Neu im Kino/Filmkritik: Es marvelt wieder mit „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“

September 2, 2021

Bei Marvel gab es wohl einen mehr als erleichterten Stoßseufzer, als sie vor der Schließung der Kinos wegen der Coronavirus-Pandemie ihre vierte Phase des Marvel Cinematic Universe noch nicht gestartet und die dritte Phase des MCU bereits erfolgreich abgeschlossen hatten. „Spider-Man: Far From Home“ war im April 2019 ein kleiner Nachschlag zu „Avengers: Endgame“ und dem Abschluss der großen, viele Filme umspannenden Erzählung. Dann gab es noch den „Black Widow“-Film, der in der Vergangenheit von Natasha Romanoff und damit vor den Ereignissen von „Avengers: Endgame“ spielt.

Die Zeit bis zum nächsten Kinofilm und dem richtigen Start der vierten Phase vertrieb man sich mit verschiedenen hochgelobten Streamingserien bei Disney+.

Und jetzt ist er da: der Start der neuen Großerzählung, die uns wieder in unbekannte Welten führen wird, in denen wir bekannte und unbekannte Superhelden treffen werden. Sie beginnt mit der Vorstellung einer Figur, die im Dezember 1973 ihren ersten Comicauftritt hatte und die auch „Master of Kung Fu“ genannt wird. „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ heißt der Film. Shang-Chi wird von Simu Liu gespielt und er ist der erste asiatische MCU-Superheld. Auch die übrige Besetzung hat einen asiatischen Background.

Der Film beginnt mit einer kurzen Erklärung, was die titelgebenden Zehn Ringe sind und er erzählt, wie Shang-Chis Vater Xu Wenwu (Tony Leung) 1996 seine Mutter Li kennenlernte. Dann springt der Film in die Gegenwart . Shang-Chi schlägt sich reichlich ambitionslos als Autoeinparker bei einem Nobelhotel durch das Leben. Mit seiner platonischen Freundin Katy (Awkwafina) blödelt er herum und er ist absolut zufrieden mit seinem Leben. Als sie während einer Busfahrt von einer Horde Schläger überfallen werden – sie haben es auf Shang-Chis Amulett abgesehen – vermöbelt der Schluffi Shang-Chi sie, während der Bus ungestört weiterfährt. Der Fahrer hört Musik und bekommt deshalb von der Schlägerei nichts mit. Als er ausfällt, übernimmt Katy das Lenkrad.

Gut, diese Actionszene ist vollkommen unrealistisch, aber durchaus witzig und wir sind gleich mitten in der Handlung. Wir wissen, dass der Bösewicht das Amulett will, um damit Unheil zu verursachen, und dass Shang-Chis Schwester den anderen Teil des Amuletts besitzt. Auch das Training des Helden, das in anderen Filmen den gesamten Mittelteil des Films beansprucht, wird hier schnell in einer Montage abgehandelt, die uns zeigt, wie er von Geburt an trainiert wurde. Die Macher haben also viel Zeit, sich auf den Kampf um das Amulett und das Abwenden der großen Katastrophe zu konzentrieren. Außerdem ist der Bösewicht dieses Mal präsenter als in anderen Marvel-Filmen. Dort ist er oft ja kaum erinnerungswürdig. Auch sein Motiv wird früh verraten und es ist sehr nachvollziehbar. Aber aus diesem Potential wird nichts gemacht. Im Mittelteil plätschert der Film endlos vor sich hin. Das Finale ist ebenso endlos und leider auch ein vollkommen spannungsfreier Pixelrausch. Doch dazu später mehr.

Bleiben wir noch einem Moment, ohne etwas von der Story zu verraten, bei der Story. Sie besteht aus einer Aneinanderreihung von Szenen, die keinerlei Konsequenzen haben. Das Potential bestimmter Ideen wird auch nie ausgeschöpft. Es wirkt, als hätten die Macher einfach verschiedene Drehbücher zusammengeworfen, sie mit einigen Anspielungen auf frühere Marvel-Filme, Witzigkeiten für die vor allem Awkwafina zuständig ist, vielen, sehr vielen, also wirklich sehr vielen Spezialeffekten und Kung-Fu-Kämpfen (weil Master of Kung Fu) garniert.

