Neu im Kino/Filmkritik: „Eddington“ – die USA, wie Ari Aster sie sieht

November 21, 2025

Eddington ist ein Kaff in New Mexico. Im Frühjahr 2020 kandidiert Ted Garcia (Pedro Pascal) wieder als Bürgermeister. Er will in der menschenleeren Gegend ein Rechenzentrums für künstliche Intelligenz ansiedeln. Dieses Jahr hat er einen Spontan-Gegenkandidaten: den Ortssheriff Joe Cross (Joaquin Phoenix). Der Wahlkampf, der in dem 2345-Seelen-Dorf aufgezogen wird, kopiert schamlos und sinnfrei die aus Metropolen bekannten Bilder und Methoden. Gleichzeitig eskaliert er vor der damaligen Corona-Politik, die zum Tragen von Masken und dem Halten von bestimmten Abständen zwingt. Das entbehrt in einer menschenleeren Stadt nicht einer gewissen Komik. Dazu kommen Meldungen über den Tod von George Floyd und die Reaktionen darauf. Schließlich wird auch in Eddington von Jugendlichen gegen Polizeigewalt demonstriert. Und schon ist Eddington das Zentrum der Welt, in dem Paranoia und Verschwörungstheorien, vor allem Online-Verschwörungstheorien, aufeinandertreffen und sinnfrei nachgestellt werden.

Mittels vieler auf Handys gezeigter Nachrichtenschnipsel und verschwörungstheoretischer Statements eröffnet Aster einen weiteren Zugang zur großen Politik.

Eddington“ könnte der Film zur Stunde sein. Es könnte der Film sein, der die US-amerikanische Gesellschaft schonungslos seziert, ihr den satirischen Spiegel vorhält und dabei gleichermaßen nach allen Seiten austeilt.

Aster scheint dagegen, jedenfalls legen das seine Statements im Presseheft nahe, eher so in Richtung filmisches Äquivalent zum ‚großen amerikanischen Roman‘ gedacht zu haben.

Eddington“ soll soll ein Gesellschaftsporträt sein, „ohne jemandem explizit den schwarzen Peter zuzuschieben“. Aster will „eine Art amerikanisches Genre-Epos mit aktualisierten Archetypen erschaffen“, das „für alle diese Charaktere Sympathie aufbringt“.

Das klingt nach einer todsterbenslangweiligen Soziologie-Stunde, in der der Professor liebevoll die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen aufschlüsselt. Danach kann man schlauer sein, aber ein guter Spielfilm entsteht so nicht.

Aster hat auch eine These zur aktuellen US-amerikanischen Gesellschaft. Danach ist die ursprüngliche Idee der Demokratie verschwunden. Die Menschen werden immer machtloser, Big-Tech-Konzerne immer mächtiger. Diese Konzerne erfinden Strohmänner und imaginäre Feinde. Sie lenken von den wahren Problemen und Machtstrukturen ab. Stattdessen hetzen sie die Menschen aufeinander.

Diese These, siehe den vor einigen Tagen gestarteten SF-Actionfilm „The Running Man“ und ungefähr jede Dystopie, kann eine gute Grundlage für einen guten Film sein. „Eddington“ ist nicht dieser Film. Statt einer scharfen und zugespitzen Analyse der Gesellschaft gibt es eine Satire mit unscharfen Cartoon-Figuren und einer politischen Analyse, die noch nicht einmal das Niveau eines Tweets erreicht. Plakativ wird einfach ausgestellt, was gerade auf dem Smartphone in den Schlagzeilen aufpoppte.

Eddington“ ist eine zähe, ausufernde und ausfransende Möchtegernsatire, die mit 150 Minuten mindestens dreißig bis fünfzig Minuten zu lang ist. Es ist ein Wust absurder, abstruser und vollkommen belangloser, meist viel zu lang geradener Episoden, in denen nervig-unsympathische Dummköpfe sich und uns nerven. Dazwischen schneidet Aster Nachrichtenschnipsel und Bespaßungen von Verschwörungstheoretikern aus dem Internet und er lässt Sheriff Cross in seinem Polizeiwagen in Echtzeit im Schritttempo durch das Dorf fahren.

