LV: Ted Chiang: Story of your Life, 1998 (Geschichte deines Lebens, enthalten in „Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes“ und „Geteilt durch Null“)
Aliens sind auf der Erde an verschiedenen Orten gelandet. Aber was wollen sie? Um das Herauszufinden, schickt die US-Regierung einige Wissenschaftler nach Montana zu einem der Raumschiffe. Dort angekommen versucht die Sprachwissenschaftlerin Dr. Louise Banks, sich mit den Aliens zu verständigen. Dafür muss sie ihr Denken und ihre Sprache entschlüsseln.
Toller philosophischer Science-Fiction-Film, der auf den üblichen Alien-Invasions-Krawall verzichtet. Schon jetzt ein Klassiker.
Antonio LeBlanc hatte schon Probleme mit dem Gesetz. Zweimal wurde der Mittdreißiger wegen Motorraddiebstahl verurteilt. Inzwischen ist er ein gesetzestreuer Bürger, der sich liebevoll um seine siebenjährige Stieftochter Jessie kümmert, als Tätowierer arbeitet und einen zweiten Job sucht. Denn seine Frau und große Liebe Kathy ist schwanger.
Als er in einem Supermarkt von einem Polizisten provoziert wird und aus der Provokation ein Handgemenge wird, landet er zuerst im Gefängnis und kurz darauf auf der Liste von Ausländern, die abgeschoben werden sollen. Denn Antonio wurde als Dreijähriger adoptiert und war seitdem nie wieder in seinem Geburtsland Korea. Seine Eltern und er beantragten niemals formal die US-Staatsbürgerschaft für ihn. Sie wussten nicht, dass sie das hätten tun müssen.
Die Polizei kann ihn deshalb in sein Geburtsland, das er nicht kennt, abschieben. Von dort kann er, auch wenn die Chancen äußerst gering sind, seine Wiedereinreise beantragen. Seine Familie kann ihn begleiten oder in den USA bleiben. Das ist der Justiz egal.
Die andere Möglichkeit ist, wie ein Anwalt ihm und Kathy erklärt, gegen die Abschiebung zu klagen. Wenn er Recht bekommt, kann er bleiben. Wenn nicht, muss er nach Korea ausreisen und darf nie wieder in die USA zurückkommen.
In jedem Fall will der Anwalt für seine Arbeit bezahlt werden. Zunächst versucht Antonio das Geld durch ehrliche Arbeit zusammen zu bekommen. Aber so kann er niemals genug Geld für den Anwalt verdienen. Letztendlich muss er sich an seine alten Freunde wenden und wieder Verbrechen begehen.
Das in und um New Orleans spielende intensive und nah an seinem Protagonisten erzählte Independent-Drama „Blue Bayou“ ist der vierte Spielfilm von Justin Chon und der erste, der bei uns im Kino läuft. Er schrieb auch das Drehbuch und übernahm die Hauptrolle. Weil er öfter als Schauspieler arbeitet, könnten einige sein Gesicht kennen. So spielte er in den „Twilight“-Filmen Eric Yorkie.
Antonios drohende Abscheigung, die die Filmgeschichte vorantreibt (wenn auch nicht so sehr, wie sie es eigentlich sollte), basiert auf einer realen, immer noch nicht behobenen Gesetzeslücke. Denn der Child Citizenship Act aus dem Jahr 2000 gilt nicht für adoptierte Kinder, die in dem Moment bereits 18 Jahre waren. Sie können ausgewiesen werden. In den vergangenen Jahren war eine unbekannte Zahl von adoptierten Kindern davon betroffen. Sie hielten sich sozusagen illegal in den USA auf. Im Abspann werden einige von ihnen gezeigt.
Aber um dieses Gesetz geht es in dem Film kaum. „Blue Bayou“ ist nämlich kein Justizthriller, sondern ein Drama, in dem ein Mann versucht, ein ehrliches Leben zu führen. Und ob das jetzt durch eine Abschiebung, einen rachsüchtigen Polizisten oder die falschen Freunde bedroht ist, ist egal. Ebenso die Gründe, aus denen der Protagonist unbedingt Geld braucht.
