TV-Tipp für den 12. August: Der große Gatsby

April 11, 2023

Kabel 1, 23.20

Der große Gatsby (The great Gatsby, USA 2013)

Regie: Baz Luhrmann

Drehbuch: Baz Luhrmann, Craig Pearce

LV: F. Scott Fitzgerald: The great Gatsby, 1925 (Der große Gatsby)

Auf Long Island veranstaltet der geheimnisumwitterte Jay Gatsby in den zwanziger Jahren glamouröse Partys. Da trifft er seine große, inzwischen verheiratete Liebe Daisy wieder.

Fünfte Verfilmung von F. Scott Fitzgeralds Romanklassiker und wieder ist die Verfilmung eine bestenfalls durchwachsene Angelegenheit, die der vernachlässigbaren Handlung des Romas folgt und ihren viel wichtigeren Geist verfehlt. Immerhin ist bei Luhrmann immer etwas los. Allerdings: „Luhrmanns Oberflächenfetischismus kennt keine echten Abgründe.“ (Lexikon des internationalen Films)

Die aktuell bekannteste Verfilmung dürfte die ebenfalls ungeliebte Version von 1974 sein. Francis Ford Coppola schrieb das Drehbuch und Robert Redfort spielte Jay Gatsby.

mit Leonardo DiCaprio, Isla Fisher, Jason Clarke, Carey Mulligan, Joel Edgerton, Tobey Maguire

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Der große Gatsby“

Wikipedia über „Der große Gatsby“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Baz Luhrmanns „Elvis“ (Elvis, USA 2022)


TV-Tipp für den 4. Februar: Loving

Februar 3, 2023

3sat, 23.15

Loving (Loving, USA/Großbritannien 2016)

Regie: Jeff Nichols

Drehbuch: Jeff Nichols

LV: Nancy Buirski: The Loving Story, 2011 (Dokumentarfilm)

Mildred Jeter und Richard Loving lieben sich. Sie heiraten – und weil sie unterschiedliche Hautfarben haben, ist das in Virginia, wo gemischtrassige Heiraten verboten sind, ein Verbrechen, das mit Haft und Verbannung geahndet wird.

Jeff Nichols erzählt die Geschichte, die am 12. Juni 1967 zu dem einstimmigen Urteil des Obersten Gerichtshofs führt, das ein Verbot von Eheschließungen aufgrund von Rassenmerkmalen für verfassungswidrig erklärt. Seitdem wird in den USA, teils als Feiertag, der Loving Day gefeiert.

Klassisches Hollywood-Erzählkino.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Joel Edgerton, Ruth Negga, Marton Csokas, Nick Kroll, Terri Abney, Alano Miller, Jon Bass, Christopher Mann, Sharon Blackwood, Michael Shannon

Hinweise

Moviepilot über „Loving“

Metacritic über „Loving“

Rotten Tomatoes über „Loving“

Wikipedia über „Loving“ (deutsch, englisch)

History vs Hollywood über „Loving“

Meine Besprechung von Jeff Nichols‘ „Midnight Special“ (Midnight Special, USA 2015)

Meine Besprechung von Jeff Nichols‘ „Loving“ (Loving, USA/Großbritannien 2016)


Neu im Kino/Filmkritik: Nicole Kidman, „Der verlorene Sohn“, „Mein Bester & Ich“

Februar 22, 2019

Es scheint, als habe Nicole Kidman ihrem Agenten gesagt, sie wolle in ihren nächsten Filmen möglichst unterschiedliche Rollen haben und so ihr Können zeigen. Anders ist ihre aktuelle Rollenauswahl kaum zu erklären. Im Dezember war sie in dem quietschbunten DC-Superheldenepos „Aquaman“ eine Meeresgöttin. Demnächst ist sie in dem zwiespältigen harten Polizeithriller „Destroyer“ (Kinostart 14. März, Besprechung folgt) eine süchtige Polizistin. In den in der Gegenwart spielenden Teilen ist sie kaum erkennbar. Und in den beiden Filmen mit ihr, die heute im Kino anlaufen, ist sie einmal eine aufgedonnerte Südstaaten-Mutter, einmal eine verhuschte Sekretärin.

Die verhuschte Sekretärin spielt sie in „Mein Bester & Ich“. Ihr stinkreicher Chef ist nach einem Sportunfall fast vollständig gelähmt. Jetzt benötigt er einen neuen Pfleger und, weil er gerade an Suizid denkt, nimmt er sich von allen Pflegern, die sich bei ihm um die Stelle bewerben, die Person, die am allerwenigsten für den Job geeignet ist und die beim Vorstellungsgespräch auch offensiv sagt, dass sie die Arbeit überhaupt nicht haben wolle.

Und wer jetzt denkt, dass ihn das an „Ziemlich beste Freunde“ erinnere, liegt richtig. „Mein Bester & Ich“ ist das US-Remake der Geschichte.

Olivier Nakache und Éric Toledanos Film ist von 2011 und die wahre Geschichte ereignete sich in den neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts. 2001 veröffentlichte Philippe Pozzo di Borgo seine Autobiographie „Le Second souffle“ in der er über seinen Gleitschirmunfall, die Folgen und seine Freundschaft zu seinem Pflegehelfer Abdel Yasmin Sellou schrieb. Es ist eine Geschichte, die wegen ihrer Gegensätze – arm und reich, schwarz und weiß – und ihrem Ende – aus dem Pfleger und seinem Patienten werden Freunde – förmlich nach einer Verfilmung schreit.

Aber während Nakache und Toledanos im unglaublich erfolgreichen Original die Geschichte als lockere Komödie inszenierten, inszenierte Neil Burger sie als Drama. Das ist, nachdem die ersten Minuten der US-Version die französische Vorlage fast 1-zu-1 schlecht nachstellten, ein deutlich anderer Tonfall. Daran ändern auch die später eingestreuten wenigen und in jeder Beziehung sehr deplatzierten Witzversuche nichts.

Die in der Gegenwart spielende Geschichte selbst folgt dagegen fast sklavisch dem Original. Die Kleinigkeiten, die geändert wurden, verändern nichts wesentliches. Ob einem jetzt diese oder jene Lösung besser gefällt, ist letztendlich Geschmacksache. Wobei die von Nicole Kidman gespielte Hausdame und damit auch persönliche Sekretärin des gelähmten Milliardärs hier deutlich konservativer als im Original ist.

Bryan Cranston ist als Gelähmter gewohnt überzeugend. Nicole Kidman blass bis zum gehtnichtmehr. Sie hat zwar einen guten Uniabschluss, aber sie ist so schüchtern, dass sie am liebsten mit der Tapete verschmelzen würde. Kevin Hart, der sonst für kindlich-vulgären Klamauk zuständig ist, bemüht sich hier als Pfleger um eine schauspielerische Leistung. Gegenüber Omar Sy, der im Original den Pfleger als einen breit grinsenden Sunnyboy mit Jean-Paul-Belmondo-Charisma spielte, ist Hart allerdings nur ein latent schlechte Stimmung verbreitender Stinkstiefel.

Wie bei den meisten US-Remakes von erfolgreichen Nicht-US-Filmen gilt auch hier die altbekannte Regel: Wer das Original bereits kennt, kann das US-Remake getrost ignorieren. „Mein Bester & Ich“ ist keine Neuinterpretation, sondern eine Nacherzählung von „Ziemlich beste Freunde“ in einem anderen Tonfall.

Neil Burgers Feelgood-Drama hatte seine Premiere 2017 beim Toronto International Film Festival. Die Weinstein Company wollte den Film in den USA verleihen. Mit dem allseits bekannten Weinstein-Skandal und der damit verbundenen Insolvenz der Firma zerschlugen sich diese Pläne. In den USA lief der Film, jetzt verliehen von STX Entertainment und Lantern Entertainment, im Januar an.

 

Auch der zweite Film mit Nicole Kidman, der heute anläuft, beruht auf einer wahren Geschichte, ist ein kleiner Film und sie spielt eine Nebenrolle. In „Der verlorene Sohn“ spielt sie die in schönster Südstaaten-Tradtion aufgedonnerte Mutter von Jared Eamons (Lucas Hedges, wieder als Junge mit Problemen). Ihr Mann Marshall (Russell Crowe) ist Autohändler und Baptistenprediger. Entsprechend textgetreu bibelnah gefestigt sind seine Moralvorstellung. Auch zur Homosexualität.

Als der neunzehnjährige Jared seinen Eltern seine Homosexualität gesteht, gibt es für Marshall nur eine Lösung: Jared wird in eine von Victor Sykes (Joel Edgerton) für Love in Action durchgeführte Reparativtherapie (auch bekannt als Konversionstherapie) gesteckt.

