Neu im Kino/Filmkritik: „Rebellinnen – Leg‘ dich nicht mit ihnen an!“, es könnte tödlich enden

Juli 12, 2019

Den Tod hat…nun, sagen wir es mal so: Jean-Mis Tod ist eine Verkettung unglücklicher Umstände, bei der die scharfe Kante einer Spindtür in der Umkleidekabine der örtlichen Fisch-Konservenfabrik zu seiner Entmannung führt. Anschließend fällt er eine Treppe hinunter und verletzt sich dabei tödlich. Pech halt. Die an dem Abend zum Putzen eingeteilten Arbeiterinnen – die nach fünfzehn Jahren wieder in das ärmliche nordfranzösische Provinzkaff Boulogne-sur-Mer zurückgekommene Schönheitskönigin Sandra (Cécile de France mit konsequent angepisstem Gesichtsausdruck), ihre ehemalige Klassenkameradin Marilyn (Audrey Lamy), inzwischen alleinerziehende Mutter mit erhöhtem Konsum illegaler Drogen und Ex-Geliebte von Jean-Mi, und Nadine (Yolande Moreau), die ihre Mutter sein könnte – vergessen ihren Plan, den Notruf zu wählen, als sie bei ihrem Chef Jean-Mi eine Tasche voller Geld entdecken. Die drei Damen denken an ihre prekäre finanzielle Lage, ahnen, dass Jean-Mi das Geld gestohlen hat und wollen es jetzt behalten. Dafür muss Jean-Mi verschwinden – in Fischdosen.

Dummerweise wird das Geld doch vermisst. Der örtliche Gangster Simon (Simon Abkarian) benötigt das Geld für ein Geschäft mit der ziemlich mordlustigen belgischen Drogenmafia. Genaugenommen ist es sein Geld und Jean-Mi sollte nur darauf aufpassen.

Außerdem schnüffelt die Polizei bei der Suche nach dem spurlos verschwundenen Jean-Mi in der Fisch-Konservenfabrik herum. Immerhin ist der ermittelnde Kommissar (Samuel Joey) ein fescher Bursche, der wegen eines Korruptionsverfahrens in die Provinz versetzt wurde. In dem Moment hat Sandra schon eine heiße Nacht mit ihm erlebt. Fortsetzung nicht ausgeschlossen.

Rebelllinnen“-Regisseur Allan Mauduit arbeitete vor seinem Solo-Regiedebüt lange für das Fernsehen. Er entwickelte die bei uns anscheinend nie gezeigte Comedy-Serie „Kaboul Kitchen“. Bei seinem ersten Kinofilm, der schwarzen Komödie „Vilaine“, teilte er sich mit Jean-Patrick Benes die Regie. Später wollte er Iain Levisons „Betriebsbedingt gekündigt“ verfilmen. Aber die Filmrechte für den Kriminalroman über einen Arbeitslosen, der zum Auftragskiller wird, waren bereits vergeben. Währenddessen fragte Mauduit sich, als er eine Thunfischdose in der Hand hielt, wie viele Thunfischdosen man wohl brauche, um eine Leiche in ihnen zu verteilen.

Viele. Sehr viele. Und danach können die Dosen mit dem besonderen Inhalt nicht einfach verkauft werden. Sie müssen entsorgt werden, ohne dass ein Verdacht auf das Damentrio fällt, das im Kampf gegen Verbrecher und Polizisten über sich hinauswächst.

Schon milieubedingt ist „Rebellinnen – Leg‘ dich nicht mit ihnen an!“ nichts für Feingeister. Sandra, Nadine und Marilyn sind Arbeiterinnen mit einfachen Bedürfnissen und, beim Lösen der teilweise von ihnen verursachten Probleme, pragmatisch-einfachen Methoden. Mauduit inszenierte, ohne wohlfeile ironische Brechungen, eine tiefschwarze Komödie über ein Damentrio, das nach einem kurzen Zögern nicht mehr vor Gewalt gegen Männer zurückschreckt. Wobei diese Männer ihre Strafe verdient haben.

