Am Samstag ist es in München wieder so weit. Dann beginnt dort, wenn man den Verlautbarungen bayerischer Politiker und den gut informierten Boulevardzeitungen glauben darf, das größte, schönste, beste Fest der Welt. Das Oktoberfest. Die letzten zwei Jahre fiel es wegen der Coronavirus-Pandemie aus. Dieses Jahr soll wieder wie früher gefeiert werden.
Alle, die dann nicht in München sind, können sich im Bayerischen Rundfunk Übertragungen aus dem Festzelt oder im Wiesn.TV das bierselige Gewusel vor Live-Cams ansehen. Das sind schon ziemlich gruselige Bilder.
Aber diese Bilder sind harmlos gegenüber den Bildern, die Frank Schmolke für seinen während des Oktoberfests spielendem Comic „Nachts im Paradies“ zeichnete. Er erschien 2019, wurde von der Presse gelobt und erhielt 2019 den Rudolph Dirks Award.
Schmolke fuhr selbst gut dreißig Jahre Taxi. Zunächst mehr, später weniger, aber immer nachts. Sein Geld verdient er inzwischen als Comiczeichner und freiberuflicher Illustrator. Die Erlebnisse, die er während seiner Arbeit als Taxifahrer hatte, inspirierten ihn dann zu „Nachts im Paradies“. Der entscheidende Anstoss für den gut 360-seitigen Comic waren vor allem die zwei Wochen, die er 2014 beim Oktoberfest fuhr um eine Auftragsflaute zu überbrücken.
Er erzählt angemessen hektisch, lakonisch und mit trockenem Humor einige Tage aus dem Leben von Vincent. Während des Oktoberfestes fährt der Taxifahrer die Besoffenen nach Hause. Einmal schleppt er eine leicht bekleidete Betrunkene in ihre Wohnung. Eine andere kotzt ihm ins Taxi und ihr Freund verpasst ihm ein blaues Auge. Für eine Nacht erhält er von Igor einen lukrativen Auftrag: er soll eine seiner Prostituierten zu einem Kunden fahren, warten und sie später wieder zurückfahren. Der Auftrag entwickelt sich anders, als geplant.
Außerdem besucht Vincents sechzehnjährige Tochter ihn. Auch sie stürzt sich in das Nachtleben.
Und irgendwann zwischen besoffenen Fahrgästen und Schlägereien, fragt Vincent sich, ob er nach dreißig Jahren als Taxifahrer nicht endlich etwas anderes tun soll.
Spätestens nach der Lektüre von „Nachts im Paradies“ hat man keine Lust mehr auf das Oktoberfest genannte Massenbesäufnis mit seinen Bierzombies. Aber viel Lust auf das nächste Werk von Frank Schmolke. Zum Beispiel seine grandiose letztes Jahr erschienene Sebastian-Fitzek-Adaption „Der Augensammler“.
Frank Schmolke: Nachts im Paradies
Edition Moderne, 2019
360 Seiten
29,80 Euro
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Hinweise
Perlentaucher über „Nachts im Paradies“
Meine Besprechung von Frank Schmolkes Sebastian-Fitzek-Adaption „Der Augensammler“ (2021)