mittelpunkt von „Bombshell“ steht auch nicht das akkurate nacherzählen der verschiedenen Winkelzüge, sondern die intensive Beschreibung eines toxischen Umfelds, in dem sexuelle Belästigung von den Vorgesetzten geduldet und gefördert wird, während die Untergebenen und die Frauen das tolerieren und oft willig mitmachen. Das beginnt schon beim Einstellungsgespräch, wenn Ailes unverhohlen Gefälligkeiten einfordert und die künftigen Fox-News-Moderatorinnen nach ihrem Aussehen – blond, schlank, vollbusig, mit langen Beinen, die im Fernsehen ausführlich präsentiert werden – auswählt. Daneben ist die Firmenkultur von Paranoia, Hass und einer kultischen Gefolgschaft geprägt. Es ist ein Freund-Feind-Denken, das aus einer gefeierten Moderatorin innerhalb weniger Minuten eine Aussätzige macht, die von ihren früheren Kollegen mit Schmutz beworfen wird.

Zum Weitersehen: Am Montag, den 24. Februar, zeigt ZDFinfo um 21.45 Uhr Alexis Blooms spielfilmlange Doku „Sex, Trump & Fox News – Aufstieg und Fall des Roger Ailes“ (Divide and Conquer: The Story of Roger Ailes, 2018). Bloom zeichnet in einer gelungenen Mischung aus aktuellen Interviews und Archivmaterial das Leben des Fox-News-Gründers Roger Ailes nach. Seine Karriere als Politikberater begann er für Richard Nixon. Zuletzt unterstützte er mit seinem Sender die Wahlkampagne von Donald Trump. Er machte ihn zum Präsidenten.

Bombshell – Das Ende des Schweigens (Bombshell, USA/Kanada 2019)

Regie: Jay Roach

Drehbuch: Charles Randolph

mit Charlize Theron, Nicole Kidman, Margot Robbie, John Lithgow, Kate McKinnon, Allison Janney, Connie Britton, Mark Duplass, Nazanin Boniadi, Malcolm McDowell

Länge: 110 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Bombshell“

Metacritic über „Bombshell“

Rotten Tomatoes über „Bombshell“

Wikipedia über „Bombshell“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jay Roachs „Trumbo“ (Trumbo, USA 2015)

Ein Q&A mit Charlize Theron, Nicole Kidman, John Lithgow und Jay Roach (mit arg unruhiger Kamera)

DP/30 unterhält sich mt Drehbuchautor Charles Randolph über den Film

DP/30 unterhält sich mit Regisseur Jay Roach über den Film

Script to Screen unterhält sich mit Jay Roach über den Film

Megyn Kelly spricht mit einigen ehemaligen Fox-News-Kolleginnen über den Film und die damaligen Ereignisse


Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: Über John Crowleys Donna-Tartt-Verfilmung „Der Distelfink“

September 28, 2019

Donna Tartts Roman „Der Distelfink“ und John Crowleys gleichnamige Verfilmung beginnen beide in Amsterdam. Der Endzwanziger Theo Decker ist in einem Hotelzimmer. Er ist verstört. Auf seinem Hemd ist etwas Blut, das er panisch versucht zu entfernen.

Er erinnert sich an seine Vergangenheit und, auch wenn Crowley Ansel Elgort immer wieder im Hotelzimmer zeigt, wird Theos Geschichte im Film fast genauso chronologisch gezeigt, wie sie im Buch erzählt wird.

Dabei wirkt der Film wie die Readers-Digest-Version des tausendseitigen Romans.

Und das ist keine gute Sache. Während Crowley uns durch Theos Geschichte von seinem dreizehnten Lebensjahr, als er bei einen Terroranschlag in einem New Yorker Museum seine Mutter verliert, bis, vierzehn Jahre später, zu dem Zimmer in Amsterdam führt, findet sich nie ein thematischer Fokus. Stattdessen wird von Thema zu Thema, von möglichem erzählerischem Bogen zu möglichem erzählerischem Bogen gesprungen. So kommt Theo nach dem Attentat bei der vermögenden Familie Balfour unter, er lernt den Restaurator Hobie kennen, Theos spurlos verschwundener Vater taucht auf und nimmt ihn mit nach Las Vegas, er befreundet sich mit dem drogensüchtigen Slacker-Klassenkameraden Boris, wird selbst eifriger Drogenkonsument, nach einem Autounfall seines Vaters flüchtet Theo zurück nach New York, acht Jahre später ist er Hobies Geschäftspartner, steht kurz vor einer Hochzeit, hat wegen halbseidener Geschäfte Ärger mit einem Kunden, trifft Boris wieder und gemeinsam fahren sie nach Amsterdam. Im Buch und im Film folgt ein Ereignis einfach auf das nächste. Erklärungen gibt es kaum. So taucht irgendwann Theos spurlos verschwundener Vater auf und er nimmt Theo freiwillig und ohne irgendeinen erkennbaren Grund, unter seine Obhut. Danach, in Las Vegas, kümmert er sich dann nicht weiter um Theo.

Wenn man ein erzählerisches Prinzip in Theos Rückschau auf sein Leben erkennt, dann, dass fast alles Zufall ist und er passiv von einer Situation in die nächste stolpert. Wobei Theo selbst am Anfang seiner Lebensbeichte sagt: Meine Mutter „starb, als ich klein war, und obwohl ich an allem, was mir seitdem passiert ist, zu hundert Prozent selbst schuld bin, verlor ich doch mit ihr den Blick für jede Art von Orientierungspunkt, der mir den Weg zu einem glücklicheren Ort hätte zeigen können, hinein in ein erfüllteres oder zuträglicheres Leben.“

Das titelgebende Gemälde „Der Distelfink“ von Carel Fabritius, das Theo nach dem Terroranschlag, über den wir nichts genaues erfahren, im Museum einsteckt und danach, immer hübsch verpackt, von einem Ort zum nächsten schleppt, wird erst am Ende wichtig. In einem Roman oder eine TV-Serie funktioniert diese Offenheit, dieses Präsentieren von Episoden und Erzählsträngen, die nicht notwendigerweise miteinander verbunden sind, besser als in einem Film.

Das wissen auch Drehbuchautor Peter Straughan und Regisseur John Crowley. Crowley inszenierte vorher die sehr feinfühlige, präzise an ein zwei Orten und einer Zeit lokalisierte Einwanderergeschichte „Brooklyn“. Hier beschränkt er sich auf das Bebildern des Romans, den Drehbuchautor Straughan brav zusammenfasste. Straughan schrieb die Bücher für „Männer, die auf Ziegen starren“, „Eine offene Rechnung“, „Dame, König, As, Spion“ und „Frank“. Das sind teilweise sehr komplexe Geschichte, die er grandios verdichte oder gleich selbst eine Geschichte aus dem zugrunde liegendem Material herausdestillierte. In „Der Distelfink“ ist dagegen nie eine eigene Haltung oder ein eigener Zugriff auf die Geschichte erkennbar. Er nimmt einfach das Buch und macht aus zehn Buchseiten eine Filmminute. Wenn möglich übernimmt er dabei wortwörtlich die Dialoge aus dem Roman. Manchmal lässt er auch eine Figur und ein Episödchen weg. Bei einem Thriller, wie denen von Stieg Larsson, funktioniert das gut: die Story bleibt, etwas Hintergrund auch, und die überflüssigen Teile werden weggelassen. Bei „Der Distelfink“ funktioniert das Zusammenkürzen auf die reine Handlung nicht, weil bei solchen literarischen Romanen die Handlung nicht unbedingt das Wichtigste ist. Trotzdem dürften die zahlreichen Leser des Romans erfreut sein, dass sie in jeder Filmminute den Roman wieder erkennen.

Die Ausstattung ist stimmig, aber auch durchgehend zeitlos. In New York wohnt Theo immer in Wohnungen, die mit alten Möbeln und Gegenständen vollgestellt sind. In Las Vegas lebt er in einem Haus in einer austauschbaren, unbewohnten Vorortsiedlung, die irgendwann in den letzten fünfzig Jahren errichtet wurde. Gegenstände, die den Film eindeutig in einer bestimmten Zeit verorten, fehlen. Roger Deakins, der für „Blade Runner 2049“ den nach dreizehn Nominierungen schon lange überfälligen Kamera-Oscar erhielt, übernahm die Kamera. Die Besetzung ist hochkarätig. Ansel Elgort, Nicole Kidman (unterfordert und als ältere Mrs. Barbour mit einer gruselig-lieblosen, an Saturday Night Life erinnernden Maske), Jeffrey Wright, Luke Wilson und Sarah Paulson sind dabei.