Eddington (Eddington, USA 2025)

Regie: Ari Aster

Drehbuch: Ari Aster

mit Joaquin Phoenix, Deirdre O’Connell, Emma Stone, Micheal Ward, Pedro Pascal, Cameron Mann, Matt Gomez Hidaka, Luke Grimes, Austin Butler

Länge: 150 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Eddington“

Metacritic über „Eddinggon“

Rotten Tomatoes über „Eddington“

Wikipedia über „Eddington“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Ari Asters „Hereditary – Das Vermächtnis“ (Hereditary, USA 2018)

Meine Besprechung von Ari Asters „Midsommar“ (Midsommar, USA 2019)

Meine Besprechung von Ari Asters „Beau is afraid“ (Beau is afraid, USA 2023)


TV-Tipp für den 2. Oktober: Midsommar

Oktober 1, 2025

ZDF, 02.35 Uhr

Midsommar (Midsommar, USA 2019)

Regie: Ari Aster

Drehbuch: Ari Aster

Der in den USA studierende Pelle lädt seine Mitstudierenden ein, an dem nur alle neunzig Jahre stattfindendem Mittsommerfest seiner Gemeinde teilzunehmen. Sie begeben sich in die schwedische Einöde und erleben dort freundliche Eingeborene, drogengeschwängerten Freigeist und mittelalterliche Mystik. Dass es sich dabei um ein Opferritual handelt, ignorieren sie.

Extrem langsam, in wunderschönen Bildern erzählter Mix aus Folk Horror und Ingmar Bergman. Das ist, in der richtigen Stimmung genossen, ein beeindruckender Horrorfilm der anderen Art. In der falschen Stimmung ist dann sogar das Beobachten trocknender Farben spannender.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Florence Pugh, Jack Reynor, William Jackson Harper, Will Poulter, Vilhelm Blomgren, Gunnel Fred, Ellora Torchia, Archie Madekwe

Hinweise

Moviepilot über „Midsommar“

Metacritic über „Midsommar“

Rotten Tomatoes über „Midsommar“

Wikipedia über „Midsommar“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Ari Asters „Hereditary – Das Vermächtnis“ (Hereditary, USA 2018)

Meine Besprechung von Ari Asters „Midsommar“ (Midsommar, USA 2019)

Meine Besprechung von Ari Asters „Beau is afraid“ (Beau is afraid, USA 2023)

 


TV-Tipp für den 31. Mai: Hereditary – Das Vermächtnis

Mai 30, 2023

Tele 5, 22.00

Hereditary – Das Vermächtnis (Hereditary, USA 2018)

Regie: Ari Aster

Drehbuch: Ari Aster

Eigentlich ist Annie Graham über den Tod ihrer dominanten Mutter ganz froh. Trotzdem versucht sie sie während einer Séance zu kontaktieren. Dass das keine gute Idee ist, wissen gestandene Horrorfilmfans. Dass in diesem Moment schon die gesamte Familie Graham sich wie traumatisiert und von Dämonen getrieben durch das einsam gelegene Haus bewegt, trägt dann auch zur Beunruhigung gestandener Horrorfilmfans bei.

