Neu im Kino/Filmkritik: „7 Tage in Entebbe“: deutsche Flugzeugentführer, israelische Geisel und eine Befreiung

Mai 5, 2018

Am 27. Juni 1976 entführen Mitglieder der deutschen Terrorgruppe „Revolutionäre Zellen“ und der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ die Air-France-Maschine 139, Das Linienflugzeug landet mit 270 Menschen (12 Besatzungsmitglieder, 258 Passagiere) in Entebbe, wo sie von dem ugandischen Diktator Idi Amin aufgenommen werden. Er quartiert sie in einem leerstehenden Bereich des Flughafens ein.

Die Entführer versuchen in den nächsten Tagen ihre Geisel in der heißen und stickigen Flughafenhalle ruhig zu halten. Sie fordern die Freilassung von 53 in Israel, Frankreich, Deutschland und der Schweiz inhaftierten Terroristen und fünf Millionen US-Dollar.

In Israel fragen sich Premierminister Yitzhak Rabin und sein Verteidigungsminister Shimon Peres, der eine harte Keine-Verhandlungen-Linie verfolgt, wie sie mit der Geiselnahme umgehen sollen. Letztendlich – und das ist für alle, die sich auch nur oberflächlich mit der Geschichte des internationalen Terrorismus in den siebziger Jahren beschäftigten, eine vertraute und bekannte Geschichte – schickt Israel, unter der Leitung von Brigadegeneral Dan Schomron, eine Einheit des Militärs zur Befreiung der über hundert Geisel.

Diese erfolgreiche Befreiung, bei der alle sieben Geiselnehmer, ungefähr zwanzig ugandische Soldaten, ein israelischer Soldat und drei Geisel starben, wurde anschließend mehrmals verfilmt. Wenige Monate nach der Befreiung konkurrierten drei hochkarätig besetzte Filme um die Aufmerksamkeit des Publikums. Am bekanntesten ist heute noch Irvin Kershners „…die keine Gnade kennen“ (mit Charles Bronson, Peter Finch und Horst Buchholz). Unbekannter sind Marvin J. Chomskys „Unternehmen Entebbe“ (mit Burt Lancaster, Elizabeth Taylor und Anthony Hopkins) und Menahan Golans „Operation Thunderbolt“ (mit Klaus Kinski und Sybill Danning).

7 Tage in Entebbe“-Regisseur José Padilha kämpft in seiner Version der damaligen Ereignisse nicht nur gegen diese Filme an, sondern auch gegen die zahlreichen anderen Thriller, die Flugzeugentführungen schildern und dabei mehr oder weniger dicht an zahllosen weiteren wahren Fällen bleiben. Zum Beispiel der Chuck-Norris-Trash „Delta Force“, der von der Entführung des TWA Flug 847 am 14. Juni 1985 inspiriert war und durchaus eindrucksvoll das Leid der entführten Passagiere und Besatzungsmitglieder schildert. Oder Roland Suso Richters überzeugender Thriller „Mogadischu“ über die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ am 13. Oktober 1977 und die erfolgreiche Geiselbefreiung durch die GSG 9. Um nur zwei Filme zu nennen, in denen eine Flugzeugentführung mit anschließender erfolgreicher Befreiung durch eine Spezialeinheit im Mittelpunkt stehen.

Gegenüber diesen Werken muss ein Remake gerechtfertigt werden. Es muss der bekannten Geschichte neue Facetten abgewinnen.

Drehbuchautor Gregory Burke und Regisseur José Padilha schienen dafür eine gute Wahl zu sein. Gregory Burke schrieb das Drehbuch für den grandiosen, dialogarmen IRA-Thriller „71 – Hinter feindlichen Linien“. José Padilha bewies mit „Tropa de Elite“, „Elite Squad – Im Sumpf der Korruption“ und der Netflix-Serie „Narcos“, dass er in einer Actiondramaturgie gut komplexe Sachverhalte erzählen kann. Mit seinem „Robocop“-Remake setzte er selbstbewusst eigene Akzente. Auch weil er konsequent die naheliegenden Actionszenen vermied. Mit ihnen als Macher und den neuen Erkenntnissen, die sie in ihrem Film verarbeiteten, durfte man auf eine faszinierende, spannende und informative Nacherzählung der damaligen Ereignisse erwarten.

