Neu im Kino/Filmkritik: Über Yorgos Lanthimos‘ „Bugonia“

Oktober 30, 2025

Die Außerirdischen sind bereits unter uns. Michelle Fuller (Emma Stone), die befehlsgewohnte, körperlich sehr fitte und skrupellose Geschäftsführerin eines Pharmakonzerns, ist eine von ihnen. Und das werden Teddy Gatz (Jesse Plemons) und sein williger, etwas tumber Helfer Don (Aidan Delbis, Debüt) der Welt beweisen. Wobei Teddy auch keine Geistesgröße ist. Die Cousins entsprechen ziemlich genau dem Bild des von sich und seiner Meinung hemmungslos überzeugten, am Existenzminimum herumkrebsenden Quartalsirren, der eine Universität nur aus einer TV-Sendung kennt. Sein Wissen hat er sich aus der vertrauenswürdigen Quelle „Internet“ angeeignet.

Das ist der schwarzhumorige Auftakt von Yorgos Lanthimos‘ neuem Film. In seinen vorherigen Filmen war immer mit dem Unvermittelten und absurden Wendungen zu rechnen. In „The Lobster“, zum Beispiel, verwandeln sich Singles, wenn sie innerhalb von 45 Tagen keinen Partner finden, in ein von ihnen gewünschtes Tier. Da könnte es in seinem neuen Film „Bugonia“ natürlich auch Außerirdische, die unter uns Leben, geben.

Aber wie soll Teddy von der Invasion erfahren haben? Warum befindet sich die Technik der Außerirdischen in betont normalen Gegenständen, wie einem Frostschutzmittel? Die Idee, dass die Außerirdischen über ihre Haare kommunizieren, ist da nur das I-Tüfpfelchen. Immerhin erfahren wir so, wie Emma Stone mit schlecht geschnittener echter (!) Glatze aussieht. Wenn sie am Filmende mit einem verstauchten Knöchel auf High Highls und um Haltung bemüht durch die Flure ihrer Firma stakst, sind ihr die Lacher sicher.

Davor entfaltet sich die Gesichte als rücksichtslos geführtes verbales und auch physisches Duell im Keller von Teddys heruntergekommenem Elternhaus. Aufgenommen wurden diese Szenen, wie der gesamte Film, in VistaVision (wie jüngst Paul Thomas Andersons „One Battle after another“) und bedingt durch die unhandliche Kamera in langen Szenen. Das verleiht dem Film, zusätzlich zu der Situation im Keller, in der Michelle meistens an einen Stuhl gefesselt ist, etwas statisches.

In dem Verhör prallen dann die unterschiedlichen Ansichten und Ziele unerbittlich aufeinander. Während Teddy absolut von seiner Alien-Invasions-Theorie überzeugt ist, kann Michelle bei Don Zweifel säen. Sie versucht, ihre beiden Entführer gegeneinander auszuspielen und zu flüchten. Trotzdem handelt es nur um Variationen des immergleichen, sich im Kreis drehenden Gesprächs.

Aber dafür entschädigen die Sets, die Schauspieler und der dritte Akt, wenn Michelle, nachdem sie zugegeben (gelogen?) hat, eine Außerirdische zu sein, mit Teddy zum Firmensitz fährt.

Insgesamt ist „Bugonia“, nach seinen größeren, schwerer zugänglichen Filmen „Kinds of Kindness“, „Poor Things“ und „The Favourite“, ein kleiner Film. Die schwarzhumorige, erkennbar in der Gegenwart spielende und gegenwärtige Probleme thematisierende Science-Fiction-Groteskte ist ein weitgehend in einem Keller spielendes Drei-Personenstück mit durchaus vertrauter Alien-Invasions-Thematik. Nur dass dieses Mal die Außerirdischen wie Menschen aussehen und mit ihren Haaren kommunizieren.

P. S. 1: Der Filmtitel spielt auf die in der Antike und im Mittelalter verbreitete Vorstellung an, dass Bienen und andere Insekten im verwesenden Körper eines toten Stieres geboren werden.

Es wurde also aus einer Beobachtung ein vollkommen falscher Schluss gezogen.