Überaus gelungenes, souverän inszeniertes Filmdebüts, das ein wirklicher Feel-Bad-Film ist. Auch sein zweiter Horrorfilm, „Midsommar“ überzeugte. Im Moment läuft sein dritter, deutlich schlechterer Film „Beau is afraid“ im Kino.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Toni Collette, Gabriel Byrne, Alex Wolff, Milly Shapiro, Ann Dowd

Hinweise

Moviepilot über „Hereditary“

Metacritic über „Hereditary“

Rotten Tomatoes über „Hereditary“

Wikipedia über „Hereditary“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Ari Asters „Hereditary – Das Vermächtnis“ (Hereditary, USA 2018)

Meine Besprechung von Ari Asters „Midsommar“ (Midsommar, USA 2019)

Meine Besprechung von Ari Asters „Beau is afraid“ (Beau is afraid, USA 2023)

 


Neu im Kino/Filmkritik: „Beau is afraid“ vor seiner Mutter, der Welt – und Ari Aster

Mai 11, 2023

Beau Wassermann (Joaquin Phoenix, gewohnt überzeugend) lebt in einer Großstadt in einer heruntergekommenen Bude. Er fühlt sich von allen, unter anderem einem mysteriösem Serienkiller und einem Botschaften unter seiner Tür durchschiebendem Nachbarn, bedroht. Tabletten halten seine Paranoia halbwegs im Schach. Trotzdem ist für ihn der Gang zum gegenüberliegenden Geschäft ein lebensbedrohliches Abenteuer voller menschlicher und nichtmenschlicher Monster. Deshalb verbringt er am liebsten die Zeit in seinem abgeranztem Mini-Apartment, das nichts von seinem Reichtum verrät. Denn er stammt aus einer vermögenden Familie. Sein Vater starb bei seiner Zeugung. Seine erfolgreich das Unternehmen führende Mutter dominiert über sein Leben.

Als sie bei einem bizarren Unfall stirbt, muss er sich, quer durch das Land, auf die Reise zu ihrer Beerdigung begeben. Diese Reise wird, selbstverständlich, zu einer (weiteren) Begegnung mit seinen inneren Dämonen und einer Auseinandersetzung mit seinem Leben und seinen ziemlich alles umfassenden Ängsten. So weit, so gut, so erwartbar.

Ari Aster, der mit seinen beiden vorherigen Horrorfilmen „Hereditary“ und „Midsommar“ Kritiker begeisterte und innerhalb der Horrorfilmgemeinde ebenfalls auf viel Wohlwollen stieß, erzählt in „Beau is afraid“ ein Quasi-Road-Movie, das mehr oder weniger im Kopf des Protagonisten spielt. Der dreistündige Film gliedert sich, so das Presseheft, „in eigenständige Abschnitte, mit vier Hauptkapiteln sowie zwei zusätzlichen Sequenzen, darunter eine Rückblende auf einem Kreuzfahrtschiff, in der die Mutter-Sohn-Dynamik zementiert wird, sowie ein rätselhafte Auflösung“.

Das liest sich jetzt etwas kompliziert, aber wenn die Geschichte gut erzählt ist, fällt die darunter liegende Struktur nicht weiter auf. Sie ist dann etwas für spätere Analysen in Universitätsseminaren. Dort können dann auch alle Anspielungen analysiert werden. Schon beim Ansehen fällt diese Struktur negativ auf. Wenig unterhaltsam, oft quälend langweilig und konfus, zerbröselt „Beau is afraid“ in wenige gelungene und viele einfach langweilige Szenen, die sich teilweise endlos ohne irgendeinen Erkenntnisgewinn ziehen bis hin zu der „rätselhaften Auflösung“.

Dass Asters dritter Film kein Totaldesaster ist, liegt an den wenigen gelungenen Szenen. So ist der Anfang des Episodenfilms, der Beaus Leben in der Großstadt zeigt, grandios. Die an den „Zauberer von Oz“/“ Alice im Wunderland“ erinnernde teilanimierte Szene gefällt ebenfalls. Eigentlich alle anderen Szenen wären meistens überzeugender, wenn sie kürzer wären. Jetzt sind sie oft zu lang, zu platt oder einfach zu rätselhaft.

