Neu im Kino/Filmkritik: Wolfgang Beckers letzte Komödie: „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“

Dezember 11, 2025

Nein, besonders produktiv war der am 12. Dezember 2024 verstorbene Wolfgang Becker nicht. Aber jeder seiner wenigen Filme ist sehenswert und war ein Erfolg. „Good bye Lenin“ war 2003 sein größter Publikumserfolg. „Das Leben ist eine Baustelle“ (1997) sein Durchbruch beim Publikum. Und der „Tatort“ „Blutwurstwalzer“ (1991) mit Günther Lamprecht als Hauptkommissar Franz Markowitz und Jürgen Vogel als ‚Verbrecher‘ ist einer der legendären „Tatorte“, der mal wieder gezeigt werden könnte.

Außerdem gehört Becker, neben Tom Tykwer, Dani Levy und Stefan Arndt, zu den Gründern von „X Filme“.

Als der am 22. Juni 1954 geborne Becker mit den Dreharbeiten für die Maxim-Leo-Verfilmung „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ begann, war er bereits an Krebs erkrankt. Der Film sollte sein geplantes Vermächtnis werden. Das erklärt ein wenig das große Aufgebot an Stars in kleinsten Rollen; – wobei sie vielleicht in jedem Fall mitgespielt hätten.

Wenige Tage nach dem Ende der Dreharbeiten starb Becker. Vor seinem Tod konnte er sich einen allerersten Rohschnitt ansehen. Ihm gefiel, was er sah.

Danach übernahm Achim von Borries im Geist von Wolfgang Becker den finalen Schnitt. Er war bereits in die Vorbereitung als Back-up-Regisseur involviert und stand für diese Aufgabe während des Drehs zur Verfügung.

Jüngst wurden bei „Amrum“, Hark Bohms letztem Film, der von Fatih Akin inszeniert wurde, und „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ von Edgar Reitz und Co-Regisseur Anatol Schuster ähnliche Modelle erfolgreich praktiziert.

Doch zurück zu Beckers „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“.

Der titelgebende Held ist Micha Hartung (Charly Hübner). Er ist der angenehm berlinerisch verpeilte Besitzer der Videothek „The Last Tycoon“ (es gibt da einen Film) im Prenzlauer Berg. Fast dreißig Jahre nach dem Mauerfall ist das kein zukunftsträchtiges, sondern, nach dem allgemeinen Tod der Videotheken, ein fast schon hundertprozentiges Pleite-Unternehmen mit einer großen Schublade für noch zu zahlende Rechnungen und Mahnungen.

Als Alexander Landmann (Leon Ullrich) seine Videothek betritt, ändert sich sein Leben. Landmann will zum Mauerfall keine der sattsam bekannten Heldengeschichten mit den sattsam bekannten Protagonisten noch einmal erzählen. Der Journalist will für das „Fakt“-Magazin eine neue Geschichte erzählen und er hat von Michas bislang einem breiten Publikum unbekannter Heldentat gehört. Am 23. Juni 1984 stellte der stellvertretende Stellwerkmeister Micha Hartung eine Weiche um. In der morgendlichen Rush Hour verließ die S-Bahn die vorgesehene Strecke und fuhr 127 Passagiere aus der DDR nach West-Berlin.

Als Landmann die Geschichte, etwas in Richtung Hollywood-Heldengeschichte aus der ehemaligen Ostzone aufbereitet, als Titelgeschichte veröffentlicht, ändert sich Michas Leben. Denn jetzt ist er nicht mehr der erfolglos-zufriedene Schluffi aus dem Prenzlauer Berg, sondern der Held, der bislang über seine Heldentat schwieg. Ein moderner Oskar Schindler. Die Medien- und Vermarktungsmaschine springt an – und wir fragen uns, wie lange das gut gehen kann. Denn selbstverständlich ist Micha nicht der Held, den plötzlich alle in ihm sehen wollen.

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ ist ein weiterer wundervoller Berlin- und auch DDR-Film, fein gefilmt von Wolfgang Becker und bis in kleinste Nebenrollen glänzend besetzt mit einem äußerst spielfreudigem Ensemble. Die Komödie ist eine warmherzige Schnurre, eine milde Medienkritik und eine Geschichte, die so nur in Berlin passieren kann.