P. S. 2: „Bugonia“ ist das Remake der anscheinend ziemlich durchgeknallten und brutalen südkoreanischen Science-Fiction-Satire „Save the Green Planet“ (Jigureul Jikyeora!, Südkorea 2003, Regie: Jang Joon-hwan). In Deutschland erschien der Film 2005 auf DVD. Anscheinend ist – und ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal schreiben werde – Lanthimos‘ freies Remake die vernünftigere und für ein breiteres Publikum zugänglichere Version der Geschichte.

Bugonia (Bugonia, USA 2025)

Regie: Yorgos Lanthimos

Drehbuch: Will Tracy (nach dem Drehbuch „Save the green Planet“ von Jang Joon-hwan)

mit Emma Stone, Jesse Plemons, Aidan Delbis, Alicia Silverstone, Stavros Halkias

Länge: 119 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Bugonia“

Metacritic über „Bugonia“

Rotten Tomatoes über „Bugonia“

Wikipedia über „Bugonia“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Yorgos Lanthimos‘ „The Killing of a sacred Deer (The Killing of a sacred Deer, Großbritannien/Irland 2017)

Meine Besprechung von Yorgos Lanthimos‘ „The Favourite – Intrigen und Irrsinn“ (The Favourite, USA 2018)

Meine Besprechung von Yorgos Lanthimos‘ „Poor Things“ (Poor Things, USA 2023)

Meine Besprechung von Yorgos Lanthimos‘ „Kinds of Kindness“ (Kinds of Kindness, USA 2024)


TV-Tipp für den 26. Juli: The Menu

Juli 25, 2025

RTL, 22.50

The Menu (The Menu, USA 2022)

Regie: Mark Mylod

Drehbuch: Seth Reiss, Will Tracy

Der exzentrische Starkoch Slowik lädt auf eine abgelegene Insel zu einem Essen ein, das die von ihm ausgewählten Gäste niemals vergessen werden. Falls sie es überleben.

TV-Premiere. Surrealistische Satire, zusammengestellt aus exquisiten Zutaten, aber letztendlich etwas enttäuschend.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Ralph Fiennes, Anya Taylor-Joy, Nicholas Hoult, Hong Chau, Janet McTeer, Reed Birney, Judith Light, Paul Adelstein, Aimee Carrero, Arturo Castro, Rob Yang, Mark St. Cyr, John Leguizamo

Wiederholung: Sonntag, 27. Juli, 02.30 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Moviepilot über „The Menu“

Metacritic über „The Menu“

Rotten Tomatoes über „The Menu“

Wikipedia über „The Menu“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Mark Mylods „The Menu“ (The Menu, USA 2022)


Neu im Kino/Filmkritik: „The Menu“ – es ist edel angerichtet

November 17, 2022

Die Karte sieht überaus prächtig aus. Die Zutaten und die gereichten Gerichte ebenso. Aber die Ausführung, vor allem das Finale, enttäuscht dann doch etwas.

Angerichtet wird das Menü von Sternekoch Slowik. Mit seinen Angestellten lebt er auf einer Insel. In dem auf der Insel liegendem Edelrestaurant bewirtet er nur wenige Gäste, die dafür einen auch nach Sterne-Niveau astronomisch hohen Preis zahlen.

Für diesen Abend hat Slowik sich ein besonderes Menü ausgedacht. Die an den sechs Tischen sitzenden zwölf Gäste sind sorgfältig ausgewählt. Die einzelnen Gänge des Menüs sind für jeden Gast speziell angerichtet. Sie berücksichtigen seinen Geschmack und sein Leben.

Zu den Gästen gehören ein älteres Ehepaar, das schon mehrmals Slowiks Essen genossen hat, drei unangenehm auffallende Executives einer High-Tech-Firma, ein snobistischer Schauspieler, der nach seiner Schauspielkarriere eine Reise-Food-Sendung moderiert, mit seiner an eine Kündigung denkenden Assistentin, eine aufgedonnerte Restaurantkritikerin mit ihrem Redakteur und ein junger Mann, der ein fanatischer Fan von Slowik und seinem Essen ist. Dieser Foodie, der stundenlang über Essen reden kann, sorgt schon beim Empfang für die erste Irritation im sorgfältig geplanten Ablauf. Er hat nicht seine namentlich angekündigte Freundin, sondern eine Escort-Dame mitgebracht. Für sie ist Essen keine hohe Kunst, sondern schnöde Nahrungsaufnahme. Aber wenn ihr Kunde sie mitnehmen und ihr ihr Essen bezahlen will, dann begleitet sie ihn.

