Neu im Kino (und bald im Streaming)/Filmkritik: „Wake up Dead Man: A Knives Out Mystery“, göttlich gelöst von Benoit Blanc

November 27, 2025

Das ist ein Mord, der die besonderen Talente von Benoit Blanc (Daniel Craig) erfordert. In dem erfolgreichen Rätselkrimi „Knives Out“ (2019) überführte er im Kino den Mörder des Bestsellerautors Harlan Thrombey. Ein Familienmitglied ermordete Thrombey an seinem 85. Geburtstag in dem noblen Familienwohnsitz. In „Glass Onion: A Knives Out Mystery“ (2022) überführte Blanc auf Netflix den Mörder des Tech-Milliardärs Miles Bron. Während eines Krimi-Rollenspiels wurde Bron auf seiner Insel von einem der von ihm eingeladenen Spielteilnehmenden ermordet.

Jetzt überführt Benoit Blanc im Kino (für einige Tage) und ab dem 12. Dezember auf Netflix den Mörder von Monsignore Jefferson Wicks (Josh Brolin). Wicks führt im Staat New York eine ländliche Gemeinde mit ihm treu ergebenen Gläubigen und einer besonderen Verbindung zu weltlichen Einkünften. Wicks wurde während eines Gottesdienstes in einer Kammer ermordet, die man nur vom Altarraum aus betreten kann. Der junge Priester Jud Duplenticy (Josh O’Connor) entdeckte noch während des Gottesdienstes den Toten. Trotzdem beteuert er seine Unschuld. Duplenticy wurde wegen seines aufbrausenden, von tiefempfundenem Gerichtigkeitssinn geprägten Wesens zur Bewährung in Wicks‘ sündige Gemeinde versetzt.

Alle anderen Verdächtigen, die, wie Duplenticy im Voice-Over erzählt und gleichzeitig in einem Heft aufschreibt, ausgezeichnete Mordmotive hatten, saßen zum Tatzeitpunkt im Schiff auf den Kirchenbänken. Es handelt sich um die betont fromme, seit Ewigkeiten für den Monsignore klaglos alle Büroarbeiten übernehmende Martha Delacroix (Glenn Close), den umsichtigen Hausmeister Samson Holt (Thomas Haden Church), die verdächtig nervöse Anwältin Vera Draven (Kerry Washington), ihren Sohn, den aufstrebenden Politiker Cy Draven (Daryl McCormack), den Hausarzt Nat Sharp (Jeremy Renner), den zum Glauben bekehrten Bestsellerautor Lee Ross (Andrew Scott) und die Konzertcellistin Simone Vivane (Cailee Spaeny). Jeder von ihnen hat, wie es sich für einen Rätselkrimi gehört, ein Motiv und ein ausgezeichnetes Alibi.

Für Benoit Blanc ist dieser räselhafte Mord eine weitere Gelegenheit, seine besonderen Talente bei der Suche nach schlauen oder sich für schlau haltenden Mördern anzuwenden. Dabei kann er, zu unserem Vergnügen, neben den Verdächtigen auch die Polizeichefin Geraldine Scott (Mila Kunis) nerven.

Wieder einmal hat Rian Johnson ein hochkarätiges Ensemble versammelt. Wieder handelt es sich nur auf den ersten Blick um einen traditionellen Rätselkrimi, in dem der Ermittler geduldig verschiedene Spuren verfolgt, während der Zuschauer miträtselt, sondern um eine Komödie, die sich der Form des Rätselkrimis bedient. Wieder wird die Form mit zahlreichen Anspielungen und Verweisen auf andere Werke bedient. Rian Johnson hat seine Agatha-Christie-Sammlung gelesen. Und wieder hat das Ensemble erkennbar seinen Spaß dabei, möglichst amoralisch und verdächtig zu erscheinen.