Umso enttäuschender ist dann der Film. Er folgt den historisch verbürgten Ereignissen. Aber er hat überhaupt kein Interesse daran, sie für ein breites Publikum verständlich zu machen. Die Zuschauer, die nichts über den damaligen Linksterrorismus wissen, verstehen nichts. Die Motive der Entführer bleiben rätselhaft. Mehr als einige Soundbytes aus einer Filterblase, deren Bedeutung man nur mit dem nötigen Hintergrundwissen erfasst, bleiben nicht übrig. Entsprechend blass bleiben die Entführer. Das gilt vor allem für Daniel Brühl als Wilfried Böse und Rosamund Pike als Brigitte Kuhlmann. Die anderen Entführer sind noch nicht einmal bessere Nebendarsteller. Die Geisel bleiben eine austauschbare und geduldige Verfügungsmasse, über die man nichts erfährt und für die man sich daher nicht weiter interessiert.

Nur bei den Diskussionen und Machtkämpfen zwischen Yitzhak Rabin und Shimon Peres wird es spannend. In diesen Szenen duellieren sich Lior Ashkenazi (zuletzt, neben Richard Gere, in „Norman“) als Yitzhak Rabin und, gewohnt brillant, Eddie Marsan als Shimon Peres. Sie ringen mit der Frage, wie sie auf die Entführung reagieren sollen und gleichzeitig kämpfen sie um ihre politische Machtposition.

Ein dritter Erzählstrang ist die Vorbereitung und Durchführung der Geiselbefreiung. Für diesen Plot und die Befreiung, die in einem anderen Film die große Actionsequenz wäre, interessiert Padilha sich kaum. Noch konsequenter als in „Robocop“ vermeidet er hier die üblichen Bilder. Anstatt im Detail zu zeigen, wie die Befreiung abläuft, schneidet er in diesen Momenten immer wieder zu dem Stuhltanz aus Ohad Naharins von der Batsheva Dance Company gespieltem Tanzstück „Echad Mi Yodea“. Der Tanz verarbeitet den Zuzug jüdischer Menschen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg nach Palästina. Während der Performance legen die Tänzer immer mehr Kleider ab. Ein Tänzer legt seine Kleidung nicht ab. Er rutscht immer wieder von seinem Stuhl herunter. Der Tanz ist selbstverständlich eine Metapher, die im Rahmen des Films verschieden interpretiert werden kann. Das ist eine interessante Idee, die nicht funktioniert. Der Tanz bleibt ein Fremdkörper im Film.

Dem Film selbst gelingt es nie, die Relevanz der damaligen Ereignisse für die Gegenwart deutlich zu machen. Und als Geschichtsstunde funktioniert er auch nur bei den Menschen, die über ein ordentliches Hintergrundwissen zu den damaligen Ereignissen, Diskussionen und Auswirkungen verfügen.

Für alle anderen bleibt nur ein beliebiger Entführungsthriller mit viel 70-Jahre-Patina und etwas Revolutionärskitsch.

7 Tage in Entebbe (7 Days in Entebbe, USA/Großbritannien 2018)

Regie: José Padilha

Drehbuch: Gregory Burke

mit Daniel Brühl, Rosamund Pike, Eddie Marsan, Lior Ashkenazi, Denis Menochet, Ben Schnetzer, Nonso Anozie

Länge: 107 Minuten

FSK: ?

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „7 Tage in Entebbe“

Metacritic über „7 Tage in Entebbe“

Rotten Tomatoes über „7 Tage in Entebbe“

Wikipedia über „7 Tage in Entebbe“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von José Padilhas „Tropa de Elite“ (Tropa de Elite, Brasilien/USA 2007)

Meine Besprechung von José Padilhas „Robocop“ (Robocop, USA 2014)

Meine Besprechung von José Padilhas „Narcos – Die komplette erste Staffel“ (Narcos, USA 2015)


Buch- und DVD-Kritik: Über „Narcos“ und „Narconomics“

November 9, 2016

Die letzte Meldung zum Drogenkrieg: Jeremy Douglas, der Asien-Pazifik-Vertreter der UN-Drogenbehörde UNODC sagte Ende Oktober: „Der Anti-Drogen-Krieg des vergangenen halben Jahrhunderts hat keine Resultate gebracht. Zahlen machen deutlich, dass die Lage schlimmer denn je ist.“

Wer wissen möchte, warum er scheiterte, findet unter anderem in der Serie „Narcos“ und dem Sachbuch „Narconomics“ Erklärungen.