Diese findet über zwölf Tage in einer von außen, wie ein Gefängnis, hermetisch abgeschlossenen Einrichtung statt. In ihr führen der sich wie ein Guru benehmende Sykes und seine Untergebenen ein strenges und streng religiöses Regiment. Jared darf zwar, wie die anderen Teilnehmer, in den Nächten zurück zu seiner Mutter ins Hotel. Aber er darf mit ihr nicht über seine Erlebnisse in der Einrichtung sprechen. Er darf auch nicht mit anderen Teilnehmern darüber sprechen.

Durchgeführt werden diese Therapien meist von Vertretern der überwiegend evangelikal geprägten Ex-Gay-Bewegung. Ziel der Therapie ist es, den Homosexuellen von seinen homosexuellen Neigungen zu heilen. Denn Homosexualität sei eine sehr schlimme Krankheit, die geheilt werden könne.

Das ist unwissenschaftlicher und gefährlicher Humbug, der inzwischen von allen führenden internationalen psychiatrischen und psychologischen Fachgesellschaften und dem Weltärztebund abgelehnt wird. Depressionen, Angstzustände und selbstzerstörerisches Verhalten wurde bei LGBTQ-Jugendlichen nach einer Reparativtherapie beobachtet. Anstatt einer Heilung wurde das Gegenteil erreicht und die Schuldgefühle und Selbstzweifel der Jugendlichen verstärkt. Eine richtige Therapie will und muss das Gegenteil erreichen.

In den USA ist die Reparativtherapie in vierzehn Staaten (vor allem an der Ost- und Westküste) und in Washington, D. C., verboten. In Deutschland hat Gesundheitsminister Jens Spahn kürzlich einen Gesetzentwurf zum gesetzlichen Verbot von Reparativtherapien angekündigt.

In seinem zweiten Spielfilm zeichnet Joel Edgerton, der auch das Drehbuch schrieb und die Rolle des Therapieleiters Sykes übernahm, sehr genau und detailliert die Therapie und ihre Probleme nach. Denn es geht nicht um eine Heilung (auch wenn das von den evangelikalen Verfechtern behauptet wird), sondern um Gehirnwäsche und Psychofolter. Und es ist erschreckend, dass diese Humbug-Therapie heute immer noch angewandt wird.

Allerdings ist der gesamte Film zu dröge inszeniert und die Charaktere und ihre Dynamik zu flach, um wirklich zu begeistern. „Der verlorene Sohn“ wirkt dann eher wie ein mild dramatisierter Lehrfilm und nicht wie ein packendes Drama über die Rettung einer verlorenen Seele. Es geht vor allem um einen gläubigen Jungen, der versucht herauszufinden, wer er ist und, in zweiter Linie, eine gläubige Mutter, die sich, als sie sieht, wie ihr Sohn auf die Therapie reagiert, zwischen ihrem Mann und ihrem Sohn entscheiden muss. Nicole Kidman hat zwar nur eine Nebenrolle, aber es ist eine wichtige und sehr eindrücklich gespielte Nebenrolle.

Die Vorlage für die Filmgeschichte war die autobiografische Erzählung „Boy erased“ von Garrard Conley, der 2004 bei „Love in Action“ eine solche Therapie erlebte. Nach der Veröffentlichung wurde er zu einem der Sprecher der LGBTQ-Bewegung gegen die Reparativtherapie.

Am Ende überzeugt „Der verlorene Sohn“ vor allem wegen seinem Anliegen als gut gemachter und gespielter Aufklärungsfilm.

Das sieht auch Regisseur Edgerton so: „Wenn wir unsere Arbeit mit dem Film richtig machen, haben wir die Chance, eine größere Diskussion über ein Thema anzustoßen, das Aufmerksamkeit bedarf. Die Reparativtherapie im Allgemeinen existiert in vielen verschiedenen Varianten, in hundert verschiedenen Ländern. Es wird auf verschiedene Weise ständig wiederholt. Einige davon basieren auf Religion, andere nicht. Einige werden mit Psychotherapie kombiniert. Doch eines haben sie alle gemeinsam: Reparativtherapie richtet unglaublich großen Schaden an.“

Mein Bester & Ich (The Upside, USA 2017)

Regie: Neil Burger

Drehbuch: Jon Hartmere (nach dem Drehbuch „Intouchables“ von Olivier Nakache und Éric Toledano)

mit Kevin Hart, Bryan Cranston, Nicole Kidman, Golshifteh Farahani, Julianna Margulies, Aja Naomi King, Suzanne Savoy

Länge: 126 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

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Metacritic über „Mein Bester & Ich“

Rotten Tomatoes über „Mein Bester & Ich“

Wikipedia über „Mein Bester & Ich“ (deutsch, englisch)

History vs. Hollywood vergleicht die Fakten mit der Fiktion

Der verlorene Sohn (Boy Erased, USA 2018)

Regie: Joel Edgerton

Drehbuch: Joel Edgerton

LV: Garrard Conley: Boy Erased: A Memoir of Identity, Faith, and Family, 2016 (Boy Erased. Autobiografische Erzählung)

mit Lucas Hedges, Joel Edgerton, Nicole Kidman, Russell Crowe, Joe Alwyn, Flea, Britton Sear, Xavier Dolan, David Craig, Troye Sivan

Länge: 115 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

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Rotten Tomatoes über „Der verlorene Sohn“

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TV-Tipp für den 17. August: Midnight Special

August 17, 2018

Pro7, 22.55

Midnight Special (Midnight Special, USA 2015)

Regie: Jeff Nichols

Drehbuch: Jeff Nichols

In Texas sind zwei Männer mit einem Jungen, der eine Schutzbrille trägt, auf dem Weg zu einem geheimnisvollen Treffpunkt. Wenn sie nicht vorher von ihren Häschern geschnappt werden.

Ein Film mit einer geheimnisvollen Atmosphäre, texanischen Sonnenauf- und Untergängen, guten Schauspielern und einer „Twilight Zone“-würdigen Prämisse. Trotzdem war ich letztendlich enttäuscht.

Warum verrate ich in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Michael Shannon, Joel Edgerton, Kirsten Dunst, Adam Driver, Jaeden Lieberher, Sam Shepard, Sean Bridgers, Paul Sparks, Bill Camp

Wiederholung: Samstag, 18. August, 03.35 Uhr (Taggenau!)

Hinweise
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Berlinale über „Midnight Special“

Meine Besprechung von Jeff Nichols‘ „Midnight Special“ (Midnight Special, USA 2015)

Meine Besprechung von Jeff Nichols‘ „Loving“ (Loving, USA/Großbritannien 2016)


Neu im Kino/Filmkritik: Der „Gringo“ nervt

April 7, 2018

Harold Soyinka (David Oyelowo) ist ein vorbildlicher Angestellter. Ehrlich, zuverlässig und glücklich verheiratet mit Bonnie (Thandie Newton). Er arbeitet in Chicago in einer Pharmafirma, die auch eine Zweigstelle in Mexico hat. Ihr neuestes Produkt ist, dank neuer Gesetze legal, ein medizinisches Marihuana-Produkt. Seine Vorgesetzten – Richard (Joel Edgerton), ein Universitätsfreund, und Elaine (Charlize Theron) – schicken ihn nach Mexiko City, um dort mit den Herstellern ihres neues Produkts zu verhandeln.

Überraschend begleiten sie ihn nach Mexiko. Denn Richard und Elaine, beides Arschlöcher vor dem Herrn, haben noch ein kleines illegales Geschäft am Laufen, das sie gerne beenden möchten, weil eine Firmenfusion geplant ist (die Harold arbeitslos machen würde) und weil sie dank der Legalisierung nicht mehr auf die Hilfe des Kartells beim Import ihres Produkts angewiesen sind. Außerdem haben sie eine sexuelle Beziehung. Das wäre kein Problem, wenn Richard nicht auch mit Bonnie Sex hätte. Diese Beziehung sorgt im Verlauf von Nash Edgertons Actionkomödie „Gringo“ für zusätzliche Probleme.

Denn der Kartellboss, ein Pablo-Escobar-Lookalike mit vergleichbarem Geschäftsgebaren, möchte nicht auf das lukrative Geschäft verzichten. Er schickt seine Männer los. Sie sollen Harold zu ihm bringen.

Ungefähr zur gleichen Zeit erhält Richard in Chicago einen Anruf: Harold wurde entführt.

In diesem Moment wissen wir, dass Harold seine Entführung vortäuscht. Er hat nämlich davor erfahren, dass die Firma verkauft werden soll und seine Frau ihn verlässt. Kurz gesagt: sein gesamtes Leben ist zerstört. Jetzt möchte er seinen Teil vom Kuchen.