Allerdings ist dieser Spaß mit 144 Minuten für einen Rätselkrimi auch zu lang geraten. Denn anstatt den Plot mit seinen falschen Spuren zügig zu entwickeln, gibt es eindeutig zu lang geratene Szenen, wie Wicks‘ Beichten vor seinem Kollegen Duplenticy, und zu viele Ab- und Umwege, die einfach beschritten werden, weil man die Zeit dafür hat. Entsprechend konfus gestalten sich dann Blancs‘ Ermittlungen. Sie wirken weniger wie die zielgerichteten Ermittlungen eines Detektivs, sondern mehr wie das Freizeitprogramm eines unaufmerksamen Kindes. Die von Autor und Regisseur Johnson ersonnene Lösung ist dann größtenteils Unfug. Anstatt dem überraschten Publikum am Ende einen (oder mehrere) Täter (oder Täterinnen) mit einem guten Motiv für ihre Tat und einem genialen, in sich stimmigem Plan zu präsentieren, wird ein auf den ersten Blick spektakuläres und überraschendes Ende gewählt, das, wenn man darüber nachdenkt, schneller als ein Kartenhaus in sich zusammen fällt und dabei das überzeugende Motiv und die wirklich guten Teile des Mordplans unter sich begräbt. 

Wenn man die Lösung einfach als gottgegeben und gottgewollt hinnimmt, dann ist die witzige Rätselkrimi-Komödie „Wake up Dead Man“ (benannt nach einem „U2“-Song von ihrem 1997er Album „Pop“), trotz seiner epischen Länge, ein kurzweiliges, einfallsreich inszeniertes Vergnügen mit einem gut aufgelegtem Ensemble.

Wake up Dead Man: A Knives Out Mystery (Wake up Dead Man: A Knives Out Mystery, USA 2025)

Regie: Rian Johnson

Drehbuch: Rian Johnson

mit Daniel Craig, Josh O’Connor, Glenn Close, Josh Brolin, Mila Kunis, Jeremy Renner, Kerry Washington, Andrew Scott, Cailee Spaeny, Daryl McCormack, Thomas Haden Church, Jeffrey Wright

Länge: 144 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Jetzt in einigen wenigen Kinos und auf Netflix ab 12. Dezember 2025.

Hinweise

Netflix über den Film

Moviepilot über „Wake up Dead Man: A Knives Out Mystery“

Metacritic über „Wake up Dead Man: A Knives Out Mystery

Rotten Tomatoes über „Wake up Dead Man: A Knives Out Mystery“

Wikipedia über „Wake up Dead Man: A Knives Out Mystery“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Rian Johnsons „Looper“ (Looper, USA 2012 – mit weiteren Bildern, Links und einem 35-minütigem Interview mit Rian Johnson und Joseph Gordon-Levitt) und der DVD

Meine Besprechung von Rian Johnsons „Star Wars: Die letzten Jedi“ (Star Wars: The last Jedi, USA 2017) und des Filmromans

Meine Besprechung von Rian Johnsons „Knives out – Mord ist Familiensache“ (Knives out, USA 2019)


Neu im Kino/Filmkritik: „The Change“ is coming – und das ist keine gute Sache

November 5, 2025

Nun denn: (1) Spoilerwarnung und (2) ein vorgezogenes Fazit: „The Change“ ist eine sehenswerte Dystopie über die heutigen Vereinigten Staaten von Amerika und eine Warnung vor einer möglichen Entwicklung.

Als Ellen Taylor (Diane Lane), eine Professorin an der Georgetown University in Washington, D. C., nach acht Jahren eine ehemalige Studentin wieder trifft, ist sie etwas irritiert. Denn die Begegnung ist auf der Feier ihres 25. Hochzeitstages mit ihrem Mann Paul (Kyle Chandler). Die frühere Studentin mit dem porentief reinen Aussehen einer perfekten konservativen Vorstadthausfrau ist jetzt die neue Freundin von ihrem zu Selbstzweifeln neigendem Sohn Josh (Dylan O’Brien). Elizabeth ‚Liz‘ Nettles (Phoebe Dynevor) ist außerdem die Autorin des Bestsellers „The Change“. In dem Sachbuch entwirft sie eine faschistoid-konservative und radikal antidemokratische Vision der USA. Die akademisch aufgeklärte, linksliberale Ellen hielt Liz schon als Studentin für extrem konservativ, antidemokratisch und demagogisch. Das sagte sie der Studentin auch in ihrem Seminar und sie setzte sich dafür ein, sie von der Universität zu verweisen.