Anscheinend wurde jedes Bild exzessiv am Computer bearbeitet. Alles sieht künstlich aus. Oft sind die Bilder zu dunkel und verwaschen. Dabei sind die CGI-Effekte so lieblos hingeschludert, dass sie immer – immerhin reden wir hier von einem Film mit einem sich deutlich im dreistelligem Bereich befindendem Millionenbudget – wie die Rohfassungen für eine billigeren Film aussehen.

Die Martial-Arts-Kämpfe versuchen an die aus asiatischen Filmen bekannten Kämpfe und ihre Inszenierung anzuknüpfen. Ich sage „versuchen“ und nicht „knüpfen an“ weil sie nie die Leichtigkeit und Eleganz haben, die aus asiatischen Filmen bekannt ist. Dabei zeigte Disney in „Mulan“, dass sie es besser können.

Am Ende der beiden sehr enttäuschenden Filmstunden – und das ist jetzt keine große Überraschung und auch kein Spoiler – werden Shang-Chi und seine Freundin Katy in den Kreis der Marvel-Helden aufgenommen.

Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings (Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings, USA 2021)

Regie: Destin Daniel Cretton

Drehbuch: Dave Callaham, Destin Daniel Cretton, Andrew Lanham (nach einer Geschichte von Dave Callaham und Destin Daniel Cretton, basierend auf den Marvel-Comics von Steve Englehart und Jim Starlin)

mit Simu Liu, Tony Leung, Awkwafina, Fala Chen, Meng’er Zhang, Florian Munteanu, Ronny Chieng, Michelle Yeoh, Benedict Wong, Ben Kingsley, Tim Roth

Länge: 133 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“

Metacritic über „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“

Rotten Tomatoesüber „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“

Wikipedia über „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Destin Daniel Crettons „Schloss aus Glas“ (The Glass Castle, USA 2017)

Meine Besprechung von Destin Daniel Crettons „Just Mercy“ (Just Mercy, USA 2019)


Neu im Kino/Filmkritik: Über Wong Kar-Wais Kung-Fu-Film „The Grandmaster“ über den Bruce-Lee-Lehrer Ip Man

Juni 27, 2013

 

In China ist „The Grandmaster“ der erste Kassenhit von Wong Kar-Wai, dem Regisseur von so Perlen wie „Chungking Express“, „Fallen Angels“, „In the Mood for Love“, „2046“ und der Schwertkämpfer-Saga „Ashes of Time“. Und, auch wenn es für unser Hollywood-verwöhntes CGI-Auge nicht so aussieht, ist „The Grandmaster“ ein Blockbuster. Die Produktion dauerte drei Jahre. Für die Kung-Fu-Szenen trainierten die Schauspieler lange und echte Kung-Fu-Kämpfer berieten die Filmemacher bei den furiosen Kämpfen, in denen es immer wieder Kompromisse zwischen der Kampfkunst und den Anforderungen an einen Film gab. Denn in der Wirklichkeit wären einige Kämpfe, nach einem Schlag, einfach zu schnell vorbei. Der beeindruckende Kung-Fu-Kampf am Filmanfang wurde in dreißig (!) aufeinanderfolgenden Nächten im Regen, im Matsch, im Oktober und November gedreht.

Ein oder zwei Jahre drehten wir nur Kämpfe, keine von den anderen Szenen. Ich wusste nicht mal, warum es in der Story ging. Erst in den letzten sechs Monaten der Filmaufnahmen drehte ich die Drama-Szenen“, erzählt Hauptdarsteller Tony Leung, der bereits mehrfach mit Wong Kar-Wai zusammen arbeitete. Neben dem Kampftraining beschäftigte Leung sich auch viel mit Bruce Lee, dem heute immer noch bekannten Schüler von Ip Man (1893 – 1972), dessen Leben in „The Grandmaster“ erzählt wird, wobei er in dem Film eine Mischung aus Ip Man und Bruce Lee ist und nicht alle Szenen auf wahren Ereignissen beruhen.

Der Film beginnt 1936 in der südchinesischen Stadt Foshan. Dort gibt es einen Wettbewerb zwischen Vertretern der verschiedenen Kampfschulen, den Ip Man gewinnt und er eine Beziehung zu Gong Er, der ebenfalls kampfeskundigen Tochter seines Gegners, beginnt. 1938 marschieren die Japaner in Foshan ein. Ip Man verliert seinen gesamten Besitz. Er geht nach Hongkong.

Währenddessen wird Gong Ers Vaters von seinem Meisterschüler Ma San, der mit den Japanern kollaboriert, getötet. Sie schwört Rache. Auf einem Bahnsteig kommt es vor einem abfahrendem Zug (der gefühlt mindestens einen Kilometer lang ist) zu einem Kampf zwischen den Beiden.