Allerdings weiß er nicht, dass in diesem Moment der Drogenboss ihn auf seine Abschussliste gesetzt hat und dass Richard das Lösegeld nicht bezahlen will. Vor allem nachdem ihm, nach einem Blick in verschiedene Verträge und Versicherungen, die die Firma für seine Angestellten abschlossen hat, eine wesentlich lukrativere Option präsentiert wird.

Auf dem Papier ist „Gringo“ eine starbesetzte, schwarzhumorige Actionkomödie, in der jeder jeden betrügt und alle Pläne, die grandiosen und die weniger grandiosen, kläglich scheitern.

In der Realität ist „Gringo“ dann ein ziemlicher Langweiler, der mit gut zwei Stunden eine halbe Stunde zu lang ist. Jede Szene ist zu lang geraten. Vieles ist witzig gemeint, aber nicht witzig. Die Pointen zünden nicht. Situationen, wie Harolds Anruf bei Richard, in dem er behauptet, entführt worden zu sein, lesen sich vielleicht witzig. Im Film sind sie es nicht. Alle Figuren sind eine Spur zu eindimensional geraten, um zu überzeugen. Joel Edgerton, der als fieser Vorgesetzter eine wichtige Rolle hat, wirkt immer so, als würde er am liebsten sofort seinen Anzug gegen seine „Jane got a Gun“-Cowboykluft tauschen. Charlize Theron übertreibt als skrupellose Femme Fatale so sehr, dass sie nur noch die Cartoonversion einer Femme Fatale ist. Immerhin ist David Oyelowo nett.

Und wer jetzt, – durchaus zutreffend -, meint, bei einer Komödie käme es nicht unbedingt auf vielschichtige Charaktere an, dem sie gesagt, dass in diesem Fall auch das Timing nicht stimmt. Das ist bei einer Komödie allerdings sehr wichtig. Es unklar ist, um was es dieser Komödie geht.

Außer dass einige Filmstars in Mexiko ihren Spaß haben wollten.

Gringo (Gringo, USA/Australien 2018)

Regie: Nash Edgerton

Drehbuch: Anthony Tambakis, Matthew Stone (nach einer Geschichte von Matthew Stone)

mit David Oyelowo, Charlize Theron, Joel Edgerton, Amanda Seyfried, Thandie Newton, Sharlto Copley, Harry Treadaway, Kenneth Choi, Alan Ruck

Länge: 111 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

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Metacritic über „Gringo“

Rotten Tomatoes über „Gringo“

Wikipedia über „Gringo“


Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: Agentin „Red Sparrow“ macht Jungs ganz wuschig

März 1, 2018

In der Realität die wir aus den Nachrichten kennen, sind russische Spione alte Männer mit dem Sex-Appeal einer vertrockneten Büropflanze.

In der Fiktion sehen Spione besser aus. Zum Beispiel wie Jennifer Lawrence. Und auch die Seite der Männer ist mit Matthias Schoenaerts, Jeremy Irons und Ciarán Hinds sehr präsentabel besetzt. Sie spielen alle wichtige Rollen in der Verfilmung von Jason Matthews‘ Agententhriller „Red Sparrow“, der 2013 im Original erschien. 2015 gab es eine deutsche Übersetzung. Der Thriller erhielt den Edgar und den ITW Thriller Award als bester Debütroman. Die Filmrechte verkaufte er bereits vor der Publikation von „Red Sparrow“ für eine, so wird gesagt, siebenstellige Summe an Hollywood.

Der Thriller kann als eine Mischung aus Ian Fleming und John le Carré beschrieben werden. Wobei er von Fleming das Pulpige und den Sex, aber nicht das Mondäne und die Action übernommen hat. Im Roman gibt es keine Action und auch im Film muss man die Actionszenen mit der Lupe suchen. Von le Carré übernahm Matthews die komplizierten Spiegelfechtereien der Nachrichtendienste mit ihren Doppelagenten und Landesverrätern und das Wissen um die Arbeit von Geheimagenten, die er sehr akkurat beschreibt.

Das verwundert wenig. Denn vor seiner Karriere als Autor war Matthews 33 Jahre CIA-Agent.

Seit der Veröffentlichung von „Red Sparrow“ schrieb Matthews zwei weitere, bislang nicht übersetzte Agententhriller mit den Charakteren aus „Red Sparrow“; also, denen, die den Roman überleben. Damit ist genug Material für zwei weitere Filme vorhanden.

In „Red Sparrow“ geht es in schönster Agententhrillertradition um die Jagd nach einem Doppelagenten.

Die Geschichte beginnt in Moskau. Nachts trifft CIA-Agent Nate Nash (Joel Edgerton) MARBLE, einen hochrangigen SWR-Mann, der schon seit Jahren den Amerikanern brisantes Material übergibt. Zufällig werden sie bei ihrem Treffen durch eine Patrouille gestört. Nash gelingt es, die Flucht von MARBLE zu decken und mit dem brisanten Material vor seinen Verfolgern in die US-Botschaft zu flüchten.

In dem Moment weiß der russische Auslandsnachrichtendienst SWR, dass sie einen Verräter in den eigenen Reihen haben. Der Erste Stellvertretende Direktor Vanya Egorova (Matthias Schoenaerts) schlägt vor, seine Nichte auf Nash anzusetzen. Dominika Egorova (Jennifer Lawrence) ist eine ehemalige Balletttänzerin, die er nach einem Tanzunfall mit einem Angebot erpresste, das sie nicht ablehnen konnte: wenn sie ihm hilft, kann ihre kranke Mutter weiterhin in der Wohnung leben und sie wird medizinisch versorgt werden. Dominika ist einverstanden. Auf einer abgelegenen Schule wird sie zu einem ‚Sparrow‘ ausgebildet. Das sind Spione, die Sex einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen. Im Buch gibt es etliche Sex-Szenen. Der Film ist da, trotz einiger für einen Hollywood-Mainstream-Film erstaunlich offenherziger Szenen, deutlich prüder geraten.

In Budapest (im Buch Helsinki) trifft sie Nash. Während sie versucht, von ihm Informationen über den Verräter zu erhalten, versucht Nash sie als Informantin zu gewinnen. Dabei, was ein Bruch mit allen geschriebenen und ungeschriebenen Regeln ist, verlieben sie sich ineinander.

Justin Haythe hatte die undankbare Aufgabe, aus dem gut siebenhundertseitigem Roman eine Geschichte herauszudestillieren, die in zwei Stunden erzählt werden kann. In seinem Drehbuch ließ er vor allem einige Subplots und Episoden aus dem Agentenleben weg, kürzte und verdichtete sie. Das ist okay, weil der Roman sich teilweise wie die Vorlage für eine Mini-Agentenserie liest und daher teilweise arg vor sich hin plätschert. Da wird dann der Hauptplot mal links liegen gelassen, um ausführlich die Geschichte einer Senatorin, die den Russen Top-Secret-Informationen verkauft, zu erzählen. Im Film kommt sie als Komposition von zwei Buchcharakteren. Zwei Buchplots werden im Film zu einem Plot, der eigentlich nur aus einer Szene besteht, in der Mary-Luise Parker als Schnapsdrossel ihr komödiantisches Talent ausspielen kann. Eine andere Änderung ist, dass im Film die Identität von MARBLE viel später als im Buch enthüllt wird. Hier spielt Haythe, wie öfter, mit überraschenden Wendungen und Enthüllungen, während Matthews in seinem Roman für den Leser die Karten immer sehr früh aufdeckt. Die Spannung entsteht aus dem Wissen um die Pläne der verschiedenen Agenten, wie sie gegeneinanderprallen und was aus diesem Zusammenprall entsteht.

Am Filmende gibt es eine große Abweichung vom Buchende, die eine große Schwäche von Francis Lawrences Film offenlegt. Lawrence gelingt es nicht, sich zu entscheiden, welchen Konflikt er in den Mittelpunkt seiner Coming-of-Age-Geschichte stellen will. Über weite Strecken des Films folgt er der umfangreichen und verzweigten Romangeschichte, ohne den Mut zu finden, den Film auf schlanke zwei Stunden zu kürzen. So ist „Red Sparrow“ mit 140 Minuten länger als nötig geraten. Zu oft plätschert die Geschichte vor sich hin. Die Charaktere sind für einen Agententhriller der le-Carré-Schule zu eindimensional. Die sexy Spionin, die Sex und Kampfkunst miteinander verbindet, ist schön anzusehen, aber nicht abendfüllend. Die Doppelspiele der Spione mit ihren Landesverrätern, Doppelagenten und Intrigen sind dann doch nicht so reizvoll. Jedenfalls wenn unklar ist, ob eine Coming-of-Age-Geschichte, eine Rachegeschichte, eine Liebesgeschichte oder eine traditionelle Agentengeschichte mit viel Verrat und Gegenverrat bei der Suche nach einem Verräter im Mittelpunkt stehen soll.