Wie sich die Beziehung zwischen Ellen, Liz und ihrem Sohn weiterentwickelt, wie Liz‘ Buch „The Change“ und die daraus entstandene Bewegung die USA hin zu einer immer intoleranteren Tugenddiktatur verändert und wie die jährlichen Feiern zum Hochzeitstag innerhalb weniger Jahre zu einer immer deprimierenden Angelegenheit werden, zeichnet Jan Komasa („Corpus Christi“) in fünf klar voneinander abgetrennten Kapiteln nach. Die Entwicklung geschieht sprunghaft, weil zwischen den einzelnen Kapiteln immer ein Jahr, einmal zwei Jahre vergehen. Die Entwicklung der USA ist nur im Kosmos der Familie Taylor (wozu neben Josh auch drei Töchter gehören) und ihren vermögenden Nachbarn (die namenlose Nebenfiguren bleiben) in der bürgerlich-gepflegten Vorstadt sichtbar. Auf erklärende Nachrichteneinblendungen oder längliche Erklärdialoge verzichtet er.

Diese Begrenzung und dass Komasa nur kryptisch auf die Ziele der Bewegung „The Change“ eingeht, ist zugleich die Stärke und Schwäche der Dystopie. Das klare Konzept, das ohne Kompromisse durchexzerziert wird, führt zur Konzentration auf wenige Personen, einen Handlungsort und einen jährlich wiederkehrenden Zeitpunkt. Es hat etwas von einem Ritual mit fest gelegten Abläufen, die jedes Jahr trostloser ablaufen.

Der Nachteil ist, dass alles, was nicht innerhalb dieses Konzepts vernünftig abbildbar ist, ignoriert wird. So zeigen sich die Auswirkungen des von der Bewegung „The Change“ geforderten autoritären Einparteiensystems (was nur eine Umschreibung für Diktatur ist) ausschließlich an der zunehmenden Isolierung der Familie Taylor. Ellen, Paul und ihre vier Kinder müssen berufliche Repressalien erdulden – oder sich anpassen. Das politische Programm der neuen Regierung bleibt nebulös. Was sie abseits eines immer weiter ausgebauten repressiven Überwachungsapparats tut, bleibt unklar.

Komasa wurde 1981 in Polen geboren, wuchs dort, auf, studierte an Filmhochschule Lodz und erlebte die politischen Wandlungen Polens in den vergangenen Jahrzehnten aus nächster Nähe. Das und der Blick von Außen auf die US-amerikanische Kultur führen zu einem scharfen Blick auf gesellschaftliche Bruchlinien und wie aus einer Demokratie eine Diktatur werden kann. Wie Politik eine Familie zerstört, zeigt Komasa eindringlich auf den jährlichen Familientreffen.

Wobei es, wie die letzten Bilder zeigen, ihm nicht darum geht, zu zeigen, wie Politik eine Familie zerstört, sondern wie eine gekränkte Frau sich an der Person, die sie kränkte, rächen will. Dafür zerstört sie die gesamte Familie. Das von ihr aufgebaute Terrorregime diente nur diesem einen Zweck. Die Zerstörung der Demokratie als Kollateralschaden einer Demütigung. Diese durchaus überraschende Pointe raubt der vorher erfolgten Analyse dann einiges von seiner Kraft und lässt den politisch interessierten Zuschauer etwas ratlos zurück. Ideologien und antidemokratische Bestrebungen können auf verschiedenen Ebenen bekämpft werden. Aber Kränkungen?

Dessen ungeachtet kann „The Change“ Diskussionen provozieren. Und eine pointierte Warnung sein, wie schnell aus einer liberalen Demokratie eine Diktatur werden kann.

The Change (Anniversary, USA 2025)

Regie: Jan Komasa

Drehbuch: Lori Rosene-Gambino (nach einer Geschichte von Jan Komasa und Lori Rosene-Gambino)

mit Diane Lane, Kyle Chandler, Madeline Brewer, Zoe Deutch, Phoebe Dynevor, Mckenna Grace, Daryl McCormack, Dylan O’Brien, Sky Yang, Selda Kaya

Länge: 112 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „The Change“

Metacritic über „The Change“

Rotten Tomatoes über „The Change“

Wikipedia über „The Chance“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jan Komasas „Corpus Christi“ (Boże Ciało, Polen 2019)