Aber das kann man bei der prestigeträchtigen Verfilmung eines weltweiten Bestsellers erwarten. Tartts Roman wurde mit Kritikerlob überschüttet und mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Dabei ist „Der Distelfink“ von der erzählerischen Komplexität eher ein besonders dickes Jugendbuch, das seine Leser niemals überfordern will. Entsprechend flott lassen sich die tausend Seiten lesen.

Am Ende begeistert nichts an Crowleys buchstabengetreuer Donna-Tartt-Verfilmung.

Der Distelfink (The Goldfinch, USA 2019)

Regie: John Crowley

Drehbuch: Peter Straughan

LV: Donna Tartt: The Goldfinch, 2013 (Der Distelfink)

mit Oakes Fegley, Ansel Elgort, Nicole Kidman, Jeffrey Wright, Luke Wilson, Sarah Paulson, Willa Fitzgerald, Aneurin Barnard, Finn Wolfhard, Ashleigh Cummings, Aimée Lawrence, Robert Joy, Boyd Gaines, Hailey Wist, Ryan Foust, Denis O’Hare

Länge: 150 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Die Vorlage

Donna Tartt: Der Distelfink

(übersetzt von Rainer Schmidt und Kristian Lutze)

Goldmann, 2015

1024 Seiten

12,99 Euro

Deutsche Erstausgabe/Gebundene Ausgabe

Goldmann, 2013

Originalausgabe

The Goldfinch

Littel, Brown and Company, New York, 2013

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Der Distelfink“

Metacritic über „Der Distelfink“

Rotten Tomatoes über „Der Distelfink“

Wikipedia über „Der Distelfink“ (deutsch, englisch) und Donna Tartt (deutsch, englisch)

Goldmann über Donna Tartt

Perlentaucher über „Der Distelfink“

Meine Besprechung von John Crowleys „Brooklyn – Eine Liebe zwischen zwei Welten“ (Brooklyn, Irland/Großbritannien/Kanada 2015)

Das TIFF-Q&A


Neu im Kino/Filmkritik: Nicole Kidmans Tough-Cop-Show „Destroyer“

März 14, 2019

Den Abschluss der kleinen Reihe von Filmen, die in den vergangenen Wochen in unseren Kinos anliefen („Aquaman“, „Der verlorene Sohn“, „Mein Bester & Ich“) und in denen Nicole Kidman ihre schauspielerische Bandbreite zeigt, endet mit „Destroyer“.

Der harte Neo-Noir-Cop-Thriller verlangt ihr in puncto Aussehen das Meiste ab. Denn bei den in der Gegenwart spielenden Teilen ist sie auch auf den zweiten und dritten Blick kaum zu erkennen. Sie ist ein klappriges Alkoholwrack, das seit Jahren nur noch mit der Hilfe von Drogen den Tag überlebt. Als Mutter und Kollegin ist Erin Bell die Totalkatastrophe, die den „Bad Lieutenant“ (egal ob in der Version von Abel Ferrara oder Werner Herzog) zum Mitarbeiter des Monats macht.

Als junge FBI-Agentin war Erin Bell Teil eines gefährlichen Undercover-Einsatz gegen Silas und seine skrupellose Bankräuberbande. Der Einsatz ging schief. Wie und warum verrät der Neo-Noir erst gegen Ende.

Siebzehn Jahre später kehrt Silas zurück nach Los Angeles. Er raubt weiterhin Banken aus und es können alte Rechnungen beglichen werden. Aber zuerst muss LAPD Detective Bell Silas finden. Und wie es sich für einen harten Cop gehört, geht Bell nicht zimperlich vor.

Viel mehr kann über Karyn Kusamas „Destroyer“ nicht verraten werden, ohne den gesamten Film zu spoilern. Denn sie erzählt die letztendlich sehr einfache Geschichte durchgehend und in jeder Beziehung fragmentarisch. Das entspricht der Wahrnehmung eines Drogensüchtigen.

Gleichzeitig ist es schwer, sich mit Bell zu identifizieren. Nicht weil sie drogensüchtig und konsequent unhöflich ist, sondern weil ihre Handlungsmotive teilweise bis zum Ende rätselhaft bleiben. So werden die Ereignisse der siebzehn Jahre zurückliegenden Undercover-Operation, die auch der Beginn ihrer Suchtbiographie ist, erst langsam enthüllt. Das ganze Bild hat man erst am Ende. Und erst in der letzten Minute weiß man, wie die verschiedenen Zeitebenen zusammenhängen. Das ist, wenn man Filme gerne mit einem Notizblock ansieht, interessant. Aber emotional involviert ist man nicht. Jedenfalls nicht in diesem Fall.

Dazu kommen im Rahmen des sich realistisch gebenden Noirs hoffnungslos unrealistische Szenen. Zum Beispiel beobachtet Bell bei einer Observation einen Banküberfall. Anstatt auf das Spezialeinsatzkommando zu warten, stürmt sie mit einer Maschinenpistole im Arm und zwei zufällig anwesenden Streifenpolizisten im Schlepptau in die Bank und beginnt eine Schießerei, die eindeutig von „Heat“ inspiriert ist. Menschen sterben. Panik bricht aus. Und sie befördert am helllichten Tag auf einem gut einsehbarem Parkplatz mitten in der Stadt einen der Bankräuber in den Kofferraum ihres Autos. Später im Film wird diese Schießerei und ihre Entführung (Verhaftung kann es nicht genannt werden) nicht einmal erwähnt. Es ist, als habe es den Schusswechsel und die zahlreichen Toten niemals gegeben.

Karyn Kusama, die nach ihren Spielfilmen „Girlfight“, „Æon Flux“ und „Jennifer’s Body“ in den vergangenen Jahren vor allem Episoden für Serien wie „Chicago Fire“, „Halt and Catch Fire“, „The Man in the High Castle“ und „Billions“ inszenierte, ist durch diese TV-Arbeiten den schnellen, effektiven Dreh mit einem überschaubarem Budget gewohnt. Auch bei „Destroyer“ war das Budget mit neun Millionen Dollar überschaubar. Aber dem an ausschließlich an Originalschauplätzen in Los Angeles gedrehtem Film sieht man das niedrige Budget nicht an.

Die Bilder und vor allem Nicole Kidman überzeugen. Sie hält den Film zusammen. Sie ist unbestritten das Zentrum des Films, der seine altbekannte Geschichte viel zu umständlich erzählt.

Destroyer (Destroyer, USA 2018)

Regie: Karyn Kusama

Drehbuch: Phil Hay, Matt Manfredi

mit Nicole Kidman, Toby Kebbell, Tatiana Maslany, Sebastian Stan, Scott McNairy, Bradley Whitford, Toby Huss, James Jordan, Beau Knapp, Bradley Whitford

Länge: 122 Minuten

FSK: ab 12 Jahre (hätte eher mit FSK-16 gerechnet)

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Destroyer“

Metacritic über „Destroyer“

Rotten Tomatoes über „Destroyer“

Wikipedia über „Destroyer“ (deutsch, englisch)

Ein Mini-Werbe-Making-of

Ein Q&A beim TIFF mit Karyn Kusama, Nicole Kidman, Tatiana Maslany, Sebastian Stan, Phil Hay und Matt Manfredi

Scott Feinberg unterhält sich mit Karyn Kusama und Nicole Kidman


Neu im Kino/Filmkritik: Nicole Kidman, „Der verlorene Sohn“, „Mein Bester & Ich“

Februar 22, 2019

Es scheint, als habe Nicole Kidman ihrem Agenten gesagt, sie wolle in ihren nächsten Filmen möglichst unterschiedliche Rollen haben und so ihr Können zeigen. Anders ist ihre aktuelle Rollenauswahl kaum zu erklären. Im Dezember war sie in dem quietschbunten DC-Superheldenepos „Aquaman“ eine Meeresgöttin. Demnächst ist sie in dem zwiespältigen harten Polizeithriller „Destroyer“ (Kinostart 14. März, Besprechung folgt) eine süchtige Polizistin. In den in der Gegenwart spielenden Teilen ist sie kaum erkennbar. Und in den beiden Filmen mit ihr, die heute im Kino anlaufen, ist sie einmal eine aufgedonnerte Südstaaten-Mutter, einmal eine verhuschte Sekretärin.