Beckers letzter Film ist einer der schönsten Filme des Jahres (ich bin noch beim Zusammenstellen meiner Jahresbestenliste) und in jedem Fall ein würdiger Abschluss eines überaus gelungenen Gesamtwerkes.

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße (Deutschland 2025)

Regie: Wolfgang Becker

Drehbuch: Constantin Lieb, Wolfgang Becker

LV: Maxim Leo: Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße, 2022

mit Charly Hübner, Christiane Paul, Leon Ullrich, Leonie Benesch, Thorsten Merten, Dirk Martens, Peter Kurth, Daniel Brühl, Eva Löbau, Jörn Hentschel, Lilli Fichtner, Claudia Eisinger, Leslie Malton, Bernhard Schütz, Katarina Witt, Annabelle Mandeng, Adisat Semenitzsch, Jürgen Vogel, Holger Handtke

Länge: 113 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“

Moviepilot über „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“

Wikipedia über Wolfgang Becker

Meine Besprechung von Wolfgang Beckers Daniel-Kehlmann-Verfilmung „Ich und Kaminski“ (Deutschland/Belgien 2015)


Neu im Kino/Filmkritik: „Heldin“, Chronik einer Schicht im Leben einer Krankenschwester

Februar 26, 2025

Petra Volpes neuer Film beginnt mit dem Beginn der Spätschicht in einem Schweizer Krankenhaus. Und er endet ungefähr acht Stunden später mit dem Ende der Schicht. Dazwischen erzählt Volpe („Die göttliche Ordnung“), strikt chronologisch, mit minimalen Verdichtungen und Dramatisierungen, was in dieser einen Schicht passiert.

Im Mittelpunkt steht die von Leonie Benesch famos gespielte Pflegefachkraft Floria. Nach der Krankmeldung einer Kollegin ist sie mit einer zweiten Fachkraft und einer Erstsemester-Studentin für 26 Patienten verantwortlich. Diese bilden das gesamte Patientenspektrum ab von leicht bis schwer, teils im Sterben liegenden Pflegebedürftigen. Einige sind freundlich, einige fordernd. Einige haben Allergien, andere nicht. Floria muss immer darauf aufpassen, dass sie ihnen die richtigen Medikamente gibt und, egal wie stressig es gerade ist, freundlich und geduldig sein.

Es ist eine ganz normale Schicht ohne besondere Vorkommnisse.

Diese Konzentration auf eine Schicht ist der Vor- und Nachteil des Dramas. So kann Petra Volpe in die Tiefe gehen und einen guten Eindruck von der Arbeit vermitteln. Das macht sie letztendlich mit den Mitteln des Direct Cinema. Die Kamera verfolgt Floria durch die hellen Gänge des Krankenhauses. Sie beobachtet in oft in langen Szenen das Geschehen. Sie verzichtet weitgehend auf Dramatisierungen. Es gibt kein Voice-Over und keine Erklärdialoge. Es gibt nur die Dokumentation der Arbeit. Und diese fängt sie präzise ein. Einige Rollen wurden von Laien und Pflegefachkräften übernommen. Die Macher und die Schauspieler informierten sich vor dem Dreh über die Arbeit auf einer Krankenstation. Hauptdarstellerin Leonie Benesch absolvierte ein Praktikum im Kantonsspital Liestal. Diese Vorbereitung und die Anwesenheit von Fachpersonen beim Dreh führen dazu, dass die Abläufe, die Bewegungen und auch der Tonfall bei Patientengesprächen stimmen.

Fehlen tut allerdings der für Außenstehende nonchalante und verstörende Umgang mit intimen Details und der im Pflegeteam und mit den Patienten vorhandene Humor, ohne den die Arbeit nicht leistbar wäre.

Der Nachteil der von Volpe gewählten Herangehensweise ist, wenn man es denn überhaupt als Nachteil sieht, dass „Heldin“ keine Analyse des Gesundheitssystems, seiner Probleme und möglicher Lösungen ist. Volpe erzählt auch keine Geschichte im klassischen Sinn. Dafür bleibt alles zu sehr im Episodischen einer Schicht. Sie zeigt auch nichts, was nicht auch im Rahmen eines Dokumentarfilms gezeigt werden könnte.

