Neu im Kino/Filmkritik: „Hedi Schneider steckt fest“ und nimmt es mit Humor

Mai 7, 2015

Auf der diesjährigen Berlinale kam „Hedi Schneider steckt fest“ gut an. Immerhin war es nach zahlreichen sehr ernsten Filmen, in denen das Elend der Welt behandelt wird, und „Fifty Shades of Grey“ eine kurze und kurzweilige Komödie über ein ernstes Thema. Regisseurin Sonja Heiss behandelt es nämlich erfrischend undeutsch. Denn immer wenn sie vor der Frage steht, ob sie den dramatischen oder den komischen Weg wählen soll, wählt sie den komödiantischen Weg, was dann, immerhin geht es um eine Angststörung, die bei Hedi Schneider (Laura Tonke) ausbricht, als sie im Fahrstuhl stecken bleibt. Diese Störung wirft sie aus der Bahn. Sie verliert ihre Arbeit. Ihr Mann Uli (Hans Löw) muss sich um sie und ihren Sohn Finn (Leander Nitsche) kümmern. Der geplante Afrika-Trip entfällt und auch Uli wird, weil er wegen seiner beruflichen Umorientierung nach Afrika kündigte, arbeitslos.
Es ist Sonja Heiss („Hotel Very Welcome“) hoch anzurechnen, dass sie aus dieser Konstellation kein typisch deutsches Sozialdrama drehte, sondern immer wieder die absurden Momente betont, die durch die Krankheit (und den damit verbundenen Stimmungsschwankungen) entstehen.
Aber mit der Zeit wirkt das auch wie eine Strategie, um sich nicht wirklich mit der Krankheit zu beschäftigen. Sie erscheint dann wie ein lästiger Schnupfen. Das Herumlungern im Bett, das Einwerfen der bunten Pillen, der Kauf eines Haustieres und die absurden Gespräche werden alle zu hübschen Anekdoten.
Wirklich ärgerlich ist aber der dritte Akt, in dem wir Hedi Schneider und die Filmcrew bei einem Trip nach Norwegen begleiten dürfen. Denn eigentlich ist Hedi, wenn sie am Ende des zweiten Akts, nachdem Uli eine Nacht bei einer anderen Frau verbrachte (was später nicht mehr angesprochen wird), mit ihrem Sohn Finn spielt, von ihrer Krankheit geheilt. Mit diesem Bild des familiären Glücks könnte „Hedi Schneider steckt fest“ enden. Aber dann bricht die Kleinfamilie zum Norwegen-Urlaub auf, der dem vorher erzählten nichts Neues hinzufügt und – vor allem wenn man sich den Trailer angesehen hat und sich ausmalt, was für dramatische Verwicklungen es in Norwegen hätte geben können – in jeder Beziehung vollkommen verschenkt ist. In dem Moment zeigt sich wieder das gesamte Elend des deutschen Films: wir haben die Schauspieler, wir haben die Techniker, aber wir haben nicht die Macher, die wissen, was sie erzählen wollen und die daher nicht wissen, wann ihre Geschichte zu Ende ist.

Hedi Schneider steckt fest - Plakat

Hedi Schneider steckt fest (Deutschland/Norwegen 2014)
Regie: Sonja Heiss
Drehbuch: Sonja Heiss
mit Laura Tonke, Hans Löw, Leander Nitsche, Melanie Straub, Simon Schwarz, Margarita Broich
Länge: 92 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Homepage zum Film
Filmportal über „Hedi Schneider steckt fest“
Film-Zeit über „Hedi Schneider steckt fest“
Moviepilot über „Hedi Schneider steckt fest“
Wikipedia über Sonja Heiss


Neu im Kino/Filmkritik: Herr Ruzowitzky und „Das radikal Böse“

Januar 16, 2014

 

Wie werden aus ganz normalen jungen Männern Massenmörder? Diese Frage will Stefan Ruzowitzky in seinem neuen Film „Das radikal Böse“ beantworten und selbstverständlich spielt der Titel auf Hannah Arendts Überlegungen zum radikal Bösen, die von der Vernichtung der Juden im zweiten Weltkrieg ausgingen, an.

Deshalb beschäftigt er sich den Exekutionen von deutschen Einsatzgruppen in Osteuropa. Die Soldaten erschossen damals systematisch alle Juden, die sie antrafen. Insgesamt ungefähr zwei Millionen Menschen. Tagsüber. In der Öffentlichkeit, teils vor Zuschauern. Die Täter waren ganz normale junge und weniger junge Männer, die nicht zu ihren Taten gezwungen wurden und keine negativen Folgen zu befürchten hatten. Trotzdem folgten fast alle freiwillig dem Befehl und freuten sich über eine zusätzliche Ration Alkohol.

Ruzowitzky verknüpft in „Das radikal Böse“ Spielszenen mit Statisten und Laien bei alltäglichen Verrichtungen, in denen bekannte deutsche Schauspieler, wie Devid Striesow und Benno Fürmann, Briefe von Soldaten vorlesen mit Interviews mit Wissenschaftlern und, kurz visualisierten, Nachstellungen von bahnbrechenden Experimenten, wie das Konformitätsexperiment von Solomon Asch, das Stanford-Experiment und das Milgram-Experiment. Diese Experimente werden allerdings sehr knapp zusammengefasst, fasst wie ein Infokasten bei einer Reportage. Dabei hätte man schon gerne mehr über die Experimente und inwiefern die Erkenntnisse sich in späteren Experimenten bestätigten, erfahren.

