Jetzt hat die Lektüre doch länger gedauert als geplant. Frage nicht. Schließlich ist der Brenner zurück. Weil die Geschichte nicht in der Gegenwart, sondern in der Vergangenheit spielt, beginnt Wolf Haas‘ neuer Brenner-Roman nicht mit dem bekannt-lakonischen Eingangssatz „Jetzt ist schon wieder was passiert“, sondern, nach einem Prolog, so: „Jetzt, wo es verjährt ist, muss man wenigstens keine Angst mehr haben, dass man was Falsches sagt.“
Es beginnt mit dem Fund einer zerstückelten Leiche auf dem städtische Müllplatz, der in Wien inzwischen ein Recyclinghof mit einem ausdifferenziertem System von Sammelwannen ist. Bis die Polizei auftaucht, haben die Müllmänner die einzelnen Leichenteile aus den verschiedenen Wannen herausgesucht und fein säuberlich zusammengelegt. Es ist alles vorhanden, bis auf das Herz des Verstorbenen. Das wird später bei seiner Geliebten Roswitha im Tiefkühlschrank gefunden. Ein Einbrecher hat es dorthin gelegt. In dem Moment ist der Brenner schon knietief in den Fall, in dem es um illegalen Organhandel gehen soll, verwickelt. Einerseits weil er inzwischen bei der Müllabfuhr arbeitet (Frage nicht. Der Wolf Haas erklärt auch nicht genauer, wie Brenner zu dem besten Job, den er jemals hatte, gekommen ist), andererseits weil Brenner früher Polizist und dann Privatdetektiv war. Kopf und Savic, die Ermittler in diesem Fall, kennt er noch von früher.
Und jetzt ist ein kleiner Einschub für die Jüngeren angesagt. 1996 veröffentlichte Wolf Haas, damals noch in der rororo-Krimireihe, seinen ersten Brenner-Roman „Auferstehung der Toten“. Der Roman war wegen seiner Sprache (sie ist so markant, dass sie zur Nachahmung und Parodie einlädt) und seinem Humor ein sofortiger Erfolg. Der Fall war auch nicht schlecht. Haas schrieb weitere erfolgreiche Brenner-Romane. Bis 2003 folgten schnell hintereinander fünf weitere Romane, 2009 „Der Brenner und der Liebe Gott“, 2014 „Brennerova“ und jetzt – endlich! – „Müll“.
2000 verfilmte Wolfgang Murnberger den dritten Brenner-Roman „Komm, süßer Tod“. Josef Hader spielte Brenner. Der Film war ein Hit. Drei weitere erfolgreiche Brenner-Verfilmungen folgten. Sie übertrugen den eigentlich unverfilmbaren Stil der Brenner-Romane kongenial auf die Leinwand.
Entsprechend groß ist natürlich die Freude, dass Wolf Haas jetzt wieder einen Brenner-Roman geschrieben hat und mit 288 Seiten ist er sogar der bislang längste Brenner-Roman. Wobei 288 Seiten nach heutigem Standard nicht besonders lang sind.
Nach der Lektüre kann ich beruhigt schreiben, dass sie sich lohnt. Der Kriminalfall entwickelt sich eher bedächtig. Das liegt auch daran, dass Haas erst einmal viele Personen vorstellen muss. Sie alle sind irgendwie in den Fall (über den hier nichts verraten wird) verwickelt. Es gibt den gewohnt lakonischen Haas-Humor. Außerdem erfahren wir einiges über Brenners aktuelle, ähm, Schlafgewohnheiten, die Philosophie des Mülltrennens und des Paketzustellens und warum der Praktikant auf dem Müllplatz Praktikant heißt. Das alles macht „Müll“ zu einem gelungenem weiteren Brenner-Roman.
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Wolf Haas: Müll
Hoffmann und Campe, 2022
288 Seiten
24 Euro
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Hinweise
Lexikon der deutschen Krimiautoren über Wolf Haas
Meine Besprechung von Wolf Haas’ “Brenner und der liebe Gott” (2009)
Meine Besprechung von Wolf Haas‘ „Brennerova“ (2014)
Meine Besprechung von Wolfgang Murnberges Wolf-Haas-Verfilmung „Das ewige Leben“ (Österreich 2015)
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[…] dass Wolf Haas‘ „Müll“ (der neue Brenner) und David Heska Wanbli Weidens „Winter Counts“ schon wieder aus der Liste […]
Jetzt ist wieder was passiert und ich habe es nicht mitgekriegt. Unfassbar, ein neuer Brennerroman ist an mir vorbeigegangen. Mich freut, dass du ihn als lesenswert bewertest, denn nach den letzten (Nicht-Brenner-)Romanen hatte ich Wolf Haas als (für mich) interessanten Autor schon abgehakt.
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