Die verhuschte Sekretärin spielt sie in „Mein Bester & Ich“. Ihr stinkreicher Chef ist nach einem Sportunfall fast vollständig gelähmt. Jetzt benötigt er einen neuen Pfleger und, weil er gerade an Suizid denkt, nimmt er sich von allen Pflegern, die sich bei ihm um die Stelle bewerben, die Person, die am allerwenigsten für den Job geeignet ist und die beim Vorstellungsgespräch auch offensiv sagt, dass sie die Arbeit überhaupt nicht haben wolle.

Und wer jetzt denkt, dass ihn das an „Ziemlich beste Freunde“ erinnere, liegt richtig. „Mein Bester & Ich“ ist das US-Remake der Geschichte.

Olivier Nakache und Éric Toledanos Film ist von 2011 und die wahre Geschichte ereignete sich in den neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts. 2001 veröffentlichte Philippe Pozzo di Borgo seine Autobiographie „Le Second souffle“ in der er über seinen Gleitschirmunfall, die Folgen und seine Freundschaft zu seinem Pflegehelfer Abdel Yasmin Sellou schrieb. Es ist eine Geschichte, die wegen ihrer Gegensätze – arm und reich, schwarz und weiß – und ihrem Ende – aus dem Pfleger und seinem Patienten werden Freunde – förmlich nach einer Verfilmung schreit.

Aber während Nakache und Toledanos im unglaublich erfolgreichen Original die Geschichte als lockere Komödie inszenierten, inszenierte Neil Burger sie als Drama. Das ist, nachdem die ersten Minuten der US-Version die französische Vorlage fast 1-zu-1 schlecht nachstellten, ein deutlich anderer Tonfall. Daran ändern auch die später eingestreuten wenigen und in jeder Beziehung sehr deplatzierten Witzversuche nichts.

Die in der Gegenwart spielende Geschichte selbst folgt dagegen fast sklavisch dem Original. Die Kleinigkeiten, die geändert wurden, verändern nichts wesentliches. Ob einem jetzt diese oder jene Lösung besser gefällt, ist letztendlich Geschmacksache. Wobei die von Nicole Kidman gespielte Hausdame und damit auch persönliche Sekretärin des gelähmten Milliardärs hier deutlich konservativer als im Original ist.

Bryan Cranston ist als Gelähmter gewohnt überzeugend. Nicole Kidman blass bis zum gehtnichtmehr. Sie hat zwar einen guten Uniabschluss, aber sie ist so schüchtern, dass sie am liebsten mit der Tapete verschmelzen würde. Kevin Hart, der sonst für kindlich-vulgären Klamauk zuständig ist, bemüht sich hier als Pfleger um eine schauspielerische Leistung. Gegenüber Omar Sy, der im Original den Pfleger als einen breit grinsenden Sunnyboy mit Jean-Paul-Belmondo-Charisma spielte, ist Hart allerdings nur ein latent schlechte Stimmung verbreitender Stinkstiefel.

Wie bei den meisten US-Remakes von erfolgreichen Nicht-US-Filmen gilt auch hier die altbekannte Regel: Wer das Original bereits kennt, kann das US-Remake getrost ignorieren. „Mein Bester & Ich“ ist keine Neuinterpretation, sondern eine Nacherzählung von „Ziemlich beste Freunde“ in einem anderen Tonfall.

Neil Burgers Feelgood-Drama hatte seine Premiere 2017 beim Toronto International Film Festival. Die Weinstein Company wollte den Film in den USA verleihen. Mit dem allseits bekannten Weinstein-Skandal und der damit verbundenen Insolvenz der Firma zerschlugen sich diese Pläne. In den USA lief der Film, jetzt verliehen von STX Entertainment und Lantern Entertainment, im Januar an.

 

Auch der zweite Film mit Nicole Kidman, der heute anläuft, beruht auf einer wahren Geschichte, ist ein kleiner Film und sie spielt eine Nebenrolle. In „Der verlorene Sohn“ spielt sie die in schönster Südstaaten-Tradtion aufgedonnerte Mutter von Jared Eamons (Lucas Hedges, wieder als Junge mit Problemen). Ihr Mann Marshall (Russell Crowe) ist Autohändler und Baptistenprediger. Entsprechend textgetreu bibelnah gefestigt sind seine Moralvorstellung. Auch zur Homosexualität.

Als der neunzehnjährige Jared seinen Eltern seine Homosexualität gesteht, gibt es für Marshall nur eine Lösung: Jared wird in eine von Victor Sykes (Joel Edgerton) für Love in Action durchgeführte Reparativtherapie (auch bekannt als Konversionstherapie) gesteckt.

Diese findet über zwölf Tage in einer von außen, wie ein Gefängnis, hermetisch abgeschlossenen Einrichtung statt. In ihr führen der sich wie ein Guru benehmende Sykes und seine Untergebenen ein strenges und streng religiöses Regiment. Jared darf zwar, wie die anderen Teilnehmer, in den Nächten zurück zu seiner Mutter ins Hotel. Aber er darf mit ihr nicht über seine Erlebnisse in der Einrichtung sprechen. Er darf auch nicht mit anderen Teilnehmern darüber sprechen.

Durchgeführt werden diese Therapien meist von Vertretern der überwiegend evangelikal geprägten Ex-Gay-Bewegung. Ziel der Therapie ist es, den Homosexuellen von seinen homosexuellen Neigungen zu heilen. Denn Homosexualität sei eine sehr schlimme Krankheit, die geheilt werden könne.

Das ist unwissenschaftlicher und gefährlicher Humbug, der inzwischen von allen führenden internationalen psychiatrischen und psychologischen Fachgesellschaften und dem Weltärztebund abgelehnt wird. Depressionen, Angstzustände und selbstzerstörerisches Verhalten wurde bei LGBTQ-Jugendlichen nach einer Reparativtherapie beobachtet. Anstatt einer Heilung wurde das Gegenteil erreicht und die Schuldgefühle und Selbstzweifel der Jugendlichen verstärkt. Eine richtige Therapie will und muss das Gegenteil erreichen.

In den USA ist die Reparativtherapie in vierzehn Staaten (vor allem an der Ost- und Westküste) und in Washington, D. C., verboten. In Deutschland hat Gesundheitsminister Jens Spahn kürzlich einen Gesetzentwurf zum gesetzlichen Verbot von Reparativtherapien angekündigt.

In seinem zweiten Spielfilm zeichnet Joel Edgerton, der auch das Drehbuch schrieb und die Rolle des Therapieleiters Sykes übernahm, sehr genau und detailliert die Therapie und ihre Probleme nach. Denn es geht nicht um eine Heilung (auch wenn das von den evangelikalen Verfechtern behauptet wird), sondern um Gehirnwäsche und Psychofolter. Und es ist erschreckend, dass diese Humbug-Therapie heute immer noch angewandt wird.

Allerdings ist der gesamte Film zu dröge inszeniert und die Charaktere und ihre Dynamik zu flach, um wirklich zu begeistern. „Der verlorene Sohn“ wirkt dann eher wie ein mild dramatisierter Lehrfilm und nicht wie ein packendes Drama über die Rettung einer verlorenen Seele. Es geht vor allem um einen gläubigen Jungen, der versucht herauszufinden, wer er ist und, in zweiter Linie, eine gläubige Mutter, die sich, als sie sieht, wie ihr Sohn auf die Therapie reagiert, zwischen ihrem Mann und ihrem Sohn entscheiden muss. Nicole Kidman hat zwar nur eine Nebenrolle, aber es ist eine wichtige und sehr eindrücklich gespielte Nebenrolle.

Die Vorlage für die Filmgeschichte war die autobiografische Erzählung „Boy erased“ von Garrard Conley, der 2004 bei „Love in Action“ eine solche Therapie erlebte. Nach der Veröffentlichung wurde er zu einem der Sprecher der LGBTQ-Bewegung gegen die Reparativtherapie.

Am Ende überzeugt „Der verlorene Sohn“ vor allem wegen seinem Anliegen als gut gemachter und gespielter Aufklärungsfilm.