Narcos“, eine von Carlo Bernard, Chris Brancato und Doug Miro erfundene Netflix-Serie, erzählt die Geschichte des USA-Südamerikanischen Drogenkrieges seit den frühen Siebzigern bis, nun, wir werden sehen. In der ersten Staffel (die zweite ist bereits veröffentlicht, eine dritte und vierte Staffel sind bestellt) geht es um Pablos Escobar (1. Dezember 1949 – 2. Dezember 1993) und seinen Aufstieg. Die erste Staffel endet im Juli 1992, als Escobar aus dem Gefängnis „La Catedral“ (das er in jeder Beziehung nach seinen eigenen Wünschen gestaltete) in den Dschungel flüchtet. Escobars Gegner ist der DEA-Agent Steve Murphy, der sich Ende der siebziger Jahre von Florida nach Kolumbien versetzen lässt und der in den ersten acht von zehn Episoden mit seiner Erzählerstimme die sich durchgehend nah an der Realität bewegenden, kongenial verdichteten Ereignisse kommentiert. Murphys Freund und Vertrauter ist sein Partner Javier Peña, der in der Serie schon länger im Land ist. In Wirklichkeit kam Peña erst 1989 ins DEA-Büro in Bogotá (und einige der Fotos, die er damals schoss, sind in James Mollisons Bildband „Escobar – Der Drogenbaron“ veröffentlicht).

In den letzten beiden Episoden verändert sich dann das Erzähltempo von einem Scorsese-haftem Epos hin zur langsamen Erzählweise des Serienfernsehens, in dem es, auch wenn es einen oder mehrere folgenübergreifende Handlungsstränge gibt, pro Folge immer einen klar umrissenen ‚Konflikt der Woche‘ gibt und die Geschichte sich manchmal im Schneckentempo voranbewegt. Dieser Bruch markiert auch den Punkt, in dem Macher bemerkten, dass sie mit „Narcos“ wirklich eine Serie haben, die sie über mehrere Staffeln weitererzählen können.

Die erste Staffel von „Narcos“ ist furioses Fernsehen, das immer wieder wie eine Bebilderung von Don Winslows Südamerika-Romanen „Tage der Toten“ und „Das Kartell“ wirkt. Immerhin behandeln die Serie und die Romane den gleichen Krieg aus der nord- und südamerikanischen Perspektive und sie stellen in ihrer Jahrzehnte umspannenden Chronik nüchtern das vollständige Scheitern des von Präsident Nixon groß angekündigten „war on drugs“ fest: der Drogenkonsum nahm zu, die Preise stagnierten, die Gewalt eskalierte.

Die ersten beiden Folgen wurden von José Padilha, dem Regisseur von „Tropa de Elite“ und „Robocop“, inszeniert. Er legte damit den Grundton und das Erzählprinzip, das er „’Goodfellas‘ mit Archivmaterial“ nennt, fest. Für ihn war, wie er im Bonusmaterial erzählt, nur Wagner Moura, mit dem er bereits mehrfach zusammenarbeitete, als Pablo Escobar vorstellbar. Und Moura, der für die Rolle spanisch lernte, überzeugt als Escobar restlos.

Daher ist es auch sehr lobenswert, dass auch in der deutschen Synchronisation das Prinzip der Zweisprachigkeit beibehalten wurde und die Charaktere in ihrer Muttersprache, also englisch (bzw. deutsch) oder spanisch, sprechen. Für Netflix war diese Zweisprachigkeit nie ein Problem und auch aus ökonomischer Perspektive sogar erwünscht. Denn der spanischsprechende Markt ist groß. Der Wechsel zwischen den verschiedenen Sprachen trägt auch zum Realismus der Serie bei.

Ein Problem der Serie ist allerdings, dass gerade bei den ersten acht Episoden die einzelnen Charaktere kaum ein Eigenleben entwickeln können, weil in einem atemlosen Reportage-Stil durch die Jahre gehetzt werden muss.

Ein anderes Problem ist, dass wirklich kein Charakter zur Identifikation einlädt. Letztendlich sind alle Arschlöcher, die, wenn es ihren Zielen dient, Gesetze brechen und Moral für eine Nebensache halten. Auch DEA-Agent Murphy macht da in der Serie eine Entwicklung durch. Sie ist am Ende der achten Episode, die den Kreis zur ersten Episode schließt, abgeschlossen.