Mit drei Stunden ist „Beau is afraid“ mindestens eine Stunde zu lang. Denn nach dem starken Anfang wird das schwarzhumorige Drama in dem Moment, in dem Beau seine Wonung verlässt und sich auf den Weg zu seiner Mutter macht, zu einer überlangen, konfusen Ansammlung von Episoden und Notizen mit begrenztem Erkenntnisgewinn. Für Beau ist es ein weiterer Horrortrip voller Demütigungen, Erniedrigungen und panischer Fluchtversuche. Für den Zuschauer eine Geduldsprobe.

Beau is afraid (Beau is afraid, USA 2023)

Regie: Ari Aster

Drehbuch: Ari Aster

mit Joaquin Phoenix, Nathan Lane, Amy Ryan, Stephen McKinley Henderson, Hayley Squires, Denis Ménochet, Kylie Rogers, Armen Nahapetian, Zoe Lister-Jones, Parker Posey, Patti LuPone

Länge: 179 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Englische Hompage zum Film

Moviepilot über „Beau is afraid“

Metacritic über „Beau is afraid“

Rotten Tomaotes über „Beau is afraid“

Wikipedia über „Beau is afraid“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Ari Asters „Hereditary – Das Vermächtnis“ (Hereditary, USA 2018)

Meine Besprechung von Ari Asters „Midsommar“ (Midsommar, USA 2019)

Ari Aster redet über „Beau is afraid“

Ari Aster redet über andere Filme


TV-Tipp für den 27. Oktober: Midsommar

Oktober 26, 2022

Servus TV, 22.00

Midsommar (Midsommar, USA 2019)

Regie: Ari Aster

Drehbuch: Ari Aster

Der in den USA studierende Pelle lädt seine Mitstudierenden ein, an dem nur alle neunzig Jahre stattfindendem Mittsommerfest seiner Gemeinde teilzunehmen. Sie begeben sich in die schwedische Einöde und erleben dort freundliche Eingeborene, drogengeschwängerten Freigeist und mittelalterliche Mystik. Dass es sich dabei um ein Opferritual handelt, ignorieren sie.

Extrem langsam, in wunderschönen Bildern erzählter Mix aus Folk Horror und Ingmar Bergman. Das ist, in der richtigen Stimmung genossen, ein beeindruckender Horrorfilm der anderen Art. In der falschen Stimmung ist dann sogar das Beobachten trocknender Farben spannender.

Servus TV zeigt anscheinend die 150-minütige Kinofassung. Auf DVD/Blu-ray erschien eine ebenfalls vom Regisseur abgesegnete dreistündige Fassung des Films.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Florence Pugh, Jack Reynor, William Jackson Harper, Will Poulter, Vilhelm Blomgren, Gunnel Fred, Ellora Torchia, Archie Madekwe

Hinweise

Deutsche Facebook-Seite zum Film

Englische Facebook-Seite zum Film

Moviepilot über „Midsommar“

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Rotten Tomatoes über „Midsommar“

Wikipedia über „Midsommar“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Ari Asters „Hereditary – Das Vermächtnis“ (Hereditary, USA 2018)

Meine Besprechung von Ari Asters „Midsommar“ (Midsommar, USA 2019)


TV-Tipp für den 26. Juni: Midsommar

Juni 25, 2021

3sat, 22.25

Midsommar (Midsommar, USA 2019)

Regie: Ari Aster

Drehbuch: Ari Aster

Der in den USA studierende Pelle lädt seine Mitstudierenden ein, an dem nur alle neunzig Jahre stattfindendem Mittsommerfest seiner Gemeinde teilzunehmen. Sie begeben sich in die schwedische Einöde und erleben dort freundliche Eingeborene, drogengeschwängerten Freigeist und mittelalterliche Mystik. Dass es sich dabei um ein Opferritual handelt, ignorieren sie.

TV-Premiere. Extrem langsam, in wunderschönen Bildern erzählter Mix aus Folk Horror und Ingmar Bergman. Das ist, in der richtigen Stimmung genossen, ein beeindruckender Horrorfilm der anderen Art. In der falschen Stimmung ist dann sogar das Beobachten trocknender Farben spannender.