Vor dem Essen zeigt ihnen Slowiks Assistentin die Gärten und die Schlafbaracken des Personals. Den allseits bewunderten und verehrten Slowik sehen sie zum ersten Mal im Restaurant. Dort tritt er als Küchenmeister auf, der gerne laut in die Hände klatscht und ihnen befiehlt, das Essen zu genießen. Das Fotografieren des Essens verbietet er ihnen.

Der Foodie tut es trotzdem (Hey, warum haben Slowiks Leute am Eingang nicht die Handys eingesammelt?). Slowik äußerst sein Mißfallen so nachdrücklich, dass der Essensfotograf eingeschüchtert auf weitere Bilder verzichtet.

Das ist allerdings nur der erste Gang von einem Essen, das mit jedem Gang weiter eskaliert. Der diabolische Küchenmeister hat jedes einzelne Gericht für eine bestimmten Gast komponiert hat. Er kennt die Geheimnisse seiner Gäste, wie Betrug und Ehebruch. Und er verewigt sie in seinen Gerichten.

Außerdem soll der heutige Abend ein besonderer, ein einmaliger, für alle unvergesslicher Abend werden.

Natürlich ist „The Menu“, geschrieben von Seth Reiss und Will Tracy, inszeniert von Mark Mylod, kein realistischer Film, der auch nur im entferntesten ein auch nur halbwegs reales Abendessen nacherzählt. Spätestens nachdem einem Gast ein Finger abgetrennt wird, ist das offensichtlich. „The Menu“ ist eine surrealistische Satire. Das Menü ist nur der Anlass, um etwas über die Gesellschaft zu sagen.

Trotzdem, oder gerade deswegen, fällt spätestens beim Hauptgang auf, dass bei diesem letzten Menü eine wichtige Zutat fehlt.

Denn alle Figuren bleiben leere Schablonen, über die wir kaum etwas erfahren und das, was wir erfahren, erklärt nicht, warum Slowik gerade sie für diesen Abend auserwählte. Sie sind keine Agatha-Christie-Rätselkrimi-Gesellschaft, in der jeder einen guten Grund hat, den Mord zu begehen, sondern eindimensionale Platzhalter für Gäste, die an jedem Abend in jedem Restaurant auftauchen. Natürlich ist ein fanatischer Fan nervig. Aber hat er deshalb den Tod verdient? Das gleiche gilt für einen vermögenden Gast, der nur deshalb in diesem Restaurant isst, weil er es sich leisten kann. Entsprechend rätselhaft und grotesk ist das Missverhältnis von der Bedeutungslosigkeit der Gäste und Slowiks Wunsch, sich an ihnen zu rächen.

Auch Slowik ist nur ein Platzhalter, der gut in die Hände klatschen und fies grinsen kann. Ralph Fiennes freut sich erkennbar, diesen kalten, perfektionistischen Koch zu spielen.

Am Ende ist „The Menu“ eine Übung in Stil über Substanz. Oder, kulinarisch gesagt: sieht gut aus, macht nicht satt.

The Menu (The Menu, USA 2022)

Regie: Mark Mylod

Drehbuch: Seth Reiss, Will Tracy

mit Ralph Fiennes, Anya Taylor-Joy, Nicholas Hoult, Hong Chau, Janet McTeer, Reed Birney, Judith Light, Paul Adelstein, Aimee Carrero, Arturo Castro, Rob Yang, Mark St. Cyr, John Leguizamo

Länge: 108 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „The Menu“

Metacritic über „The Menu“

Rotten Tomatoes über „The Menu“

Wikipedia über „The Menu“ (deutsch, englisch)