(Wieder) Neu im Kino/Filmkritik: Über David Lynchs „Twin Peaks – Fire walk with me“

September 3, 2023

Wenn am kommenden Dienstag, den 5. September, im Rahmen der uneingeschränkt lobenswerten monatlichen „Best of Cinema“-Reihe, die Filmklassiker zurück in die Kinos bringt, David Lynchs „Twin Peaks – Fire walk with me“ wieder für mindestens einen Tag (kann ja sein, dass einige Kinos den Film länger zeigen) in die Kinos kommt, werden ältere Semester sich an den weltweiten Hype um „Twin Peaks“ erinnern. David Lynch war damals mit „Blue Velvet“ und „Wild at Heart – Die Geschicht von Sailor und Lula“ everbody’s darling. Aber anstatt seinen nächsten Kinofilm zu drehen, machte er Fernsehen – und revolutionierte es. Er und Autor Mark Frost erfanden einen Kosmos bizarrer Ereignisse und Figuren, in denen Realität und Traum sich konstant vermischen und es mehr Merkwürdigkeiten und Rätsel als Erklärungen und Lösungen gab. Zusammengehalten wird diese Welt zunächst, obwohl Frost und Lynch kein besonderes Interesse an der Antwort hatten, von der Frage, wer Laura Palmer ermordete.

Als die Frage auf Wunsch der Produzenten mitten in der zweiten Staffel eindeutig beantwortet wurde, erlosch auch das Zuschauerinteresse an der TV-Serie. Nach zwei Staffeln wurde sie eingestellt. 2017 folgte eine dritte Staffel. Dieses Mal schrieben Frost und Lynch alle Drehbücher und Lynch inszenierte alle Folgen. Sie hatte nicht den popkulturellen Einfluss der ersten beiden Staffeln, die in den USA 1990 und 1991 gezeigt wurden. In Deutschland liefen sie erstmals 1991/92.

Nachdem alle wussten, wer Laura Palmer ermordete, beantwortete David Lynch in dem danach entstandenem Spielfilm, wie es zu dem Mord an Laura Palmer kam. Er erzählt die letzte Woche im Leben der siebzehnjährigen Schülerin zwischen verschiedenen Liebschaften, Sex, Drogenkonsum und der letztendlich ihr Leben und ihre Gefühle bestimmenden Haßliebe zu ihrem Vater Leland Palmer. Er vergewaltigt sie seit längerem. Laura sieht ihn dann als Bob, eine bösen Dämon. Er ermordet sie.

Twin Peaks – Fire walk with me“ (ursprünglich „Twin Peaks – Der Film“) ist ein Prequel, das für Menschen, die die Serie nicht kennen, wahrscheinlich noch rätselhafter ist als für Menschen, die die Serie kennen. Denn Lynch setzt einfach voraus, dass die Figuren, ihre Beziehungen zueinander und die Handlungsorte bekannt sind.

Die damalige Kritik verriss den Film. Das Publikum blieb fern. Über die Jahre änderte sich der Ruf des Films. Inzwischen wird er in mehreren Bestenlisten erwähnt und als Meisterwerk gepriesen.

Trotzdem ist „Twin Peaks – Fire walk with me“ nur ein überflüssiger Nachklapp zur TV-Serie ist. Die Bilder sind TV-Bilder. Die oft endlos langen, sparsam geschnittenen Szenen wirken wie Überbleibsel aus der TV-Serie, die einfach neu zusammengesetzt wurden. Und wie das bei ‚geschnittenen Szenen‘ ist, sind sie vielleicht aus dem einen oder anderen Grund interessant, aber zum Verständnis der gesamten Geschichte, was in diesem Fall die TV-Serie ist, unwichtig. Außerdem bleibt eine Zusammenstellung ‚geschnittener Szenen‘ immer eine Ansammlung mehr oder weniger zusammenpassender Szenen, die als einzelne Szenen durchaus gelungen sind, aber insgesamt nicht überzeugen. So besteht „Twin Peaks -Fire walk with me“ aus einem langen Prolog, der mit Laura Palmers letzten Tagen eigentlich nichts zu tun hat, und ihren letzten Tage, die eine Ansammlung von Bildern aus der Hölle eines Teenagerlebens in einer weißen US-Kleinstadt sind. Die erste halbe Stunde spielt ein Jahr vor dem Tod von Laura Palmer. In diesem Prolog erzählt Lynch, wie zwei FBI-Agenten (Chris Isaak, Kiefer Sutherland) in der Kleinstadt Deer Meadow den Mord an der jungen Prostituierten Teresa Banks aufklären sollen. Äußerst lynchesk folgt er dabei den normalen Ermittlungsschritten einer polizeilichen Ermittlung. Der Prolog endet mit dem spurlosen Verschwinden der beiden Ermittler. Danach erklingt zum ersten Mal Angelo Badalamentis legendäre „Twin Peaks“-Melodie, Laura Palmer taucht auf und aus der Comedy wird ein düsterer Noir über eine junge Frau, die seit Jahren von ihrem Vater sexuell missbraucht wird.

Twin Peaks – Fire walk with me“ ist definitiv nicht Lynchs bester Film. Dafür ist er zu sehr und zu offensichtlich nur der Versuch, mit der Marke „Twin Peaks“ Geld zu machen.

Twin Peaks – Fire walk with me (Twin Peaks: Fire walk with me, USA 1992)

Regie: David Lynch

Drehbuch: David Lynch, Robert Engels

mit Sheryl Lee, Ray Wise, Frank Silva, Moira Kelly, James Marshall, Kyle MacLachlan, Mädchen Amick, Dana Ashbrook, David Bowie, Heather Graham, Chris Isaak, David Lynch, Jürgen Prochnow, Harry Dean Stanton, Kiefer Sutherland, Pamela Gidley, Grace Zabriskie, Miguel Ferrer, Al Strobel, Peggy Lipton

Länge: 135 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

ursprünglicher Kinotitel: Twin Peaks – Der Film

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Twin Peaks – Fire walk with me“

Metacritc über „Twin Peaks – Fire walk with me“

Rotten Tomatoes über „Twin Peaks – Fire walk with me“

Wikipedia über „Twin Peaks – Fire walk with me“ (deutsch, englisch)

Homepage von David Lynch

Meine Besprechung von David Lynchs „Der Wüstenplanet“ (Dune, USA 1984) und der gleichnamigen Vorlage von Frank Herbert

Meine Besprechung von David Lynchs „Lost Highway“ (Lost Highway, USA 1997)

Meine Besprechung von David Lynchs „Mulholland Drive – Straße der Finsternis“ (Mulholland Dr., USA/Frankreich 2001)