Das sieht auch Regisseur Edgerton so: „Wenn wir unsere Arbeit mit dem Film richtig machen, haben wir die Chance, eine größere Diskussion über ein Thema anzustoßen, das Aufmerksamkeit bedarf. Die Reparativtherapie im Allgemeinen existiert in vielen verschiedenen Varianten, in hundert verschiedenen Ländern. Es wird auf verschiedene Weise ständig wiederholt. Einige davon basieren auf Religion, andere nicht. Einige werden mit Psychotherapie kombiniert. Doch eines haben sie alle gemeinsam: Reparativtherapie richtet unglaublich großen Schaden an.“

Mein Bester & Ich (The Upside, USA 2017)

Regie: Neil Burger

Drehbuch: Jon Hartmere (nach dem Drehbuch „Intouchables“ von Olivier Nakache und Éric Toledano)

mit Kevin Hart, Bryan Cranston, Nicole Kidman, Golshifteh Farahani, Julianna Margulies, Aja Naomi King, Suzanne Savoy

Länge: 126 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

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Moviepilot über „Mein Bester & Ich“

Metacritic über „Mein Bester & Ich“

Rotten Tomatoes über „Mein Bester & Ich“

Wikipedia über „Mein Bester & Ich“ (deutsch, englisch)

History vs. Hollywood vergleicht die Fakten mit der Fiktion

Der verlorene Sohn (Boy Erased, USA 2018)

Regie: Joel Edgerton

Drehbuch: Joel Edgerton

LV: Garrard Conley: Boy Erased: A Memoir of Identity, Faith, and Family, 2016 (Boy Erased. Autobiografische Erzählung)

mit Lucas Hedges, Joel Edgerton, Nicole Kidman, Russell Crowe, Joe Alwyn, Flea, Britton Sear, Xavier Dolan, David Craig, Troye Sivan

Länge: 115 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

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Moviepilot über „Der verlorene Sohn“

Metacritic über „Der verlorene Sohn“

Rotten Tomatoes über „Der verlorene Sohn“

Wikipedia über „Der verlorene Sohn“ (deutsch, englisch)

 


TV-Tipp für den 14. Januar: To Die For

Januar 14, 2019

Weil Nicole Kidman gerade so oft, mit sehr unsterschiedlichen Filmen im Kino zu sehen ist. „Aquaman“ läuft noch (und hat schon über eine Milliarde eingespielt), „Der verlorene Sohn“ (Boy Erased, mit Lucas Hedges und Russel Crowe, wahre Geschichte über einen Baptistenprediger, der seinen homosexuellen Sohn heilen will, Kinostart am 21. Februar), „Mein Bester & ich“ (The Upside, mit Bryan Cranston und Kevin Hart, US-Remake von „Ziemlich beste Freunde“, Kinostart am 21. Februar)  und „Destroyer“ (ein insgesamt sehenswerter Noir-Polizeikrimi von „Aeon Flux“-Regisseurin Karyn Kasuma mit Kidman als extrem taffer, von Dämonen aus ihrer Vergangenheit gejagter Polizistin, Kinostart am 14. März).

Arte, 20.15

To Die For (To Die For, USA 1995)

Regie: Gus Van Sant

Drehbuch: Buck Henry

LV: Joyce Maynard: To die for, 1992 (To die for)

TV-Wetterfee Suzanne Stone Maretto  lässt für ihre Karriere Männer über die Klinge springen, bis sie an die Mafia gerät.

Bitterböse Mediensatire. Heute war wahrscheinlich noch aktueller und realistischer als damals.

mit Nicole Kidman, Matt Dillon, Joaquin Phoenix, Casey Affleck, Dan Hedaya, Kurtwood Smith, Buck Henry (als Mr. H. Finlaysson), Joyce Maynard (als Suzannes Anwältin), David Cronenberg, George Segal (jeweils Gastauftritte)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „To Die For“

Wikipedia über „To Die For“ (deutsch, englisch)

Homepage von Joyce Maynard

My-Space-Seite von Gus Van Sant

Meine Besprechung von Gus Van Sants „The Sea of Trees – Liebe wird dich nach Hause führen“ (The Sea of Trees, USA 2015)

Meine Besprechungvon Gus Van Sants „Don’t worry, weglaufen geht nicht“ (Don’t worry, he won’t get far on foot, USA 2018)


Neu im Kino/Filmkritik: „Aquaman“ Arthur Curry sucht einen Dreizack

Dezember 20, 2018

Neben Marvel ist DC Comics das andere große Unternehmen, das mit seinen Superheldencomics seit Jahrzehnten unendlich viele Kinder zum Lesen verführte. Bei den Filmen hat Marvel seit Jahren die Nase vorn. Die Kritiken sind gut. Die Einspielergebnisse fantastisch. Die Fans begeistert. Bei DC Comics kann man sich dagegen nur so halbwegs über die Einspielergebnisse des DC Extended Universe freuen. „Man of Steel“ (2013), „Batman v Superman: Dawn of Justice“ (2016), „Suicide Squad“ (2016) und „Justice League“ (2017) waren mehr oder weniger missratene Geduldsproben. Nur „Wonder Woman“ (2017) überzeugte.

Aquaman“ ist wieder eine Geduldsprobe. Gut aussehend, mit viel Action und durchaus sympathischen Darstellern, aber mit einem konfusem Nichts an Story.

Arthur Curry (Jason Momoa), der titelgebende Aquaman, Sohn von Atlanna (Nicole Kidman), Königin von Atlantis, und dem Leuchtturmwächter Tom Curry (Temuera Morrison), kann mühelos im Wasser und auf der Erde leben. Als erster Sohn von Königin Atlanna könnte er den Thron von Atlantis für sich beanspruchen. Aber der Einzelgänger ist daran nicht interessiert. Viel lieber lebt er das Leben eines ungebundenen Drifters, der ab und an selbstlos einigen Menschen hilft.

Als er erfährt, dass sein machtgieriger Halbbruder Orm (Patrick Wilson) alle Ozean-Königreiche vereinigen und gegen die Landbewohner in den Krieg ziehen will, beschließt Arthur um den Thron zu kämpfen. Denn er möchte nicht, dass die Landbewohner getötet werden. Auch wenn sie seit Jahrzehnten die Ozeane verschmutzen. Orm benutzt diese Umweltsünden als Rechtfertigung für seinen Krieg gegen die Menschen.

Bevor Arthur die Königswürde zugestanden wird, muss er den verlorenen Dreizack von Atlan findet und sich so als legitimer Herrscher des Meeres erweisen. Weil niemand weiß, wo der Dreizack ist, muss Curry mit Mera (Amber Heard), der Prinzessin des Meereskönigreichs Xebel, um die halbe Welt reisen. Von einem Abenteuer zum nächsten.

Diese Story ist die Entschuldigung für eine Abfolge viel zu lang geratener Actionszenen, die auch in einem „Fast & Furious“-Film nicht auffielen (naja, bis auf die Unterwasser-Action), langweiligen Erklärdialogen und Szenen, die anscheinend aus einem anderen Film stammen. Oder wie will man sonst damit umgehen, dass zwischen zwei Actionszenen Aquaman und Mera auf Sizilien Zeit haben, gemütlich wie ein frisch verliebtes Paar über den Markt zu schlendern, während ein bekannter Song die Boxen des Kinos austestet? Immerhin wird nach dem Song die Harmonie von einer wilden Hatz über die Dächer des Dorfes abgelöst. Oder dass, als sie auf ihrer globalen Schnitzeljagd in der Wüste die nächste Spur zum Ziel suchen, er sich wie ein pubertierender Teenager, der keine Lust auf eine Wanderung hat, benimmt? Das sind Szenen, die von ihrer Tonalität in einen vollkommen anderen Film gehören und die auch einen vollkommen anderen Arthur Curry zeichnen. Das ist, als ob James Bond plötzlich Mr. Bean würde.

In dem Moment hat man schon lange alle Fragen von Logik, storyinterner Stimmigkeit und Plausibilität ad acta gelegt. Da können Meeresbewohner mal mühelos Luft atmen, mal nicht. Da wird die Reise zum nächsten Ziel zunächst mit einem alten Fischerboot tuckernd begonnen, bevor Aquaman und Mera den Rest des Weges superflott im Wasser zurücklegen und so im Sturm den sie attackierenden Seemonstern entkommen. Da gibt es in Atlantis einen eigentümlichen Mix aus High Tech und tiefster Urzeit. Da ist die Gesellschaft immer noch wie ein uraltes Königreich aufgebaut, das sich in den vergangenen Jahrhunderten nicht veränderte. Das ist der verstaubte Mythenquark, der vor Jahrzehnten in den Zimmern pubertierender Jungs abgeladen wurde.