So verschwindet die drohende Abschiebung und die Frage, wie die in New Orleans lebende Familie LeBlanc künftig leben möchte, immer wieder, über lange Strecken im Hintergrund zugunsten eines Melodramas, in dem der Protagonist viel Motorrad fährt, eine krebskranke Frau kennen lernt, ein liebevoller Vater, hart arbeitender Tätowierer und Pechvogel ist. Die widrigen Umstände, personifiziert von zwei Polizisten, Kathys Ex und sein rassistischer Partner, und ein gnadenlos mahlendes Justizsystem, treiben Antonio immer weiter in sein altes Leben zurück. Das ist als durchaus dick auftragendes Melodrama mit einem Taschentuch-Ende gelungen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Blue Bayou(Blue Bayou, USA 2021)
Regie: Justin Chon
Drehbuch: Justin Chon
mit Justin Chon, Alicia Vikander, Sydney Kowalske, Mark O’Brien, Linh-Dan Pham, Emory Cohen, Vondie Curtis-Hall, Toby Vitrano
Ready or Not – Auf die Plätze fertig tot(Ready or Not, USA 2019)
Regie: Matt Bettinelli-Olpin, Tyler Gillett
Drehbuch: Guy Busick, R. Christopher Murphy
Bevor Grace ein vollwertiges Mitglied der Familie Le Domas wird, muss sie in der Hochzeitsnacht ein harmloses Aufnahmeritual überstehen. Das behauptet jedenfalls ihr Gatte, bevor in dem riesigen Familienanwesen die Jagd auf die Braut eröffnet wird.
TV-Premiere. Kurzweilige Splatter-Komödie und eine eindrückliche Warnung vor dem Einheiraten in stinkreiche Familien.
mit Samara Weaving, Adam Brody, Mark O’Brien, Henry Czerny, Andie MacDowell, Melanie Scrofano, Kristian Bruun, Nicky Guadagni, Elyse Levesque, John Ralston
LV: Ted Chiang: Story of your Life, 1998 (Geschichte deines Lebens, enthalten in „Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes“ und „Geteilt durch Null“)
Aliens sind auf der Erde an verschiedenen Orten gelandet. Aber was wollen sie? Um das Herauszufinden, schickt die US-Regierung einige Wissenschaftler nach Montana zu einem der Raumschiffe. Dort angekommen versucht die Sprachwissenschaftlerin Dr. Louise Banks, sich mit den Aliens zu verständigen. Dafür muss sie ihr Denken und ihre Sprache entschlüsseln.
Toller philosophischer Science-Fiction-Film, der auf den üblichen Alien-Invasions-Krawall verzichtet. Schon jetzt ein Klassiker.
Jede Familie hat so ihre Macken. Das bemerkt Grace in der Hochzeitsnacht auf dem noblen Anwesen der Familie Le Domas. Hier sieht noch alles wie zur Jahrhundertwende aus, als die Familie ein Vermögen mit Brettspielen machte. Und ein Spiel möchte die Familie ihres Bräutigams Alex Le Domas um Mitternacht mit ihr spielen. Es sei, so sagt ihr Alex, eine lächerliche Aufnahmezeremonie, die jedes neue Mitglied der Familie machen müsse.
Aus dem Kartenstapel mit den Spielvorschlägen zieht sie die Karte für das Spiel „Verstecken“. Diese eng mit einem Familiengeheimnis verbundene Karte wird nur sehr selten gezogen und sie ist der Auftakt für eine Menschenjagd auf Grace, die in dem Moment noch nicht ahnt, in welcher Gefahr sie schwebt.
Sie versteckt sich in dem riesigen Anwesen, während die Le Domas‘ sich, entsprechend den Spielbedingungen mit historischen Waffen ausrüsten. Danach jagen sie Grace durch das riesige, einsam gelegene Haus, das sie nicht verlassen darf.
Als zusätzlichen Motivationsschub für die Le-Domas-Sippe heißt es, dass sie das Opfer vor Sonnenaufgang töten müssen. Sonst sterben sie. Falls Grace das nicht schon vorher erledigt hat.