3sat zeigt die 150-minütige Kinofassung. Auf DVD/Blu-ray erschien eine ebenfalls vom Regisseur abgesegnete dreistündige Fassung des Films.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Florence Pugh, Jack Reynor, William Jackson Harper, Will Poulter, Vilhelm Blomgren, Gunnel Fred, Ellora Torchia, Archie Madekwe

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Wikipedia über „Midsommar“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Ari Asters „Hereditary – Das Vermächtnis“ (Hereditary, USA 2018)

Meine Besprechung von Ari Asters „Midsommar“ (Midsommar, USA 2019)


TV-Tipp für den 25. Februar: Hereditary – Das Vermächtnis

Februar 24, 2021

3sat, 23.00

Hereditary – Das Vermächtnis (Hereditary, USA 2018)

Regie: Ari Aster

Drehbuch: Ari Aster

Eigentlich ist Annie Graham über den Tod ihrer dominanten Mutter ganz froh. Trotzdem versucht sie sie während einer Séance zu kontaktieren. Dass das keine gute Idee ist, wissen gestandene Horrorfilmfans. Dass in diesem Moment schon die gesamte Familie Graham sich wie traumatisiert und von Dämonen getrieben durch das einsam gelegene Haus bewegt, trägt dann auch zur Beunruhigung gestandener Horrorfilmfans bei.

TV-Premiere eines überaus gelungenen, souverän inszenierten Filmdebüts, das ein wirklicher Feel-Bad-Film ist.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Toniy Collette, Gabriel Byrne, Alex Wolff, Milly Shapiro, Ann Dowd

Hinweise

Moviepilot über „Hereditary“

Metacritic über „Hereditary“

Rotten Tomatoes über „Hereditary“

Wikipedia über „Hereditary“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Ari Asters „Hereditary – Das Vermächtnis“ (Hereditary, USA 2018)

Meine Besprechung von Ari Asters „Midsommar“ (Midsommar, USA 2019)


Neu im Kino/Filmkritik: Nur eine kleine „Midsommar“-Feier

September 27, 2019

Letztes Jahr begeisterte Ari Aster mit seinem Debütfilm „Hereditary – Das Vermächtnis“ (Hereditary, USA 2018), einem Horrorfilm, der sich nicht für das Teenie-Slasher-Kreisch-Publikum interessierte. Sein neuer Film „Midsommar“ ist wieder ein Horrorfilm, der sich wieder nicht an das eben erwähnte Publikum richtet und wieder etwas Sitzfleisch verlangt. Mit gut hundertfünfzig Minuten fällt „Midsommar“ ziemlich episch aus und, obwohl jetzt im Kino die vom Regisseur gewünschte Uncut-Kinofassung läuft, hat er schon einen längeren Director’s Cut angekündigt, der vielleicht einige der kleinen Lücken klärt, die entstehen wenn eine Figur plötzlich aus dem Film verschwindet oder ein Ereignis später nicht wieder aufgenommen wird. Diese 25 Minuten längere Fassung soll in Deutschland am 7. Februar 2020 als DVD und Blu-ray mit umfangreichem Bonusmaterial erscheinen.

Bis dahin gibt es die faszinierende Kinofassung, die in epischer Breite und beunruhigender Langsamkeit die Geschichte einiger US-Studierender erzählt, die einen Ausflug nach Schweden machen. Ihr Studienkollege Pelle hat sie zum so nur alle neunzig Jahre stattfinden Mittsommerfest seines Dorfes eingeladen. Christian und Mark wollen vor allem eine schöne Zeit verbringen. Josh will, wenn er dazu kommt, seine Abschlussarbeit über heidnische Kulte schreiben. Und Dani fährt wegen ihres Freundes Christian mit. Weil sie immer noch einen traumatisches Ereignis in ihrer Familie verarbeitet und entsprechend labil und anhänglich ist, ist keiner der Jungs von ihrer Anwesenheit begeistert. Aber nachdem Christian ihr von der Fahrt erzählte und sie seine pro-forma-Einladung akzeptierte, kann sie nicht mehr ausgeladen werden. .