Da hilft auch kein muskelbepackter Jason Momoa als breit grinsender Aquaman.

Am Ende des mit gut zweieinhalb Stunden viel zu lang geratenen Wasserfilms bleibt eine große Frage: Warum ist es so schwer, einen gescheiten Superheldenfilm zu drehen? Oder anders formuliert: Was macht Marvel so viel besser als DC bei seinen Filmen?

Aquaman (Aquaman, USA 2018)

Regie: James Wan

Drehbuch: David Leslie Johnson-McGoldrick, Will Beall (nach einer Geschichte von Geoff Johns, James Wan und Will Beall) (nach einem Charakter von Mort Weisinger und Paul Norris)

mit Jason Momoa, Amber Heard, Willem Dafoe, Patrick Wilson, Nicole Kidman, Dolph Lundgren, Yahya Abdul-Mateen II, Temuera Morrison, Michael Beach, Randall Park, Graham McTavish, Leigh Whannell

Länge: 144 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche WarnerBrosDC-Facebook-Seite zum Film

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Moviepilot über „Aquaman“

Metacritic über „Aquaman“

Rotten Tomatoes über „Aquaman“

Wikipedia über „Aquaman“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von James Wans „Insidious: Chapter 2“ (Insidious: Chapter 2, USA 2013)

Meine Besprechung von James Wans „The Conjuring“ (The Conjuring, USA 2013)

Meine Besprechung von James Wans „Fast & Furious 7″ (Furious 7, USA 2015)

Meine Besprechung von James Wans „The Conjuring 2″ (The Conjuring 2, USA 2016)

 


Neu im Kino/Filmkritik: Über Yorgos Lanthimos‘ „The Killing of a sacred Deer“

Dezember 28, 2017

Den meisten Kritikern gefällt Yorgos Lanthimos‘ neuer Film „The Killing of a sacred Deer“ und auf einer intellektuellen Ebene kann ich das auch nachvollziehen. Jedenfalls teilweise.

Es geht, in einem Satz, um eine Arztfamilie, die von einem jungen Mann, der ihr Leben zerstören will, bedroht wird und wie sich die Familie dagegen wehrt. Wie es sich für einen Mystery-Thriller gehört, wird der Grund für das zunächst seltsame Verhalten des jungen Mannes erst spät enthüllt. Spätestens in dem Moment ist der Filmtitel für Menschen mit einer gesunden abendländischen Bildung mühelos verständlich.

Und ungefähr jetzt begeben wir uns notgedrungen auf das Terrain von Spoilern.

Denn der Filmtitel spielt auf den griechischen Mythos der Iphigenie an. Danach muss Agamemnon seine Tochter Iphigenie opfern, weil er in einem heiligen Hain der Jagdgöttin Artemis einen Hirsch getötet hat und sich mit der Tat brüstete.

Im Film ist dann Doktor Steven Murphy Agamemnon. Vor Jahren starb bei einer Operation einer seiner Patienten. Vorher hatte der Patient einen Autounfall. Aber der ist für die Filmgeschichte egal. Irgendwie geplagt von Schuldgefühlen trifft er sich mit Martin, dem sechzehnjährigen Sohn des toten Patienten. Und dieser schleicht sich in Murphys Familie ein. Er will sogar Murphy mit seiner Mutter verkuppeln und so wohl wieder eine richtige Familie haben. Letztendlich ist Martin aber kein nach Liebe und Geborgenheit suchender Stalker, sondern der durchgeknallte Psycho von nebenan, den wir aus zahlreichen Filmen kennen und der stoisch seinen Racheplan verfolgt.

Denn er schleicht sich nicht nur in de Bilderbuchfamilie Murphy ein, sondern belegt sie mit einem Fluch. Plötzlich können Murphys beiden Kinder sich nicht mehr bewegen und Martin fordert Murphy auf, eines seiner Kinder zu opfern. Oder er werde die gesamte Familie töten.

Diesen eher wenig plausiblen Konflikt (Warum rächt er sich nicht an der Person, die den tödlichen Unfall verursachte? Warum will er nur Murphy und nicht auch das restliche Klinikpersonal bestrafen?) etablieren Lanthimos und seinem Stamm-Co-Autor Efthimis Filippou arg umständlich. Jedenfalls wenn man die gängigen Drehbuchregeln anlegt. Auch verglichen mit ihrem vorherigen, ungleich gelungeneren Film „The Lobster“ (ebenfalls mit Colin Farrell n der Hauptrolle) dauert es in „The Killing of a sacred Deer“ lange, bis der Konflikt etabliert ist und die damit zusammenhängende Geschichte beginnt. Dafür zeigen sie, in schönster David-Lynch-Manier inszeniert und mit Schauspielern, die konsequent unnatürlich spielen, in elegant gefilmten Szenen die bröselige Fassade des gut situierten Bürgertums. Diese Szenen bringen die Geschichte nicht vorwärts, aber sie etablieren eine herrlich ver-rückte, absurde Welt. Emotionslos werden Sätze vorgetragen. Man agiert eher neben- als miteinander und auch offensichtliche Lügen zerstören den schönen Schein nicht. Das führt zu wohltuenden Irritationen in einer durch und durch artifiziellen Welt, die mit der Realität oder einer realistischen Inszenierung der Realität nichts zu tun hat. Das ist eher die Welt von „Twin Peaks“. Ohne die Überhöhungen, Symbolismen und Andeutungen von großen Geheimnissen, die irgendwann gelöst werden.

In der zweiten Hälfte, wenn die Murphys Martin im Keller gefangenhalten (nicht in einem kleinen Kellerloch, sondern im Freizeitzimmer) und die üblichen Psychospielchen beginnen, mutiert „The Killing of a sacred Deer“ schnell zu einer banalen und erschreckend eindimensionalen Rachegeschichte in der Martin sich rächen und Murphy seine Familie beschützen will. Wie in Sabus „Happiness“, der vor einigen Wochen bei uns anlief und der in der Mitte einen ähnlichen erzählerischen Bruch hat, zieht sich dieser Teil elendig lang hin, ohne dass wir etwas substantiell neues erfahren, die Geschichte irgendeine Entwicklung hat oder das Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wird.

In „The Killing of a sacred deer“ wäre es natürlich die Frage, welches Opfer für eine schlimme Tat erbracht werden muss. Im alten Griechenland war es ein Menschenopfer. In dem Film verlangt das auch Martin. Immerhin ist, aus seiner Sicht, Murphy für den Tod seines Vaters verantwortlich.

Weil Lanthimos diese Frage nur innerhalb der von ihm selbst sehr eng gesteckten Regeln seines Spiel thematisiert, geht es nur darum, ob die Murphys Martin töten oder einer aus ihrer Familie (oder alle) sterben. Das hat einen Erkenntnisgewinn, der nicht über das alttestamentarische Auge um Auge, Zahn um Zahn hinausgeht, weil die Spielregeln genau so festgelegt wurden. Diese verkopfte Rache- oder, je nach Perspektive, Sühnegeschichte im Arthaus-Gewand ist damit sogar flacher als ein hundsgewöhnliches und strunzdummes Revenge-B-Movie.

The Killing of a sacred Deer (The Killing of a sacred Deer, Großbritannien/Irland 2017)

Regie: Yorgos Lanthimos

Drehbuch: Yorgos Lanthimos, Efthimis Filippou

mit Colin Farrell, Nicole Kidman, Barry Keoghan, Alicia Silverstone, Raffey Cassidy, Sunny Suljic, Bill Camp

Länge: 121 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

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Moviepilot über „The Killing of a sacred Deer“

Metacritic über „The Killing of a sacred Deer“

Rotten Tomatoes über „The Killing of a sacred Deer“

Wikipedia über „The Killing of a sacred Deer“ (deutsch, englisch)

Die Cannes-Pressekonferenz

Q&A beim TIFF


TV-Tipp für den 26. August: Stoker (+ DVD-Tipp „Die Taschendiebin“)

August 26, 2017

Pro 7, 22.20

Stoker (Stoker, USA 2012)

Regie: Park Chan-Wook

Drehbuch: Wentworth Miller

Die achtzehnjährige India Stoker möchte ungestört trauern. Da taucht der allen unbekannte Bruder ihres tödlich verunglückten Vaters auf. India lehnt Onkel Charlie ab. Ihre Mutter ist dagegen aufgeschlossen. Und dann geschehen einige Dinge, die die Beziehung zwischen India und Onkel Charlie grundlegend verändern.