Das Bonusmaterial ist mit drei Audiokommentaren, den Featurettes „The Colombian Connection“, „Establishing the Route“ und „The Language Barrier“ (insgesamt 45 Minuten) und knapp acht Minuten „Deleted Scenes“ durchaus umfangreich ausgefallen. Die informativen Featurettes konzentrieren sich auf die Serie und liefern Hintergründe zum Dreh vor Ort und der Zusammenarbeit mit Netflix. Allerdings wurde, aus was für idiotischen Gründen auch immer, durchgehend darauf verzichtet, die Namen und Funktionen der Interviewten einzublenden. So muss man sich während des Gesprächs zusammenreimen, wer spricht. Bei einigen findet man es nie heraus.

Narconomics – Ein Drogenkartell erfolgreich führen“ von „Economist“-Journalist Tom Wainwright ist eine gute Ergänzung zu „Narcos“. Der ab 2010 jahrelang über Mittelamerika und die umliegenden Länder berichtende Journalist wagt eine aktuelle Bestandsaufnahme des Kampfes gegen die Drogen in Südamerika und den USA. Mit minimalen Ausflügen in andere Länder. In seinem Sachbuch zeichnet er den Weg der Drogen vom Anbau bis zum Verkauf an den Endkonsumenten nach. Dabei verbindet er Vor-Ort-Recherche mit umfassenderen Analysen und betrachtet das Drogengeschäft aus ökonomischer Perspektive. Also so, als wäre das Drogengeschäft ein ganz normales Geschäft, das sich von legalen Geschäften nur durch die beiden Buchstaben „i“ und „l“ unterscheidet. Mit dieser, zugegeben nicht besonders neuen Betrachtungsweise, die er auf die gesamte Lieferkette anwendet, führt er zu einer teilweise neuen Sicht des Drogengeschäftes und den damit zusammenhängenden Probleme, wie Kriminalität, zweifelhafte Produktqualität und den Kosten der Bekämpfung. Denn der gesamte, inzwischen seit Jahrzehnten geführte Kampf gegen die Drogen führte nicht zum Ziel. Im Gegenteil: es wird mehr konsumiert und der Straßenpreis (vulgo Endkundenpreis) für Drogen steigt nicht. Dagegen steigen, egal ob man sich nur auf die direkten oder auch die indirekten Kosten konzentriert, die Kosten der Bekämpfung.

Aus dem ökonomischen Blickwinkel wird auch deutlich, an welchen Punkten der Lieferkette man am besten eingreift: an der Grenze zur USA oder ziemlich direkt bei den Endkonsumenten. Dort ist das Produkt am teuersten. Der ökonomische Verlust für die Kartelle ist dort am höchsten.

Aus dem ökonomischen Blickwinkel wird auch deutlich, wie hoch die Kosten des erfolglosen Kampfes gegen die Drogen sind – und warum man die bisherige Politik ändern sollte. Folgerichtig fordert Wainwright ein Ende der Drogenprohibition, weil ein Verbot bei Drogen, wenn die Menschen sie konsumieren wollen, noch nie funktionierte. Das hatten die US-Amerikaner während der Alkoholprohibition schon erfahren müssen.

Eine überlegte Freigabe, Qualitätskontrolle, Besteuerung, vorausschauende Sozialpolitik, auch ein Umsteuern beim Umgang mit Inhaftierten (damit Gefängnisse nicht weiterhin Rekrutierungsorte für die Kartelle bleiben) und eine Produktion vor Ort würden vieles ändern. Der zunehmende Drogenhandel über das Internet hat schon jetzt, wie auch im normalen Handel, einiges geändert, weil die Vergleichsmöglichkeiten über die Qualität und den Preis des Produktes zunahmen. Außerdem war es noch nie wirklich sexy, aber abenteuerlich, sich in dunklen Gassen seinen Stoff zu besorgen.

Der Kollateralschaden einer solchen Politik wäre natürlich ein Ende Serien wie „Narcos“. Denn wer will schon normalen Kaufleuten bei ihrer stinklangweiligen Arbeit zusehen?

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Narcos – Die komplette erste Staffel (Narcos, USA 2015)

Regie: José Padilha, Guillermo Navarro, Andi Balz, Fernando Coimbra

Drehbuch: Chris Brancato, Carlo Bernard, Doug Miro, Dana Calvo, Dana Ledoux Miller, Andy Black, Zach Calig, Allison Abner, Nick Schenk

Erfinder: Carlo Bernard, Chris Brancato, Doug Miro

mit Wagner Moura (Pablo Escobar), Boyd Holbrook (Steve Murphy), Pedro Pascal (Javier Peña), Paulina Gaitan (Tata Escobar), Juan Murcia (Juan Pablo Escobar), Raúl Méndez (César Gaviria), Jorge Monterrosa (Trujillo), Paulina García (Hermilda Gaviria), Diego Cataño (La Quica), Julián Díaz (Blackie), Joanna Christie (Connie Murphy), Danielle Kennedy (Botschafterin Noonan), Luis Guzmán (José Rodríguez Gacha)