P. S.: Ich habe den sehenswerten Film in der hochdeutschen Synchronisation gesehen. Bei dieser Fassung störte mich der durchgehend klinisch reine Ton und das lehrbuchhafte Hochdeutsch, das immer etwas abgekoppelt von den Geschnissen auf der Leinwand ist. Die Originalfassung scheint – so mein Eindruck vom Trailer – in dieser Hinsicht, obwohl auch hier viel Hochdeutsch gesprochen wird, stimmiger und natürlicher zu sein. Wer also zwischen beiden Fassungen wählen kann, sollte sich unbedingt die Originalfassung ansehen.

Heldin (Schweiz/Deutschland 2025)

Regie: Petra Volpe

Drehbuch: Petra Volpe

mit Leonie Benesch, Sonja Riesen, Alireza Bayram, Selma Aldin, Urs Bihler, Margherita Schoch, Albana Agaj, Ridvan Murati, Urbain Guiguemdé

Länge: 91 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Heldin“

Moviepilot über „Heldin“

Rotten Tomatoes über „Heldin“

Wikipedia über „Heldin“ (deutsch, englisch)

Berlinale über „Heldin“

Meine Besprechung von Petra Volpes „Die göttliche Ordnung“ (Schweiz 2017)


Neu im Kino/Filmkritik: „September 5“, 1972: Geiselnahme bei den Olympischen Spielen in München – und das Fernsehen ist live dabei

Januar 9, 2025

Es ist höchstens eine Fußnote der damaligen Ereignisse, aber für die Mediengeschichte ist es ein markanter Punkt. 1972 wurden die Olympischen Spiele auch im Fernsehen übertragen. Live und weltweit. Es sollten friedliche Spiele werden, die, keine dreißig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ein positives Bild von Deutschland zeigen sollten. Diese Imagepflege scheiterte als acht Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation „Schwarzer September“ im Olympischen Dorf elf israelische Sportler und ihre Betreuer als Geisel nahmen. Zwei von ihnen wurden von den Terroristen in den ersten Minuten erschossen. Die geplante Befreiung der Geisel auf dem Militärflugplatz Fürstenfeldbruck war ein Desaster. Alle neun verbleibenden Geisel, fünf der acht Geiselnehmer und ein Polizist sterben in dem Feuergefecht.

Die Unfähigkeit der Polizei, die Geiselnahme friedlich und ohne Tode zu beenden, führte zur Gründung der GSG 9.

Während der 21 Stunden dauernden Geiselnahme waren auch die Sportjournalisten von ABC Sports vor Ort. Sie berichten live über die Spiele.

In seinem dritten Spielfilm „September 5“ schildert Tim Fehlbaum, wie die ABC-Journalisten auf die Geiselnahme reagieren. Ihr Kontrollraum ist gegenüber vom Olympischen Dorf. Wenn sie die Tür öffnen, haben sie einem perfekten Blick auf den Ort der Geiselnahme. Sie sind zwar keine Politik-Journalisten und deshalb nicht zuständig, aber sie sind vor Ort. Sie betrachten die Geiselnahme als ihre Story und sie können mit ihren Kameras live berichten. Weltweit. Ihnen gelingt auch das bekannte Bild von den einen Terroristen auf dem Balkon. Durch ihre Live-Aufnahmen verhindern sie – was ihnen erst später bewusst wird – einen Befreiungsversuch der Polizei. Denn auch im Zimmer der Geisel läuft ihre Live-Übertragung der Geiselnahme. Im Film ist das der Moment, in dem den Journalisten wirklich bewusst wird, dass sie eine bis dahin nicht gekannte Verantwortung für ihre Bilder und ihre Worte haben.

Tim Fehlbaum, der bereits mit seinen beiden Science-Fiction-Filmen „Hell“ und „Tides“ begeisterte, widmet sich dieses Mal einem wahren Ereignis. Das inszeniert er sehr dicht, nah an den Fakten, detailversessen in der Ausstattung, präzise im Zeigen der damaligen Schwierigkeiten beim Erstellen der Fernsehbilder (so müssen, zum Beispiel, Filmrollen durch Polizeisperren geschmuggelt werden) und bis auf wenige Aufnahmen ausschließlich im von außen hermetisch abgeschottetem, fensterlosen ABC-Kontrollraum. Weil Fehlbaum auch auf Uhrzeiteinblendungen verzichtet und nur einmal gegessen wird, verschwimmt auch jedes Zeitgefühl.

