Neu im Kino/Filmkritik: Über Edgar Wrights Stephen-King-Verfilmung „The Running Man“

November 14, 2025

Vorbemerkung: Wenn die US-Amerikaner einen ausgebauten Sozialstaat und eine Krankenversicherung nach europäischem Vorbild hätten, könnte die Filmgeschichte nicht passieren. Und, ja, auch ein unterschiedlich gerupfter Sozialstaat ist besser als ein überhaupt nicht vorhandener Sozialstaat.

Und damit kämen wir zu „The Running Man“, einem Thriller über eine TV-Show über eine Menschenjagd in den USA. 1982 veröffentlichte Stephen King als Richard Bachman die Dystopie „The Running Man“ (Menschenjagd). 1987 verfilmte Paul Michael Glaser, sich Freiheiten nehmend, den Science-Fiction-Roman als knalligen Actionkracher mit Arnold Schwarzenegger. 96 Minuten dauert sein Film. Jetzt verfilmte Edgar Wright mit Richard Powell als titelgebenden Running Man Kings Roman. 134 Minuten dauert die neue, sich stärker an den Roman haltende Verfilmung.

Ben Richards (Glen Powell) ist ein Arbeiter, der aus mehreren Jobs flog, weil er sich für seine Kollegen einsetzte. Jetzt steht er auf der Schwarzen Liste. Entsprechend schlecht sind seine Aussichten auf einen neuen Job. Seine Frau übernimmt Doppelschichten in einer Bar. Trotzdem haben sie kein Geld für die dringend benötigten Grippemedikamente für ihre zweijährige Tochter.

Um an Geld zu kommen, will Ben sich im Fernsehen bei einem Gewinnspiel beteiligen. Der TV-Sender, der sich nur das Network nennt und mit seinem Programm das Publikum konsequent verdummt, sieht sich seinen Lebenslauf an, testet seine Fitness, interviewt ihn und schlägt ihm vor, bei der Hit-Show „The Running Man“ mitzumachen. Oder das Gebäude zu verlassen.

The Running Man“ ist eine TV-Show, in der ein Mann von für den Sender arbeitenden Killern dreißig Tage quer durch die USA gejagt wird. Wer ihm hilft, ist ebenfalls Freiwild. Wer dem Sender den Aufenthaltsort oder Informationen zum Aufenthaltsort des Running Man verrät, erhält eine fürstliche Belohnung. Wenn der Gejagte die dreißig Tage übersteht, erhält er ein utopisch hohes Preisgeld. Bis jetzt hat noch nie ein Läufer das Spiel überlebt. Normalerweise wurde er lange vor dem Erreichen der magischen dreißig Tage von den Killern oder normalen US-Bürgern, die dafür eine Belohnung erhalten, getötet.

Soweit die Prämisse, die Science-Fiction-Fans und Cineasten auch aus älteren, in den wesentlichen Punkten gleichen Filmen kennen. Die bekanntesten und gelungensten Varianten dieser Geschichte sind Robert Sheckleys Kurzgeschichte „The Prize of Peril“ (der Ursprungstext), Tom Toelles Verfilmung „Das Millionenspiel“ (Deutschland 1970, mit Dieter Hallervorden als Killer; dieser spannende TV-Film war wegen Rechtsstreitigkeiten lange in den Giftschrank verbannt), Yves Boissets kaum bekannte Verfilmung „Kopfgeld – Preis der Angst“ (Frankreich 1982) und Elio Petris pop-bunte Satire „Das zehnte Opfer“ (Italien 1965), die auf Sheckleys Kurzgeschichte „The Seventh Victim“ basiert. Sheckley schrieb auch den Roman zum Film. Immer geht es um eine im Fernsehen vor einem Millionenpublikum übertragene Menschenjagd, die der Gejagte nicht überleben soll. Immer manipuliert der Sender schamlos die Regeln zu seinen Gunsten. Immer geht es um Kritik am Kapitalismus.

Seit der 1987er Verfilmung von „The Running Man“ gab es selbstverständlich weitere Variationen der Geschichte. „Die Tribute von Panem“ (The Hunger Games) ist heute sicher die bekannteste und erfolgreichste Variante. Weitere Young-Adult-Dystopien und Kinofilme mit einer ähnlichen Prämisse, wie „Gamer“ und „Nerve“, waren weniger erfolgreich.

Jetzt hat Edgar Wright sich den Stoff wieder vorgenommen, ihn mild aktualisiert und nah an der von Stephen King erfundenen Geschichte entlang erzählt.

Das Ergebnis ist ein durchaus gelungener, aber nie wirklich überzeugender Thriller. Das liegt auch am finalen dritten Akt, der durchgehend wirkt, als ob Wright nicht wusste, wie die Geschichte enden soll. Trotz deftiger Actioneinlagen ist der Thriller bei weitem nicht das im Trailer versprochene brutale, grob-satirische Actionfeuerwerk. Wrights „The Running Man“ ist von seiner Atmosphäre näher an düsteren 70er-Jahre-Thrillern als an brachialen 80er-Jahre-Gewaltorgien.

Die Menschenjagd entwickelt sich als reines Episodendrama. Neben Ben werden in diesem Spiel noch zwei weitere Menschen gejagt. Während den Prüfungen für eine Teilnahme bei dem Spiel arbeiten sie etwas zusammen und lernen sich kennen. Befreunden wäre zu viel gesagt. Nach dem Spielstart gehen sie vollkommen getrennte Wege. Ben erfährt von ihnen nur noch, via TV, wie sie sterben. Er selbst reist quer durch die USA, trifft einige Menschen, denen er später nicht wieder begegnet. Einige Male kann er dabei seinen Jägern entkommen. Wie sie ihn gefunden haben, bleibt rätselhaft. Sie tauchen irgendwann auf und verwandeln, vor laufender Kamera, auch innerstädtische Gebiete in Kriegsgebiete.

Die Medien- und Kapitalismuskritik bewegt sich in den seit Jahrzehnten vertrauten Bahnen. Während die vorher erwähnten Verfilmungen aus den sechziger, siebziger und achtziger Jahren Entwicklungen bitterböse in die Zukunft fortschrieben, fällt die Medienkritik in „The Running Man“ (2025) deutlich dahinter zurück. Sie erreicht noch nicht einmal das schon vor Jahrzehnten bei der Diskussion über verschiedene Reality-TV-Formate, wie „Big Brother“ und „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ etablierte Niveau.

Dass der Sender die gesamte Sendung manipuliert, überrascht den Kinozuschauer daher nicht. Eher schon überrascht, wie schnell der Sender die Videos bearbeiten kann und wie perfekt er die Meinung des Publikums lenken kann; jedenfalls wird immer wieder angedeutet, dass alle dem Sender und dem von ihm verbreiteten Bildern glauben. Aus dem Arbeiter Ben wird in der Sendung ein Unruhestifter und Hallodri. Wenn er auf einem von ihm erstellten Video etwas sagt, das nicht in das Konzept der Sendung passt, wird es umstandslos geändert.

In diesen Momenten zeigt Wright, wie der TV-Sender die öffentliche Meinung manipuliert.

Gleichzeitig wird durch Graffitis, amateurhafte YouTube-Videos (eines in der Filmmitte, eines am Filmende) mit unklarer Verbreitung und, gegen Ende, plakatschwenkenden Menschen, nahe gelegt, dass Ben viele Fans hat und die Manipulationsversuche des Senders erfolglos sind. Warum die Menschen das tun oder wie sie erfahren haben, wo Ben ist, wird nicht gesagt. Denn wenn Ben sich nicht gerade im Nahkampf mit den Killern befindet, ist er untergetaucht. Er muss nur jeden Tag ein zehnminütiges Video auf einer Mini-Videocassette aufnehmen und in einen Briefkasten werden. Diese Postsendung kann nicht zurück verfolgt werden. Das Video ist der Beweis, dass er noch lebt. Moderne Überwachungstechnik, mit der Menschen in Echtzeit gefunden werden können und die, als King den Roman vor über vierzig Jahren schrieb absolut utopisch war, gibt es in Wrights retro-futuristischem Film nicht. Der Einsatz dieser Technik würde die Jagd auch ziemlich schnell beenden.

Die ‚Botschaft‘ gegen das System bleibt im Diffusen. Es wird aber von einigen Systemgegnern, die ihm helfen, gesagt, dass Ben der Mensch sein könnte, der eine Revolte gegen das System auslöst. Auch dieser Punkt bleibt eine reine Behauptung.