Am Ende ist „Red Sparrow“ die zu lang geratene, sehr gediegene Version eines Pulp-Agententhrillers, in der Lawrence nach drei „Tribute von Panem“-Filmen Jennifer Lawrence wieder sehr fotogen in Szene setzt.

Red Sparrow (Red Sparrow, USA 2018)

Regie: Francis Lawrence

Drehbuch: Justin Haythe

LV: Jason Matthews: Red Sparrow, 2013 (Operation Red Sparrow, Red Sparrow)

mit Jennifer Lawrence, Joel Edgerton, Matthias Schoenaerts, Charlotte Rampling, Mary-Louise Parker, Ciarán Hinds, Joely Richardson, Bill Camp, Jeremy Irons, Thekla Reuten, Sakina Jaffrey, Sebastian Hulk

Länge: 141 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Die Vorlage

Jason Matthews: Red Sparrow

(übersetzt von Michael Benthack)

Goldmann, 2018

672 Seiten

9,99 Euro

Deutsche Erstausgabe

Operation Red Sparrow

Goldmann, 2015

Originalausgabe

Red Sparrow

Scribner, Simon & Schuster, New York, 2013

Hinweise

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Moviepilot über „Red Sparrow“

Metacritic über „Red Sparrow“

Rotten Tomatoes über „Red Sparrow“

Wikipedia über „Red Sparrow“ (deutsch, englisch) und Jason Matthews

Meine Besprechung von Francis Lawrences „Die Tribute von Panem – Catching Fire“ (The Hunger Games: Catching Fire, USA 2013)

 


Neu im Kino/Filmkritik: „It comes at Night“ und tagsüber ist man auch nicht in Sicherheit

Januar 22, 2018

Paul (Joel Edgerton), seine Frau Sarah (Carmen Ejogo) und ihr siebzehnjähriger Sohn Travis (Kelvin Harrison, Jr.) leben in einem großen Farmhaus im Wald. Die nächsten Häuser sind, in den USA nicht ungewöhnlich, meilenweit weg. Es ist einsam, aber – auf den ersten Blick – ein guter Ort zum Leben. Wenn es nicht einige seltsame Dinge gäbe. Im Freien tragen sie oft Gasmasken. Die Fenster und Türen sind verbarrikadiert. Sie haben eine panische Angst vor dem Einbruch der Dunkelheit. Als ob dann Monster kämen.

Und so ist es auch. Anscheinend – das wird im Film nie geklärt – vernichtete eine tödliche Infektionskrankheit, gegen die es kein Gegenmittel gibt, die Menschheit. Es muss noch weitere ‚Dinge‘ geben, die Paul, Sarah und Travis bedrohen und die nur nach Einbruch der Dunkelheit auftauchen. Um sich und seine Familie vor der Bedrohung zu schützen, hat Paul ein entsprechend rigides Regelwerk etabliert.

Eines Nachts hören sie Geräusche. Sie finden heraus, dass ein Mensch bei ihnen eingebrochen ist. Es ist Will (Christopher Abbott), der für sich und seine Familie etwas zu Essen sucht.

Nachdem Paul sich überzeugt hat, dass Will gesund ist, nehmen sie ihn, seine Frau Kim (Riley Keough) und ihr kleines Kind bei sich auf. Es könnte der Beginn einer neuen Gemeinschaft sein.

Aber können sie ihnen wirklich vertrauen? Und können sie sich vor dem Virus schützen?

Troy Edward Shults‘ Horrorfilm „It comes at Night“ ist ein extrem düsteres Kammerspiel voller Suspense, das mit zunehmender Laufzeit auch zunehmend frustrierender wird. Denn Shults liefert keine Erklärung für die Katastrophe. Er liefert keine wirklich handfesten Informationen über sie und den durch sie verursachten Zusammenbruch der Zivilisation. Die Bedrohung für die sechs freiwillig in dem Haus lebenden Menschen bleibt anonym. Sie ist zugleich unsichtbar für das menschliche Auge und kann durch eine Holztür abgehalten werden. Deshalb ist auch unklar, wie sehr die Bedrohung real und wie sehr sie ein paranoides Wahngebilde von Paul ist. Es gibt, das wird mit zunehmender Laufzeit immer deutlicher, keine Hoffnung für die Bewohner des Hauses, die trotzdem nicht daran denken, es zu verlassen.

So überzeugt „It comes at Night“ vor allem als kompromisslos auf ein düsteres Ende hin erzählte fatalistische Noir-Geschichte. Shults‘ zweiter Spielfilm ist die perfekte Feelbad-Unterhaltung für notorische Schwarzseher.

It comes at Night (It comes at Night, USA 2017)

Regie: Trey Edward Shults

Drehbuch: Trey Edward Shults

mit Joel Edgerton, Riley Keough, Christopher Abbott, Carmen Ejogo, Kelvin Harrison Jr., Griffin Robert Faulkner

Länge: 91 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

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Moviepilot über „It comes at Night“

Metacritic über „It comes at Night“

Rotten Tomatoes über „It comes at Night“

Wikipedia über „It comes at Night“ (deutsch, englisch)

Ein Gespräch mit Trey Edward Shults, Joel Edgerton, Kelvin Harrison Jr. und Carmen Ejogo


Neu im Kino/Filmkritik: „Loving“ – eine Liebe, die Rechtsgeschichte schrieb

Juni 17, 2017

Am 12. Juni war ‚Loving Day‘.

Was?

Ein alljährliches Gedenken an ein Gerichtsurteil, ein Feiertag in einigen Städten und in Caroline County, Virginia, und die größte multirassische Feier in den USA.

Denn am 12. Juni 1967 urteilte der Oberste Gerichtshof einstimmige, dass ein Verbot von Eheschließungen aufgrund von Rassenmerkmalen verfassungswidrig und eine Verletzung des 14. Zusatzes der Gleichstellungsgarantie sei.

In seinem Film „Loving“, der jetzt endlich bei uns anläuft, erzählt Regisseur Jeff Nichols („Take Shelter“, „Midnight Special“) wie es zu dem Urteil kam. Dabei geht es ihm nicht um die juristischen Winkelzüge, sondern um die beiden Kläger: das Ehepaar Loving. Sie heirateten am 2. Juni 1958 in Washington, D. C., weil sie schwanger war und sie in Virginia, ihrer Heimat, nicht heiraten durften. Denn Richard Loving war ein Weißer und Mildred Jeter eine Schwarze. Sie waren schon als Kinder miteinander befreundet, lebten ärmlich auf dem Land in Central Point im Regierungsbezirk Caroline County, einem ländlichen, von Armut gekennzeichnetem Gebiet.

Richard, wahrlich kein Intellektueller, ignorierte einfach, wie andere County-Bewohner, die damals gültigen und allgemein akzeptierten Rassengrenzen. Mit seinen afroamerikanischen Freunden konnte der Maurer besser an Autos herumbosseln. Außerdem arbeitete sowieso die meiste Zeit gemeinsam, lebte nah beieinander und half sich gegenseitig. Warum, so dachte der schweigsame Richard, sollte er also nicht mit den Menschen zusammen sein, mit denen er sich verstand?

Die anderen Weißen in Caroline County sahen das nicht so entspannt und sie erwirkten – mühelos – ein Gerichtsurteil, das die beiden Lovings verbannte. Der Richter verurteilte sie im Januar 1959 zu einer einjährigen Haftstrafe, die er unter Auflagen aussetzte. Sie mussten den Staat Virginia sofort verlassen und durften in den nächsten 25 Jahren nicht gemeinsam zurückkehren oder sich zur gleichen Zeit in Caroline County aufhalten. Das galt selbstverständlich ohne irgendeine Ausnahme, zum Beispiel für Familienfeiern oder Trauerfälle.

Sie fuhren nach Washington, D. C., zu Mildreds Cousin. Trotzdem fühlten sie sich in der Großstadt unwohl.

Über einen Brief an Präsident John F. Kennedy, den Mildred 1963 in ihrem Exil in Washington, D. C., schrieb, kamen sie in Kontakt mit Anwälten von der Bürgerrechtsorganisation ACLU (American Civil Liberties Union), die ihren Fall zu einem Grundsatzstreit machten.

Dabei wollte sie nur zurück zu ihrer Familie nach Central Point und dort auf dem Land mit ihrem Mann und ihren Kindern leben.