Neu im Kino/Filmkritik: „Twisters“ in Oklahoma, Tornados und Liebe im Kino

Juli 17, 2024

Beginnen wir dieses Mal mit ungefähr anderthalb Vorinformationen: In „Twisters“ gibt es keine fliegenden Kühe. Und „Twisters“ ist, auch wenn der Film als „Sequel“ vermarktet wird, keine irgendwie geartete Fortsetzung von „Twister“. Da sind manche Rip-Offs, Kopien, Plagiate oder wie wir sie gerade diesen Monat nennen wollen, näher am Original als dieser Film. Sicher, hinter der Kamera gibt es vor allem bei der Produktionsfirma und dem Verleih eine Kontinuität, die die Titelwahl erklärt und im Film kann man auch ein, zwei Hinweise auf Jan de Bonts Blockbuster „Twister“ von 1996 entdecken. Mal offensichtlicher, wie „Dorothy V“ im Prolog, oder, einmal, die funktionale Kleidung der Heldin, mal wirklich versteckt, wie ein Cameo von Bill Paxtons Sohn James Paxton. Bill Paxton spielte in „Twister“ eine der Hauptrollen, den Sturmjäger Bill Harding. Diese Kleinigkeiten ändern nichts daran, dass die Macher von „Twisters“ einfach eine vollkommen eigenständige Geschichte über Tornadojäger in den USA erzählen, in der es, wie in anderen Filmen mit Tornados, vor allem um die Tornados geht.

Als Regisseur wurde Lee Isaac Chung engagiert. Von ihm ist das sehenswerte Einwandererdrama „Minari – Wo wir Wurzeln schlagen“. Feinfühlig erzählt er seine und die Geschichte seiner Familie in den achtziger Jahren in Arkansas. Mit ihm könnte ein als Sommer-Blockbuster geplanter Film mehr als Spektakel sein. Aber anderseits haben viele Indie-Regisseure in den vergangenen Jahren atemberaubend schnell ihre Seele an austauschbare Superheldenfilme verraten; – und rückblickend waren ihre Superheldenfilme dann die schlechteren Superheldenfilme. Erinnert sei an Chloé Zhaos „Eternals“ und Nia DaCostas „The Marvels“.

Drehbuchautor Mark L. Smith schrieb, meist mit anderen Autoren, die Drehbücher für „The Revenant“, „Operation: Overlord“ und „Das Erwachen der Jägerin“ (The Marsh King’s Daughter). Bis auf „The Revenant“ (wobei hier Regisseur Alejandro G. Iñárritu den entscheidenden Anteil hat) ist kein künftiger Klassiker dabei, aber einige interessante Wendungen dürften ihm schon einfallen.

Im Mittelpunkt von „Twisters“ stehen zwei Gruppen von Tornadojägern: die eine Gruppe wird von Tyler Owens (Glen Powell) angeführt. Er und seine Gruppe sind Hasardeure, für die die Fahrt mitten in einen Sturm ein großer Spaß ist, den sie auf YouTube vermarkten. Auf den ersten Blick wirkt er wie ein gut gebauter, arroganter, dummer Hallodri mit einem fotogenem Lächeln und einem großen Cowboyhut.

Die zweite Gruppe sucht nach einer Möglichkeit, mit der der Weg der Tornados besser vorhergesagt werden kann. Mit ihren Prognosen könnten sie Menschenleben retten. Dafür haben sie ein aus drei Teilen bestehendes Gerät gebaut, das, wenn diese Teile in der Nähe des Tornados an den richtigen Orten stehen, diesen Tornado analysieren kann. Das Gerät muss nur noch ausprobiert werden.

Helfen könnte ihnen Kate Carter (Daisy Edgar-Jones). Sie kann durch einen Blick in den Himmel und auf den nächsten Acker erspüren, wo ein Tornado entsteht und wohin er sich bewegt. Vor fünf Jahren endete ein von ihr an der Muskogee State University initiiertes Projekt, bei dem sie ein Gerät ausprobieren wollte, das irgendwie Tornados implodieren lässt, mit dem Tod von fast allen ihren an dem Projekt beteiligten Freunden. Heute verfolgt das Landei als Angestellte des United States Weather Service in New York in einem Büro vor einem Computer aus Tornados. Näher will sie diesen tödlichen Winden und ihrer tragischen Vergangenheit nicht mehr kommen.

Da taucht Javi (Anthony Ramos) bei ihr auf. Er war vor fünf Jahren bei ihrem Universitätsprojekt dabei. Sie waren damals die einzigen Überlebenden. Jetzt fragt er sie, ob sie ihnen, also der von ihm mitgegründeten, finanziell von Investoren gut ausgestatteten Firma StormPar, bei ihrem Projekt helfen könnte. Nach anfänglichem Zögern hilft sie Javi und StormPar.