Wenn sie bekommen, was sie verdienen.

Rebellinnen – Leg‘ dich nicht mit ihnen an! (Rebelles, Frankreich 2019)

Regie: Allan Mauduit

Drehbuch: Allan Mauduit, Jérémie Guez

mit Cécile de France, Yolande Moreau, Audrey Lamy, Simon Abkarian, Samuel Jouy, Béatrice Agenin, Patrick Ridremont

Länge: 88 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Rebellinnen“

AlloCiné über „Rebellinnen“

Wikipedia über „Rebellinnen“


Französische Verbrechen mit Léo Malet und Jérémie Guez

September 14, 2015

Malet - Das Leben ist zum Kotzen - 2015 - 2Guez - Paris die Nacht

Vor einigen Wochen sagte ich zu einem Freund: „Warum soll ich ein Buch von Léo Malet lesen? Der ist schon seit fast zwanzig Jahren tot und Neuausgaben gibt es keine.“
Nun, tot ist Malet immer noch, aber mit „Das Leben ist zum Kotzen“ gibt es eine Neuausgabe von einem seiner alten Romane (mit einem informativem Nachwort von Tobias Gohlis) und damit auch einen guten Grund, einen Malet zu lesen. Malet – für alle, die sich verzweifelt fragen, wer dieser Malet denn ist – ist vor allem bekannt für seine derzeit vor allem antiquarisch erhältliche Nestor-Burma-Privatdetektivserie, von denen jeder Roman in Paris in einem anderen Arrondissement in Paris spielt.
In „Das Leben ist zum Kotzen“, dem ersten Band seiner zwischen 1947 und 1949 entstandenen Schwarzen Trilogie (Band zwei ist „Die Sonne scheint nicht für uns“, Band drei ist „Angst im Bauch“), erzählt Malet die Geschichte von Jean Fraiger. Er ist der Kopf einer kleinen Verbrecherbande, die ihren ersten Überfall auf einen Lohngeldtransporter quasi im Auftrag streikender Bergarbeiter begeht. Dummerweise gerät der einfache Überfall etwas außer Kontrolle. Der Fahrer wird verletzt. Der Beifahrer wird erschossen. Er ist der Vater von Gloria, der Frau von Lautier, was kein Probleme wäre, wenn Fraiger, der ihren Vater erschoss, nicht unsterblich in sie verliebt wäre.
Und die streikenden Arbeiter wollen nach dem aus dem Ruder gelaufenem Überfall auch nicht das Geld. Sie wollen es vollständig verbrennen.
Kein Wunder, dass Fraiger meint: „Das Leben ist zum Kotzen.“
Aber er und seine Bande machen weiter. Dass das kein gutes Ende nimmt, können wir uns denken. Immerhin ist der Roman schon vor über 65 Jahren geschrieben worden und damals war es eine eherne (heute immer noch gültige) Regel, dass die Verbrecher für ihren Taten büßen müssen. Und dass Gloria keinen guten Einfluss auf den Ich-Erzähler Fraiger hat, können wir uns ebenfalls denken und dennoch wollen wir wissen, wie Fraiger sich immer weiter in Schuld verstrickt. Das erzählt Malet auf knapp 140 Seiten, die sich wie die Vorlage für einen französischen Kriminalfilm aus den fünfziger Jahren lesen. Mit Simone Signoret oder Jeanne Moreau als verführerische Gloria. Jean Gabin ist natürlich auch dabei. Und vielleicht Jean-Paul Belmondo als Fraiger. Und so legt sich über die Geschichte, die etwas unglücklich zwischen Sozialdrama, verquerer Liebesgeschichte (aus heutiger Sicht) und knallhartem Gangsterdrama schwankt, die Patina der Vergangenheit.