Über die Geiselnahme erfahren wir nur, was die Journalisten in dem Moment auch erfahren oder auf einem ihrer Bildschirme sehen. „September 5“ ist daher kein Film über die Motive der Terroristen und die Strategie der Polizei, die Geiselnahme zu beenden. Das alles wissen die ABC-Journalisten nicht. Sie verstehen sich als Beobachter der Ereignisse, über die sie möglichst nah und mit exclusiven Bildern berichten wollen.

Das ist auch der Kern journalistischer Ethik. Keine Seite ergreifen, sondern die Fakten berichten. Diese hehre Idee kollidiert in „September 5“ schnell mit der Realität.

Denn schnell müssen sie sich fragen, was sie alles zeigen wollen und wie sehr sie damit die Ereignisse beeinflussen wollen. Das waren damals insofern neue Fragen, weil bis dahin Live-Berichte von Brennpunkten nicht möglich waren. Zwischen dem Ereignis und der Verbreitung des Berichts über das Ereignis verging je nach Medium – Radio, Fernsehen, Zeitung – weniger oder mehr Zeit, in der auch darüber entschieden werden konnte, welche Bilder gezeigt werden.

Die Fragen, mit denen die Männer in „September 5“ konfrontiert werden, sind heute immer noch aktuell. Und weil es immer mehr Bilder gibt, stellt sich die Frage öfter. Während früher nur entschieden werden konnte, ob Bilder vom Tatort gezeigt werden, gibt es heute auch Bilder von der Tat. Teils aufgenommen von Überwachungskameras, teils von Opfern und Zeugen und manchmal auch vom Täter, der seine Tat aufnimmt und live streamt.

Fehlbaum behandelt diese Fragen im Rahmen einer wahren Geschichte und anhand der Arbeit der handelnden Journalisten, die alle eine möglichst gute Story erzählen wollen. Durch die Konzentration auf einen Aspekt der damaligen Geiselnahme gibt „September 5“ einen guten Einblick in die Arbeit von Journalisten, dem Druck, dem sie damals ausgesetzt waren und dem Jagdfieber, das sie gepackt hatte. Die Fragen sind seitdem die gleichen geblieben. Nur die Technik hat sich geändert und der Zeitdruck ist gestiegen.

Der Journalistenthriller „September 5“ ist sehenswert, spannend und mit neunzig Minuten angenehm kurz.

September 5 (Deutschland/USA 2024)

Regie: Tim Fehlbaum

Drehbuch: Moritz Binder, Tim Fehlbaum, Alex David (Co-Autor)

mit Peter Sarsgaard, John Magaro, Ben Chaplin, Leonie Benesch, Zinedine Soualem, Georgina Rich

Länge: 91 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

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Filmportal über „September 5“

Moviepilot über „September 5“

Metacritic über „September 5“

Rotten Tomatoes über „September 5“

Wikipedia über „September 5“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Tim Fehlbaums „Hell“ (Deutschland/Schweiz 2011)

Meine Besprechung von Tim Fehlbaums „Tides“ (Deutschland 2021)


Neu im Kino/Filmkritik: „Das Lehrerzimmer“ als innerschulische Kampfzone

Mai 5, 2023

Sönke Wortmann entschied sich in seinen Lehrerzimmer-Film „Eingeschlossene Gesellschaft“ für die komische Variante. Auch wenn die Lehrer in dem Zimmer als Geisel eingesperrt und mit einer Pistole bedroht wurden. İlker Çatak entscheidet sich in seinem, in der gesamten Schule spielendem, Lehrerfilm „Das Lehrerzimmer“ für die Horrorvariante. Dabei ist der Konflikt am Filmanfang eher klein. Es wurde Geld geklaut. Der Täter ist wahrscheinich ein Schüler. Die Lehrer wollen herausfinden, wer der Dieb ist.