Ein wunderschönes Kunstwerk, das ein sehr intelligentes Update von Alfred Hitchcocks „Im Schatten des Zweifels“ ist.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung des Thrillers.

mit Mia Wasikowska, Matthew Goode, Dermot Mulroney, Jacki Weaver, Nicole Kidman, Phyllis Sommerville

Wiederholung: Sonntag, 27. August, 01.40 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Amerikanische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Stoker“

Metacritic über „Stoker“

Rotten Tomatoes über „Stoker“

Wikipedia über „Stoker“ (deutsch, englisch)

Bonushinweis

Seit kurzem ist Park Chan-wooks neuer Film „Die Taschendiebin“ auf DVD und Blu-ray erhältlich. In dem ruhig erzählten Krimidrama mit einige erzählerischen Finessen erzählt er in wunderschönen Bildern die Geschichte von dem jungen und naiven Dienstmädchen Sookee, das im Korea der dreißiger Jahre auf einem einsam gelegenem Anwesen Lady Hideko dienen soll. Sie lebt dort mit ihrem Onkel, der über eine große Bibliothek erotischer Bücher verfügt, die er in besonderen Lesungen meistbietend verkauft.

Sookee ist allerdings kein normales Dienstmädchen, sondern eine Betrügerin die alles für Graf Fujiwara vorbereiten soll. Der Graf will Lady Hideko verführen, heiraten und um ihr Vermögen bringen. Aber auch Sookee verliebt sich in die Hausherrin.

Das Bonusmaterial der normalen DVD besteht aus einigen kurzen, eher belanglosen Featurettes. Es gibt auch eine auf 2000 Stück limitierte Sammleredition mit einem 140-seitigem Fotobuch mit Bildern von Set, der unveröffentlichten, 23 Minuten längeren Langfassung (die noch gelungener als die Kinofassung sein soll), Park Chan-wooks halbstündigem Kurzfilm „Night Fishing“ und ein einstündiges, beim London Filmfestival geführtes Interview mit Park Chan-wook.

Die Taschendiebin (The Handmaiden, Südkorea 2016)

Regie: Park Chan-wook

Drehbuch: Seo-kyeong Jeong, Park Chan-wook

LV: Sarah Waters: Fingersmith, 2002 (Solange du lügst)

mit Kim Min-hee, Kim Tae-ri, Ha Jung-woo, Cho Jin-woong, Kim Hae-sook, Moon So-ri

DVD

Koch Media

Bild: 2.35:1 (16:9)

Ton: Deutsch, Koreanisch/Japanisch (Dolby Digital 5.1)

Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: mehrere kurze Featurettes

Länge: 139 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Die Taschendiebin“

Metacritic über „Die Taschendiebin“

Rotten Tomatoes über „Die Taschendiebin“

Wikipedia über „Die Taschendiebin“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Park Chan-wooks “Stoker” (Stoker, USA 2012)


TV-Tipp für den 11. Februar: Die Dolmetscherin

Februar 11, 2017

ZDFneo, 21.35
Die Dolmetscherin (Großbritannien/Frankreich/USA 2005, Regie: Sydney Pollack)
Drehbuch: Charles Randolph, Scott Frank, Steven Zaillian (nach einer Geschichte von Martin Stellman und Brian Ward)
UN-Dolmetscherin Silvia Broome behauptet, dass sie ein Gespräch belauschte, in dem im Landesdialekt über ein Mordkomplott gegen den verhassten Diktator ihres Heimatlandes, der in New York ermordet werden soll, gesprochen wurde. Agent Tobin Keller soll die wichtige Zeugin beschützen. Gleichzeitig fragt er sich, ob die schöne Frau mit rätselhafter Vergangenheit, die Wahrheit sagt.
Der spannende Polit-Thriller war der letzte Spielfilm von Sydney Pollack, der auch “Nur Pferden gibt man den Gnadenschuß” (They shoot horses, don’t they?), “Jeremiah Johnson”, “Yakuza” (The Yakuza), “Die drei Tage des Condors” (Three days of the Condor), “Tootsie”, “Jenseits von Afrika” (Out of Africa) und “Die Firma” (The Firm) inszenierte.
mit Nicole Kidman, Sean Penn, Catherine Keener, Jesper Christensen, Yvan Attal
Hinweise
Film-Zeit über „Die Dolmetscherin“
Moviepilot über „Die Dolmetscherin“
Metacritic über „Die Dolmetscherin“
Rotten Tomatoes über „Die Dolmetscherin“
Wikipedia über „Die Dolmetscherin“ (deutsch, englisch)
Mein Nachruf auf Sydney Pollack


Neu im Kino/Filmkritik: „Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft“ zwischen Lektor Max Perkins und Autor Thomas Wolfe

August 11, 2016

Lektoren. Wer kennt schon ihre Namen? Zwar wird niemand bestreiten, dass sie wichtig sind, aber am Ende steht der Name des Autors groß auf dem Buchumschlag und der des Lektors wird oft noch nicht einmal im Impressum (das ist der Teil, den ihr nicht lest) erwähnt. Inzwischen werden sie öfter in den Danksagungen des Autors erwähnt, aber auch die werden nicht gelesen. Widmungen werden wegen ihrer prominenten Platzierung schon öfter gelesen und Thomas Wolfe widmete seinen zweiten Roman „Von Zeit und Strom“ (Of Time and the River, 1935) seinem Lektor Max Perkins.

Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft“ von Theaterregisseur Michael Grandage in seinem Filmdebüt, nach einem Drehbuch von John Logan („Aviator“, „James Bond: Skyfall“, „James Bond: Spectre“), der sich schon vor fast zwanzig Jahren die Rechte an A. Scott Bergs Max-Perkins-Biographie sicherte und die treibende Kraft bei diesem Film war, erzählt die Geschichte der Freundschaft zwischen Perkins und Wolfe.

1929 treffen sie sich zum ersten Mal. Perkins ist bei dem renommierten Buchverlag Charles Scribner’s Sons der Lektor von F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway, die er beide gegen Widerstände in das Verlagsprogramm hob. Wolfe ist ein Autor, der bislang Absagen sammelte, weil sein Manuskript unglaublich lang und sein Stil ungewöhnlich ist. Aber Perkins ist begeistert. Das Manuskript muss halt noch überarbeitet und auf eine verträgliche Länge gekürzt werden. Also um ein knappes Drittel auf immerhin noch achthundert Manuskriptseiten,

Es gelingt ihnen. Noch im gleichen Jahr wird der Roman „Schau heimwärts, Engel“ (Look Homeward Angel) veröffentlicht und ein Bestseller.

Kurz darauf schickt Wolfe seinen neuen Roman an Perkins. Es ist ein fünftausendseitiges handgeschriebenes Opus, das in mehreren Holzkisten angeliefert wird. Und der Kampf um jedes Wort beginnt zwischen Wolfe und Perkins.

Von Zeit und Strom“ wird 1935 veröffentlicht. Danach wechselt er den Verlag.

1938 stirbt der 1900 geborene Thomas Wolfe und damit endet der Film, der einen Einblick in die Beziehung von Lektor und Autor bietet, die auch viel von der zwischen einem Arzt zu seinem Patienten hat.

Auf dem Papier klingt das, auch weil F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway kurz auftreten, nach einer spannenden Geschichte. Dummerweise ist sie es nicht. Denn wenn Perkins und Wolfe um jedes Wort und jeden Absatz ringen, ist das für uns Zuschauer nicht allzu spannend. Allein schon, weil wir nicht wissen, warum der Absatz, außer dem offensichtlichem Grund dass das Manuskript zu lang ist, gekürzt werden muss.