Jérémie Guez‘ Debüt „Paris, die Nacht“ erinnert überhaupt nicht an die klassischen französischen Kriminalfilme. Immerhin spielt der ebenfalls angenehm kurze Roman, der ebenfalls „Das Leben ist zum Kotzen“ heißen könnte, im heutigen Paris. Bei einem ihrer abendlichen Streifzüge entdecken die beiden jungen kleinkriminellen Gelegenheitsdealer Abraham und Goran einen illegalen Spielsalon, in dem Verbrecher zocken. Sie halten es für eine geniale Idee, die Verbrecher auszurauben. Denn die können nicht zur Polizei gehen.
Dass das dann doch keine so grandiose Idee war, erfahen sie kurz darauf. Denn die Gangster wollen ihr Geld zurückhaben. Und im Gegensatz zur Polizei müssen sie sich nicht an das Gesetz halten.
Guez war, als sein Debüt in Frankreich 2010 erschien, 22 Jahre und so überzeugt „Paris, die Nacht“ vor allem als Talentprobe, die er besser nicht im Präsens geschrieben hätte. Allzu oft stockt der Lesefluss, weil ich immer wieder nach zwei, drei, vier Sätzen bemerkte, dass ich in Gedanken mal wieder in der vertrauten, aber hier falschen Zeitform war. Dass sein Debüt den bekannten Genrepfaden folgt, kann ihm nicht wirklich vorgeworfen werden. Immerhin schrieb er nicht, wie andere Debütanten, eine langweilige Selbstbespiegelung und die Geschichte seiner ersten großen Liebe. Frauen haben in „Paris, die Nacht“ noch nicht einmal eine Nebenrolle. Und er verzichtet auf die aus anderen Gangstergeschichten bekannten Klischees über die Banlieue, das Migrantenviertel Belleville und die chancenlosen Migrantenkinder. Hier ist jeder für sein Schicksal verantwortlich. Deshalb buddeln sich der Ich-Erzähler Abraham, sein bester Freund Goran und ihre Freunde, die alle wirklich nicht die Hellsten sind, ohne fremde Hilfe ihr Grab.

Léo Malet: Das Leben ist zum Kotzen
(übersetzt von Sarah Baumfelder und Thomas Mittelstädt)
(mit einem Nachwort von Tobias Gohlis)
Nautilus, 2015
160 Seiten
14,90 Euro

Deutsche Erstausgabe
Nautilus, 1987

Originalausgabe
La vie est dégueulasse
S. E. P.E./Editions du Scorpion, 1948

Jérémie Guez: Paris, die Nacht
(übersetzt von Cornelia Wend)
(mit einem Nachwort von Thekla Dannenberg)
Polar, 2015
152 Seiten
12,90 Euro

Originalausgabe
Paris la nuit
La Tengo, 2011

Hinweise
Wikipedia über Léo Malet (deutsch, französisch) und Jérémie Guez
Krimi-Couch über Léo Malet
Meine Besprechung von Jalil Lesperts „Yves Saint Laurent“ (Yves Saint Laurent, Frankreich 2013) (Guez ist einer der Drehbuchautoren)