DVD

Polyband

Bild: 1,78:1 (16:9)

Ton: Deutsch, Englisch/Spanisch (Dolby Digital 5.1)

Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: Making-of, Interviews mit Cast & Crew, Deleted Scenes, Audiokommentare

Länge: 500 Minuten (4 DVDs)

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Narcos“

Wikipedia über „Narcos“ (deutsch, englisch) und Pablo Escobar (deutsch, englisch)

Narconomics von Tom Wainwright

Tom Wainwright: Narconomics – Ein Drogenkartell erfolgreich führen

(übersetzt von Henning Dedekind)

Blessing, 2016

352 Seiten

19,99 Euro

Originalausgabe

How to run a Drug Cartel

PublicAffairs, Perseus Book Group, New York, 2016

Bonushinweis

Wer zwischen der Realität und „Narcos“ vergleichen will, sollte sich James Mollisons „Escobar – Der Drogenbaron“ beschaffen. In der reich bebilderten Biographie kann man in die damalige Zeit eintauchen.

Mollison - Escobar - Der Drogenbaron

James Mollison (mit Rainbow Nelson): Escobar – Der Drogenbaron

(übersetzt von Simone Salitter und Gunter Blank)

Heyne Hardcore, 2010

416 Seiten

16 Euro

Originalausgabe

The Memory of Pablo Escobar

Chris Boot Ltd., London 2007

 


Neu im Kino/Filmkritik: „Robocop“ ist zurück

Februar 6, 2014

Alle Signale deuteten auf ein weiteres Desaster hin: ein Remake von einem Kultfilm (Erinnert ihr euch noch an den „Total Recall“-Remurks?), der bis vor kurzem bei uns noch auf dem Index stand. Zu brutal für ein nicht volljähriges Publikum. Das Remake ist „freigegeben ab 12 Jahre“. Bei uns und in England läuft der Film vor dem US-Start an. Normalerweise ist das eine Maßnahme, um Verluste zu minimieren. Es gab ein Embargo für Kritiken bis kurz vor dem Filmstart. Als ob das Gemaule der Fans in den einschlägigen Foren nicht schon laut genug sei. Die Besetzung garantiert definitiv keinen Kassenerfolg. Samuel L. Jackson und Gary Oldman sind zwar immer eine Bereicherung, aber allein wegen ihnen geht man schon lange nicht mehr ins Kino. Und der Hauptdarsteller Joel Kinnaman ist bei uns vor allem aus „Easy Money“ bekannt. Aber wer hat den Film schon gesehen?

Nein, besonders groß waren meine Erwartungen vor der Pressevorführung von „Robocop“ nicht. Ich hoffte höchstens auf ein Nicht-Komplett-Desaster. Immerhin hatte ich auch „Total Recall“ überlebt.

Aber schon die ersten Minuten begeisterten mich und diese Begeisterung ließ bis zum Abspann nicht nach. „Robocop“ ist nicht nur besser als erwartet, sondern ein wirklich guter Film und einer der besten Science-Fiction-Filme der vergangenen zwölf Monate. Ein Action-Thriller mit Botschaft und gelungenen satirischen Spitzen und gleichzeitig ein Anti-Action-Film.

Robocop“ beginnt mit einer TV-Übertragung. Der Showmaster Pat Novak (Samuel L. Jackson), ein konservativer Demagoge, will, dass auch im robophobischen Amerika Roboter für Recht und Ordnung sorgen, wie sie es im Ausland tun. Er lässt in seiner Sendung „The Novak Element“ live nach Teheran schalten zu einem friedenserhaltendem US-Robotereinsatz. In seiner ideologischen Verblendung nimmt Novak überhaupt nicht wahr, dass die Einheimischen eine Heidenangst vor den Robotern haben. Der Selbstmordanschlag gegen die US-Militärs, bei dem kein US-Soldat verletzt wird, aber etliche Einheimische sterben, ist für ihn ein weiterer Beweis der Leistungsfähigkeit der Roboter in dieser Friedensmission.

Danach werfen wir einen Blick in die Firmenzentrale von OmniCorp, deren Chef Raymond Sellars (Michael Keaton) möchte seine Roboter auch in den USA einsetzen. Aber ein Gesetz verhindert das. Noch.