Das heißt: immer dann, wenn es politisch werden könnte, wenn die Satire treffend werden könnte, wenn gesellschaftliche Missstände angesprochen werden könnten, wenn Ross und Reiter genannt werden sollten, wird es erstaunlich schwammig. So wird in der einen Minute die Manipulation der Bilder durch den Sender angesprochen und damit das Vertrauen in die Echtheit von Bildern untergraben. In der nächsten Minute ist es dann wichtig, dass Ben, der in dem Moment (wir befinden uns im dritten Akt) weiß, dass der Sender die Bilder nach seinen Interessen manipuliert, dem Sender glaubt, dass die Bilder, die ihm der Sender in dieser Minute zeigt, nicht manipuliert sind. Diese Schizophrenie zieht sich durch den gesamten Film. Das Problem von „The Running Man“ (2025) ist daher nicht, dass Politik angesprochen wird, sondern wie sie angesprochen wird. Hier sind die „The Purge“-Filme viel expliziter, eindeutiger und überzeugender.

The Running Man“ ist dagegen ein sich manchmal politisch, system- und medienkritisch gebendes eskapistisches Spektakel voller verschenkter und nicht genutzter Möglichkeiten. Deshalb sollte man auch nicht allzu intensiv über die Story und die Welt, in der die Geschichte spielt, nachdenken.

The Running Man (The Running Man, USA 2025)

Regie: Edgar Wright

Drehbuch: Michael Bacall, Edgar Wright

LV: Stephen King (ursprünglich als Richard Bachman): The Running Man, 1982 (Menschenjagd)

mit Glen Powell, William H. Macy, Lee Pace, Michael Cera, Emilia Jones, Daniel Ezra, Jayme Lawson, Sean Hayes, Katy O’Brian, Karl Glusman, Colman Domingo, Josh Brolin

Länge: 134 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „The Running Man“

Metacritic über „The Running Man“

Rotten Tomatoes über „The Running Man“

Wikipedia über „The Running Man“ (deutsch, englisch)

zu Edgar Wright

Meine Besprechung von Edgar Wrights „The World’s End“ (The World’s End, Großbritannien 2013)

Meine Besprechung von Edgar Wrights „Baby Driver“ (Baby Driver, USA 2017)

Meine Besprechung von Edgar Wrights „The Sparks Brothers“ (The Sparks Brothers, USA 2021)

Meine Besprechung von Edgar Wrights „Last Night in Soho“ (Last Night in Soho, Großbritannien 2021)

zu Stephen King

Homepage von Stephen King

Mein Porträt zu Stephen Kings Geburtstag

Stephen King in der Kriminalakte, in seinem Trailer-Park und auf Europa-Tour

den Romanen von Stephen King

Meine Besprechung von Stephen Kings/Richard Bachmans „Qual“ (Blaze, 2007)

Meine Besprechung von Stephen Kings „Nachgelassene Dinge“ (The things they left behind) in Ed McBains „Die hohe Kunst des Mordens“ (Transgressions, 2005)

Meine Besprechung von Stephen Kings „Colorado Kid“ (The Colorado Kid, 2005)

Meine Besprechung von Stephen Kings „Doctor Sleep“ (Doctor Sleep, 2013)

Meine Besprechung von Stephen Kings „Später“ (Later, 2021)

Meine Besprechung von Joe Hill/Stephen King/Richard Mathesons „Road Rage“ (Road Rage, 2012)

den Verfilmungen, teils mit Besprechungen der Romane

Meine Besprechung der auf Stephen Kings Novelle “The Colorado Kid” basierenden TV-Serie “Haven”

Meine Besprechung von Kimberly Peirces Stephen-King-Verfilmung “Carrie” (Carrie, USA 2013)

Meine Besprechung von Tod Williams‘ Stephen-King-Verfilmung „Puls“ (Cell, USA 2016)

Meine Besprechung von Stephen Kings „Der dunkle Turm: Schwarz“ (The Dark Tower: The Gunslinger, 1982) und von Nikolaj Arcels Romanverfilmung „Der dunkle Turm“ (The dark Tower, USA 2017)

Meine Besprechung von Andy Muschiettis „Es“ (It, USA 2017)

Meine Besprechung von Stephen Kings „Friedhof der Kuscheltiere“ (Pet Sematary, 1983) und Kevin Kölsch/Dennis Widmyers Romanverfilmung „Friedhof der Kuscheltiere“ (Pet Sematary, USA 2019)

Meine Besprechung von Andy Muschietti Stephen-King-Verfilmung „Es Kapitel 2″ (It Chapter 2, USA 2019)

Meine Besprechung von Mike Flanagans „Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen“ (Doctor Sleep, USA 2019) (wahrscheinlich einer der Filmtitel, die kein Mensch an der Kinokasse vollständig ausgesprochen hat)

Meine Besprechung von Rob Savages Stephen-King-Verfilmung „The Boogeyman“ (The Boogeyman, USA 2023)

Meine Besprechung von Kurt Wimmers „Kinder des Zorns“ (Children of the Corn, USA 2020)

Meine Besprechung von Osgood Perkins‘ Stephen-King-Verfilmung „The Monkey“ (The Monkey, USA/Großbritannien 2025)

Meine Besprechung von Mike Flanagans Stephen-King-Verfilmung „The Life of Chuck“ (The Life of Chuck, USA 2024)

Meine Besprechung von Franics Lawrences Stephen-King-Verfilmung „The long Walk – Todesmarsch“ (The long Walk, USA 2025)


Im Verhörzimmer: Jeff Nichols über „The Bikeriders“

Juni 21, 2024

1968 veröffentlichte Danny Lyon den Bildband „The Bikeriders“. In ihm sind Bilder aus dem Leben und von Mitgliedern des Outlaws Motorcycle Club und Interviews, die er mit ihnen führte. Lyon war selbst mehrere Jahre Mitglied der Bikergang. Aber die Entstehung dieses Buch ist eine andere Geschichte, die hier jetzt nicht erzählt wird.

Vor zwanzig Jahren erhielt Jeff Nichols diesen Bildband von seinem älteren Bruder. Er war sofort fasziniert von den Fotografien und wollte das Buch verfilmen. Er wusst nur nicht, wie.

Als Lyon die Mitschnitte der Interviews veröffentlichte und Nichols Kathy reden hörte, hatte er eine Idee, wie er aus dem Bildband einen Film machen könnte.

Das tat er jetzt mit einer Riege bekannter Schauspieler, wie Jodie Comer als Kathy, die „Erzählerin“ des Films und Frau von Benny, Austin Butler als Benny, die Nummer 2 in der Bikergang, Tom Hardy als Johnny, Gründer und Anführer der fiktiven Bikergang Vandals, Michael Shannon, Norman Reedus und Boyd Holbrook als Mitglieder der Vandals und einer oft peinlich genauen Nachstellung der Bilder aus dem Bildband. Einige von Lyons Aufnahmen werden Im Abspann des Films gezeigt.

Obwohl Nichols viel Zeit und Mühe in eine authentische Rekreation der sechziger Jahre und dem Leben in einer Bikergang steckte und wahrscheinlich jeder andere Regisseur den Film als „eine wahre Geschichte“ oder als „inspiriert von einer wahren Geschichte“ verkauft hätte, erfand Jeff Nichols eine Bikergang. Im Interview erklärt er, warum er das tat.

The Bikeriders“ ist ein Film iwie ein Bildband, den man geruhsam durchblättert, in den vorzüglichen Fotografien versinkt und dabei den Text, eine ebenfalls vorzügliche Reportage, garniert mit Interviews, liest. Es ist ein guter Film mit Auslassungen. Die negativen Seiten der Motorradgangs, ihre Gewalttätigkeit, ihre Verbrechen und ihre politische Einstellung, werden kaum beleuchtet oder in die Zeit nach dem Filmende verschoben. „The Bikeriders“ hat auch keine emotional packende Geschichte nach den Regeln eines konventionellen Hollywood-Dramas. Sein Film ist eine Reportage über den Aufstieg und Niedergang des Gründers eines Motorradfahrerclubs und die Liebesgeschichte zwischen einer Frau, die als Fremde die Welt der Bikergangs betritt und sich in ein Mitglied der aus gesellschaftlichen Outsidern bestehenden Gruppe verliebt. Außerdem hat der Film ein wundervoll zwiespältiges, fast schon zynisches Ende, über das wir uns während des Interviews nicht unterhielten

Als Jeff Nichols vor einigen Tagen Berlin besuchte, unterhielten wir uns im Waldorf Astoria über den Weg zum Film, das Verhältnis von Fakten zu Fiktion, die Besetzung, die Struktur des Films, wie wichtig für ihn das von ihm geschriebene Drehbuch ist, in welchem Rahmen die Schauspieler improvisieren dürfen und das Thema des Films.