Die Grundidee für „Ready or Not“ ist natürlich schamlos von Richard Connells mehrmals verfilmter Kurzgeschichte „The most dangerous Game“, die auch zahlreiche weitere Bücher und Filme über eine Jagd auf Menschen inspirierte, geklaut. Wobei in dem von Matt Bettinelli Olpin und Tyler Gillett inszeniertem Film die Jagd in einem Haus stattfindet, das auch als Spukschloss taugen würde und in dem die Zeit stehen geblieben ist.
Mit einem prächtig aufgelegten Ensemble und nicht immer jugendfreien Gags und Tötungen entstand eine blutige Horrorkomödie, in der sich Splatter und Spaß abwechseln. Jedenfalls meistens. Dank des Handlungsortes und der Spielbedingung, dass nur die Waffen benutzt werden dürfen, die es gab, als das Spiel zum ersten Mal gespielt wurde, könnte der Film auch vor fünfzig, hundert oder sogar hundertfünfzig Jahren spielen. Dann hätte man auf die wenigen Gags mit der modernen Technik verzichten müssen. Und die Mitglieder der Le-Domas-Familie wären nicht so tollpatschig im Umgang mit den alten Tötungsgerätschaften.
Mit etwas über neunzig Minuten ist die überzeugende Warnung vor dem Einheiraten in traditionsbewusste Familien auch angenehm kurz geraten.
Ready or Not – Auf die Plätze fertig tot(Ready or Not, USA 2019)
Regie: Matt Bettinelli-Olpin, Tyler Gillett
Drehbuch: Guy Busick, R. Christopher Murphy
mit Samara Weaving, Adam Brody, Mark O’Brien, Henry Czerny, Andie MacDowell, Melanie Scrofano, Kristian Bruun, Nicky Guadagni, Elyse Levesque, John Ralston
Erinnern Sie sich an „Independence Day: Wiederkehr“? Oder irgendeinen anderen Invasions- oder Marvelfilm, in dem die Erde am Filmende regelmäßig wie ein Kinderzimmer nach einer Geburtstagsfeier aussieht? Gut.
Und jetzt stellen Sie sich das Gegenteil davon vor.
Das ungefähr ist „Arrival“. In seinem neuen Meisterwerk erzählt Denis Villeneuve, wie eine Begegnung zwischen Menschen und Außerirdischen stattfinden könnte, in der nicht von der ersten bis zur letzten Minute alles zerstört wird, sondern in dem eine Verständigung zwischen Menschheit und Aliens versucht wird. Sein Film basiert auf der mit dem Nebula Award und dem Sturgeon Award ausgezeichneten Kurzgeschichte „Geschichte deines Lebens“ (Story of your Life) von Ted Chiang.
Als Autor ist Ted Chiang nicht sonderlich produktiv. Fünfzehn Erzählungen seit 1990. Keine Romane. Dafür sammelt er Preise, wie Freiberufler Quittungen für die nächste Steuererklärung sammeln. Für die fünf Geschichten, die der Golkonda Verlag in dem Sammelband „Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes“, in dem auch „Geschichte deines Lebens“ enthalten ist, zusammenstellte, erhielt Chiang zehn renommierte Science-Fiction-Preise. Für Science-Fiction-Fans ist das Empfehlung genug.
In Buch und Film tauchen an zwölf verschiedenen Orten rund um den Globus außerirdische Raumschiffe auf, die nichts tun. Sie schweben einfach wenige Meter über der Erde. Während die Menschen mehr oder weniger in Panik ausbrechen, sichert das Militär die Gegend um die Raumschiffe ab. Alle fragen sich, was die Aliens wollen. Und wie die Menschen mit den schweigsamen Aliens in Kontakt treten können. Dafür fragt Colonel Weber (Forest Whitaker) im Auftrag der US-Regierung die Linguistin Louise Banks (Amy Adams) an. Ihr zur Seite steht Ian Donnelly (Jeremy Renner), ein Physiker und Mathematiker. Denn Verständigung beruht, neben der Sprache, auf den universell gültigen Regeln der Mathematik (und Physik) beruht.
