Im August 1955 verlässt der vierzehnjährige Emmett Till Chicago. Er fährt zu Verwandten nach Money, Mississippi. Vor der Abfahrt schärft Emmetts Mutter, die 33-jährige Mamie Till Mobley, ihrem Sohn noch ein, wie er sich zu verhalten habe. Kurz gesagt: die Augen auf den Boden richten und Weißen immer Recht geben. Vor allem wenn sie im Unrecht sind oder ihn beleidigen. Das geht schief, als er in einem kleinen Lebensmittelgeschäft mit der Verkäuferin Carolyn Bryant etwas flirtet. Sie behauptet später, er habe sie sexuell belästigt.
Wenige Stunden später ist Emmett tot. Gelyncht.
Seine Mutter beginnt für Gerechtigkeit zu kämpfen und sie geht an die Öffentlichkeit. Ein Fotograf vom Jet Magazin darf seine Leiche fotografieren. Eines seiner Fotos kommt auf die Titelseite. Die Bilder von seinem Gesicht schockierten die Öffentlichkeit. Bei der Trauerfeier in Chicago ist sein Sarg offen. Jeder kann und soll sehen, wie er vor seinem Tod bis zur Unkenntlichkeit brutal zusammengeschlagen wurde. Über Fünfzigtausend kommen und sind schockiert.
Das waren die ersten Schritte in Mamie Till Mobleys Kampf um Gerechtigkeit. Eine Gerichtsverhandlung und jahrzehntelange Arbeit als Bürgerrechts-Aktivistin folgen. Mamie Till Mobley stirbt am 6. Januar 2003.
„Till – Kampf um die Wahrheit“ endet mit einem ihrer ersten Auftritte als Bürgerrechtskämpferin.
Emmetts Mörder wurden – wir befinden uns hier im Feld historischer Tatsachen und, auch wer sie nicht kennt, dürfte darüber nicht verwundert sein – freigesprochen. Sie wurden für ihre Taten niemals verurteilt.
Jahrzehnte nach dem Lynchmord sagte Carolyn Bryant in einem Interview, dass Emmett Till sie nicht belästigt habe. Das sei eine Lüge gewesen.
Das ist eine wichtige Geschichte, die es in jeder denkbaren Beziehung verdient erzählt zu werden. Und natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, dies in einer Art und Weise zu tun, die ein großes Publikum erreichen kann. Das wollen die Macherinnen – unter anderem die Regisseurin Chinonye Chukwu, die Drehbuchautoren Michael Reilly und Keith Beauchamp, dem Regisseur der 2005 die Doku „The untold Story of Emmett Louis Till“, und die Produzentinnen Whoopi Goldberg (die auch eine kleine Rolle übernommen hat) und Barbara Broccoli. Sie produziert normalerweise die James-Bond-Filme. Trotzdem war die Finanzierung schwierig und das Budget für den Film überschaubar.
Der jetzt entstandene Film wirkt, auch weil das Drama fast ausschließlich in Studiokulissen gedreht wurde und alles überaus hell ausgeleuchtet ist, wie ein in den Fünfzigern entstandener Douglas-Sirk-Film.
Insgesamt ist „Till“ ein honoriges Drama, das sich an die historisch verbürgten Tatsachen hält. Es soll an zwei wichtige Figuren des Civil Right Movements, nämlich Emmett Till und Mamie Till-Mobley, und die Anfänge dieser wichtigen Bewegung erinnern. Es ist eine aufbauend inszenierte Geschichtsstunde.
Gleichzeitig sollen Gegner des Anliegens überzeugt werde. Es wird alles in ein harmonisches Fünfziger-Jahre-Licht getaucht, das an eine vergangene, längst abgeschlossene Zeit erinnert. Es gibt keine offensichtlich verstörenden Bilder; – wobei die Gerichtsverhandlung gegen Emmetts Mörder durchaus verstörend ist. Die Geschworenen sind weiße Männer. Die Weißen feiern ein Picknick, während die Schwarzen auf Bänken zusammengequetscht werden. Auch Mamie Till-Mobley wird ausgesprochen herablassend behandelt und es wird angezweifelt, ob der unkenntliche Tote überhaupt ihr Sohn ist. In den Minuten werden auch die Strukturen erkennbar, die den Mord an Emmett ermöglichten. Doch meistens erscheint der Mord und der Rassismus der Täter als eine individuelle Tat.
Gerade dies und die überaus zurückhaltende Inszenierung führen dazu, dass das Drama deutlich weniger empört, als es empören sollte. Angesichts der aktuellen Lage in den USA ist das ein nachvollziehbarer erzählerischer Ansatz. Angesichts des enttäuschenden US-Einspielergebnisses von „Till“ ging diese Rechnung nicht auf. Wobei, auch erwähnt werden muss, dass mehrere zeitgleich mit „Till“ in den US-Kinos gestartete anspruchsvolle Filme, wie „She said“, „Tár“ und „Triangle of Sadness“, ebenfalls enttäuschende Einspielergebnisse hatten.
Till – Kampf um die Wahrheit (Till, USA 2022)
Regie: Chinonye Chukwu
Drehbuch: Michael Reilly, Keith Beauchamp, Chinonye Chukwu
mit Danielle Deadwyler, Jalyn Hall, John Douglas Thompson, Sean Patrick Thomas, Frankie Faison, Kevin Carroll, Tosin Cole, Whoopi Goldberg
Länge: 132 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Hinweise
Wikipedia über „Till“ (deutsch, englisch), Emmett Till (deutsch, englisch) und Mamie Till-Mobley
History vs. Hollywood prüft den Wahrheitsgehalt der Verfilmung