Jeff Nichols erzählt diese in den USA bekannte (in jedem Fall bekanntere) Geschichte strikt chronologisch, langsam und mit dem Ehepaar Loving im Mittelpunkt. Joel Edgerton und, vor allem, Ruth Negga wurden, zu Recht, für ihre Interpretation des Ehepaares Loving mehrfach ausgezeichnet und für etliche prestigeträchtige Preise, wie den Golden Globe, nominiert. Ruth Negga war auch für den Oscar nominiert. Sie gibt Mildred eine stille Kraft, die die Familie zusammen hält und die für ihre Rückkehr in ihr Heimatdorf kämpft. Dafür geht sie auch in die Öffentlichkeit. Richard, ein introvertierter Mann, der auch wenn es sein Anliegen befördern würde, nicht in die Öffentlichkeit geht, ist das Gegenteil. Aber sie liebten sich.

Der Film selbst ist klassisches Hollywood-Erzählkino. Dabei erzählt Nichols die Geschichte etwas spröde, indem er bewusst auf Schmalz, große Emotionen, kitschige Taschentuchszenen und Nicholas-Sparks-Sonnenuntergänge verzichtet und sehr naturalistisch, fast wie ein Dokumentarfilm, erzählt. „Loving“ ist auch eine gelungene Geschichtsstunde über einen Sieg der Bürgerrechtsbewegung. In erster Linie ist es aber die Geschichte zweier Menschen, deren Verbrechen es war, dass sie sich liebten, heirateten, Kinder bekamen und in ihrer Heimat leben wollten.

Loving (Loving, USA/Großbritannien 2016)

Regie: Jeff Nichols

Drehbuch: Jeff Nichols

LV: Nancy Buirski: The Loving Story, 2011 (Dokumentarfilm)

mit Joel Edgerton, Ruth Negga, Marton Csokas, Nick Kroll, Terri Abney, Alano Miller, Jon Bass, Christopher Mann, Sharon Blackwood, Michael Shannon

Länge: 124 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Facebook-Seite zum Film

Moviepilot über „Loving“

Metacritic über „Loving“

Rotten Tomatoes über „Loving“

Wikipedia über „Loving“ (deutsch, englisch)

History vs Hollywood über „Loving“

Meine Besprechung von Jeff Nichols‘ „Midnight Special“ (Midnight Special, USA 2015)

DP/30 unterhält sich mit Jeff Nichols über „Loving“ und den ganzen Rest (Ton wird im Lauf des Gesprächs besser)

DP/30 spricht mit Ruth Negga und Joel Edgerton über den Film

Eine kurze BBC-Reportage über den Fall (BBC World Service – Witness)

 


Neu im Kino/Filmkritik: Über Jeff Nichols‘ „Midnight Special“

Februar 19, 2016

„Midnight Special“ – ein Titel wie ein Joe-R.-Lansdale-Roman oder für eine Anthologie im Geist von „The Twilight Zone“ oder für einen herrlich abgeranzten Südstaaten-Blues voller Sex und Gewalt.
Nun, das ist Jeff Nichols‘ neuer Film nicht. Auch wenn er in den Südstaaten spielt. Zwei schwerbewaffnete Männer fahren mit einem Kind durch Texas, das gewohnt fotogen mit Sonnenauf- und -untergängen in Szene gesetzt wird. Sie werden verfolgt. Von einer Sekte und von der Polizei, die sie sogar über eine öffentliche Fahndung im Fernsehen im Fernsehen sucht. Die beiden Männer wollen den Jungen zu einem Ort bringen, an dem es in wenigen Tagen zu einem wichtigen Ereignis kommen soll. Sie glauben, dass es der Tag des Jüngsten Gerichts ist und der Junge irgendetwas damit zu tun hat.
Aus dieser Ausgangssituation entfaltet Nichols („Take Shelter“, „Mud“) über lange Zeit eine beträchtliche Spannung. Denn nur langsam enthüllen sich für den Zuschauer die Hintergründe und damit auch die Handlungsmotive der verschiedenen Figuren. Der Junge ist ein Medium, das Signale und Botschaften empfängt, und der übernatürliche Fähigkeiten hat, die auch schon einmal ein halbes Haus zerstören können. Oder mehr. Das ist so sehr Stephen-King-Land, dass es erstaunt, dass „Midnight Special“ nicht auf einer seiner Geschichten basiert, sondern eine Originalgeschichte von Nichols ist. Eine andere, ebenso offensichtliche, Inspiration ist natürlich Steven Spielbergs freundlicher Alien-Begegnungs-Science-Fiction-Film „Unheimliche Begegnung der dritten Art“.
Begleitet wird der Junge Alton (Jaeden Lieberher) von seinem Vater Roy (Michael Shannon), der ihn aus der Sekte entführte, und Lucas (Joel Edgerton), einem Schulfreund von Roy, der inzwischen ein State Trooper mit besonderen Fähigkeiten ist. Er hilft ihnen, weil er gesehen hat, wozu Alton fähig ist. Dafür übertritt er auch einige Gesetze und schießt auf Polizisten.
Verfolgt werden die drei von zwei Handlangern der Sekte, die den Jungen zurückbringen sollen, weil er für ihre Gemeinde wichtig ist. Er ist, nun, ihr Heiland. Ihr Jesus-Kind.
Und dann gibt es noch den gesamten Staatsapparat, der Roy, Lucas und Alton, der die meiste Zeit unbeeindruckt „Superman“-Comics liest, einträchtig und ohne irgendein Kompetenzgerangel verfolgt. Die Polizei, das FBI, das helfende Militär und die NSA setzen alles ein, was sie haben. Die wichtigste Person der Verfolger ist der sehr nerdige und schusselige NSA-Analyst Sevier (Adam Driver), der herausfinden will, wie es Alton gelang, an die geheimen, nur über verschlüsselte Leitungen gesendete Informationen zu kommen. Oh, diese Informationen, Koordinaten meist, bildeten den Grundstock der Sekten-Gottesdienste; was ihnen, bis sie vom FBI gestört werden, einen besonderen Touch verleiht.
Das klingt ziemlich krude. Ist es auch. Aber die Geschichte wird von Nichols mit viel Sinn für Atmosphäre und einem Hang zum Siebziger-Jahre-Kino (was uns mit dem Anblick vieler Charakterköpfe und älterer Schauspieler belohnt) konsequent entschleunigt erzählt bis hin zu einem ziemlich hirnrissigen „A world beyond“-Finale. Dabei leben solche Geschichten, in denen sich mehrere Gruppen, mehr oder weniger unabhängig voneinander, auf den Weg zu einem bestimmten Ort, an dem sie zu einem bestimmten Zeitpunkt ein besonderes Ereignis erwarten, ohne zu wissen was sie dort erwartet, von ihrer Auflösung. Also ob die Enthüllung des vorher immer wieder beschworenen Mysteriums so gut ist, wie die davor erzeugten Erwartungen. In „Midnight Special“ werden sie enttäuscht.
Weil Nichols seine Geschichte so unglaublich langsam erzählt und sie sich absolut gradlinig auf ihr Finale hin entwickelt, bleibt schon beim Ansehen des Films viel Zeit, sich mehr oder weniger wichtige Fragen zu stellen, die alle dazu führen, dass die Geschichte insgesamt immer unglaubwürdiger wird.
Letztendlich ist „Midnight Special“ eine große Enttäuschung. Da helfen auch nicht die engagiert spielenden Schauspieler, die Bilder, die über weite Strecken des Films vorhandene latente Spannung, die lässig eingestreuten Witze (vor allem Adam Driver hat die besten Dialogzeilen und Sam Shepard überzeugt in seinem kurzen Auftritt als Sektenführer) und die Anspielungen auf andere Werke.
Stephen King und Joe R. Lansdale hätten aus der Grundidee von „Midnight Special“ ein echtes Midnight Special für die nächste Mitternachtsvorstellung gemacht. Bei Jeff Nichols endet der Ausflug ins Hinterland, in religiösen Wahn, Paranoia und kaputte Familien im strahlenden Sonnenlicht in einer deplatzierten, nichts sinnvoll erklärenden Special-Effects-Orgie.