Frage

Seit zwanzig Jahren wollen Sie Danny Lyons Bildband „The Bikeriders“ verfilmen. Warum hat es so lange gedauert?

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Jeff Nichols

Mein Bruder Ben hat es mir damals gegeben. Ich bin der jüngste von drei Jungs. Ben ist mein ältester Bruder. Er spielt in einer Band namens Lucero. Er war immer der Coolste in unserer Familie. Und er hat mir das coolste Buch gegeben, das ich je gelesen habe. Erzählerisch war ich noch nicht weit genug. Ich wusste nicht, wie ich die Geschichte erzählen sollte. Ich verstand, was Danny getan hatte. Er war nicht nur ein Fotograf, sondern tatsächlich ein Anthropologe. Mit seinen Fotos und Interviews hatte er eine Subkultur in ihrer Gesamtheit eingefangen.

Als Filmemacher, der Menschen in eine Welt entführen will, mit der sie vielleicht nicht vertraut sind oder in der sie sich nicht wohl fühlen, braucht man all diese Details. Danny hatte sie alle auf wirklich schöne Weise gesammelt. Ich musste mir nur eine Handlung ausdenken, und das hat mich etwa 20 Jahre gekostet.

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Frage

Apropos Danny. Wenn ich es richtig verstehe, spielt in diesem Film nur Mike Faist eine reale Person. Alle anderen Figuren sind fiktionalisierte Versionen echter Menschen.

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Jeff Nichols

Alle Figuren sind fiktionalisiert. Sogar Dannys Version. Vor kurzem unterhielt ich mich mit Danny und er meinte, das sei das Einzige, was ihm an dem Film nicht gefalle. Er sei viel schmutziger als Mike Faist. Er nimmt die Tatsache, dass er selbst ein Rebell war, wirklich sehr ernst.

Es ist wirklich schwierig, das zu erklären oder darüber zu sprechen. Im Buch wurde eine echte Kathy interviewt. Es gab einen echten Mann namens Johnny, der diesen Club gegründet hat. Kathy war mit einem echten Mann namens Benny verheiratet. Andere Charaktere sind Amalgame. Da war ein Typ namens Brucie, aber er ist nicht so gestorben, wie ich es im Film erzähle. Ungefähr siebzig Prozent der Dialoge im Film sind wahrscheinlich direkt aus diesen Interviews übernommen. Aber die Handlung ist komplett von mir erfunden. Es gab nie diese Dreiecksbeziehung zwischen den drei Personen. Kathy war mit Benny verheiratet, aber ich habe keine Ahnung, wie Johnny sich fühlte. Johnny war in dem Buch keine wirklich wichtige Figur. Sie sind Menschen. Es ist also eine Art hybrider narrativer Dokumentarfilm.

Ich habe ziemlich schnell gemerkt, wenn Kathy heute noch leben würde und zu mir käme, könnte ich ihr nicht in die Augen sehen und sagen: „Ich habe deine Geschichte erzählt.“ Ich habe ihr Interview von 1965 genommen. Den Rest habe ich erfunden. Ich habe keine Ahnung, was mit Kathy danach passiert ist.

Also sagt man am besten, mein Film ist eine Erfindung, die stark von diesen Interviews und diesen Leuten beeinflusst ist.
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Frage

Sie sind Autor und Regisseur. Sie machen also beides. Was waren für Sie in „The Bikeriders“ und in „Loving“ (sein Drama über den Fall des Ehepaares Loving, der 1967 zu einem einsitmmigen Urteil des Obersten Gerichtshofs führte, das ein Verbot von Eheschließungen aufgrund von Rassenmerkmalen für verfassungswidrig erklärte) die Herausforderungen beim Erzählen einer Geschichte mit bereits existierende Charakteren?

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Jeff Nichols

Es war interessant, „The Bikeriders“ nach „Loving“ zu machen. Ich glaube nicht, dass ich diesen Film ohne „Loving“ hätte machen können. Es sind zwei völlig unterschiedliche Projekte. Nicht nur ästhetisch oder erzählerisch, sondern auch in der Art und Weise, wie ich an sie herangegangen bin. Bei „Loving“ wollte ich mir nichts ausdenken. Als weißer, 1978 geborener Mann aus der Mittelschicht war es nicht meine Aufgabe, ihre Geschichte zu fiktionalisieren. Meine Aufgabe war es, so viel wie möglich über sie als Menschen zu erfahren und sie so angemessen wie möglich darzustellen. Das war bei „The Bikeriders“ anders.

Ich interessiere mich eigentlich nicht sehr für die Motorradkultur. Die heutigen Biker-Gangs sind mir vollkommen egal. Was mich interessierte, waren die Menschen, die Danny interviewte. Irgendwann wurde mir klar, dass mir die Fiktionalisierung die Freiheit geben würde, näher an das Buch heranzukommen. Es gibt ein Gefühl, das man bekommt, wenn man das Buch liest und wenn man sich die Fotos ansieht. Es gibt eine Spannung zwischen den Fotos und den Interviews. Die Fotos sind romantisch. Sie sind wunderschön. Die Interviews sind manchmal bösartig, manchmal humorvoll. Aber die Fassade ist definitiv weg. Zwischen ihnen entsteht eine Spannung. Um das im Film zu erreichen, musste ich es fiktionalisieren. Wenn ich mich der Herausforderung gestellt hätte, nur zu versuchen, die Geschichte der Chicago Outlaws zu erzählen, den echten Club, den Danny fotografierte und der zur zweitgrößten Motorradgang der Welt wurde, dann wäre das nicht die Geschichte, die mir wichtig war. Die Geschichte, die mir wichtig war, waren die Menschen.
Also brauchte ich die Freiheit, alles drumherum fiktionalisieren zu können, damit ich tatsächlich zu dem gelangen konnte, was ich für das Wesentliche hielt.

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Frage

Austin Butler sieht in seiner Rolle wie James Dean aus. War sein Aussehen von Anfang an geplant?

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Jeff Nichols

Ich würde sagen, es liegt nicht am Aussehen. Es war etwas, das ich beim Drehen entdeckt habe und das sich beim Schnitt noch vertieft hat, und es war eine Fehlkalkulation meinerseits. Wenn diese echte Frau, Kathy, über den Mann spricht, den sie geheiratet hat, Benny, spricht sie davon, dass er emotional nicht erreichbar war. Er ist innerlich irgendwie tot. Austin Butler ist dagegen so unglaublich charmant. Beim Dreh sagte ich immer wieder zu ihm: „Hör auf zu lächeln.“ „Nein, hör auf zu lächeln.“ Und er konnte es nicht. Er konnte nicht anders. Ich sagte: „Nein, du musst emotional nicht erreichbar sein. Du musst innerlich tot sein.“ Aber ich hatte Austin Butler, der das Gegenteil von innerlich tot ist.
Er ist voller Emotionen, aber sein Mund ist verschlossen. Er kann nicht reden. Das ist James Dean. Wenn Sie sich „Rebel Without a Cause“ (… denn sie wissen nicht, was sie tun) ansehen, ist da ein Mann, der nicht in der Lage ist, all das auszudrücken, was in ihm vorgeht. Wir hatten das Glück, dass Austin Butler dabei war. Er war besser als sein Regisseur.

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Frage

Ist „The Bikeriders“ der neue „Easy Rider“ oder „The Wild One“ (Der Wilde) (In „The Bikeriders“ wird er im Fernsehen gezeigt. Danach gründet Johnny die Vandals) für unsere Generation oder ist er etwas völlig anderes?

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Jeff Nichols

Ich denke, mein Film ist etwas Eigenes. Die von ihnen genannten Filme waren repräsentativ für ihre Zeit.

Wenn man sich „The Wild One“ ansieht, ist er sehr stark ein Produkt des Studiosystems der fünfziger Jahre. Er beginnt mit diesem kitschigen Bild von Marlon Brando auf einem falschen Motorrad mit einer Rückprojektion hinter ihm. Heute sieht das fast absurd aus. Trotzdem hat „The Wild One“, was ich faszinierend finde, die Idee der Rebellion besser auf den Punkt gebracht als vielleicht irgendjemand davor oder danach. Wogegen rebellierst du? Was willst du? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Teenager auf der Welt gibt, der dem nicht zustimmt, oder ein Punkrock-Kid. Das Erstaunliche ist, dass man dann fünfzehn Jahre später „Easy Rider“ sieht. Was zum Teufel ist in diesen fünfzehn Jahren in der Gesellschaft und in der Kultur passiert, um ihr jetzt diesen Gegenkultur-Drogenfilm zu geben? Er ist im Grunde ein unabhängiger amerikanischer Film, der aus einem völlig anderen System als „The Wild One“ hervorgegangen ist. Und was auch immer passiert ist, darüber wollte ich einen Film machen. Das, was diese beiden Filme verbindet, ist das, worüber ich einen Film machen wollte.