Erst danach begegnen wir Alex Murphy (Joel Kinnaman), einem Detroit-Cop, der sich gerade vor seiner Vorgesetzten für einen fehlgeschlagenen Einsatz rechtfertigt, später durch eine Autobombe schwer verletzt wird und von OmniCorp als menschliche Restmasse für den ersten Robocop-Prototyp für die USA dienen soll. Dr. Dennett Norton (Gary Oldman), der Forschungsleiter, macht trotz Skrupel mit. Immerhin haben seine bisherigen Arbeiten, in denen er mit künstlichen Gelenken Verletzten half, beachtliche Erfolge erzielt.

Und auch im folgenden Film steht eigentlich Dr. Norton, sein Verhältnis zu seiner Schöpfung und die Frage, wo die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verschwimmen oder sogar verschwinden und was die Folgen davon sind, im Mittelpunkt. So hat Murphy als Robocop in Simulationen bei Geiselbefreiungen zunächst schlechtere Werte als ein Roboter, aber nachdem Dr. Norton das Gehirn von Murphy weiter manipuliert, übernimmt in Kampfsituationen der Roboter die Handlungen von Murphy und er absolviert die Übung beeindruckend perfekt. Aber: Ist es jetzt ein Mensch in einem Roboter oder ein Roboter in einem Menschen? Wie sehr ist ein Roboter mit dem Gesicht eines Menschen noch dieser Mensch? Und wer ist verantwortlich für die Handlungen des Robocops? Murphy? Der Roboter? Dr. Murphy? OmniCorp? Der Staat? Jemand anderes? Oder niemand? Diese Frage nach der Willensfreiheit des Individuums und nach der Verantwortung für seine Taten wird in „Robocop“ durchgängig thematisiert.

Damit knüpft „Tropa de Elite“-Regisseur José Padilha in seinem US-Debüt nahtlos an die derzeitige Diskussion über militärische Drohnen, ihren Einsatz und den damit verbundenen völker- und menschenrechtlichen Fragen an.

Auch die TV-Show von Pat Novak ist weniger eine Vision einer zukünftigen TV-Show, sondern eine bitterböse Satire auf konservativ-demagogische US-TV-Shows, die so seit Jahren im US-TV laufen und hemmungslos Stimmung machen.

Und natürlich ist „Robocop“ eine Anklage gegen gewinnversessene Sicherheitsfirmen und einen korrupten Staat. Vor allem die mit Verbrechern zusammenarbeitende Polizei kommt nicht gut weg, aber diese Korruptionsgeschichte wird nebenbei abgehandelt, weil es sich für einen Polizeifilm so gehört.

Dass dabei die Action, die es immer noch reichlich gibt, fast schon nebenbei als Pflichtprogramm abgehandelt wird, fällt kaum auf. Denn es gibt herrliche Anti-Action-Action-Szenen, wie die im Dunkeln stattfindende Schießerei in einer Lagerhalle, oder überraschende Momente. Wenn im Schlusskampf Robocop Murphy nicht nur gegen OmniCorp, sondern auch gegen seine OmniCorp-Programmierung kämpft, dann sind wir, mitten in einer furiosen Action-Szene auch wieder beim Thema des Films: Wie frei ist der Mensch? Was ist ein Mensch? Welche Verantwortung hat ein Hersteller für sein Produkt? Wie sehr darf ein Hersteller die Nutzung seines Produktes beschränken?

Politischer und tagesaktueller war wohl kein Hollywood-Science-Fiction-Blockbuster der vergangenen Monate. Denn „Robocop“ erzählt nicht von der Zukunft (auch wenn am Anfang behauptet wird, dass der Film 2028 spielt), sondern von der Gegenwart.

Ein großartiger Film!

Robocop - Plakat

Robocop (Robocop, USA 2014)

Regie: José Padilha

Drehbuch: Joshua Zetumer

mit Joel Kinnaman, Gary Oldman, Michael Keaton, Samuel L. Jackson, Abbie Cornish, Jackie Earle Haley, Michael K. Williams, Jennifer Ehle, Jay Baruchel, Marianne Jean-Baptiste, Zach Grenier

Länge: 117 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Amerikanische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Robocop“

Moviepilot über „Robocop“

Metacritic über „Robocop“

Rotten Tomatoes über „Robocop“

Wikipedia über „Robocop“ (deutsch, englisch)

Homepage von OmniCorp

Meine Besprechung von José Padilhas „Tropa de Elite“ (Tropa de Elite, Brasilien/USA 2007)