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Midnight Special (Midnight Special, USA 2015)
Regie: Jeff Nichols
Drehbuch: Jeff Nichols
mit Michael Shannon, Joel Edgerton, Kirsten Dunst, Adam Driver, Jaeden Lieberher, Sam Shepard, Sean Bridgers, Paul Sparks, Bill Camp
Länge: 112 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Deutsche Homepage zum Film
Englische Homepage zum Film
Moviepilot über „Midnight Special“
Metacritic über „Midnight Special“
Rotten Tomatoes über „Midnight Special“
Wikipedia über „Midnight Special“
Berlinale über „Midnight Special“


Neu im Kino/Filmkritik: „Jane got a Gun“ und wartet auf den High Noon

Januar 2, 2016

Dass Natalie Portman mit Waffen umgehen kann, wissen wir seit „Leon – Der Profi“. Dass sie auch in einem waschechten Western eine gute Figur macht, sehen wir in „Jane got a Gun“. Portman spielt die titelgebende Jane Hammond, die mit ihrem Mann Bill (Noah Emmerich) in New Mexico in einer einsam gelegenen Holzhütte das karge bäuerliche Landleben fristet. Als ihr Mann schwer verletzt von einer längeren Reise zurückkehrt und ihr sagt, dass John Bishop auf dem Weg ist, weiß sie, dass sie bald um ihr Leben kämpfen muss.
Denn John Bishop (Ewan McGregor) ist der skrupellose Anführer einer Verbrecherbande. Vor Jahren gehörten Jane und ihr Mann zu seiner Bande. Nach einem Streit verließen sie ihn. Seitdem sucht Bishop sie. Denn niemand verlässt Bishops Bande ungefragt und ungestraft.
Den einzigen Mann, den Jane in der Einöde um Hilfe bitten kann, ist Dan Frost (Joel Edgerton), ein früherer Freund von ihr, der nichts mehr mit ihr zu tun haben will.
Dieses „High Noon“-Szenario ist für Westernfans nichts neues und Gavin O’Connor („Das Gesetz der Ehre“, „Warrior“) folgt den bekannten Regeln ohne postmoderne Brechungen. „Jane got a Gun“ ist ein klassischer, geradliniger, in neunzig Minuten erzählter B-Movie-Western mit einem überschaubarem Personal und einer Schießerei am Ende. Weil der Film vor Ort in New Mexico gedreht wurde, gibt es auch leinwandfüllende, das Auge erfreuende Landschaftsaufnahmen.
Das ist durchaus ansehbares, wenn auch, abgesehen von der starken Heldin, wenig überraschendes und erstaunlich traditionelles Genrefutter, das die Zeit mit hohem „Star Wars“-Faktor (wobei Portman und McGregor hier, wie auch in eigentlich all ihren anderen Filmen, eine wesentlich bessere Figur machen) gut die Tage bis zu Quentin Tarantinos Drei-Stunden-Schnee-Western „The Hateful Eight“ überbrückt.

Jane got a Gun - Plakat

Jane got a Gun (Jane got a Gun, USA 2015)
Regie: Gavin O’Connor
Drehbuch: Brian Duffield, Anthony Tambakis
mit Natalie Portman, Joel Edgerton, Ewan McGregor, Noah Emmerich, Boyd Holbrook, Rodrigo Santoro, Todd Stashwick
Länge: 98 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Deutsche Homepage zum Film
Moviepilot über „Jane got a Gun“
Metacritic über „Jane got a Gun“
Rotten Tomatoes über „Jane got a Gun“
Wikipedia über „Jane got a Gun“


Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: „Black Mass“ – ein Sachbuch und ein Film über Bostons Gangsterboss Whitey Bulger

Oktober 15, 2015

Was für ein Stoff! Die Geschichte eines Gangsterbosses, der auch jahrelang FBI-Informant war. Sein FBI-Führungsoffizier ist auch aus South Boston und kennt ihn seit Kindertagen. Sein Bruder, ein Demokrat, ist ein geachteter und einflussreicher Politiker, der von 1978 bis 1996 der Präsident des Repräsentantenhaus von Massachusetts war und damit immer noch der Politiker ist, der das Amt am längsten inne hatte. Entsprechend einflussreich und beliebt war er bei der Bevölkerung. Und dann ist das keine Hollywood-Fiktion, sondern Wahrheit. Der irischstämmige James ‚Whitey‘ Bulger war auf dem Höhepunkt seiner Karriere der unantastbare Gangsterboss von Boston. 1975 wurde der 1929 geborene Verbrecher FBI-Informant. Ende 1994 tauchte er unter, weil seine Tätigkeit für das FBI kurz vor der Enthüllung stand und er Anklagen für seine vielen Verbrechen befürchten musste.
Im Film, der mit der öffentlichen Enthüllung von Bulgers jahrzehntelanger Informantentätigkeit endet, wird Bulger von Johnny Depp gespielt und Depp lässt seine in den letzten Jahren gepflegten Komödien-Manierismen links liegen. Neben ihm sind Joel Edgerton, Benedict Cumberbatch, Kevin Bacon, Peter Sarsgaard, Rory Cochrane und Corey Stoll dabei. Das Drehbuch ist von Mark Mallouk (sein erstes verfilmtes Drehbuch, aber als Produzent war er involviert in „Rush“, „Ruhet in Frieden“ und „Everest“) und Jez Butterworth (u. a. „Fair Game – Nichts ist gefährlicher als die Wahrheit“, „Edge of Tomorrow“, „Get on up“ und „Spectre“, der neue Bond), also Jungs, die eine wahre, spannende und auch komplexe Geschichte erzählen können.
Die Regie übernahm Scott Cooper, dessen Debüt „Crazy Heart“ von der Kritik abgefeiert wurde und dessen zweiter Film „Auge um Auge – Out of the Furnace“ ein etwas schleppend erzähltes düsteres Drama ist.
Das klingt doch vielversprechend.
Und doch ist „Black Mass“ eine große Enttäuschung. Es ist ein Gangsterfilm, der so eifrig bemüht ist, alles zu ignorieren, was einen Gangsterfilm ausmacht, was natürlich ein etwas unsinniges Unterfangen ist (als würde man ein Musical ohne Gesangsnummern inszenieren), aber gelingen könnte, wenn die Macher gewusst hätten, was sie erzählen wollen. Geht es um den Aufstieg und Abstieg von Bulger? Geht es um seine Beziehung zu dem FBI-Agenten John Connolly? Geht es um Vertrauen, Verrat und Verhaltensregeln? Den Ehrenkodex des Gangsters?
Wahrscheinlich geht es darum. Immerhin beginnt der Film mit einem Verhör bei der Polizei; wobei der Vernehmungsbeamte für den Film egal ist. Der Gangster, der betont, dass er aussagen werde, aber kein Verräter sei, gehört zwar zur Bande von Whitey Bulger, aber der Film wird nicht aus seiner Perspektive erzählt. Denn wir sehen hier und nach den folgenden Verhörszenen immer wieder Szenen, in denen Dinge gezeigt werden, die die Verhörten nicht wissen können. Sowieso sind die eher willkürlich eingestreuten Verhörszenen mit verschiedenen Bandenmitglieder nur ein Gimmick, der die sprunghafte Handlung nur mühsam kaschiert. Denn mit jedem neuen Verhör wird einfach ein weiteres Kapitel aufgeschlagen und manchmal auch ein längerer Zeitraum überbrückt. Wer dann von Bulger und seinen Jungs umgebracht wird, ist uns egal, weil wir zu dem Opfer keine emotioale Verbindung aufbauen konnten. Sowieso scheinen die Opfer vor allem Mitglieder aus Bulgers Bande zu sein, was zu einem weiteren Problem führt. In einem Gangsterfilm kämpfen Gangster gegeneinander und gegen die Polizei. In „Black Mass“ nicht. Immerhin schützt das FBI Bulger. Über seinen Aufstieg vom das Viertel beherrschenden zum die Stadt beherrschenden Gangster erfahren wir nichts, außer dass einmal gesagt wird, dass er dank des Schutzes des FBIs vom Southie-Kleingangster zum Paten von Boston aufsteigen konnte. Dass es auch andere Gangsterbanden in Boston gibt, vor allem natürlich die italienische Mafia, gegen die das FBI in den Siebzigern einen Feldzug führte, bleibt daher letztendlich eine Behauptung, die wir dem FBI glauben müssen.
Und warum Bulger irgendwann mit der IRA Geschäfte macht, können wir uns aus unserem, sofern vorhandenem, historischen Wissen über die IRA und ihre Unterstützer in den USA zusammenreimen. Aus dem Film erfahren wir es nicht. Dort ist es nur eine Episode, in der plötzlich ein Schiff beladen wird.
Entspechend eindimensional bleiben alle Charaktere. Sie sind Stichwortgeber für eine nicht vorhandene Geschichte. Vor allem Bulger bleibt blass. Er ist immer ein etwas älterer Mann mit schütteren Haaren und schlechten Kleidern. Er sieht immer aus, wie ein älterer Arbeiter aus der nächsten Eckkneipe. Dass er kaltblütig mehrere Menschen erdrosselt und erschießt, erscheint da fast wie eine seltsame Marotte. Aber besonders furchterregend wird er dadurch nicht. In den Momenten versprüht er bestenfalls die Aura eines Mafia-Handlangers, der in der nächsten Filmszene stirbt.
Auch alle anderen Charaktere agieren wie in einem Korsett. Leblos und steif hängen die Staatsdiener in ihren Anzügen. Natürlich immer in unauffällig zeitlos-seriösen Farben, mit Schlips und Weste, wie es sich schon damals seit Jahrzehnten für den gut gekleideten Mann gehörte. Die Gangster pflegen dagegen die ebenso zeitlos funktionale Hafenarbeiterkluft, die sich schon damals seit Jahrzehnten nicht änderte. So verstärkt die Kleidung das Gefühl, dass in „Black Mass“ alles, aber auch wirklich alles, seit Jahrzehnten schon fest zementiert ist. Und niemand es ändern will.
Dass die Filmgeschichte sich über zwei Jahrzehnte erstreckt, erfahren wir nicht über die Bilder. Egal ob 1975, das Jahr in dem „Black Mass“ beginnt, oder die achtziger Jahre oder die frühen neunziger Jahre bis, Mitte der Neunziger, als Bulger als FBI-Spitzel enttarnt wird, immer sehen wir die gleichen abgeranzten Sechziger-Jahre-Arme-Leute-Küchen, South-Boston-Hinterhöfe, Hafenansichten, FBI-Büros (die nie durch Hippnes glänzten) und, selten, gehobene Restaurants, in denen ohne Schlips und Anzug niemand hineingelassen wird. Es sind Orte, an denen jede Modernisierung vorbei ging.
Die Dialoge stehen zwar in der George-V.-Higgins- und Elmore-Leonard-Schule, aber in „Black Mass“ bleiben sie nur folgenloses Gebabbel. Das ist in den ersten Minuten, wegen der vermeintlichen Authenzität noch toll, aber es wird zunehmend zu einem Problem. Denn die Dialoge drehen sich mehr im Kreis, als dass sie die Handlung vorantreiben. Die ist sowieso nur locker an Bulgers verschiedenen Morden aufgehängt. Morde, die für die Handlung keine erkennbare Bedeutung haben.
So wird der gesamte Film ziemlich schnell zu einer reinen Geduldsprobe, die gefühlt mindestens doppelt so lange ist wie der zweistündige Film.
Wieviel besser und kurzweiliger ist dagegen David O. Russells 138-minütiger „American Hustle“, der die gleichen Themen behandelte und ebenfalls auf einer wahren Geschichte basiert.
Und was hätte Martin Scorsese nur aus dieser Geschichte gemacht?
Uh, ähem, hat er schon. Vor neun Jahren. „Departed – Unter Feinden“ heißt der Film, Jack Nicholson spielt den Gangsterboss, der im Film Frank Costello heißt und der von Whitey Bulger inspiriert ist. Ein grandioser Film, der Scott Coopers Scheitern umso schmerzhafter zeigt.