Während die Stürme durch das Land toben, jagen die beiden Gruppen sich vor und hinter den Tornados über die grünen Wiesen von Oklahoma. Einen wirklichen Grund für die Konkurrenz gibt es nicht. Schließlich wollen sie aus verschiedenen Gründen in das Herz des Sturms. Sie sind wie kleine Kinder, die sich prügeln, obwohl das eine Kind Nudel und das andere Kind Pizza will.

Aber als Prämisse für einen Sommer-Blockbuster mit eindimensionalen Figuren, vorhersehbarer Story mit leichtem RomCom-Touch (denn selbstverständlich verlieben Kate und Tyler sich im Lauf des Films ineinander) und stürmischem Spektakel ist das ausreichend. Vor allem Tyler Owens hat nicht mehr Persönlichkeit als eine Werbefigur für eine kitschige Südstaaten-Romanze. Entsprechend rätselhaft bleibt seine Motivation. Sein öfters wiederholter Satz, dass er kein dummer Idiot sei, bleibt eine bloße Behauptung. Denn nie verrät er Kate (oder uns), warum er doch ein schlauer Kerl ist. Bei Kate Carter ist es etwas besser, aber auch nicht wirklich befriedigend. Glen Powell und Daisy Edgar-Jones können diese Defizite des Drehbuchs nicht ausgleichen.

Die meisten Mitglieder in ihren jeweiligen Teams bleiben vollkommen austauschbare Statisten. Entsprechend forciert wirken dann auch alle Szenen, die zeigen sollen, wie die einzelnen Teammitglieder sich untereinander verstehen. In Chungs Actionfilm ist nichts von der natürlichen Kameradie zu spüren, die in „Twister“ die Gruppe der von Jo Harding (Helen Hunt) angeführten Tornadojäger von der ersten Sekunde an so grundsympathisch macht. In „Twister“ sind sie Kumpels, die ein Abenteuer erleben wollen. In „Twisters“ sind sie – und das gilt für beide Tornadojäger-Gruppen – Angestellte, die für Geld einen Job erledigen.

Im Mittelpunkt von „Twisters“ stehen natürlich die titelgebenden Tornados, die auf der großen Leinwand annehmbar spektakulär aussehen und die innerhalb von Sekunden ganze Kleinstädte zerstören.

Dazu gibt es viel Americana und Country-Music. Und fertig ist ein Sommerblockbuster für die ganze Familie. Besondere Ambitionen, Überraschungen und etwaige Irritationen, die es beispielsweise in den Blockbustern von Roland Emmerich immer gibt, sind nicht erkennbar. Lee Isaac Chung erfüllt in seinem durchgehend altmodischem Blockbuster einfach den Wunsch des Publikums nach zwei Stunden Ablenkung. .

Twisters (Twisters, USA 2024)

Regie: Lee Isaac Chung

Drehbuch: Mark L. Smith (nach einer Geschichte von Joseph Kosinski, basierend auf von Michael Crichton und Anne-Marie Martin erfundenen Figuren)

mit Daisy Edgar-Jones , Glen Powell, Anthony Ramos, Brandon Perea, Maura Tierney, Harry Hadden-Paton, Sasha Lane, Daryl McCormack, David Corenswet, Paul Scheer (Flughafenpolizist am Filmende, aber sein Gesicht kommt mir so verdammt bekannt vor)

Länge: 123 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Twisters“

Metacritic über „Twisters“

Rotten Tomatoes über „Twisters“

Wikipedia über „Twisters“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Lee Isaac Chungs „Minari – Wo wir Wurzeln schlagen“ (Minari, USA 2020)

Mehr Wind: Meine Besprechung von Steven Quales „Storm Hunters“ (Into the Storm, USA 2014)

 


Neu im Kino/Filmkritik: Der Hauslehrer erhält „The Lesson“

Oktober 27, 2023

Liam Somers (Daryl McCormack) kann sein Glück nicht fassen: ihm wird eine Stelle als Hauslehrer bei der Familie Sinclair angeboten. Er soll Bertie auf die Universität vorbereiten. Gleichzeitig wird der frischgebackene Absolvent der englischen Literaturwissenschaft in unmittelbarer Nähe von Berties Vater J. M. Sinclair (Richard E. Grant) sein. Sinclair ist ein von Liam hochverehrter Schriftsteller. Er schrieb seine Abschlussarbeit über ihn. Er kennt seinen Stil in und auswendig. Und er würde selbst gerne ein erfolgreicher Schriftsteller werden.