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Frage

Sie zeigen uns eine Männerwelt aus der Sicht einer Frau. Das finde ich interessant. Ich denke, der Film wäre anders, wenn Sie ihn aus der Perspektive von Johnny oder Benny erzählen würden. Warum haben Sie sich für Kathy entschieden?

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Jeff Nichols

Der pragmatische Grund ist, dass sie die interessanteste Person ist, wenn man sich die Interviews im Buch durchliest. Sie ist nachdenklich. Sie ist selbstironisch. Sie ist manchmal verärgert. Sie ist eine echte Person aus Fleisch und Blut, die sich mit der Realität auseinandersetzt und sich fragt, warum sie sich mitten in dieser Welt befindet. Ich habe mich in sie verliebt. Wenn man den Film nur aus der männlichen Perspektive erzählt hätte, wäre er zu schwer.

Einer der Subtexte des ganzen Films ist, dass die Männer sich nicht ausdrücken können. Warum sollte ich einen von ihnen als Erzähler auswählen? Der Film würde sich falsch anfühlen. Er wäre gestellt. Es wäre auch sehr schwierig, zum Kern der Sache vorzudringen. Aber dann ist da Kathy. Sie denkt nach. Das kann man in den Interviews lesen. Es fühlt sich an, als würde sie beim Sprechen versuchen, herauszufinden, was in ihrem Leben vor sich geht.

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Frage

Können Sie uns ein bisschen etwas über die Struktur erzählen? Sie erzählen die Geschichte nicht gerade heraus, sondern mehrfach gebrochen. Sie blicken aus der Gegenwart auf die Bikerkultur von vor sechzig Jahren zurück. Dafür benutzen sie einen Bildband und einen Reporter, der Interviews führte und in den Interviews erzählt eine Frau, wie sie eine Männergesellschaft erlebt. Die Erzählungen der Frau bilden dann das Rückgrat der Filmgeschichte.

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Jeff Nichols

Also, ich werde jetzt einiges erzählen und vielleicht beantwortet das ihre Frage.

Es gibt nur eine Szene, die ich aus diesem Film herausgeschnitten habe, und zwar eine Szene nur mit Mike Faists Charakter Danny. Es war die einzige Szene ohne Biker, und ich erinnere mich: als wir sie drehten, sagte Mike Faist zu mir: „Du wirst das niemals in den Film aufnehmen.“ Ich sagte: „Auf keinen Fall. Dies ist meine Gelegenheit, durch die Figur Danny meinen Standpunkt zu vertreten. Hier sage ich, warum es wichtig ist, mit diesen Leuten zu sprechen.“ Ich wettete mit ihm um 1000 $, dass sie drin bleiben würde.

In der Szene versuchte ich, meinen eigenen Kommentar einzubringen. Es war eine Szene zwischen Danny und einer Frau, mit der er aufs College gegangen ist. Sie waren in seinem dunklen Zimmer, der nur sein Badezimmer war. Sie sitzt da, raucht einen Joint, sieht sich seine Fotos an und fragt: „Wie kannst du mit diesen Leuten reden?“ Er gibt eine Antwort, die halb Blödsinn, halb wahr ist. Und eigentlich war ich es, der euch ansieht und die Frage stellt, warum er das gemacht hat. Ich erkannte, dass es für die Erzählung nicht wichtig war. In der Erzählung können wir darüber reden und ich kann euch meine Antwort geben, aber die Wahrheit ist, dass wir in der Filmerzählung nicht von diesen Leuten ablenken wollten. Wir wollten auf Kurs bleiben.

Es war die erste Szene, die ich aus dem Film herausgeschnitten habe. Ich hatte sie nicht einmal im Rohschnitt.

Diese Szene war direkt vor der Szene mit dem roten Kleid. In dem Moment wart bereit für die Veränderung im Film. Ich weiß also nicht, ob das ihre Frage direkt beantwortet, aber es ist definitiv Teil meines Prozesses, zu verstehen, wo mein Standpunkt hineinpasst. Und die Wahrheit ist, dass er nicht direkt in diesen Film passte.

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Frage

Die Besetzung ist offensichtlich eine All-Star-Besetzung und es ist nicht so sehr die Frage, warum Sie diese Schauspieler engagierten, sondern warum Sie sie für diese Charaktere auswählten. Können Sie uns etwas darüber erzählen?

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Jeff Nichols

Wir hatten das Glück, Mike Faist für diese Rolle zu bekommen. Diese Rolle hätte ein Mauerblümchen sein können. Es hätte jemand sein können, der einfach nur da sitzt und wartet bis er die paar Zeilen zu sagt, die er hatte. Aber Mike ist ein wirklich kluger Kerl. Er interessiert sich für Kunst. Er interessiert sich dafür, wie die Dinge funktionieren. Er schreibt selbst ein Drehbuch und möchte, glaube ich, selbst Filmemacher werden. Was man also statt eines Mauerblümchens bekommt, ist ein Mensch, der wirklich zuhört. Wenn ich also zu ihm zurückschneide ist da ein anderer Blick und er unterscheidet sich stark von den Bikern. Das hilft, weil er wirklich ein Außenseiter ist.

Ich denke, das ist ein Grund, warum der echte Danny sich nicht mit dieser Figur identifiziert. Danny hat große Anstrengungen unternommen, um sich schmutzig zu machen und ein Teil dieser Welt zu werden, damit die Jungs sich wohl genug fühlten, um sich ihm zu öffnen. Das war ein Teil, den wir anders gestaltet haben.

Wenn Sie nach dem Rest der Besetzung fragen, hatte ich wirklich Glück. Das Casting ist ein so kniffliger Prozess, weil es wirklich der wichtigste Teil ist. Ich habe Austin Butler gecastet, bevor „Elvis“ herauskam. Wissen Sie, es gibt etwas Interessantes über Benny in dem Buch. Es gibt mehrere Fotos von ihm, aber sie zeigen nie sein Gesicht und er wird nie direkt interviewt. Er wird nur von Kathy erwähnt. Er ist irgendwie mythologisch und ich habe ihn als eine solche Figur geschrieben. In der ersten Stunde des Films fühlt er sich fast wie eine Legende an. Und dann ändert sich das, wenn man Austin Butler persönlich trifft.

Er kann die Last dieser Mythologie tragen. Körperlich ist er wunderschön. Gleichzeitig steckt in ihm all das andere Zeug, über das wir gesprochen haben. Er war der erste Schauspieler, den ich für die Rolle traf, und ich habe ihn sofort engagiert.

Jodie Comer war ein Vorschlag meiner unglaublichen Casting-Direktorin Francine Maisler. Sie meinte, ich solle Jodie Comer einfach dazu bringen, die Rolle anzunehmen. Das einzige Mal, dass Francine das zuvor zu mir gesagt hat, war als sie mir für „Midnight Special“ Adam Driver empfahl. Also lernte ich, auf Francine zu hören, und glücklicherweise sagte Jodie zu. Danach sah ich sie in London in dem Ein-Frauen-Stück „Prima Facie“, das im West End lief. Ich war eigentlich in London, um Tom Hardy zum ersten Mal zu sehen. Als ich aus dem Stück kam, dachte ich, das ist die beste Aufführung, die ich je gesehen habe, und sie ist in meinem Film die Hauptdarstellerin. Ich hatte das Gefühl, ein Ass im Ärmel zu haben.

Sie ist wirklich eine der besten Schauspielerinnen, mit denen ich je gearbeitet habe. Und dann ist da noch Tom Hardy, bei dem wir einfach Glück hatten, dass er zusagte. Tom Hardy ist kein traditioneller Schauspieler. Tom Hardy ist eine Naturgewalt. Wirklich. Er ist wie ein Tornado oder ein Hurrikan oder ein Zugunglück. Man kann einfach nicht die Augen von ihm abwenden. Und er ist gefährlich und sexuell. Seine Figur wird durch Tom Hardy unglaublich verbessert. Diese Szene am Lagerfeuer, in der er Austin so nahe kommt, und es ist so sinnlich und gefährlich und unangenehm und erstaunlich. Das ist alles Tom Hardy. Es war nicht so geschrieben. Die Zeilen sind alle gleich, aber die Art, wie er ihn vorgetragen hat, war außergewöhnlich.