Und wirklich: Banks kann sich im Raumschiff in einem von der Welt abgeschlossenem Raum, mehr ein quadratisch-brutalistischer Höhlenraum als irgendetwas, was wir aus SF-Filmen als Raumschiff kennen, mit den Heptapoden, die sie Abbott und Costello nennt, verständigen, indem die beiden Heptapoden kreisförmige Zeichen malen. Dabei erfährt sie, dass deren Sprache zyklisch aufgebaut ist. Sie also immer am Anfang eines Satzes (oder Kreises) schon das Ende des Satzes (oder Kreises) kennen. Diese Art der Sprache, jedenfalls wenn man, wie die Sapir-Whorf-Hypothese annimmt, dass Sprache Denken bestimmt, verändert auch Banks‘ Denken und ihre Sicht auf die Welt.
Unklar ist allerdings immer noch, was die Aliens wollen. Also, warum sie die Erde besuchen.
Im Mittelpunkt von „Arrival“ steht der Prozess der Verständigung mit den Aliens und damit der Prozess, der in der Realität viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Die ähnlich gelagerte, sehr sehenswerte, im Kino hoffnungslos untergegangene „Dokumentation“ „The Visit – Eine außerirdische Begegnung“ (ab dem 17. Februar 2017 auf DVD) zeigt, anhand von Interviews mit verschiedenen Fachleuten und Verantwortlichen, die bei einem solchen Ereignis die Verhandlungen führen würden, wie das in der Realität geschehen könnte. Insofern ist „Arrival“ die Spielfilmversion von „The Visit“ oder, umgekehrt, „The Visit“ die dokumentarische Ergänzung zu „Arrival“. In jedem Fall wäre genau dieser Prozess, des gegenseitigen Erlernens der Sprache, der Kommunikation miteinander und dem Versuch, herauszufinden, was die Außerirdischen auf der Erde wollen, spannend, weil wir nichts über ihre Absichten wissen. Und Missverständnisse ungeahnte Folgen haben können.
Warum Abbott und Costello zur Erde gekommen sind, wird im dritten Akt von „Arrival“ dann, notgedrungen, etwas hastig mit einigen überraschenden Drehungen und Wendungen abgehandelt, die einen zunächst etwas ratlos zurücklassen. In dem Moment empfiehlt sich die Lektüre von Ted Chiangs „Geschichte deines Lebens“, der sich ausführlich auf die Frage, wie Sprache und Denken miteinander zusammenhängen, konzentrieren kann.
Über das Ende sprechen wir am Besten beim Erscheinen der DVD des sehr sehenswerten Science-Fiction-Films, der Fragen stellt, über die man nach dem Kinobesuch noch lange diskutieren und nachdenken kann.
Arrival (Arrival, USA 2016)
Regie: Denis Villeneuve
Drehbuch: Eric Heisserer
LV: Ted Chiang: Story of your Life, 1998 (Geschichte deines Lebens, in „Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes“)
mit Amy Adams, Jeremy Renner, Forest Whitaker, Michael Stuhlbarg, Mark O’Brien
Länge: 117 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Die Vorlage
„Geschichte deines Lebens“ ist mit fast sechzig Seiten die längste Geschichte des speziell für Deutschland zusammengestellte Sammelbandes „Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes“ und jede einzelne Geschichte ist sehr lesenswert und regt zum Nachdenken an. Denn die Erzählungen von Ted Chiang sind mehr philosophische Essays als traditionelle, nach dem Lehrbuch aufgebaute Geschichten (wobei Chiang der Lehrbuchstruktur schon folgt).
Nur die Fans von epischen Raumschlachten werden enttäuscht sein.
Der Sammelband enthält folgende Geschichten:
– Der Turmbau zu Babel (Tower of Babylon, Erstveröffentlichung: Omni, November 1990)
– Geschichte deines Lebens (Story of Your Life, Erstveröffentlichung: Starlight 2, 1998)
– Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (Hell is the Absence of God, Erstveröffentlichung: Starlight 3, 2001)
– Der Kaufmann am Portal des Alchemisten (The Merchant and the Alchemist’s Gate, Erstveröffentlichung: Fantasy and SF, September 2007)
In einem zweiten Sammelband, „Das wahre Wesen der Dinge“, veröffentlichte Golkonda dann die restlichen von Ted Chiang bis dahin veröffentlichten Geschichten.
Sollte man sich zu Weihnachten wünschen; falls man die Geschichten nicht vorher, beim Warten auf den Weihnachtsmann, lesen will.