Black Mass - Plakat

Black Mass (Black Mass, USA 2015)
Regie: Scott Cooper
Drehbuch: Mark Mallouk, Jez Butterworth
LV: Dick Lehr/Gerard O’Neill: Black Mass: Whitey Bulger, the FBI, and a Devil’s Deal, PublicAffairs, 2000 (Black Mass – Der Pate von Boston)
mit Johnny Depp, Joel Edgerton, Benedict Cumberbatch, Dakota Johnson, Kevin Bacon, Peter Sarsgaard, Jesse Plemons, Rory Cochrane, David Harbour, Adam Scott, Corey Stoll, Juno Temple, Julianne Nicholson
Länge: 123 Minuten
FSK: ab 16 Jahre

Die Vorlage: ein Lesebefehl für den True-Crime-Fan

Lehr - O Neill - Black Mass - 4

Pünktlich zum Filmstart erschien das von den „Boston Globe“-Journalisten geschriebene und mit dem Edgar ausgezeichnete Sachbuch „Black Mass“, das als Vorlage für den Film diente und schon auf den ersten Seiten fragte ich mich, wie es den Filmmachern gelang, all die auf dem Präsentierteller liegenden erzählerischen Goldstücke zu ignorieren. Vieles wird zwar im Film auch angesprochen oder angedeutet, aber erst beim Lesen des Buches versteht man die Hintergründe und damit auch die Handlungen der Beteiligten. Deshalb ist das Buch eine so ungemein spannende Lektüre, die einem so viel von der US-Kriminalitätsgeschichte erzählt und, im Gegensatz zum Film, den Wunsch weckt, South Boston zu besuchen.

Dick Lehr/Gerard O’Neill: Black Mass – Der Pate von Boston
(übersetzt von Joachim Körber)
Goldmann, 2015
512 Seiten
9,99 Euro

Originalausgabe
Black Mass: Whitey Bulger, the FBI, and a Devil’s Deal
PublicAffairs, 2000

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Film-Zeit über „Black Mass“
Moviepilot über „Black Mass“
Metacritic über „Black Mass“
Rotten Tomatoes über „Black Mass“
Wikipedia über „Black Mass“ (deutsch, englisch) und Whitey Bulger (deutsch, englisch)
History vs. Hollywood über die wahren Hintergründe von „Black Mass“

Die „Black Mass“-Pressekonferenz beim Filmfest in Venedig

Nachtrag (20. Oktober 2015)

„French Connection“ William Friedkin unterhält sich mit Scott Cooper über den Film

 

 


Neu im Kino/Filmkritik: „Life“ – einige Photographien von James Dean

September 24, 2015

Das ikonischen Bild von James Dean auf dem Times Square in New York, das als Plakat in vielen Wohnungen hing, ist bekannt.
Aber den Fotografen dürfte niemand kennen; was sich mit „Life“ ändern könnte. In dem Spielfilm erzählt Anton Corbijn die Geschichte hinter diesem und einigen anderen bekannten James-Dean-Bildern. Corbijn schoss, was sein Interesse an dieser Geschichte erklärt, selbst jahrelang ikonische Bilder von Stars, wie Herbert Grönemeyer, Depeche Mode und U2.
James Dean (8. Februar 1931 – 30. September 1955) war damals, nach einigen kleinen TV-Arbeiten und dem Dreh von Elia Kazans „Jenseits von Eden“, in den Augen des 26-jährigen Magnum-Fotograf Dennis Stock ein aufstrebender Star. Weil Stock (Robert Pattinson) dringend einen großen Auftrag brauchte, der seiner Karriere einen entscheidenden Schub verpassen sollte, überzeugte er seinen Chef, ihm bei dem legendären Life Magazine Platz für eine Bildstrecke über James Dean (Dane DeHaan) zu besorgen. Weil Dean sehr sprunghaft war, gestalteten sich die Fotografien schwierig. Sie wurden teils in New York und in Fairmount, Indiana, auf dem Bauernhof von Deans Onkel, wo er aufwuchs, gemacht.
Innerhalb von zwei Wochen schoss Stock einige Bilder, die im Life Magazine am Tag vor der Times-Square-Premiere von „Jenseits von Eden“ veröffentlicht wurden.
Trotz der gewohnt gut gestalteten Bilder, den guten Schauspieler, der guten Ausstattung und dem, als Nebenschauplatz, interessanten Porträt des Starkults und wie ein Schauspieler von Hollywood zu einem Star aufgebaut wird, ist „Life“ letztendlich ein banaler Film. Denn er erzählt einfach nur die Geschichte eines Foto-Auftrages, der sich, abgesehen von Deans schwieriger Persönlichkeit, nicht weiter von irgendeiner anderen journalistischen Auftragsarbeit unterscheidet. Schließlich war Stock kein Groupie, sondern ein Fotograf, der einige Bilder machen wollte, die er verkaufen konnte. Und Dean, der sich der Medienmaschine entziehen wollte, war intelligent genug, um zu wissen, dass er am Anfang einer großen Karriere stand. Das hatte ihm Jack Warner (Ben Kingsley) klar gemacht. Er konnte als Chef von Warner Bros. über seine künftigen Rollen und damit seine Karriere in Hollywood bestimmen.
Doch als Stock Dean fotografierte, ahnte niemand, dass er einige Monate später bei einem Autounfall sterben sollte. Auch in den USA waren die Premiere von „…denn sie wissen nicht, was sie tun“ und „Giganten“ erst nach seinem Tod.
Wie eigentlich immer bei Corbijn gerät die sehr sehenswerte Oberfläche überzeugender als der Inhalt. Denn dieser ist in seiner Nachstellung der damaligen Ereignisse, einer kleinen Episode, letztendlich nicht so wahnsinnig interessant.