Das gleiche gilt für Michael Shannon. Es gibt einen Monolog, den er am Lagerfeuer hält, und ich habe ihn ziemlich wörtlich aus dem Buch übernommen. Kennen Sie die Geschichte von einem Typen, der am Abend vor der Sitzung des Einberufungsausschusses so betrunken ist, dass seine Mutter ihn aus dem Bett ziehen muss? Und dann stinkt er nach Wein und fällt bei den Tests durch. Bevor wir die Szene filmten, kommt Mike Shannon zu mir. Normalerweise reden wir nicht. Wir proben nicht, weil er so verdammt schlau ist. Wissen Sie, er macht einfach, was er tun muss. Aber er kommt zu mir und sagt: „Jeff, du findest das ziemlich lustig, oder?“ Ich antworte: „Ja, ich finde es ziemlich lustig, oder?“ Er entgegnet: „Ich finde es überhaupt nicht lustig.“ Ich dachte mir: „Also gut, zeig mir, wie du das siehst.“ Wir waren in der ersten Woche des Drehs. Er setzt sich hin und versammelt all diese jungen Schauspieler um das Lagerfeuer. Sie schauen ihn an. Allein das war schon ziemlich erstaunlich. Er fängt an, die Geschichte zu erzählen und alle lachen.

Dann kommt er zu der Stelle, an der der Musterungsbeamte ihm sagt: „Wir wollen dich nicht. Du bist eine unerwünschte Person. Wir wollen dich nicht.“ Karl Glusman, ein unglaublicher junger Schauspieler, lacht. Mike sieht ihn an und dann lachte niemand mehr. Mike nahm eine wirklich gute Rede, die ich für ihn geschrieben hatte, und macht sie großartig, weil er im Grunde in einem Rutsch die Psychologie dieser Typen enthüllt. Er zeigt, warum sie die Mainstream-Gesellschaft ablehnen, sich aber trotzdem verletzt fühlen, wenn sie als Außenseiter betrachtet werden. Das ist eine wirklich seltsame Sache. Es ist eine seltsame Psychologie, die er in dieser einen Rede perfekt auf den Punkt bringt. Das ist Michael Shannon. Ihm verdanke ich meine Karriere.

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Frage

Haben sie in dem Film eine Lieblingsszene?

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Jeff Nichols

Das ist schwierig. Der Film hat viele großartige Momente. Aber einer sticht heraus. Es gibt eine Szene, in der Tom Hardys Charakter am Ende des Films zu Kathys Haus kommt. Sie geht auf die Veranda hinaus. Ich liebe diese Szene, denn hier ist dieser Mann, der unfähig ist, danach zu fragen, was er wirklich will. Tom schafft es großartig, das in sich hineinzufressen und irgendwie zu unterdrücken. Aber es ist das, was Jody macht, während er spricht. Sie fragt immer wieder, was er braucht. Am Ende sagt er diese eine Zeile, die ich geschrieben habe, dass man alles, was man hat, in eine Sache stecken kann und diese trotzdem tut, was sie tun will. Und so denke ich sehr über das Filmemachen und das Leben im Allgemeinen.

Aber sie fragt ihn wieder: „Was brauchst du?“ Und er sagt nichts. Und sie macht diese Sache, wenn sie dich packt und mit ihren Augen verrät, dass sie erkennt, dass dieser Mann nicht in der Lage ist, zu sagen, was er wirklich sagen will. Er will sagen, ich will Benny sehen. Ich bin in Benny verliebt. Ich will mit dir reden. Denn wenn ich nicht mit Benny reden kann, bist du die Person, die am nächsten an der Person ist, die wir miteinander geteilt haben. Wir haben diesen jungen Mann miteinander geteilt und ich liebe ihn und ich habe Angst zu sterben und ich habe Angst davor, wo mein Platz in der Welt ist. Alles das will er sagen und er kann nichts davon sagen. Sie akzeptiert das. Es ist fast so, als würde sie ihn mit diesem Blick, den sie ihm zuwirft, aus der Verantworung entlassen. Und ich liebe es einfach. Ich liebe ihre Leistung in diesem Moment einfach.

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Frage

Können sie uns etwas über ihren Regiestil erzählen und wie sehr sie sich bei den Dreharbeiten an ihr Buch halten. Es gibt ja Regisseure, die keine Änderungen zulassen und andere, bei denen beim Dreh viel improvisiert wird.

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Jeff Nichols

Ich mag es nicht, wenn die Schauspieler den Dialog ändern. Ich verbringe viel Zeit mit meinen Drehbüchern und führe beim Schreiben Regie auf dem Papier. Ich kann den Film in meinem Kopf sehen. Aber dann haben Sie eine Szene, und ich habe bereits darüber gesprochen, wie Tom Hardy und Austin Butler, die von diesem Lagerfeuer gestört werden. Diese Szene ist so geschrieben, dass sich zwei Männer gegenüberstehen. Der ältere Mann sitzt auf der Kante seines Motorrads. Er steht irgendwann auf, stellt sich vor ihn und bietet ihm den Knüppel an. Ich glaube, ich habe geschrieben, dass der Knüppel ihn an der Brust berührt. Näher kommen sie sich nicht. Weil wir auf Film drehen ist das, vor allem wenn man nachts dreht, sehr schwierig. Es erfordert viel Vorbereitung. Und wir wollten diesen Film nachts auf Film drehen. Also mussten wir vorab beleuchten. Wir mussten festlegen, wo unser Kran steht. Wir hatten diese große Lampe, die diese spezielle Art von Natriumdampflicht auf diese Schauspieler werfen sollte. Und ich sagte, also, wenn hier die beiden Schauspieler sind, stellen wir einfach den Kransockel hierhin. Denn ich werde eine Über-die-Schulter-Kamera so und eine Über-die-Schulter-Kamera so machen. Unsere Kamera wird sich nie in die Richtung des Krans schwenken. Und dann steigt Tom Hardy von seinem Motorrad und kommt immer näher und näher. Mein Steadicam-Operator muss sich bewegen und was eine Einzelaufnahme sein sollte, wird zu einer Zweieraufnahme. Ich sehe zu meinem Kamermann Adam Stone rüber. Er senkt seinen Kopf, weil wir die Szene anders ausgeleuchtet haben. Toms Gesicht wird dunkel. Aber er ist so verdammt gut. Er neigt seinen Kopf. Und dieser Lichtstrahl fällt auf sein Gesicht und dann sieht es plötzlich so aus, als würde er Austin küssen. Das ist das Sexuellste, was ich je gesehen habe. Ich konnte es nicht glauben. Er hat alle Zeilen genau so gesagt, wie sie geschrieben waren. Aber durch sein Spiel ist es eine völlig andere Szene.

Wenn wir also über Improvisation sprechen, wenn wir darüber sprechen, was Schauspieler mitbringen, geht es um diese ganze Welt. Du kannst ein sehr gutes Drehbuch haben und sie können es großartig machen.

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Frage

Ihr Film hat mich auf vielen Ebenen berührt. Trotzdem war für mich das Wichtigste, dass Sie uns eine universelle Geschichte über Identität erzählen. Ich frage mich, wie wir unsere Identität aufbauen. Was sind die Einflüsse in unserem Leben? Ich glaube, wir alle möchten Teil von etwas Größerem sein und unserem Leben Sinn geben.

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Jeff Nichols

Wahrscheinlich ist die Suche nach Identität die treibendste Kraft, die es derzeit in der Gesellschaft gibt. Teilweise wegen der sozialen Medien. Jetzt möchte jeder berühmt sein. Aber in Wirklichkeit möchte jeder einzigartig sein, weil jeder seinem Leben einen Sinn geben möchte. Ich meine, wir müssen jeden Tag aus dem Bett aufstehen. Warum sollten wir einen Fuß vor den anderen setzen? Weil wir einzigartig sind. Unsere Identität, sei es durch unser Geschlecht, unsere Rasse, unsere sexuelle Orientierung, was auch immer wir wählen, je einzigartiger es ist, desto mehr Sinn haben wir. Aber weil wir Menschen sind, schließen wir uns zusammen. Wir fühlen uns zu Gruppen hingezogen. Und je einzigartiger diese Gruppe ist, desto einzigartiger wird möglicherweise deine Identität sein.