Wesentlich interessanter sind die langen Interviews mit Fachleuten. Es sind der Historiker Christopher Browning, der „Ganz normale Männer“ und „Die Entfesselung der ‚Endlösung‘. Nationalsozialistische Judenpolitik 1939 – 1942“ schrieb, Sozialpsychologe Roy Baumeister, der „Evil – Inside Human Violence and Cruelty“ schrieb, Benjamin Ferencz, der als junger Mann Chefankläger in Nürnberg war, Psychiater Robert Jay Lifton, der Begründer der Psychohistory, Priester Patrick Desbois, der mit „Yahad – In Unum“ die Massenexekutionen der Nazis in Osteuropa erforscht, und Militärpsychologe Dave Grossman, der „Über das Töten“ schrieb und sehr anschaulich erklärt, wie das Militär junge Männer dazu bringt, Befehlen zu gehorchen.

Bei den Gesprächspartnern – was wahrscheinlich mit der Spekulation auf internationale Verkäufe erklärt werden kann – fällt allerdings auf, dass sie alle aus dem angloamerikanischen Raum kommen und englisch sprechen. Sowieso können ihre Erkenntnisse und auch die Aussagen über den Gruppendruck innerhalb der deutschen Armee locker auf andere Armeen im Auslandseinsatz übertragen werden.

Das radikal Böse“ liefert nur einen ersten, oberflächlichen Einblick in das Thema, aber gerade dadurch lädt er auch zu Diskussionen ein.

Das radikal Böse - Plakat

Das radikal Böse (Deutschland 2013)

Regie: Stefan Ruzowitzky

Drehbuch: Stefan Ruzowitzky

mit den Experten Christopher Browning, Roy Baumeister, Benjamin Ferencz, Robert Jay Lifton, Patrick Desbois, Dave Grossman

mit den Stimmen von Volker Bruch, Alexander Fehling, Benno Fürmann, Hanno Koffler, Lenn Kudrjawizki, Andreas Schmidt, Simon Schwarz, Devid Striesow, Arnd Schwering-Sohnrey, Sebastian Urzendowsky, Nicolette Krebitz

Länge: 95 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Film-Zeit über „Das radikal Böse“

Moviepilot über „Das radikal Böse“

Wikipedia über „Das radikal Böse“

Meine Besprechung von Stefan Ruzowitzkys „Cold Blood – Kein Ausweg, keine Gnade“ (Deadfall, USA/Frankreich 2012)

 

 


TV-Tipp für den 15. Juni: Der Knochenmann

Juni 15, 2013

Arte, 01.00

Der Knochenmann (Aus 2009, R.: Wolfgang Murnberger)

Drehbuch: Josef Hader, Wolfgang Murnberger, Wolf Haas

LV: Wolf Haas: Der Knochenmann, 1997

Brenner fährt auf’s Land. Eigentlich soll er ein geleastes Auto zurückholen. Aber dann gefällt’s ihm im Wirtshaus von Löschenkohl zu gut, er verliebt sich in die Schwiegertochter des Wirts und stolpert in eine veritable Mordgeschichte. Denn der Löschenkohl wird erpresst, beseitigt seine Erpresser und muss auch auf seinen blöden, aber ambitionierten Sohn aufpassen.

Die dritte Auflage der Ösi-Variante eines Action-Films, eines Whodunit und einer Krimikomödie hat weniger bekannte Namen und weniger Lacher als „Komm, süßer Tod“ und „Silentium“. Dafür ist „Der Knochenmann“ noch desillusioniert-gemeiner in seinem Blick auf die Menschen und Josef Hader hat im Privatdetektiv Brenner die Rolle seines Lebens gefunden.

Mit Josef Hader, Josef Bierbichler, Simon Schwarz, Birgit Minichmayr, Stipe Erceg, Christoph Luser, Dorka Gryllus

Wiederholung: Donnerstag, 27. Juni, 01.50 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Homepage zum Film

Film-Zeit über „Der Knochenmann“

Wikipedia über „Der Knochenmann“

Krimi-Couch über Wolf Haas

Lexikon der deutschen Krimiautoren über Wolf Haas

Planet-Interview redet mit Wolf Haas (2005, zur  Verfilmung von “Silentium”)

Meine Besprechung von Wolf Haas’ “Brenner und der liebe Gott” (2009)


TV-Tipp für den 30. Mai: Tatort: Passion

Mai 30, 2013

 

HR, 21.45

Tatort: Passion (D/A 2000, R.: Ilse Hofmann)

Drehbuch: Felix Mitterer

Eigentlich will Kommissar Moritz Eisner in Tirol nur einen zünftigen Wanderurlaub verbringen. Aber als der Jesus-Darsteller eines Passionsspiel ans Kreuz genagelt wird, lässt er – widerwillig – Urlaub Urlaub sein und sucht mit seiner Kollegin Aschenwald den Mörder.

Erster Eisner-Tatort von Felix Mitterer und gleich ein voller Erfolg. Denn lustvoller und treffender wurde sich selten im prallen Provinzleben gesuhlt.

mit Harald Krassnitzer, Sophie Rois, Dietmar Schönherr, Nina Proll, Simon Schwarz, Reinhard Simonischek

Hinweise

Tatort-Fundus über Kommissar Moritz Eisner

Wikipedia über Felix Mitterer