Aber Carla Nowak (Leonie Benesch), der neuen, jungen, überaus engagierten und arg naiven Sport- und Mathematiklehrerin, missfällt die Art des Umgangs mit den Schülern. Subtil werden sie zur Kooperation gezwungen. Einmal sagen die Vertrauenslehrer den Klassensprechern, sie müssten nicht sagen, wer geklaut habe. Sie müssten nur nicken, wenn der Stift auf den richtigen Namen deute. Ein anderes Mal fordern sie und die Direktorin Carlas Schüler auf, ihre Geldbeutel auf den Tisch legen. Wer nichts zu verbergen habe, könne nichts dagegen haben.

Den oder die Diebe finden sie so nicht. Aber verschiedene Schüler werden verdächtigt und das Klima in der Schule verschlechtert sich.

Fast schon aus einer Laune heraus lässt Carla im Lehrerzimmer bei ihrem Laptop die Kamera an. Diese nimmt auf, wie ihr Geld gestohlen wird. Die Täterin ist nur anhand ihrer Bluse erkennbar. Es handelt sich um die immer joviale Schulsekretärin und Mutter ihres Lieblingsschülers.

Als die Sekretärin mit dem Vorwurf konfrontiert wird, leugnet sie. Sie wird, der von der Direktorin ausgegebenen Null-Toleranz-Linie folgend, suspendiert. Damit ist die Geschichte nicht zu Ende, sondern sie beginnt jetzt richtig aus dem Ruder zu laufen.

İlker Çatak zeigt die Schule als Mikrokosmos der Gesellschaft. Er legt mit eiskalter Präzision Strukturen offen und zeigt eine durchgehend ungesunde Welt voller Misstrauen und Paranoia. Carla irritiert schon in den ersten Minuten mit einem seltsamen Guten-Morgen-Ritual in der Klasse, das sogar auf einer kirchlichen Freizeit leicht deplatziert wirken würde. Schon in diesem Moment stellt sich die Frage, ob sie für diese Arbeit geeignet ist. Später stampft sie immer wieder, wie ein Roboter, begleitet von nervig dissonanter Musik und verfolgt von der Kamera, mit angespanntem Gesichtausdruck durch die kahlen Gänge der Schule. Sie trägt einen Schutzpanzer, der kaum ihre innere Anspannung und Überforderung verbirgt. Es ist ihre erste Stelle als Lehrerin. Trotzdem möchte man sie sofort zu einem Psychologen schicken oder krank schreiben.

Das Lehrerzimmer“ feierte seine Premiere bei der diesjährigen Berlinale im Panorama. Aktuell ist der Feelbad-Film in den Kategorien „Bester Spielfilm“, „Beste Regie“, „Bestes Drehbuch“, „Beste weibliche Hauptrolle“ (Leonie Benesch), „Beste Kamera“, „Bester Schnitt“ und „Beste Filmmusik“ für den Deutschen Filmpreis nominiert. Die Verleihung ist am 12. Mai.

Das Lehrerzimmer (Deutschland 2023)

Regie: İlker Çatak

Drehbuch: İlker Çatak, Johannes Duncker

mit Leonie Benesch, Michael Klammer, Rafael Stachowiak, Eva Löbau

Länge: 98 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

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Rotten Tomatoes über „Das Lehrerzimmer“

Wikipedia über „Das Lehrerzimmer“

Berlinale über „Das Lehrerzimmer“


TV-Tipp für den 14. Januar: Persischstunden

Januar 13, 2022

ZDF, 23.15

Persischstunden (Deutschland/Russland 2020)

Regie: Vadim Perelman

Drehbuch: Ilya Zofin

LV: Wolfgang Kohlhaase: Die Erfindung einer Sprache (Kurzgeschichte)

SS-Hauptsturmführer Koch will unbedingt persisch lernen. Gilles, einer seiner Gefangenen, der ein auf persisch geschriebenes Buch besitzt, soll es ihm beibringen. Weil er die Sprache ebenfalls nicht spricht, aber unbedingt den Krieg überleben will, erfindet er eine orientalisch klingende Fantasiesprache.