1952 treffen Ip Man und Gong Er sich wieder in der britischen Kronkolonie Hongkong. Sie ist inzwischen Ärztin. Er leitet eine Kung-Fu-Schule. Einer seiner Schüler ist Bruce Lee.

Wong Kar-Wai erzählt diese Geschichte in erlesenen Bildern, sich immer wieder in Nebensträngen verlierend, elliptisch und auch arg fragmentarisch. Immerhin ist Ip Man in Hongkong eine bekannte Person und auch sein Leben und die politischen Hintergründe, wie der Krieg zwischen China und Japan, sind bekannt. Bei uns ist er dagegen, wie die damaligen politischen Wirren, ziemlich unbekannt und daher fallen die Probleme in der Filmgeschichte noch mehr auf.

Davon abgesehen wirkt „The Grandmaster“ wie ein edles Stück Dekor, bei dem alles liebevoll von Meisterhand gefertigt wurde, aber letztendlich bewundert man die dunklen, oft ins bräunliche tendierenden Bilder, wie Ausstellungsstücke, nur. Nie entsteht eine emotionale Bindung. Dafür bleiben die Charaktere zu rätselhaft. Gerade in den dramatischen Szenen bleiben die Schauspieler zu sehr in sich gekehrt und so bewegungslos, dass man glaubt, eine Fotografie zu betrachten. Entsprechend blass und behauptet bleibt die Liebesgeschichte zwischen Ip Man und Gong Er, die eine Erfindung der Filmemacher ist. Auch der soziale Abstieg von Ip Man von einem wohlhabenden chinesischen Landbesitzersohn, der als Vierzigjähriger alles, auch seine Familie, verliert und in Hongkong vollkommen verarmt als Bettler ankommt, ist eher behauptet. Denn Ip Man erträgt diesen Abstieg stoisch ohne eine Miene zu verziehen. Und weil er sich auch in seiner Heimatstadt Foshan meistens in einem kargen Trainingsraum oder im „Gold Pavillon“, einem Freudenhaus, in dem das gesellschaftliche Leben und die Kämpfe stattfinden, aufhält, fällt nicht auf, dass er plötzlich auf seinen Besitz verzichten muss.

Die Kamera verstärkt diese Distanz weiter. Denn Zeitlupe und Zeitraffer sind die bestimmenden Stilmittel, die gefühlt während des gesamten Films angewandt werden und so ihre eigentliche Wirkung verfehlen. Denn anstatt stärker in den Film involviert zu werden, fühlt man sich außen vor.

Die Kämpfe sind zwar einerseits spektakulär, weil man schon mehr ahnt als sieht, dass hier wirkliche Könner am Werk sind. Aber andererseits auch enttäuschend, weil sie eben so zerschnipselt sind, dass man ihnen kaum folgen kann und am Ende, nach den vielen Gesprächen über die verschiedenen Kampfstile, die ungefähr so interessant wie eine „Raumschiff Enterprise“-Fan-Diskussion sind, hat man den Eindruck, dass Kung Fu der Kampf ist, in dem Menschen in Zeitlupe rückwärts durch Fensterscheiben fliegen.

So ist „The Grandmaster“ letztendlich eine artifizielle und auch museale Liebeserklärung an den Kung-Fu-Film und das Kino der dreißiger Jahre, als die Kamera unbeweglicher war und seltener geschnitten wurde. Beim Sehen hat man immer das Gefühl, durch einen erlesenen Fotobildband zu blättern. Und als Bildband oder auch Comic würde „The Grandmaster“ mir sicher besser gefallen.

The Grandmaster - Plakat

The Grandmaster (Yi Dai Zong Shi, Hongkong/China 2013)

Regie: Wong Kar-Wai

Drehbuch: Zou Jing-Zhi, Xu Hao-Feng, Wong Kar-Wai

mit Tony Leung, Zhang Zi-Yi, Chang Chen, Song Hye-Kyo, Wang Qing-Xiang, Zhao Beh-Shan, Zhang Jin, Shang Tie-Long

Länge: 123 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „The Grandmaster“

Metacritic über „The Grandmaster“

Rotten Tomatoes über „The Grandmaster“

Wikipedia über „The Grandmaster“ (deutsch, englisch)

Berlinale: „The Grandmaster“-Pressekonferenz

Wong-Kar-Wai-Fanseite