Aber wir fühlen uns auch zu gefährlichen Dingen hingezogen. Das ist Teil der menschlichen Natur. Wenn wir mit Dingen in Verbindung gebracht werden, die uns töten können, macht uns das lebendiger und unsere Identität wird prägnanter und spezifischer. Wenn Sie sich zum Beispiel ein Motorrad ansehen, ist da eine Spannung in einem Motorrad. Es ist wunderschön. Sie wollen darauf steigen, Sie wollen es fahren. Es steht für Freiheit und kann Sie in einem Sekundenbruchteil töten. Wenn Sie also auf einem Motorrad sitzen, sind Sie lebendiger.

Vielleicht fühlen sich die Leute deshalb zu diesen Gruppen hingezogen. Das kann eine äußerst positive und kraftvolle Sache sein. Es kann aber auch eine sehr, sehr gefährliche Sache sein. Ich denke, bei „The Bikeriders“ geht es um beides.

The Bikeriders (The Bikeriders, USA 2023)

Regie: Jeff Nichols

Drehbuch: Jeff Nichols

LV: Danny Lyon: The Bikeriders, 1968

mit Jodie Comer, Austin Butler, Tom Hardy, Michael Shannon, Mike Faist, Norman Reedus, Boyd Holbrook, Damon Herriman, Beau Knapp, Emory Cohen, Karl Glusman, Toby Wallace, Paul Sparks, Will Oldham

Länge: 117 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „The Bikeriders“

Metacritic über „The Bikeriders“

Rotten Tomatoes über „The Bikeriders“

Wikipedia über „The Bikeriders“ (deutsch, englisch) und Jeff Nichols (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jeff Nichols‘ „Midnight Special“ (Midnight Special, USA 2015)

Meine Besprechung von Jeff Nichols‘ „Loving“ (Loving, USA/Großbritannien 2016)


TV-Tipp für den 21. Mai: Nocturnal Animals

Mai 20, 2022

ZDFneo, 22.00

Nocturnal Animals (Nocturnal Animals, USA 2016)

Regie: Tom Ford

Drehbuch: Tom Ford

LV: Austin Wright: Tony & Susan, 1993 (Tony & Susan) (manchmal auch „Tony and Susan“ bzw. „Tony und Susan“, US-Neuausgabe unter „Nocturnal Animals“)

Die erfolgreiche Kunsthändlerin Susan erhält ein unveröffentlichtes Roman-Manuskript ihres Ex-Mannes Edward, zu dem sie seit Ewigkeiten keinen Kontakt mehr hat. Sie beginnt den Roman zu lesen und, während der Film zwischen Susans Leben und dem Roman hin und her springt, ahnen wir, dass Edward in seinem Kriminalroman ihre Beziehung verarbeitete.

„Nocturnal Animals“ ist ein Manufactum-Film, bei dem der Stil, die richtige Geste, die richtige Ausleuchtung und der äußere Schein wichtiger als der Inhalt ist. Alles ist höchst elegant, gut besetzt und in jeder Beziehung gut inszeniert (was ihn unbedingt sehenswert macht), aber auch immer eine Spur zu offensichtlich und zu eindeutig, um wirklich zu verunsichern oder emotional zu bewegen.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Amy Adams, Jake Gyllenhaal, Michael Shannon, Aaron Taylor-Johnson, Isla Fisher, Karl Glusman, Armie Hammer, Laura Linney, Andreas Riseborough, Michael Sheen

Hinweise

Moviepilot über „Nocturnal Animals“

Metacritic über „Nocturnal Animals“

Rotten Tomatoes über „Nocturnal Animals“

Wikipedia über „Nocturnal Animals“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Tom Fords „Nocturnal Animals“ (Nocturnal Animals, USA 2016)


TV-Tipp für den 26. Februar: Nocturnal Animals

Februar 25, 2021

3sat, 22.25

Nocturnal Animals (Nocturnal Animals, USA 2016)

Regie: Tom Ford

Drehbuch: Tom Ford

LV: Austin Wright: Tony & Susan, 1993 (Tony & Susan) (manchmal auch „Tony and Susan“ bzw. „Tony und Susan“, US-Neuausgabe unter „Nocturnal Animals“)

Die erfolgreiche Kunsthändlerin Susan erhält ein unveröffentlichtes Roman-Manuskript ihres Ex-Mannes Edward, zu dem sie seit Ewigkeiten keinen Kontakt mehr hat. Sie beginnt den Roman zu lesen und, während der Film zwischen Susans Leben und dem Roman hin und her springt, ahnen wir, dass Edward in seinem Kriminalroman ihre Beziehung verarbeitete.

„Nocturnal Animals“ ist ein Manufactum-Film, bei dem der Stil, die richtige Geste, die richtige Ausleuchtung und der äußere Schein wichtiger als der Inhalt ist. Alles ist höchst elegant, gut besetzt und in jeder Beziehung gut inszeniert (was ihn unbedingt sehenswert macht), aber auch immer eine Spur zu offensichtlich und zu eindeutig, um wirklich zu verunsichern oder emotional zu bewegen.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Amy Adams, Jake Gyllenhaal, Michael Shannon, Aaron Taylor-Johnson, Isla Fisher, Karl Glusman, Armie Hammer, Laura Linney, Andreas Riseborough, Michael Sheen

Hinweise

Moviepilot über „Nocturnal Animals“

Metacritic über „Nocturnal Animals“

Rotten Tomatoes über „Nocturnal Animals“

Wikipedia über „Nocturnal Animals“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Tom Fords „Nocturnal Animals“ (Nocturnal Animals, USA 2016)


TV-Tipp für den 30. Oktober: Nocturnal Animals

Oktober 29, 2019

ZDFneo, 23.15

Nocturnal Animals (Nocturnal Animals, USA 2016)

Regie: Tom Ford

Drehbuch: Tom Ford

LV: Austin Wright: Tony & Susan, 1993 (Tony & Susan) (manchmal auch „Tony and Susan“ bzw. „Tony und Susan“, US-Neuausgabe unter „Nocturnal Animals“)

Die erfolgreiche Kunsthändlerin Susan erhält ein unveröffentlichtes Roman-Manuskript ihres Ex-Mannes Edward, zu dem sie seit Ewigkeiten keinen Kontakt mehr hat. Sie beginnt den Roman zu lesen und, während der Film zwischen Susans Leben und dem Roman hin und her springt, ahnen wir, dass Edward in seinem Kriminalroman ihre Beziehung verarbeitete.

TV-Premiere. „Nocturnal Animals“ ist ein Manufactum-Film, bei dem der Stil, die richtige Geste, die richtige Ausleuchtung und der äußere Schein wichtiger als der Inhalt ist. Alles ist höchst elegant, gut besetzt und in jeder Beziehung gut inszeniert (was ihn unbedingt sehenswert macht), aber auch immer eine Spur zu offensichtlich und zu eindeutig, um wirklich zu verunsichern oder emotional zu bewegen.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Amy Adams, Jake Gyllenhaal, Michael Shannon, Aaron Taylor-Johnson, Isla Fisher, Karl Glusman, Armie Hammer, Laura Linney, Andreas Riseborough, Michael Sheen

Hinweise

Moviepilot über „Nocturnal Animals“

Metacritic über „Nocturnal Animals“

Rotten Tomatoes über „Nocturnal Animals“

Wikipedia über „Nocturnal Animals“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Tom Fords „Nocturnal Animals“ (Nocturnal Animals, USA 2016)


Neu im Kino/Filmkritik: Über Tom Fords „Nocturnal Animals“

Dezember 22, 2016

Susan Morrow (Amy Addams) erhält von ihrem Ex-Mann Edward Sheffield (Jake Gyllenhaal), von dem sie seit Jahren nichts gehört hatte, ein Exemplar seines noch nicht veröffentlichten Debütromans „Nocturnal Animals“. Während die Kunsthändlerin den Kriminalroman liest, erinnert sie sich an ihre Beziehung zu Edward.

Der zweite Spielfilm des bekannten Modedesigners und „A single Man“-Regisseurs Tom Ford „Nocturnal Animals“ ist ein durchgehend elegantes Werk, das sich formschön und funktionell zwischen den verschiedenen Ebenen bewegt ohne jemals zu verunsichern. Alles, jeder Erzählstrang, jede Szene, jedes Bild, ist sauber voneinander getrennt, eindeutig in jeder Beziehung und es überfordert niemanden. Auch wenn Jake Gyllenhaal eine Doppelrolle spielt. Er ist Susans Ex-Mann und der Protagonist des Romans, was verdeutlicht, dass der Roman aus Susans Sicht (aber auch aus Edwards und der Sicht des Zuschauers) eine literarische Verarbeitung ihrer Beziehung ist.

