Der aus Syrien geflüchtete Hamid gehört zu einem Untergrundnetzwerk aus Zivilisten, die syrische Kriegsverbrecher verfolgen, enttarnen und der Justiz übergeben.
2016 sucht er im Auftrag der Gruppe in Straßburg den Kriegsverbrecher Sami Hanna. Er soll an der Universität unter falschem Namen studieren. Aber ist der im Verdacht stehende scheinbar harmlose Student der untergetauchte Kriegsverbrecher, der in Syrien als „Der Chemiker“ ein skrupelloser Folterer war?
Hamid hat ihn zwar noch nie gesehen, aber er würde seinen Folterer am Geruch und seiner Stimme erkennen.
Jonathan Millet konzentriert sich in seinem auf wahren Ereignissen basierendem Spielfilmdebüt „Die Schattenjäger“ auf diese Frage und die damit verbundenen Diskussionen innerhalb des Untergrundnetzwerks. Dieses trifft sich nur anonym in einem Ego-Shooter-Kriegsspiel und diskutiert dort über ihre Pläne.
Millet erzählt die Geschichte der Jagd auf diesen einen Kriegsverbrecher als Slow-Burn-Thriller mit minimaler Story und viel Atmosphäre. Vieles wird nur angedeutet und bleibt entsprechend nebulös. Anderes wird nur sehr langsam enthüllt. Und, wie es sich für einen Agententhriller gehört, wird mit unbewegter Mine viel gelogen.
Die Schattenjäger(Les Fantômes, Frankreich/Belgien/Deutschland 2024
Regie: Jonathan Millet
Drehbuch: Jonathan Millet, Florence Rochat
mit Adam Bessa, Tawfeek Barhom, Julia Franz Richter, Hala Rajab, Safiqa El Till
Die Kairo-Verschwörung(Boy from Heaven, Schweden/Frankreich/Finnland 2022)
Regie: Tarik Saleh
Drehbuch: Tarik Saleh
Kaum ist der Fischersohn Adam in Kairo an der renommierten Al-Azhar-Universität ankommen, stirbt der Großiman, das geistige Oberhaupt der Universität und des sunnitischen Islams. Ein skrupellos geführter Machtkampf um die Nachfolge entbrennt. Adam gerät zwischen die Fronten.
TV-Premiere. Während wir im Kino gerade erfahren, wie ein Papst gewählt wird, erfahren wir im Fernsehen, wie ein Großiman gewählt wird. Und das ist ein ziemlicher Kuddelmuddel zwischen religiösen und weltlichen Interessen. Tarik Saleh verbindet diese Intrigen mit einer Coming-of-Age-Geschichte. Sehenswerter Thriller.
Was tun wir, wenn wir gerade keine Ideen, aber Geld und ein im Moment mehr oder weniger erfolgreiches, mehr oder weniger beliebtes, seit Jahr(zehnt)en etabliertes Franchises haben? Nun, wir können Antworten auf Fragen geben, die bislang niemand wirklich gestellt hat. Bei „Star Wars“ wurde in „Rogue One“ erklärt, wie Rebellen die Informationen beschaffen, mit denen im ersten „Krieg der Sterne“-Film (inzwischen betitelt als „Star Wars: Episode IV – Eine neue Hoffnung“) der Todesstern zerstört wird. Diese Frage hat Alan Dean Foster in seinem 1976 erschienenem Filmroman schon in einem Satz beantwortet. Trotzdem war der Film, der diese Antwort nur elaborierte, bei der Kritik und dem Publikum ein Erfolg.
Thomas Harris schrieb, nachdem das Publikum immer mehr über Hannibal Lecter erfahren wollte, „Hannibal Rising“. In dem Thriller erzählt er die Lehr- und Wanderjahre des Killers. Das war der Moment, in dem ich meine Thomas-Harris-Lektüre einstellte. Es interessierte mich einfach nicht.