Dieser Konflikt, der für einen Literaturwissenschaftler beim Textvergleich hochinteressant ist, ist im Kino als emotionales Erlebnis dröge. Für die beteiligten Personen geht es aus der Zuschauerperspektive bei diesem Konflikt um nichts Wichtiges. Denn für Perkins geht es einfach nur um die Publikation eines weiteren Romans. Wenn er nicht „Von Zeit und Strom“ veröffentlicht, dann veröffentlicht er eben ein anderes Buch.

Für Wolfe ist die Situation ähnlich: Wenn er seinen zweiten Roman nicht bei Scribner’s veröffentlicht, dann halt eben bei einem anderen Verlag.

Für einen Film ist diese Abwesenheit eines Konflikts, der von den Charakteren wichtige Entscheidungen verlangt, die ihr weiteres Leben beeinflussen, fast immer ein großes Problem. Ein Roman und vor allem ein Sachbuch kann dagegen prächtig funktionieren.

Dabei hat „Genius“ gute Schauspieler – Colin Firth als Max Perkins (grandios, wenn er am Filmanfang während einer Zugfahrt Wolfes Manuskript liest und wir in seinem Gesicht seine sehr subtile Reaktion auf den Text lesen), Jude Law als exaltiert-egomanisch-egozentrischer Thomas Wolfe, Nicole Kidman als seine deutlich ältere Freundin und Geldgeberin Aline Bernstein, Laura Linney als Perkins Frau Louise, Guy Pearce als F. Scott Fitzgerald (drei Szenen), Dominic West als Ernest Hemingway (eine Szene) -, eine gute Ausstattung, gute Kameraarbeit und eine sich bewusst am klassischen Hollywoodkino orientierende Inszenierung. Das ist gut gemacht, aber in seiner Illustration der Arbeitsbeziehung zwischen Perkins und Wolfe auch biederes Ausstattungs- und Schauspielerkino.

Am Ende des Films wissen wir zwar einiges über Thomas Wolfe, aber wir können nicht sagen, um was es in seinen Büchern geht und warum er einer der Großen der US-Literatur ist. Immerhin wissen wir, dass er wahnsinnig dicke Bücher schrieb, die vorher noch länger waren.

Über Max Perkins, seine Familie und seine Arbeit erfahren wir mehr. Auch F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway treten kurz auf. Aber dass er, so Berg in seiner mit dem National Book Award ausgezeichneten Perkins-Biographie, der erste Lektor war, der kreativ in die Texte eingriff und schon während der Manuskripterstellung als Lektor mit dem Autor zusammen arbeitete, erfahren wir nicht in dem Film. Wir sehen es. Wir sehen auch, dass er sich intensiv um seine Autoren kümmerte. An einigen Beispielen, ohne zu wissen, ob er das nur manchmal oder immer machte. Perkins war für seine Autoren, so Biograph Berg, „Freund, Eheberater, Psychiater und Geldverleiher. Das galt nicht nur für Fitzgerald, Hemingway und Wolfe, sondern für hundert andere seiner Schützlinge auch.“ Das relativiert dann die in dem Film gezeigte Beziehung zwischen Perkins und Wolfe noch mehr.

Diese nur auf Englisch erhältliche Biographie könnte als ein umfassender Einblick in das US-amerikanische Verlagsgewerbe in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wirklich eine sehr lesenswerte Lektüre sein.

Der Film streift nur die Oberfläche.

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Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft (Genius, USA/Großbritannien 2016)

Regie: Michael Grandage

Drehbuch: John Logan

LV: A. Scott Berg: Max Perkins: Editor of Genius, 1978

mit Colin Firth, Jude Law, Nicole Kidman, Laura Linney, Guy Pearce, Dominic West, Yanessa Kirby, Corey Johnson, Harry Attwell

Länge: 105 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

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Wikipedia über „Genius“ (deutsch, englisch)

History vs. Hollywood über „Genius“


TV-Tipp für den 31. Juli: Lolita/Eyes Wide Shut

Juli 30, 2016

Zwei Liebesfilme von Stanley Kubrick

Arte, 20.15

Lolita (Großbritannien/USA 1962, Regie: Stanley Kubrick)

Drehbuch: Vladimir Nabokov

LV: Vladimir Nabokov: Lolita (1955/1958, Lolita)

Professor Humbert Humbert verliebt sich in die pubertierende Tochter seiner Vermieterin Charlotte Haze.

Film und Buch gehören heute zu den Klassikern in ihrem Genre.

Nabokovs Roman wurde 1955 zuerst auf Englisch in Frankreich veröffentlicht. Die US-amerikanische Erstausgabe erschien 1958 und wurde sofort ein Bestseller.

Mit James Mason, Sue Lyon, Peter Sellers, Shelley Winters

Wiederholung: Donnerstag, 4. August, 00.20 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Lolita“

Wikipedia über “Lolita” (deutsch, englisch)

Stanley Kubrik in der Kriminalakte

Arte, 22.45

Eyes Wide Shut (USA 1999, Regie: Stanley Kubrick)

Drehbuch: Stanley Kubrick, Frederic Raphael

LV: Arthur Schnitzler: Traumnovelle, 1926 (Buchausgabe, davor 1925/1926 als Fortsetzungsroman in „Die Dame“ erschienen)

Nachdem seine Frau ihm eine Jahre zurückliegende außereheliche Sexfantasie beichtet, tickt William aus. Verstört irrt der Doktor durch das nächtliche New Yorker zwischen Prostituierten und Swingerclubs.

Kubricks letzter Film ist nicht sein bester. Dafür ist er zu lang (auf mich wirkt er wie der Rohschnitt) und durch den Wechsel der Handlungszeit vom Wien der späten Kaiserjahre in das heutige New York wird die Geschichte ihres moralischen Kontextes beraubt. Denn in einer heute, unter normalen Menschen, spielenden Geschichte ist es einfach unglaubwürdig, dass ein Mann so von einer außerehelichen Sexualfantasie irritiert ist.

Zum Glück spielen weite Teile in pompös-altmodischen Innenräumen und die Dialoge wurden auch von Schnitzler übernommen. So kann man meistens ausblenden, dass „Eyes Wide Shut“ zur falschen Zeit spielt.

Mit Tom Cruise, Nicole Kidman, Sydney Pollack, Sky Dumont

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Eyes Wide Shut“

Wikipedia über “Eyes Wide Shut” (deutsch, englisch)

Stanley Kubrik in der Kriminalakte


Neu im Kino/Filmkritik: „Vor ihren Augen“ – das Remake des Oscar-Gewinners „In ihren Augen“

Juni 10, 2016

Nicole Kidman, Julia Roberts, Chiwetel Ejiofor in den Hauptrollen, Alfred Molina, Michael Kelly und Dean Norris (die ja eher gesichtsbekannt sind) in Nebenrollen in dem Remake eines argentinischen Films, der 2010 den Oscar als bester ausländischer Film erhielt und mit Kritikerlob und Preisen überhäuft wurde, nach einem Drehbuch von Billy Ray, der schon bei „Enttarnt – Verrat auf höchster Ebene“ (auch Regie), „State of Play – Stand der Dinge“ und „Captain Phillips“ sein Talent für komplexe Stoffe bewies, und der auch wieder die Regie übernahm. Was kann da schief gehen?

In diesem Fall: erstaunlich viel.

Die Geschichte von der Vorlage „In ihren Augen“ (El secreto de sus ojos, Argentinien 2009, Regie: Juan José Campanella), die sich vor dem Hintergrund der argentinischen Militärdiktatur und ihrer Nachwirkungen entfaltete, wurde in die USA verlegt und den dortigen Gegebenheiten angepasst. Jetzt spielt die Geschichte in Los Angeles 2002 und in der Gegenwart.

Als Ray Kasten (Chiwetel Ejiofor) bei seinem allabendlichem Durchklicken durch die Bilder von Inhaftierten einen Mann entdeckt, den er für den Mörder von Caroline hält, bittet der Ex-Polizist die Staatsanwältin Claire Sloan (Nicole Kidman), in die er immer noch still verliebt ist, um eine Wiederaufnahme eines alten Falles.

2002 arbeitete er in der Anti-Terrorismus-Task-Force. Sie beobachteten eine Moschee, als nebenan eine junge Frau ermordet wird. Es ist die Tochter von seiner Kollegin Jess Cobb (Julia Roberts). Bei den Ermittlungen, die teilweise von seinen Vorgesetzten und Kollegen behindert werden, stößt er auf einen Verdächtigen, der gleichzeitig als Spitzel in der Moschee eine Terrorzelle infiltrieren soll. Kurz vor Verhaftung verschwindet er spurlos.

