„Gnade“, der neueste Film von Regisseur Matthias Glasner mit Jürgen Vogel ist ein sperriger Film. Doch das überrascht bei einem Blick auf ihre früheren Filme, wie „Sexy Sadie“, „Der freie Wille“ und „This is Love“, nicht.
Eine Frau überfährt auf dem Heimweg von einer anstrengenden Schicht im Hospiz in der Dunkelheit zufällig etwas. Als ihr Mann zur Unfallstelle fährt, entdeckt er nichts. Am nächsten Tag erfahren sie, dass sie ein Mädchen überfuhr. Jetzt versuchen die beiden Eheleute mit dieser Schuld zu leben und ihr Sohn soll nichts davon erfahren. Die Nachbarn auch nicht.
Denn das Ehepaar ist erst vor kurzem nach Hammerfest gezogen. Vor allem Niels (Jürgen Vogel) will dort mit seiner Familie, seiner Frau Maria (Birgit Minichmayr) und ihrem Sohn Markus (Henry Stange), ein neues Leben beginnen. Er hofft auch, seine Ehe wieder in Ordnung zu bringen. Das hindert ihn aber nicht daran, sich, wie an den seinen früheren Arbeitsorten (zu denen er nicht von seiner Familie begleitet wurde), gleich eine Geliebte zu nehmen.
Marias Unfall mit Fahrerflucht stellt ihre kriselnde Ehe auf die Probe. Denn sie, die in ihrem Beruf von allen geliebte, hilfsbereite, einfühlsame Krankenschwester, möchte nicht als Mörderin aus dem Dorf gejagt werden. Er beginnt wieder Gefühle für sie zu entwickeln.
Ihr pubertierender Sohn zieht sich währenddessen immer weiter in die Welt der Videospiele zurück. Außerdem nimmt er seine Eltern bei ihren Gesprächen über den Unfall und ihre Schuld heimlich auf.
„Gnade“ ist kein leichter Film. Es ist sogar ein Film, der zu einem Verriss einlädt. So sind die Dialoge oft sehr spröde und wenn sich Niels und Maria am Küchentisch unterhalten, sind sie unerträglich gekünstelt. Es gibt zu viele Subplots, die im Nichts enden. Das Ende ist eher seltsam als befriedigend. Vor allem aus psychologischer Sicht. Die von Glasner und seinem Autor Kim Fupz Aakeson (u. a. „Kleiner Soldat“, „Ein Mann von Welt“, „Eine Familie“, „Perfect Sense“) verfochtene Moral ist nicht besonders einleuchtend. Und mit über zwei Stunden ist der Film arg lang geraten.
Aber trotzdem hat mir „Gnade“ gefallen. Da sind einmal die Bilder von Hammerfest, einer Gegend, in der ich keine fünf Minuten bleiben möchte, die aber auf der großen Leinwand atemberaubend sind. Dann ist da die Wucht der Inszenierung, die Schauspieler und die konsequente Behandlung seines Themas: der Frage nach Schuld und Sühne, nach Vergebung und Gnade. Denn die Charaktere verhalten sich immer wieder, ohne Erklärung, konträr zu ihrem Charakter und ihrem vorherigen Verhalten. So verlässt die Geliebte Niels freiwillig und erpresst ihn nicht mit ihrem Wissen über die Fahrerflucht. Der Sohn, der sich im Lauf des Films fast zum idealtypischen Psychopathen entwickelt, benutzt die Videoaufnahmen nicht gegen seine Eltern, Niels kehrt, nach dem tödlichen Unfall, wieder zu seiner Frau zurück und als Niels und Maria den Eltern des toten Mädchens die Tat beichten, sind diese zuerst ratlos, aber Monate später, während der gemeinsamen Feier der Mittsommernacht nimmt Markus sie mit seiner Kamera auf, wie sie friedlich nebeneinander feiern.
All das zeigt Matthias Glasner mit einem Blick, der eher ein düsteres Ende erwarten lässt. Aber bei „Gnade“ geht es immer wieder um Vergebung und nie um Rache, allerdings ohne jeglichen süßlichen Schmelz oder religiöse Überhöhung, den wir aus anderen Filmen kennen.
Plakativ ist „Gnade“ nur in seinen Landschaftsaufnahmen. Der Rest ist, wie Michael Hanekes „Liebe“ eine Anregung zur Diskussion mit einigen schwerverdaulichen Thesen.
Gnade (Deutschland/Norwegen 2012)
Regie: Matthias Glasner
Drehbuch: Kim Fupz Aakeson
mit Jürgen Vogel, Birgit Minichmayr,Henry Stange, Anne Dahl Torp, Maria Bock, Stig Henrik Hoff, Iren Reppen
Länge: 131 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Hinweise
Berlinale: Pressekonferenz zu „Gnade“