Und jetzt gibt es „Das erste Omen“. In dem Horrorfilm erzählt Arkasha Stevenson in ihrem Spielfilmdebüt die Vorgeschichte zu Richard Donners Horrorfilmklassiker „Das Omen“. Der Film sorgte 1976 für volle Kassen. In Rom geht Robert Thorn (Gregory Peck), nachdem seine Frau Cathy (Lee Remick) bei der Geburt ihr Baby verliert, auf den Vorschlag eines Priesters ein, ein anderes, zur gleichen Zeit geborenes Baby als sein Baby auszugeben. Bei der Geburt starb die Mutter. Das Baby ist jetzt ein Vollwaise. Das Kind mit dem Namen Damien ist außerdem, wie Thorn Jahre später erfährt, der Sohn des Teufels. Als fünfjähriger Bengel sorgt er in London, wo Thorn inzwischen der Botschafter für die USA ist, für einige schreckliche Todesfälle.
Mehrere Fortsetzungen, eine TV-Serie und ein Remake folgten.
„Das erste Omen“ springt zurück in das Jahr 1971 und erzählt, was in den Tagen und Wochen vor dem in „Das Omen“ geschilderten Babytausch geschah. Margaret Daino (Nell Tiger Free) kommt in Rom an. Die Waise wuchs in der US-amerikanischen Provinz in einem katholischen Kinderheim auf. Dort verstand sie sich gut mit Pater Lawrence (Bill Nighy). Er ist inzwischen ein im Vatikan einflussreicher Kardinal.
In wenigen Tagen will die junge Frau eine Nonne werden. Aber in dem in Rom gelegenem, von Schwester Silva (Sonia Braga) und ihren Nonnen drakonisch geführtem Waisenhaus geschehen seltsame Dinge.
Eine Fraktion von Gläubigen hat anscheinend finstere Pläne. Jedenfalls behauptet das Father Brennan (Ralph Ineson); – wer „Das Omen“ gesehen hat, kennt ihn, damals von Patrick Troughton gespielt, aus dem Film als unerbittlichen Warner, der während eines Gewitters vor einer Kirche von einem Blitzableiter aufgespießt wird.
Brennan bittet Margaret um Informationen. Gleichzeitig entführt eine Mitnovizin, mit der sie ihre Übergangswohnung teilt, die Jungfrau in das römische Nachtleben.
Dass Margaret die Geburt von Damien zur sechsten Stunde des sechsten Tages im sechsten Monat des Jahres nicht verhindern kann, ist klar. Schlielßlich erzählt „Das erste Omen“ die unmittelbare Vorgeschichte zu „Das Omen“. Unklar ist allerdings, wer Damiens Mutter ist und welche Kreise in der Kirche warum möchten, dass Damien auf die Welt kommt. Die Erklärung ist bestenfalls halb überzeugend – und weniger überzeugend als die Erklärung in „Immaculate“.
„Das erste Omen“ endet so, dass die Möglichkeit für eine Fortsetzung und eine neue Filmreihe besteht, die die bisherigen „Das Omen“-Filme aus einer anderen Perspektive betrachtet. Aus kommerziellen Erwägungen – immerhin ist „Das Omen“ ein eingeführter Name – ist es nachvollziehbar, dass die Produzenten des Franchises muntere weitere „Omen“-Filme machen möchten. Aus künstlerischen Erwägungen – und weil sie den Neustart des „Omen“-Franchise (der letzte Kinofilm ist von 2006, die kurzlebige TV-Serie von 2016) mit einem Prequel beginnen, dessen Ende allseits bekannt ist – werden hier der Kreativität enge Ketten angelegt. So sind auch die Überraschungen nie überraschend.
„Das erste Omen“ ist kein schlechter Film, aber ein überflüssiger Film. Dabei geht der Horrorfilm bei der Erweiterung der „Omen“-Mythologie durchaus geschickt vor, in dem er eine Gruppe etabliert, die möchte, dass der Sohn des Teufels geboren wird. Aber der Hauptplot und das Ende ist bekannt. Wir wissen nur nicht, wer die Mutter ist. Das ist dann eine der Überraschungen des Films.