TV-Premiere zu einer unverdient ungünstigen Uhrzeit. Gut gemachtes, aber auch etwas dröges Drama.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Nahuel Pérez Biscayart, Lars Eidinger, Jonas Nay, Leonie Benesch, Alexander Beyer, David Schütter, Luisa-Céline Gaffron, Giuseppe Schillaci, Antonin Chalon, Mehdi Rahim-Silvioli

Hinweise

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Rotten Tomatoes über „Persischstunden“

Wikipedia über „Persischstunden“

Meine Besprechung von Vadim Perelmans „Persischstunden“ (Deutschland/Russland 2020)


Neu im Kino/Filmkritik: „Persischstunden“ für einen SS-Hauptsturmführer

Oktober 1, 2020

Als Gilles (Nahuel Pérez Biscayart) 1942 auf der Fahrt zu einem Durchgangslager ein halbes Baguette gegen ein in persisch geschriebenes Buch tauscht, sieht das nach einem schlechten Tauschgeschäft aus. Gilles kann kein Farsi und das, zugegeben teuer aussehende, Buch ist im Zweiten Weltkrieg nichts wert. Aber kurz darauf rettet es Gilles das Leben.

Die SS-Leute halten den Wagen an und erschießen auf einer Waldlichtung die Passagiere, die sie für Juden halten. Gilles hält das Buch hoch und behauptet, kein Jude, sondern ein Perser zu sein. Weil ihr Lagerkommandant, SS-Hauptsturmführer Klaus Koch, unbedingt Farsi lernen will, nehmen sie Gilles mit. Immerhin hat er zehn Dosen Fleisch als Belohnung ausgesetzt. Und den Juden können sie auch später umbringen.

Im Lager kann Gilles den herrischen Lagerkommandanten Koch (Lars Eidinger), der selbstverständlich überzeugt ist, Lügner sofort enttarnen zu können, mit einigen Worten überzeugen, dass er ein Perser ist. Koch zwingt ihn, ihm die fremde Sprache beizubringen. Nach dem Krieg will er in Teheran mit seinem dort lebendem Bruder ein Restaurant eröffnen.

Also bringt Gilles Koch Farsi bei. Weil Gilles kein Farsi spricht, muss er eine orientalisch klingende Sprache erfinden.

Im Lager ist seine Situation einerseits privilegiert, immerhin erhält er als Kochs Lehrer einige Vergünstigungen, und andererseits hochgradig gefährdet. Bei der ersten falschen Vokabel wird Koch ihn umbringen. Und Kochs Untergebene wollen den Betrüger Gilles enttarnen und so in der SS-Hierarchie aufsteigen.

Persischstunden“, der neue Film von Vadim Perelman („Haus aus Sand und Nebel“) basiert auf der Kurzgeschichte „Die Erfindung einer Sprache“ von Wolfgang Kohlhaase und erzählt eine schöne Köpenickiade oder Schwejkiade. Immerhin schlawinert Gilles sich bauernschlau durch das Lager, während die Filmgeschichte die Nazis und ihre Ränkespiele bloßstellt. Denn hier intrigieren die Nazis munter gegeneinander. In jeder Szene geht es auch um den Widerspruch von Schein und Sein und um sich stetig verändernde Machtverhältnisse. Perelman erzählt das ohne jeglichen satirischen Furor ziemlich brav und bieder als Drama mit differenziert gezeichneten Figuren und didaktischer Absicht.

Dagegen sind dann ein immer nett verhuscht in die Kamera blickender Nahuel Pérez Biscayart und ein grandios aufspielender Lars Eidinger machtlos. Eidingers Rolle lebt, zugegeben, von dem für uns offensichtlichen Widerspruch zwischen den tiefen Gefühlen, die Koch in seine auf Farsi gesprochenen Sätze legt, und unserem Wissen, dass es sich um vollkommen sinnloses Gebrabbel handelt. Dass er betrogen wird.

Persichstunden“ ist ein gut gemachter, aber auch etwas dröger Film.

Persischstunden (Deutschland/Russland 2020)

Regie: Vadim Perelman

Drehbuch: Ilya Zofin

LV: Wolfgang Kohlhaase: Die Erfindung einer Sprache (Kurzgeschichte)

mit Nahuel Pérez Biscayart, Lars Eidinger, Jonas Nay, Leonie Benesch, Alexander Beyer, David Schütter, Luisa-Céline Gaffron, Giuseppe Schillaci, Antonin Chalon, Mehdi Rahim-Silvioli

Länge: 127 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

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Filmportal über „Persischstunden“

Moviepilot über „Persischstunden“

Rotten Tomatoes über „Persischstunden“

Wikipedia über „Persischstunden“