Neu im Kino/Filmkritik: „Yves Saint Laurent“ und sein Freund Pierre Bergé

April 18, 2014

Alles das, was Ron Howard in „Rush“ über den erbitterten Kampf um den Weltmeistertitel zwischen den Formel-1-Piloten Niki Lauda und James Hunt oder Brian Helgeland in „42“ über Jackie Robinson, der als erster Afroamerikaner, trotz massiver Vorurteile, in der Major League Baseball spielte oder Margarethe von Trotta in „Hannah Arendt“ über die Philosophin und ihr Werk „Eichmann in Jerusalem – Ein Bericht über die Banalität des Bösen“ richtig machten und auch noch Justin Chadwick in „Mandela – Der lange Weg zur Freiheit“ über den südafrikanischen Freiheitskämpfer mit Einschränkungen gelang, macht Jalil Lespert in seinen Biopic „Yves Saint Laurent“ falsch. Denn bei ihm wird nie deutlich, warum wir uns für den Modeschöpfer interessieren sollten, was wir aus seinem Leben lernen könnten oder auch nur gegen welche Widerstände er kämpfte.
Im Film wirkt Yves Saint Laurent wie das geborene Glückskind. Er ist modebegeistert. Als 21-jähriger übernimmt er 1957, nach dem plötzlichen Tod von Christian Dior, das Haute-Couture-Haus. Er trifft Pierre Bergé, der sein Freund, Geliebter und Geschäftspartner wird. Bergé, der auch der Erzähler des Films ist, ist die Frau im Hintergrund. Als sie 1961 das Modelabel „Yves Saint Laurent“ gründen, lässt er Yves Saint Laurent in der Öffentlichkeit und hält ihm die alltäglichen Geschäftsprobleme vom Hals. Laurents Kollektionen werden begeistert aufgenommen. Sie sind glücklich und genießen ihren Reichtum, ohne mit ihm zu protzen. In dieser rosaroten Modewelt ist alles perfekt und alle haben sich lieb.
Dass die Wirklichkeit nicht so rosig war, erfährt man im Film nicht. Im Film hat Yves Saint Laurent keine Probleme und er muss auch gegen keine Widerstände kämpfen. Im Film hatte er ein vollkommen langweiliges Leben. Das ist dann für einen Film, vor allem wenn man über Yves Saint Laurent nur weiß, dass er ein bedeutender Modeschöpfer war, einfach nur todlangweilig. Denn man erfährt im Film nicht, warum die gezeigten Kollektionen so wichtig sind. Man erfährt auch nicht, warum Laurent sich als Künstler sah, er die Mode als eine Kunst ansah und seine Kollektionen so revolutionär waren.
Und die im Zentrum des Films stehende Liebesgeschichte ist für einen Film ziemlich uninteressant. Denn für einen Film ist „Konflikt“ der notwendige Treibstoff. In Konflikten und wie sie damit umgehen, zeigt sich der Charakter der verschiedenen Personen. Die perfekte Liebe, die man natürlich jedem gönnt, ist dagegen die vollkommene Abwesenheit von Konflikt.
Für ein Biopic ist das dann aber nicht besonders lehrreich. Denn, wie gesagt, bei einem Biopic wollen die Macher uns Zuschauern erzählen, warum dieses Leben so ungewöhnlich war und was wir aus diesem Leben lernen können. Auch was wir anders machen würden oder wo der Porträtierte das vollkommen falsche getan hat. Am Ende des Films sollten wir mehr über den Protagonisten wissen, seine Handlungen verstehen und auch wissen, warum er eine so ungewöhnliche Person ist.
„Yves Saint Laurent“ versagt hier leider komplett.
Das verklärende Biopic ist nur ein vollkommen unkritischer Werbefilm. Aber wer will zwei Stunden Werbung sehen, wenn er im Fernsehen schon nach zwei Minuten den TV-Kanal wechseln würde?

Yves Saint Laurent - Plakat

Yves Saint Laurent (Yves Saint Laurent, Frankreich 2013)
Regie: Jalil Lespert
Drehbuch: Jacques Fieschi, Marie-Pierre Huster, Jalil Lespert, Jérémie Guez (Mitarbeit)
LV: Laurence Benaïm: Yves Saint Laurent
mit Pierre Niney, Guillaume Gallienne, Charlotte Le Bon, Laura Smet, Marie de Villepin, Nikolai Kinski
Länge: 106 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Yves Saint Laurent“
Moviepilot über „Yves Saint Laurent“
Metacritic über „Yves Saint Laurent“
Rotten Tomatoes über „Yves Saint Laurent“
Wikipedia über „Yves Saint Laurent“ (deutsch, englisch, französisch)