Das größte Problem von „Das erste Omen“ ist, dass vor wenigen Wochen „Immaculate“ startete und Vergleiche zwischen diesen beiden sehr ähnlichen Horrorfilmen unvermeidlich sind. Beide Male geht es um eine aus den USA nach Italien kommende Novizin und, soviel kann ohne Spoiler verraten werden, um eine besondere Schwangerschaft. Beide Male geht es um eine mächtige Institution – die katholische Kirche – und mächtige Männer und ihnen helfende Frauen, die Frauen ihren Willen über ihren Körper aufzwingen und, mehr oder weniger göttlich, schwängern.
Dabei ist „Immaculate“, inszeniert von Michael Mohan, nach einem Drehbuch von Andrew Lobel und mit Sydney Sweeney in der Hauptrolle, der ungleich besserere Horrorfilm. Er badet im Italo-Horror, im Giallo und hat ein im Gedächtnis bleibendes Killer-Ende.
„Das erste Omen“ ist dagegen nur die durchaus gut gemachte asexuelle Mainstream-Variante. Stevensons Film ist Horror für die breite Masse, die sich etwas gruseln möchte. „Immaculate“ ist Horror für den Horrorfilmfan.
Das Bonusmaterial der „Das erste Omen“-Blu-ray besteht aus drei kurzen, primär werbliche, wenig informativen Featurettes, die in etwas über achtzehn Minuten angesehen werden können.
Das erste Omen (The First Omen, USA 2024)
Regie: Arkasha Stevenson
Drehbuch: Tim Smith, Arkasha Stevenson, Keith Thomas (nach einer Geschichte von Ben Jacoby, basierend auf von David Seltzer erfundenen Figuren)
mit Nell Tiger Free, Tawfeek Barhom, Sonia Braga, Ralph Ineson, Bill Nighy, Charles Dance, Maria Caballero
Kurz nach Adams Ankunft an der Azhar-Universität in Kairo stirbt der Großiman. Die Universität ist das Epizentrum der Macht in der islamischen Welt; der Großiman das Oberhaupt der Universität. In ihr und durch ihn wird die für Muslime entscheidende Auslegung des Korans formuliert. Für den sunnitischen Islam ist er die oberste Autorität. Wie der Papst für Katholiken die oberste Autorität ist. Bei neuen Gesetzen berücksichtigt die äyptische Regierung seine Empfehlungen. Entsprechend wichtig ist das Amt des Großimans.
Während der mit harten Bandagen, Mord und Intrigen geführte Kampf um die Nachfolge tobt, gerät Adam, Sohn eines einfachen Fischer, der ein Stipendium für die Universität erhalten hat, in der Universität zwischen die Fronten der verschiedenen Gruppen, die eines ihrer Mitglieder zum Nachfolger ernennen wollen. Gleichzeitig versucht der zwiespältige Regierungsbeamte Ibrahim ihn anzuwerben. Ibrahim hofft so, einen tieferen Einblick in die verschlossene Welt der Universität zu erhalten und über Adam das Geschehen in der Universtität beeinflussen zu können.
Nach dem 08/15-Thriller „The Contractor“ kehrt Tarik Saleh, ein gebürtiger Schwede mit einem ägyptischen Vater, nach Ägypten zurück. Dort spielte sein überaus gelungener Politthriller „Die Nile Hilton Affäre“, der gelungen an die Erzählmustern westlicher Polit-Thriller, mit einer mehr als ordentlichen Portion französischer 70er-Jahre Polit- und Paranoia-Thriller anknüpft.
Seit den Dreharbeiten für diesen Thriller darf er nicht mehr nach Ägypten einreisen. Deshalb drehte er „Die Kairo-Verschwörung“ in der Türkei. Die in Istanbul stehende Süleymanye-Moschee wurde im Film zur Azhar-Universität.
Wie „Die Nile Hilton Affäre“ ist „Die Kairo-Verschwörung“ ein Polit-Thriller. Aber dieses Mal interessiert sich Tarik Saleh nicht sonderlich für den Thrill. Dafür sind die Machtkämpfe zu bräsig erzählt. Sein neuester Film ist eher ein Drama und eine Coming-of-Age-Geschichte, das sich den etablierten Erzählmustern des Verschwörungsthrillers bedient. Und es ist ein intensiver Blick in das Innenleben und die Strukturen einer von der Außenwelt abgeschotteten Welt.