In der Einöde werden sie und das britische Pärchen, das sie auf dem Weg zum Dorf aufgabelten, freundlich empfangen. Zuerst wird etwas geraucht. Danach wundern sie sich über die nicht untergehende Sonne und probieren auch andere lokale Rauschmittel aus, während sie die Gemeinschaft in ihrem an ein Ferienlager erinnerndes Hüttendorf in ihren altmodischen Kleidern bei den einzelnen Schritten des Rituals beobachten und auch daran teilnehmen. Die jungen Gäste genießen diese Mischung aus drogengeschwängertem Freigeist und mittelalterlichem Ritual. Dass es sich um ein Opferritual handelt, ignorieren die Studierenden. Dabei zeigen augenfällig platzierte Malereien ihnen schon früh den gesamten Ablauf des ausführlich gezeigten heidnischen Rituals.

Und Dani ist erfreut, dass nicht die Jungs, sondern sie im Mittelpunkt steht und vergöttert wird.

Ari Aster erzählt diese am helllichten Tag spielende Geschichte suggestiv, mit einprägsamen Bildern und Anordnungen von Menschen und Gegenständen, die an kunstvolle Zeichnungen erinnern. Weil die Geschichte in ihren groben Zügen absolut voraussehbar ist, kann und sollte man vor allem die Stimmung genießen. Es ist eine alptraumhafte Stimmung, die man als Folk Horror trifft Ingmar Bergman beschreiben kann. Und schon bei Bergman lag der wahre Horror in der Psyche und in den Beziehungen der Menschen zueinander.

Ich nahm mir auch die Zeit, mich zu fragen, wann und wie die Dorfbewohner die Zeit gefunden hatten, auf der Wiese immer wieder die Tische und Bänke so perfekt anzuordnen. Denn man sieht nie, wie sie die Tische auf den zentralen Festplatz tragen und später wegtragen.

Dafür sieht man sie bei ihren kultischen Handlungen, die ein munteres Mashup verschiedenster nordischer, englischer und deutscher Folklore-Traditionen, heidnischer Bräuche und US-amerikanischer Vorurteile über die alte Welt sind.

Midsommar“ ist wie ein langsames Musikstück, das durch seine Atmosphäre in seinen Bann zieht. Dafür muss man in der richtigen Stimmung sein. 

Midsommar (Midsommar, USA 2019)

Regie: Ari Aster

Drehbuch: Ari Aster

mit Florence Pugh, Jack Reynor, William Jackson Harper, Will Poulter, Vilhelm Blomgren, Gunnel Fred, Ellora Torchia, Archie Madekwe

Länge: 148 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

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Wikipedia über „Midsommar“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Ari Asters „Hereditary – Das Vermächtnis“ (Hereditary, USA 2018)


Neu im Kino/Filmkritik: Der Horror! Der Horror in „Hereditary – Das Vermächtnis“

Juni 15, 2018

Hereditary – Das Vermächtnis“, der Debütfilm von Ari Aster, gehört zu den Horrorfilmen, die schon von der ersten Minute an erkennbar höhere Ambitionen haben, als der üblicher Slasher-Jumpscare-Found-Footage-Horrorfilm für Teenager, in denen Sex die Vorstufe für Tod ist.

Asters Film beginnt mit einer Beerdigung, die wie unzählige andere Beerdigungen ist: eine Ansammlung trauernder Menschen, die sich teilweise zum ersten und letzten Mal sehen. Die Verstorbene ist Annie Grahams Mutter. Über sie erfahren wir während des Films wenig, außer dass sie eine dominante Person war. So dominant, dass Annie (Toni Collette) zu Lebzeiten nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte und sich jetzt förmlich zum Trauern zwingen muss. Trotzdem will sie später, während einer Séance, Kontakt zu ihr aufnehmen – und man muss keine Myriaden von Horrorfilmen gesehen haben, um zu wissen, wie das ausgeht. In dem Moment bewegt sich Annies Familie – ihre beiden Kinder Peter (Alex Wolff), kurz vor dem Erwachsenwerden, und seine noch vor der Pubertät stehende, einzelgängerische Schwester Charlie (Milly Shapiro) und ihr Mann Steve (Gabriel Byrne in einer Nebenrolle) – bereits wie traumatisiert durch den Film und das einsam gelegene große Haus der Grahams.

