Uh, das ist jetzt für eine Besprechung, die nicht zu viel verrät und die auch nicht vollkommen in die Irre führt, ein schwieriger Film. Der Trailer verrät kaum etwas, die Synopse und der Hinweis auf den wahren Fall Overby führen eher in die Irre. Ja, es geht auch um Dagmar Overby. Die in Kopenhagen lebende Frau tötete zwischen 1916 und 1920 nach eigenen Angaben sechzehn uneheliche Babys und Kleinkindern. Es wird angenommen, dass sie mindestens 25 Kinder ermordete. Ihr Leben und ihre Taten könnten die Grundlage für ein spannendes Drama sein.
Aber diese Geschichte erzählt Magnus von Horn in seinem Film nicht. „Das Mädchen mit der Nadel“ ist nur lose vom Fall Overby inspiriert.
Im Zentrum der nach dem Ersten Weltkrieg spielenden Geschichte steht Karoline. Sie ist eine junge Frau, deren Mann in den Krieg zog und der seitdem spurlos verschwunden ist. Weil die Regierung sich weigert, seinen Tod anzuerkennen, ist Karoline keine Kriegswitwe, sondern nur eine in bitterster Armut lebende Frau, die in einer Fabrik als Näherin schuften muss. Dort lernt sie den Sohn des Frabrikbesitzers kennen. Sie verlieben sich, aber die Verhältnisse sind nicht so, dass seine Eltern Dagmar akzeptieren.
Als sie von ihm geschwängert wird, überlegt sie verzweifelt, was sie tun kann. Da bietet ihr eine fremde, vertrauenswürdig auftretende Frau an, ihr Baby an eine Familie zu vermitteln. Dagmar sagt, sie habe das schon öfter getan.
Die Geschichte bewegt sich zwischen Kitsch, Märchen und Kolportage. Aber dank der an expressionistische Stummfilme und die Filme von Aki Kaurismäki erinnernden Inszenierung auf hohem Niveau. Außerdem handelt es sich um ein düsteres Märchen.
In der zweiten Hälfte, wenn Karoline Dagmar begegnet, verliert der Film dann seinen klaren erzählerischen Fokus auf Karolines Beziehung zu ihrem Geliebten und ihrem Mann. Plötzlich steht die Beziehung zwischen den beiden Frauen im Mittelpunkt. Dass Dagmar eine Mörderin ist, ist in dem Moment noch unklar. Erst am Ende wird das Ausmaß von Dagmars Taten enthüllt.
Wahrscheinlich hätte mir der Film besser gefallen, wenn ich nicht, den Brotkrumen der Werbung folgend, ein Arthaus-Drama über eine Serienmörderin, sondern ein sozialkritisches Drama mit Kaurismäki-Touch (aber ohne seinen lakonischen Humor) über eine junge, vom Schicksal gebeutelte Frau erwartet hätte.
Seine Premiere hatte der SW-Film „Das Mädchen mit der Nadel“ 2024 in Cannes im Wettbewerb. Im Moment steht der Film auf der Oscar-Shortlist für den besten internationalen Film.

Das Mädchen mit der Nadel (Pigen med nålen, Dänemark/Polen 2024)
Regie: Magnus von Horn
Drehbuch: Magnus von Horn, Line Langebek Knudsen
mit Vic Carmen Sonne, Trine Dyrholm, Besir Zeciri, Tessa Hoder, Ava Knox Martin, Joachim Fjelstrup, Ari Alexander
Länge: 123 Minuten
FSK: ab 16 Jahre
Internationaler Titel: The Girl with the Needle
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Hinweise
Moviepilot über „Das Mädchen mit der Nadel“
Metacritic über „Das Mädchen mit der Nadel“
Rotten Tomatoes über „Das Mädchen mit der Nadel“
Wikipedia über „Das Mädchen mit der Nadel“ (deutsch, englisch)
Veröffentlicht von AxelB 