Die Kairo-Verschwörung (Boy from Heaven, Schweden/Frankreich/Finnland 2022)
Regie: Tarik Saleh
Drehbuch: Tarik Saleh
mit Tawfeek Barhom, Fares Fares, Mohammad Bakri, Makram J. Khoury, Sherwan Haji, Mehdi Dehbi
1982: Eyad wächst in einem arabischen Dorf in Israel auf. Seine Familie ist lebhaft. Niemand hat viel, aber insgesamt Ist das Klima in der Gemeinde gut. Wenn nicht die Israelis wären, die einen ständig unterdrückten.
Sechs Jahre später erhält der intelligente Junge als bislang erster Palästinenser ein Stipendium an einem jüdischen Elite-Internat in Jerusalem. Er nimmt, begleitet von den besten Wünschen und der Unterstützung seiner Eltern, das Stipendium an und taucht, ganz auf sich allein gestellt, in das ihm fremde universitäre und jüdische Leben in der Großstadt ein. Er verliebt sich in seine Klassenkameradin Naomi. Ihre jüdischen Eltern dürfen nichts von ihrer Beziehung erfahren. Und er kümmert sich, im Rahmen des Sozialprojekts der Schule, um den gleichaltrigen jüdischen Yonatan, der an einer unheilbaren Muskellähmung erkrankt ist. Nach anfänglichen Problemen befreunden sie sich. Eyad wird praktisch zu einem Teil der Familie.
Drei Jahre später steht er vor einer schwierigen Entscheidung zwischen seinen muslimischen Wurzeln und einer Zukunft in Israel.
Eran Riklis‘ neuer Film „Mein Herz tanzt“ beginnt wie eine schrullige Komödie aus dem israelisch-palästinensischem Grenzland mit all ihren Absurditäten und wird zunehmend ernster. Das könnte funktionieren, wenn Riklis darauf vorbereiten würde, die Geschichte nicht zunehmend zwischen ihren Plots zerflettern würde (was man wohlwollend als ein tanzen zwischen Kulturen und Ansprüchen interpretieren könnte) und das Ende nicht so absurd wäre. Es ist „überraschend“ (was ja jeder Schreibratgeber fordert) im negativen Sinn. Nichts bereitet einen während des Films darauf vor. Es ist aus der Luft gegriffen, eigentlich gegen den Charakter von Eyad und man fragt sich, ob Riklis das wirklich als eine Antwort auf die Identitätskonflikte junger Menschen geben möchte.
Diese Uneinheitlichkeit im Erzählton und auch der Erzählhaltung führt dazu, dass man glaubt, drei verschiedene Filme zu sehen und die Dramaturgie zunehmend episodisch wird. Die Geschichte zerfasert, was durch die Zeitsprünge (Juni 1988, November 1990 und April 1991) noch verstärkt wird und es wird immer unklarer, an welchem Punkt Riklis die Filmgeschichte beenden will. Wenn es in der Liebesgeschichte eine entscheidende Wendung gibt? Wenn sein Freund stirbt? Wenn er sein Studium abschließt und ein neues Kapitel seines Lebens aufschlägt? Oder wenn er sein Studium abbricht, um, wie sein Vater, Terrorist zu werden? Nun, ein Terrorist wird Eyad nicht.
Diese während des Films verstärkende Unklarheit über das angepeilte Ende (also das Ziel der Reise) führt auch dazu, dass man das Interesse an der Filmgeschichte verliert.
Ein sprachgewaltiger Autor – „Mein Herz tanz“ basiert auf einem halb-autobiographischem Roman – kann mit seiner Sprache über diese episodenhafte Struktur hinwegtäuschen. In einem Film, der einer anderen Dramaturgie gehorcht, ist das allerdings zu wenig.
Das ist schade, weil „Mein Herz tanzt“, nach dem fast schon burlesken ersten Teil, feinfühlig von den Ängsten, Nöten und Hoffnungen eines Studenten in einer fremden Stadt und einer ihm feindlich gesonnenen Gesellschaft, in der er versucht seinen Weg zwischen den Kulturen zu finden, erzählt.