Life - Plakat

Life (Life, Kanada/Deutschland/Österreich 2015)
Regie: Anton Corbijn
Drehbuch: Luke Davies
mit Robert Pattinson, Dane DeHaan, Joel Edgerton, Alessandra Mastronardi, Stella Schnabel, Ben Kingsley
Länge: 112 Minuten
FSK: ab 0 Jahre

Hinweise
Englische Fanseite zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Life“
Moviepilot über „Life“
Metacritic über „Life“
Rotten Tomatoes über „Life“
Wikipedia über „Life“
Berlinale über „Life“
Meine Besprechung von Anton Corbijns John-le-Carré-Verfilmung „A most wanted man“ (A most wanted man, Deutschland/Großbritannien 2014) (DVD-Kritik)

Die Berlinale-Pressekonferenz


Neu im Kino/Filmkritik: „Exodus – Götter und Könige“ und ein biblischer Text

Dezember 25, 2014

Ich gestehe: Mit Bibelfilmen kann ich wenig anfangen. Meistens sind sie mir zu pathetisch und zu lang. Cecil B. DeMilles „Die zehn Gebote“ mit Charlton Heston als Moses bringt es auf 220 Minuten. Die müssen im Kino (oder vor dem Fernseher) erst einmal in einem Stück überlebt werden.
Dagegen ist Ridley Scotts „Exodus“ mit 151 Minuten fast ein Kurzfilm und „Batman“ Christian Bale als Moses geht auch in Ordnung. Er versprüht zwar eher das Charisma eines Beamten, aber da hat das Drehbuch und die Regie auch ein Wort mitgesprochen, als sie die allseits bekannte neu interpretierten.
Die Geschichte dürfte ja aus dem Religionsunterricht bekannt sein, die im Film so geht: Moses ist ein tapferer Soldat bei den Ägyptern. Er erfährt seine wahre Herkunft, wird in die Wüste geschickt, gründet eine Familie und hat eine Vision, die ihm eine Mission bescherrt. Er kehr zurück in seine alte Heimat und befreit, mit der Hilfe der legendären, von Gott geschickten zehn Plagen, sein unterdrücktes Volk aus dem Joch von Ramses, der ein unfähiger, machtgieriger Herrscher mit Ego-Problemen ist. Moses und sein Volk ziehen in die Wüste. Ramses verfolgt sie mit seinem Heer. Moses teilt das Wasser, dabei werden die letzten Reste von der äyptischen Streitmacht getötet. Auf einem Berg empfängt Moses die zehn Gebote und sie kommen in das gelobte Land.
Dass die Geschichte bekannt ist, spricht natürlich nicht gegen eine Neuinterpretation. Immerhin sind seit „Gladiator“ Sandalenfilme wieder in; in den USA sind tiefgläubige Christen, wenn der Film ihren Vorstellungen entspricht, eine nicht zu unterschätzende Zahl von Ticketkäufern und es ist nichts gegen eine gute Geschichte zu sagen. Die Geschichte von Moses quillt förmlich über vor guten Geschichte und potentiellen Konflikten, die für ein halbes Dutzend Filme ausreichen.
Aber „Exodus“ sieht auch in jeder Sekunde wie ein von einem Komitee gemachter Film aus. Ein Komitee, bei dem jedes Mitglied seine Ideen einbrachte und sich alle Mitglieder in einem Punkt einig waren: möglichst keine Konflikte. So werden die legendären Plagen in der Filmmitte, wie eine ungeliebte Pflichtaufgabe, in wenigen Minuten im Schnelldurchlauf abgehandelt. Dabei erzählen sie doch, wie der Kampf Moses und Ramses immer weiter eskalierte. Hier hätte ein Kampf um Herrschaft und Befreiung, auch mit aktuellen Bezügen, abgehandelt werden können. Stattdessen gibt es einige beeindruckende Bilder mit viel CGI und sonst nichts. Vor den Plagen darf Moses ein wenig Terrorist spielen und sich immer wieder mit einem Kind, das nur er sieht (jaja, Gott) unterhalten.
Davor, wenn Moses von seiner Herkunft erfährt und Jahre später seine Mission annimmt, hätte viel über echte und falsche Familien, über Beziehungen, Glaube und Zugehörigkeit gesprochen werden können. Immerhin sagt Moses sich von seiner Familie los, die ihn als Findelkind aufgenommen, erzogen und in ihre Pharaonenfamilie als Quasi-Sohn aufgenommen hat. Er zieht gegen sie in den Krieg. Er erklärt seinem Bruder, dem er am Filmanfang in einer ziemlich konfusen Schlacht das Leben rettete, die ewige Feindschaft, wenn er ihn nicht mit den hebräischen Sklaven von dannen ziehen lässt.
Auch später stellt sich die Frage, warum Ridley Scott und die vier genannten Drehbuchautoren aus dem Konflikt der beiden Brüder nichts gemacht haben. Denn deren Beziehung stehe, so die Macher, im Mittelpunkt des Films. Es ist ein dramaturgisch vollkommen leerer Mittelpunkt, der nur vom Willen der Drehbuchautoren vorangetrieben wird. Wenn Ramses Moses und das jüdische Volk, nachdem er ihnen die Freiheit schenkte, verfolgt, dann tut er das, weil es so im Drehbuch steht. Aber nicht, weil es psychologisch begründet ist.
In dem Moment läuft vor dem geistigen Auge schon lange ein zweiter Film ab: die Parodie auf diesen konsequent humorlosen Film, der mit eindimensionalen Klischeecharakteren bevölkert ist, die wir sofort vergessen und dem es gelingt, jeden, aber auch jeden aktuellen Bezug besser zu Vermeiden als der Teufel das Weihwasser.
Die Schauspieler können da nur noch hilflos in der Kulisse herumstehen oder chargieren. Besonders bedrückend ist der Auftritt von Sigourney Weaver, die in ungefähr drei Szenen kurz herumsteht und vielleich sogar ein Wort sagt. In einem anderen Film wäre das ein Cameo, das in der Werbung nicht erwähnt wird. Hier ist es eine groß beworbene Rolle, die sich darin erschöpft, dass Weaver ein Stück austauschbare Dekoration ist. Jedenfalls in der Kinoversion. Vielleicht war ihre Rolle in dem vierstündigen Rohschnitt größer, vielleicht gibt es im Bonusmateral der DVD, für die Ridley Scott dreißig Minuten ‚geschnittene Szenen‘ ankündigte, mehr von ihr zu sehen. Vielleicht sehen wir dann auch mehr von Ben Kingsley, der etwas mehr Filmzeit hat, aber aus seiner Rolle auch nichts herausholen kann.
Angesichts dieser konfliktfrei erzählten Geschichte, die jeden eigenen künstlerischen Zugriff vermissen lässt, mit überflüssigen neuen Szenen ist es absolut unwahrscheinlich, dass eine längere Version aus diesem Langweiler einen besseren Film macht. Dafür ist nicht zu viel falsch, sondern auf der erzählerischen Ebene nichts richtig gemacht worden.
Immerhin ist die Optik halbwegs beindruckend. Die Bilder erinnern an die Fotografien von Sebastião Salgado. Aber während in seinen SW-Bildern immer auch eine Anteilnahme und Sympathie für die Porträtierten vorhanden ist, bleibt bei Ridley Scott nur noch das Ornament der Masse übrig, das selbstverständlich in 3D präsentiert wird und damit auch jeder mitbekommt, dass es 3D ist (als ob nicht schon die dämliche Brille ausreichen würde) werden ständig Gegenstände in den Vordergrund geschoben, die in einem normalen Film nicht dort stehen würden.
Auch „Noah“ von Darren Aronofsky war ein schlechter Film. Aber im Gegensatz zu dem langweiligen Komitee-Film „Exodus“ hatte er immerhin so viele unglaubliche Szenen, dass ich mich fragte, ob die Macher beim Dreh irgendwelche Drogen genommen haben, um zum Beispiel auf ihre Stein-Transformers zu kommen.

Exodus - Plakat

Exodus – Götter und Könige (Exodus – Gods and Kings, USA 2014)
Regie: Ridley Scott
Drehbuch: Adam Cooper, Bill Collage, Jeffrey Caine, Steven Zaillian
mit Christian Bale, Joel Edgerton, John Turturro, Aaron Paul, Ben Mendelsohn, Maria Valverde, Ben Kingsley, Sigourney Weaver, Dar Salim, Golshifteh Farahani, Indira Varma
Länge: 151 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Homepage zum Film
Deutsche Facebook-Seite zum Film
Film-Zeit über „Exodus“
Moviepilot über „Exodus“
Metacritic über „Exodus“
Rotten Tomatoes über „Exodus“
Wikipedia über „Exodus“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Ridley Scotts “Prometheus” (Prometheus, USA 2012)

Ridley Scott in der Kriminalakte


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