Der arrogante Starautor Sinclair befindet sich schon seit längerem in einer Schaffenskrise. Der Hauptgrund dafür ist der zwei Jahre zurückliegende Tod seines erstgeborenen Sohns. Über dem Tod und die Umstände, die dazu führten, wird im Haushalt der Sinclairs geschwiegen. Über einige andere Dinge wird auch geschwiegen.

Nach mehreren TV-Arbeiten ist „The Lesson“ Alice Troughtons Spielfilmdebüt. Es ist ein schöner kleiner Noir, der sich die britische Klassengesellschaft und, nebenbei, den Literaturbetrieb, mit süffigem schwarzen Humor vornimmt. Jeder hat hier seine kleinen und großen Geheimnisse. Jeder lügt und betrügt. Unterschiedlich erfolgreich. Alle leiden unter den diktatorischen Launen des Hausherrn. Bei ihm wird die Abstimmung über die Musik, die beim Abendessen gehört wird, zu einer Machtprobe, die er locker gewinnt. Grant spielt diesen Fiesling mit Schreibblokade mit spürbarer Lust.

Gleichzeitig, weil über Großbritannien nicht gesprochen werden kann, ohne über die dortige Klassengesellschaft und die Dünkel der Oberschicht zu reden, ist „The Lesson“ auch ein satirisches Porträt der britischen Gesellschaft. Troughton arbeitet diese kleinen, feinen Unterschiede schön heraus. Es sind der für uns schreiend komisch erscheinende, für Großbritannien verzweifelte, aber auch vollkommen verständliche und vernünftige Versuch der Sinclairs, die nicht per Geburt zur Upper Class gehören, ihren Sohn auf die renommierteste Elite-Universität des Landes zu schicken. Wenn er die Universität besucht, lernt er die richtigen Leute kennen und erhält später die richtigen Jobs. Es sind die kleinen Gesten, die zeigen, wer zu welcher Klasse gehört und wo er hin gehört. So verrät schon der lange Weg, den Liam vom Eingangstor des riesigen Landsitz der Sinclairs zu seinem kleinen Zimmer gehen muss, alles über seine Stellung bei den Sinclairs.

Von seinem Zimmer aus kann Liam, während er den Unterricht vorbereitet und sein Romandebüt schreibt, in Sinclairs Arbeitszimmer blicken. Er beobachtet sein Idol beim stundenlangen Sitzen und Arbeiten am Schreibtisch. Und beim Sex mit seiner Frau Hélène (Julie Delpy), einer Französin, Kunstkuratorin und Strippenzieherin im Sinclairschen Haushalt. Es ist ein Geschlechtsverkehr, der wie eine Inszenierung für Liam wirkt. In dem Moment ist er schon tief in das für ihn ausgeworfene Netz verstrickt. In das begab er sich, als er die ihm von Hélène Sinclair hingehaltene Verschwiegenheitserklärung unterzeichnete, ohne sie durchzulesen.

Gleichzeitig geht es um die Schriftstellerei, den Literaturbetrieb, das Verhältnis von idealisiertem Idol und Bewunderer. Es geht auch um das Verhältnis zwischen einem Starautor und seinen Kindern, die ebenfalls Bücher veröffentlichen wollen.

Diese Mischung aus gut geplotteter, gespielter und inszenierter Mischung aus Noir, Psychothriller und Gesellschaftssatire gefällt. Auch wenn viele Wendungen und Enthüllungen ziemlich offensichtlich sind und sich das Drama auf drei Figuren – den Schriftsteller, seine Frau und den Nachhilfelehrer – konzentriert.

Das alles erinnert auch an Claude Chabrols hundsgemeine Bloßstellungen der französischen Bourgeoisie.

The Lesson (The Lesson, Deutschland/Großbritannien 2023)

Regie: Alice Troughton

Drehbuch: Alex MacKeith

mit Richard E. Grant, Julie Delpy, Daryl McCormack, Stephen McMillan, Crispin Letts, Tomas Spencer

Länge: 103 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „The Lesson“ (weil er mit deutschen Fördergeldern entstand und in Norddeutschland gedreht wurde)

Moviepilot über „The Lesson“

Metacritic über „The Lesson“

Rotten Tomatoes über „The Lesson“

Wikipedia über „The Lesson“ (deutsch, englisch)