Die Blaupause für jede neue Verfilmung von General Lew Wallaces Roman „Ben Hur: Eine Erzählung aus der Zeit Christi“ ist das gut vierstündige Epos von 1959 mit Charlton Heston als Judah Ben Hur. Aus heutiger Sicht ist der mit elf Oscars ausgezeichnete Film, unter anderem als Bester Film des Jahres, erstaunlich holprig und oft langatmig erzählt. Und mit so viel Pathos getränkt, dass wir den Film inzwischen nur noch durch die Brille von „Das Leben des Brian“ sehen können. Berühmt ist das heute wahrscheinlich kaum noch gesehene Epos wegen des entsprechend epischen Wagenrennens, das es schon in de Stummfilmverfilmung des Romans gab.
Das Wagenrennen gibt es auch in Timur Bekmanbetovs flüssiger erzähltem Remake. Er beginnt sogar damit – und springt dann gut zehn Jahre zurück in die Vergangenheit. Damals waren Judah Ben Hur (Jack Huston) und Messala Severus (Toby Kebbell) beste Freunde und Brüder. Messala verlässt Judäa, um als römischer Soldat zu Ruhm und Ehre zu gelangen.
Nach Jahren kehrt er zurück nach Judäa, das er befrieden will. Also von den aufständischen Juden, die gegen die römische Besatzung kämpfen, bereinigen will. Ben Hur, der sich eigentlich aus der Politik heraushält, will seine jüdischen Brüder nicht verraten und in den Tod schicken. Damit beginnt der Konflikt zwischen Ben Hur und Messala.
Als bei der Ankunft des neuen Statthalters in Jerusalem ein Aufständischer von Ben Hurs Anwesen einen Pfeil auf ihn abschießt (das ist eine der zahlreichen Änderungen zu William Wylers Film), verhaftet Messala Ben Hur und seine Familie. Ben Hur wird Galeerensklave. Die allesamt überaus ansehnlichen Frauen des Patrizierhauses Ben Hur wandern in den Kerker.
Nach Jahren, wenige Tage vor dem Tod von Jesus (der hier auch mehrmals auftritt) kehrt Ben Hur zurück. Er will sich an Messala rächen. Während eines Wagenrennens.
Timur Bekmanbetov, der die Geschichte in zwei Stunden erzählt, beschreitet in seiner Verfilmung bis zum Ende durchaus eigene Wege, die mal mehr, mal weniger gelungen sind. So war es in Wylers Film ein herabfallender Ziegel, der Pontius Pilatus bei seinem Einzug in die Stadt verletzte. Es war ein Unfall. In Bekmanbetovs Film ist es ein von einem Aufständischen abgeschossener Pfeil. Es ist ein Attentat und Ben Hur deckt den Täter. Diese Änderung hätte die gesamte Geschichte auf jeder Ebene beeinflussen können. Aber sie bleibt letztendlich folgenlos.
Auch später gibt es immer wieder Unterschiede. So kommt Ben Hur in der aktuellen Version niemals nach Rom. Und das bei Wyler aus heutiger Sicht unerträgliche Pathos und der religiöse Kitsch sind bei Bekmanbetov nicht vorhanden. Es gibt bis auf einige kurze Auftritte von Jesus Christus und der Kreuzigung keine religiösen Symbolismen und wenig christliches Pathos. Daher erstaunt die in den USA gemachte Werbekampagne für die christlichen Filmbesucher, die aus kommerzieller Perspektive ein wichtiger Faktor sind und die eine, nun, sehr spezielle Art von Filmen lieben, in denen der rechte Glaube der einzige Qualitätsmaßstab ist.
Diese Änderungen verschieben dann Akzente in der Geschichte und den Motivationen der Charaktere und lassen Bekmanbetovs „Ben Hur“ zu einer durchaus eigenständigen Verfilmung werden. Allerdings keiner gelungen. So werden all die auf der Hand liegenden politischen Anspielungen nicht weiter ausgeführt. Der Konflikt zwischen Ben Hur und Messala erscheint forciert. Dabei entzündet sich der Konflikt an dem fehlgeschlagenem Anschlag auf Pontius Pilatus. Ben Hur, der den Täter beschützt, nennt seinem Freund nicht den Namen. Damit paktiert er mit den Aufständischen, vulgo Terroristen. Aber die in diesem Moment angelegte Frage nach den Formen des Widerstandes gegen ein Regime, werden nicht weiter verfolgt. Auch das Thema der Freundschaft wird nicht weiter verfolgt. So bleiben die immer wieder eingestreuten politischen und gesellschaftlichen Anspielungen in der Luft hängen.
Die Nebenfiguren sind schön aussehende Staffage und Morgan Freeman ist Morgan Freeman; mit einer „Battefield Earth“-Gedächtnisfrisur. Und, ja, das ist eine wenig subtile Anspielung auf das Niveau dieses bierernsten Sandalenfilms, der höchstens in einigen Momenten einen unfreiwilligen Humor verströmt.
Zum Schluss kommen wir, wie der Film, wieder zum Wagenrennen, das auch in dieser „Ben Hur“-Verfilmung das große Action-Set-Piece ist. Es ist lang, es ist blutig, es ist langweilig, weil die Action zwischen Schnitten und CGI-Effekten so konfus ist, dass man kurz nach dem Start den Überblick verliert. Da ist man von Timur Bekmanbetov, dem Regisseur von „Wächter der Nacht“, „Wächter des Tages“ und „Wanted“, aber auch „Abraham Lincoln, Vampirjäger“, besseres gewohnt.
Er sagt dazu: „Wir haben die Actionszenen so gefilmt, wie man das heute mit seinen privaten Handy-Kameras machen würde.“
John Ridley, der für „12 Years a Slave“ einen Oscar erhielt, wird wohl nur aufgrund irgendwelcher vertraglicher Verpflichtungen als einer der Drehbuchautoren genannt. Ridley ist der Autor von „12 Years a Slave“, „Three Kings“ (nur Story-Credit), „U-Turn“ und einiger leider nicht übersetzter Romane und der Erfinder der hochgelobten TV-Serie „American Crime“. In seinen Werken setzte er sich immer kritisch mit der US-amerikanischen Geschichte und oft auch der Geschichte der Afroamerikaner auseinander. Dass er ein so unpolitisches und in jeder Hinsicht unentschlossenes Drehbuch abliefert, will ich nicht glauben.
Ben Hur (Ben-Hur, USA 2016)
Regie: Timur Bekmanbetov
Drehbuch: Keith Clarke, John Ridley
LV: General Lew Wallace: Ben-Hur: A tale of the Christ, 1880 (Ben Hur: Eine Erzählung aus der Zeit Christi)
mit Jack Huston, Toby Kebbell, Rodrigo Santoro, Nazanin Boniadi, Morgan Freeman, Sofia Black D’Elia, Ayelet Zurer, Moises Arias, Pilou Asbaek
Länge: 124 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Hinweise
Rotten Tomatoes über „Ben Hur“
Wikipedia über „Ben Hur“ (deutsch, englisch)
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Ein sehr kurzes Featurette über den Dreh des Wagenrennens
Und hier Charlton Heston als Ben Hur in der Arena. Die beiden Ausschnitte vermitteln einen guten Eindruck von der Szene. Eine komplette Version habe ich nicht gefunden.