Jetzt glaubt Kasten, dass er den Fall endlich abschließen kann.

Neben der nahe liegenden Frage, ob der Verdächtige auch der Täter ist, gibt es noch eine andere Frage: ob Cobb, die trauernde Mutter, wirklich eine Verhaftung oder Rache will.

Daraus könnte ein ordentlicher Thriller entstehen, wenn die Geschichte chronologisch erzählt würde. Aber Billy Ray springt munter zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her. Oft ist auf den ersten Blick auch unklar, wann die Szene jetzt genau spielt. Ejiofor ist zwar in der Gegenwart etwas ergraut, aber Kidman sieht immer gleich aus. Auch Roberts sieht, nach dem Tod ihrer Tochter, immer gleich erschöpft aus. Sie hängt wie ein nasses Hemd im Film herum.

In den Szenen aus der Vergangenheit springt Ray dann weiter munter in der Chronologie hin und her und verschenkt dabei jegliches dramatische und emotionale Potential. Zum Beispiel entdeckt Kasten am Filmanfang in einem Müllcontainer etwas schreckliches. Er ist schockiert. Fassungslos. Wir wissen nicht warum. Er versucht Cobb davon abzuhalten, in den Müllcontainer zu blicken. Wir wissen nicht warum. Erst etwas später erfahren wir, dass sie eine Tochter hat und dass ihre Tochter in dem Müllcontainer liegt. Welche Beziehungen sie zueinander hatten, wissen wir nicht. Noch später, in einer in dem Moment vollkommen zusammenhanglosen Szene, sehen wir sie zusammen einen Abend verbringen. Jetzt können wir uns denken, welche Beziehung Kasten, Cobb und Caroline zueinander hatten. In dem Moment ist allerdings die mögliche emotionale Wirkung von Carolines Tod auf uns vollkommen verpufft.

Dieses Prinzip, die Szenen zu präsentieren, als sei der Film vor dem Abspielen durch einen Zufallsgenerator gejagt worden, führt dazu, dass man mehr damit beschäftigt ist, die Chronologie zu ordnen, als sich emotional auf den Film und seine letztendlich nicht sonderlich komplexe Geschichte einzulassen.

Dazu kommen Dialoge, die zum Haare ausraufen sind. Der Höhepunkt der Peinlichkeit wird in einem Verhör erreicht, wenn die bis dahin ruhige Staatsanwältin plötzlich den Verdächtigen mit einer hirnrissigen Rede über Penisgrößen und Blicke auf Busen aus der Ruhe bringen und zu einem unbedachten Geständnis bewegen will. Immerhin kriegt der Verdächtige bei dieser in jeder Beziehung deplatzierten Ansprache keinen Lachkrampf.

Falsch klingen auch etliche Dialoge über den Anti-Terror-Kampf und Folter. Zwar wurde auch in den USA heftig darüber diskutiert, aber dass schon 2002, wenige Monate nach 9/11, Polizisten einer Anti-Terror-Einheit über die Nachteile von Folter sinnieren, klingt schon im Film einfach falsch. Und klingt nach einem Blick auf die öffentliche Diskussion, die erst mit der Aufdeckung der Folter in Abu-Ghraib im Mai 2004 begann, noch falscher, weil es Sätze sind, die unser heutiges Wissen und die Meinung des Drehbuchautoren, aber nicht die der Charaktere reflektieren.

Die unnötig verschachtelte Erzählweise führt auch zu einer gewissen Langeweile, weil während des gesamten Films zahlreiche Szenen sind, die 2002 spielen, und egal, was Kasten, Cobb und Sloan damals unternommen haben: es führte nicht zur Verhaftung des Täters. Das soll ja erst 2015 geschehen.

Es gab auch in der Vergangenheit kein Komplott, das jetzt vielleicht aufgeklärt werden könnte. Kasten bittet Sloan am Filmanfang, die Ermittlungen wieder regulär aufzunehmen. In dem Moment ist klar, dass der Tatverdächtige ein ganz gewöhnlicher Verbrecher ist.

Vor ihren Augen“ ist ein schlechter Film. Um das zu wissen, muss man das Original, das manchmal im Fernsehen läuft, nicht kennen.

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Vor ihren Augen (Secret in their Eyes, USA 2015)

Regie: Billy Ray

Drehbuch: Billy Ray (basierend auf „El secreto de sus ojos“ von Juan José Campanella und Eduardo Sacheri)

mit Nicole Kidman, Julia Roberts, Chiwetel Ejiofor, Alfred Molina, Dean Norris, Joe Cole, Michael Kelly, Zoe Graham

Länge: 112 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Vor ihren Augen“

Metacritic über „Vor ihren Augen“

Rotten Tomatoes über „Vor ihren Augen“

Wikipedia über „Vor ihren Augen“


TV-Tipp für den 4. Juni: Die Dolmetscherin

Juni 3, 2016

ZDFneo, 20.15
Die Dolmetscherin (Großbritannien/Frankreich/USA 2005, Regie: Sydney Pollack)
Drehbuch: Charles Randolph, Scott Frank, Steven Zaillian (nach einer Geschichte von Martin Stellman und Brian Ward)
UN-Dolmetscherin Silvia Broome behauptet, dass sie ein Gespräch belauschte, in dem im Landesdialekt über ein Mordkomplott gegen den verhassten Diktator ihres Heimatlandes, der in New York ermordet werden soll, gesprochen wurde. Agent Tobin Keller soll die wichtige Zeugin beschützen. Gleichzeitig fragt er sich, ob die schöne Frau mit rätselhafter Vergangenheit, die Wahrheit sagt.
Der spannende Polit-Thriller war der letzte Spielfilm von Sydney Pollack, der auch “Nur Pferden gibt man den Gnadenschuß” (They shoot horses, don’t they?), “Jeremiah Johnson”, “Yakuza” (The Yakuza), “Die drei Tage des Condors” (Three days of the Condor), “Tootsie”, “Jenseits von Afrika” (Out of Africa) und “Die Firma” (The Firm) inszenierte.
mit Nicole Kidman, Sean Penn, Catherine Keener, Jesper Christensen, Yvan Attal
Hinweise
Film-Zeit über „Die Dolmetscherin“
Moviepilot über „Die Dolmetscherin“
Metacritic über „Die Dolmetscherin“
Rotten Tomatoes über „Die Dolmetscherin“
Wikipedia über „Die Dolmetscherin“ (deutsch, englisch)
Mein Nachruf auf Sydney Pollack


TV-Tipp für den 25. April: Projekt: Peacemaker

April 25, 2016

Kabel 1, 20.15

Projekt: Peacemaker (USA 1997, Regie: Mimi Leder)

Drehbuch: Michael Schiffer

LV: Leslie Cockburn, Andrew Cockburn: One Point Safe (Artikel)

US-Colonel Thomas Devoe und Nuklearspezialistin Dr. Julia Kelly suchen mehrere verschwundene russische Atomsprengköpfe. Einer davon gelangt in die Hände eines serbischen Terroristen, der die Bombe in New York zünden will.

Interessant ist an „Projekt: Peacemaker“ nicht die Geschichte, sondern die kleinen Verschiebungen und Brüche innerhalb eines Genrefilms. Denn nach dem Ende des Kalten Krieges existieren die alten Fronten und Regeln nicht mehr. Neue Regeln gibt es noch nicht. Das ausführlich geschilderte Motiv des Terroristen ist sehr nachvollziehbar. Er möchte seine Familie rächen.

„Projekt: Peacemaker“ versucht innerhalb einer Genregeschichte die neue Realität nach dem Ende des Kalten Krieges für die Geheimdienste und die internationale Politik zu fassen. Dabei ist der Film genauso unsicher wie die Geheimdienste. Der alte Gegner Kommunismus ist verschwunden. Ein neuer ist noch nicht gefunden. An dieser Schnittstelle erzählt “Projekt: Peacemaker” seine Geschichte.

Mit George Clooney, Nicole Kidman, Armin Müller-Stahl, Alexander Baluyev

Wiederholung: Dienstag, 26. April, 00.35 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über “Projekt: Peacemaker”

Wikipedia über “Projekt: Peacemaker” (deutsch, englisch)


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