Edward erzählt in seinem Roman letztendlich eine simple Rachegeschichte, für die Stephen King an einem schlechten Tag zwanzig Seiten benötigt hätte. Während einer nächtlichen Autofahrt durch West-Texas werden Tony Hastings und seine Familie von Ray Marcus (Aaron Taylor-Johnson) und seinen Kumpels bedrängt und zu einem Unfall provoziert. Anschließend entführt Marcus Tonys Familie. Als er sie wieder sieht, sind sie tot und Tony möchte sich rächen.

Dass in der Gegenwart Susans Ehemann fremdgeht und damit ihre Vergangenheit und die Fiktion gespiegelt werden, überrascht dann nicht mehr, bringt aber auch keine neuen Erkenntnisse.

Nocturnal Animals“ ist ein Manufactum-Film, bei dem der Stil, die richtige Geste, die richtige Ausleuchtung und der äußere Schein wichtiger als der Inhalt ist. Alles ist höchst elegant, gut besetzt und in jeder Beziehung gut inszeniert (was ihn unbedingt sehenswert macht), aber auch immer eine Spur zu offensichtlich und zu eindeutig, um wirklich zu verunsichern oder emotional zu bewegen. Im Gegensatz zu den Horrorfilmen von David Cronenberg, zum Beispiel „Crash“ oder sein Hollywood-Film „Maps to the Stars“, und zahlreichen anderen Horrorfilmen, in denen die Protagonisten sich mit ihren Ängsten herumschlagen müssen (Hat Susan überhaupt vor etwas Angst? Will sie überhaupt ihr Leben ändern? Verändert die Lektüre des Romans sie irgendwie?). Man fragt sich auch nie, wie bei Olivier Assayas „Die Wolken von Sils Maria“, wo die Grenzen zwischen den verschiedenen Ebenen verlaufen. In „Nocturnal Animals“ sind Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Fiktion sauber voneinander getrennte Schubladen.

Dabei ruft Tom Ford in den ersten Filmminuten mit betont ästhetischen Bildern von in Zeitlupe tanzenden, übergewichtigen nackten Frauen beim Zuschauer genau die Verunsicherung hervor, die er später erfolgreich vermeidet.

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Nocturnal Animals (Nocturnal Animals, USA 2016)

Regie: Tom Ford

Drehbuch: Tom Ford

LV: Austin Wright: Tony & Susan, 1993 (Tony & Susan) (manchmal auch „Tony and Susan“ bzw. „Tony und Susan“, US-Neuausgabe unter „Nocturnal Animals“)

mit Amy Adams, Jake Gyllenhaal, Michael Shannon, Aaron Taylor-Johnson, Isla Fisher, Karl Glusman, Armie Hammer, Laura Linney, Andreas Riseborough, Michael Sheen

Länge: 117 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Facebook-Seite zum Film

Moviepilot über „Nocturnal Animals“

Metacritic über „Nocturnal Animals“

Rotten Tomatoes über „Nocturnal Animals“

Wikipedia über „Nocturnal Animals“ (deutsch, englisch)

DP/30 unterhält sich mit Tom Ford

Im AOL Building wird Tom Ford von Amy Addams, Michael Shannon und Aaron Taylor-Johnson unterstützt


Neu im Kino/Filmkritik: Über Nicolas Winding Refns „The Neon Demon“

Juni 23, 2016

Schöne Menschen, schöne Bilder, schöne Musik, schön langweilig ist im Fall von „The Neon Demon“ das Ergebnis. In seinem neuen Film erzählt Nicolas Winding Refn von der jungen Jesse (Elle Fanning) die nach Los Angeles kommt. Die Sechzehnjährige (behauptet sie) aus Georgia will ein Model werden und gerät in eine albtraumhaft-surreale Welt.

Das erste, was in einem Alptraum ignoriert wird, ist die Logik. Das nächste eine stringent aufgebaute Geschichte. Auch in „The Neon Demon“ reihen sich die Episoden beliebig aneinander, lose aufgehängt an Jesses Geschichte von ihrem ersten Shooting zum nächsten Shooting. Es ist eine Welt, in der sich alles um Schönheit dreht und die Verfallszeit von Schönheit enorm kurz ist, wie ihr einige etwas ältere Models verraten.

Die Episoden aus Jesses Leben könnten auch, wie Szenen in einer Kunstinstallation, in irgendeiner anderen Reihenfolge gesehen werden. Sie bleiben abstrakte Stimmungsbilder, die ständig Signale aussenden, die im Film nicht weiterverfolgt werden. Die Modewelt! Hollywood! Die dunkle Seite von Hollywood, die in zahlreichen Krimis porträtiert wurde. Es ist die Welt, die David Lynch in „Mulholland Drive“ und „Lost Highway“ oder David Cronenberg in „Maps to the Stars“ ungleich pointierter, gelungener, stringenter, mitreisender, vielschichtiger, ambivalenter, abstrakter und dennoch konkreter zeigen.

Bei Refn ist sie nur eine Welt von zusammenhanglosen Zeichen, Signalen für beliebige Interpretationen und Szenen, die mal mehr, mal weniger als Tableau angeordnet sind, die ihr Leben eher auf einer Doppelseite eines Modemagazins entfalten. Es ist eine tote Welt. Hinter der Oberfläche lauert hier einfach nur die von keinem tieferem Gedanken getrübte Leere. Denn die Erkenntnis, dass die Modewelt oberflächlich ist, ist wahrlich keine neue Erkenntnis. Falls das überhaupt die Erkenntnis ist, die Refn uns mitgeben will.

Denn am Ende von „The Neon Deom“ bleibt nur das Gefühl, dass Refn einem etwas wirklich wichtiges mitteilen wollte. Aber er will seine Botschaft – sofern er überhaupt irgendeine hat – nicht mehr in eine Geschichte packen. So sagt er im Presseheft, er habe einen Film über die Schönheit machen wollen. Er habe einen Horrorfilm machen wollen, in dem alle wichtigen Horrorfilmelemente enthalten seien, aber nicht unbedingt in der richtigen Reihenfolge. Er habe sich gefragt, ob es möglich sei, einen Horrorfilm ohne den Horror zu machen.

Nun, letzteres ist ihm gelungen; wobei sich natürlich die Frage stellt, warum man einen Horrorfilm ohne Horror machen will oder man Horrorfilmelemente in der falschen Reihenfolge präsentieren will.

The Neon Demon“ ist als Symphonie von Bildern und Tönen, die man an sich vorbeiziehen lässt, nicht ohne Reiz. Wenn man sich nicht darauf einlassen will oder kann, wenn man versucht über das Werk nachzudenken, ist es prätentiöser, Wichtigkeit behauptender Quark, optisch gelungen präsentiert.

The Neon Demon - Plakat

The Neon Demon (The Neon Demon, USA/Frankreich/Dänemark 2016)

Regie: Nicolas Winding Refn

Drehbuch: Nicolas Winding Refn, Mary Laws, Polly Stenham (nach einer Geschichte von Nicolas Winding Refn)

mit Elle Fanning, Jena Malone, Bella Heathcote, Abbey Lee, Karl Glusman, Chrstina Hendricks, Keanu Reeves, Allessandro Nivola

Länge: 117 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „The Neon Demon“

Metacritic über „The Neon Demon“

Rotten Tomatoes über „The Neon Demon“

Wikipedia über „The Neon Demon“

Meine Besprechung von Nicolas Winding Refns „Fear X“ (Fear X, USA 2003)

Meine Besprechung von Nicolas Winding Refns „Drive“ (Drive, USA 2011)

Meine Besprechung von Nicolas Winding Refns „Only God Forgives“ (Only God Forgives, Frankreich/Dänemark 2013)


Neu im Kino/Filmkritik: Gaspar Noé macht „Love“ (aka „Love 3D“)