In dem Haus arbeitet Annie als Künstlerin. Sie baut Modellwelten mit Miniaturfiguren. Dabei sind ihre Landschaften keine Fantasielandschaften, sondern fotorealistische Darstellungen von Ereignissen aus ihrem Leben. Oft geht es um das Sterben und den Tod von Menschen, zu denen sie eine enge Beziehung hatte. Wie ihrer Mutter.

Aster lässt schon in den ersten Filmminuten die Grenze zwischen der Realität und den Miniaturlandschaften verschwimmen. Bereits in diesem Moment bewegen die Grahams sich in ihrem Haus wie in einem Puppenhaus, das zu einer Bühne umfunktioniert wurde und sie zu Marionetten macht. Die Inszenierung unterstreicht diesen Effekt durchgehend. Die Kamera ist oft so unnatürlich positioniert, dass die Zimmer im Grahamschen Haus immer wie ein sorgfältig arrangierter Teil einer Theaterbühne aussehen. Es wird selten geschnitten und die Szenen dauern meisten länger, als man es gewohnt ist. Manchmal quälend lang. Und dabei geht es nicht um Bilder von herausquellenden Gedärmen, sondern um Bilder von Gesichtern, die etwas sehen. All das trägt, neben dem Spiel der Schauspieler, zur irrealen Feel-Bad-Atmosphäre bei.

Die Themen die Aster dabei anspricht – Trauer, Schuld und Schuldgefühle in einer unangenehm verkorksten Familie – steigern das. Denn die Familie Graham will über ihre Geheimnisse nicht sprechen.

Mit zunehmender Laufzeit wird allerdings auch ein erzählerischer Stillstand deutlich. Anstatt sich für einen Charakter zu entscheiden und dann dessen Geschichte zu erzählen, mutiert „Heriditary“ zu einem Best-of des Okkult-Horrors. Jeder Charakter darf sich mit dem Dämon seiner Wahl herumschlagen. Wie diese Bedrohungen miteinander zusammenhängen und welcher Dämon der fieseste ist, bleibt unklar. Und nach zwei Stunden gibt es eine kryptische Erklärung, die doch aus ziemlich heiterem Himmel kommt.

So ist „Heriditary“ ein Horrorfillm für Menschen, die auch etwas Nachdenken wollen, inszeniert von einem Regisseur, der seine Vorbilder genau studiert hat und sie jetzt mit einem beträchtlichen Gestaltungswillen innerhalb einer Familienaufstellung verarbeitet. Es ist allerdings auch ein Feel-Bad-Film, der im Vergleich zu anderen aktuellen und hochgelobten Horrorfilmen nicht so packend ist, wie er sein könnte.

Und, ja, ich habe um den Plot herumgeschrieben und keine anderen Filme genannt, um keine Hinweise auf den Verlauf und das Ende der Geschichte zu geben. Die entwickelt sich nämlich an mehreren Stellen konträr zu allen Erwartungen.

Darüber können wir dann zum DVD-Start sprechen.

Hereditary – Das Vermächtnis (Hereditary, USA 2018)

Regie: Ari Aster

Drehbuch: Ari Aster

mit Toniy Collette, Gabriel Byrne, Alex Wolff, Milly Shapiro, Ann Dowd

Länge: 128 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Hereditary“

Metacritic über „Hereditary“

Rotten Tomatoes über „Hereditary“

Wikipedia über „Hereditary“ (deutsch, englisch)