November 26, 2015

Es ist wie immer: es wird geworben mit einem tabubrechendem Skandalfilm der Hardcore-Sex zeigt und am Ende bin ich enttäuscht, weil, nun, länglich gezeigte Penisse und Penetrationen nicht abendfüllend sind. Denn ohne ein emotionales Zentrum, ein Thema und eine Geschichte ist ein Film meistens eine langweilige Angelegenheit.
So auch Gaspar Noés neuester Film „Love“, der sogar in 3D gedreht wurde (deshalb auch „Love 3D“ heißt), was allerdings nur in zwei Szenen (ja, genau die zwei Szenen, die ihr euch jetzt spritzig denkt) einen Effekt hat. Der Rest besteht aus wenigen Menschen in engen Räumen.
Im Mittelpunkt steht Murphy, der von der Mutter seiner früheren Freundin Electra einen Anruf erhält. Electra ist seit zwei Monaten spurlos verschwunden. Jetzt hat Murphy eine neue Freundin, er ist Vater einer zweijährigen Tochter und den gesamten Film hängt er todtraurig, wie ein nasses Hemd, in seiner Wohnung herum und erinnert sich an Electra.
Diese Erinnerungen, die nicht-chronologisch präsentiert werden, dehnen sich über zwei Stunden, in denen die Schauspieler eifrig improvisieren durften (das Drehbuch bestand, so Noé, aus sieben Seiten) und weil das alles in keiner besonderen Chronologie präsentiert wird, gibt es auch keinen Spannungsbogen, sondern nur die beliebig austauschbaren Erinnerungen von Murphy an seine große Liebe, garniert mit vielen, äußerst statisch inszenierten Sexszenen, die daher eher an Stilleben erinnern.
Präsentiert wird diese Nicht-Geschichte in dunkel versumpften 3D-Bildern, die wie die schlampig gezogenen YouTube-Kopie eines schlechten Siebziger-Jahre-Pornos aussehen. Alles ist zu dunkel, oft erkennt man fast nichts und die 3D-Brille ist hier noch nerviger als bei einem kunterbunten Blockbuster.
Dass es auch anders geht, zeigen Filme wie „Der letzte Tango in Paris“ oder „Blau ist eine warme Farbe“. Um nur zwei Filme zu nennen, die man sich immer wieder ansehen kann, weil sie, abseits von jedem Skandalfilmgetue, eine emotional berührende Geschichte haben.

Love - Plakat

Love 3D (Love, Frankreich/Belgien 2015)
Regie: Gaspar Noé
Drehbuch: Gaspar Noé
mit Aomi Muyock, Karl Glusman, Klara Kristin, Juan Saavera, Jean Couteau
Länge: 141 Minuten
FSK: ab 18 Jahre

Hinweise
Deutsche Facebook-Seite zum Film
Film-Zeit über „Love“
Moviepilot über „Love“
Metacritic über „Love“
Rotten Tomatoes über „Love“
Wikipedia über „Love“ (englisch, französisch)


Neu im Kino/Filmkritik: „Stonewall“, eine nicht besonders gelungene Geschichtsstunde

November 19, 2015

Auf der technischen Ebene gibt es bei „Stonewall“ nichts zu meckern. Roland Emmerich hatte mit 13,5 Millionen Dollar zwar nur ein arg überschaubares Budget, das in Hollywood-Kategorien im kleineren Independent-Bereich liegt (sogar Clint Eastwoods „Million Dollar Baby“ kostete 30 Millionen Dollar), aber schon mit seinen ersten Filmen – „Das Arche-Noah-Prinzip“, „Joey“ und „Moon 44“ – zeigte er, dass er mit wenig Geld beeindruckend tricksen kann. Und so sieht „Stonewall“ teurer aus als er war.
Auch über die Schauspieler kann nicht wirklich gemeckert werden. Große Namen fehlen zwar, aber Ron Perlman und Jonathan Rhys Meyers sieht man immer wieder gerne und Hauptdarsteller Jeremy Irvine („Gefährten“, „Die Liebe seines Lebens“, „The Reach“) ist auf dem Weg zum Star.
Aber sie und der gesamte Film haben mit einem extrem schlechten Drehbuch zu kämpfen, das ohne eine wirkliche Geschichte Klischees aneinanderreiht und jede Analyse vermissen lässt. Das wird einem beim Abspann, wenn wir etwas über die wahren Hintergründe wichtiger Figuren des Films erfahren, schmerzhaft bewusst. Denn der Schwule im Anzug, der Schwule auf der Parkbank und die nervige Transe waren später wichtige Figuren der Schwulenbewegung. Im Film gibt es dafür kein Anzeichen. Er verschenkt hier ohne Not sein Potential als wahre Geschichte ohne sich wirklich auf eine andere zu konzentrieren. Es gibt zwar immer wieder Ansätze, aber weder der Krimiplot, noch die Verflechtung zwischen Polizei und Mafia, noch die sozio-politische Analyse, noch die Liebesgeschichte werden auch nur halbwegs vorangetrieben. Jeder dieser Ansätze verpufft letztendlich folgenlos.
Im Mittelpunkt des Films steht Danny Winters (Jeremy Irvine), ein Junge vom Lande, der von seinem konservativen Vater, nachdem Dannys Homosexualität schulbekannt wurde, vor die Tür gesetzt wird. Weil die Columbia Universität Danny aufnehmen würde, macht er sich auf den Weg nach New York. In Greenwich Village trifft er in der Christopher Street dann auch gleich auf das bunte Leben der Ausgestossenen. Sie sind nicht schwul, sondern SCHWUL oder S! C! H! W! U! L! und damit nur noch die schreienden Klischees von Klischees über die verrückten Großstädter, die Landbewohner, die niemals die Grenze ihres Landkreises überschritten haben, über das verruchte Leben in der Großstadt haben. Trotzdem wirkt Danny nicht sonderlich schockiert. Er betritt diese neue Welt, in der Männer mit Männern auch in der Öffentlichkeit, gegen jeden Anstand und Gesetz Sex miteinander haben, als sei deren Leben vollkommen normal. Schockiert ist er dagegen von der Polizeigewalt, die er gleich am ersten Abend erleben muss.
Und weil diese schwule Coming-of-Age-Geschichte 1969 in den Tagen vor den Stonewall-Unruhen spielt, gibt es dann auch, als Höhepunkt, die für die Schwulenbewegung sehr wichtigen Unruhen, für die es in der Realität einige Erklärungen gibt. Im Film wird dagegen letztendlich jede Erklärung vermieden. Es ist einfach eine Randale, die entsteht, weil die Polizei, wieder einmal, eine Razzia in der Kneipe durchführt.
Damit wird im Film die Bedeutung der Stonewall-Unruhen für die Schwulenbewegung allerdings sträflich heruntergespielt.
Diese durchgehende Abneigung gegen jede Analyse zugunsten einer in schönsten Nicholas-Sparks-Bildern inszenierten Schmonzette ohne eine Liebesgeschichte, ohne erinnerungswürdige Charaktere (obwohl die Schauspieler sich bemühen) und damit ohne jegliche Dynamik steht immer auf der Kippe zur unfreiwilligen Komik, bei der man nur noch darauf wartet, dass die Schauspieler plötzlich beginnen zu singen; – was sie bei den hübsch inszenierten Unruhen, die im Film nicht mehrere Tage, sondern nur einige Minuten an einem Sommerabend dauern, tun.
In den USA bekam „Stonewall“ den ganzen Hass der LGBT-Bewegung (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) ab, die Kritik stampfte den Film ein und an der Kinokasse war die Schmonzette mit mildem Trash-Potential ein Flop. So schlecht ist „Stonewall“ nicht. Aber es ist auch kein guter Film und es ist, trotz seines Titels, auch nicht der Film, der die Geschichte der Bar „Stonewall Inn“, der Schwulen, Lesben und Transsexuellen in den Sechzigern in den USA, der beginnenden Schwulenbewegung und dem Christopher Street Day, der erstmals ein Jahr nach den Stonewall-Unruhen als Demonstration gegen Polizeiwillkür stattfand, erzählt.
„Stonewall“ erzählt nur von einem Landei, das zufällig im Sommer 1969 in Greenwich Village war.

Stonewall - Plakat

Stonewall (Stonewall, USA 2015)
Regie: Roland Emmerich
Drehbuch: Jon Robin Baitz
mit Jeremy Irvine, Jonny Beauchamp, Jonathan Rhys Meyers, Ron Perlman, Joey King, Caleb Landry Jones, Matt Craven, Vladimir Alexis, Otoja Abit, Alex Nachi, Matt Craven, David Cubitt, Andrea Frankle, Karl Glusman, Ben Sullivan
Länge: 129 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Film-Zeit über „Stonewall“
Moviepilot über „Stonewall“
Metacritic über „Stonewall“
Rotten Tomatoes über „Stonewall“
Wikipedia über „Stonewall“ (deutsch, englisch) und die wahren Ereignisse, die den Film nicht wirklich inspirierten (deutsch, englisch)
Meine Besprechung von Roland Emmerichs „White House Down“ (White House Down, USA 2013)

Q&A zum Film auf dem TIFF (scheint keine bessere Aufnahme zu geben)