Ein kurzer Hinweis: Nach einigen wenigen Tagen in wenigen Kinos läuft Guillermo del Toros Interpretation von „Frankenstein“ jetzt auf Netflix – und eigentlich muss man Netflix schon dankbar sein, dass Einige ihn im Kino sehen konnten.
LV: Mary Shelley: Frankenstein, 1818 (Frankenstein oder Der moderne Prometheus)
mit Oscar Isaac, Jacob Elordi, Mia Goth, Felix Kammerer, David Bradley, Lars Mikkelsen, Christian Convery, Charles Dance, Christoph Waltz, Nikolaj Lie Kaas, Ralph Ineson
Es war einmal ein Buch und viele, sehr viele, also wirklich sehr viele Filmversionen, die die Geschichte von Victor Frankenstein und dem von ihm geschaffenem Geschöpf, das früher Monster, heute eher Kreatur genannt wird, allgemein bekannt machten.
Es war einmal ein Regisseur, der diese Geschichte verfilmen wollte. Schon als Kind war er von der Geschichte und James Whales „Frankenstein“ fasziniert. Damals hatte er schon die ersten Ideen für eine Verfilmung. Aber noch keine Kamera. Vor fast zwanzig Jahren gab es die ersten konkreten Ideen und Finanzierungen für einen „Frankenstein“-Film. Die seitdem bekannt gewordenen Pläne für eine Verfilmung waren mal mehr, mal weniger nah an einer Verwirklichung. Die Zeit füllte Guillermo del Toro (Uh, nachträglich alles Gute zum Geburtstag. Der war am 9. Oktober) überaus produktiv mit „Hellboy“ (I und II), „Pans Labyrinth“, „Crimson Peak“, „Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“ und „Nightmare Alley“.
Letztes Jahr war es dann soweit. Mit einem kolportierten Budget von 120 Millionen US-Dollar und einer Starbesetzung – Oscar Isaac und Jacob Elordi übernahmen die Hauptrollen – wurde der Horrorfilm von Februar bis September 2024 unter anderem in Toronto, Aberdeen und Edinburgh gedreht.
Die Premiere war am 30. August 2025 bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig.
Und jetzt kommt seine von Netflix produzierte Neuinterpretation der Frankenstein-Geschichte für einige Tage ins Kino. Im Stream ist der Film ab dem 7. November verfügbar.
Del Toro hält sich an die bekannten Eckpunkte der Geschichte, die wirklich als bekannt vorausgesetzt werden können. Er nimmt viele aus früheren Filmen bekannte Elemente wieder auf, variiert sie teilweise und gewährt der von Frankenstein geschaffenen Kreatur viel Raum. Sie erzählt sogar den zweiten Teil des Films aus ihrer Sicht. Der erste, chronologisch davor spielende Teil, wird von Victor Frankenstein erzählt. Er erzählt, ebenfalls im Voice-Over, ausführlich aus seinem Leben und wie er in seinem Labor, das dieses Mal malerisch an einem einsamen Strand liegt, aus Leichenteilen und Wissenschaft eine Kreatur erschafft.
Nun ist Voice-Over nichts schlechtes. Martin Scorsese ist ein Meister des Voice-Over. Immer wieder zeigt er, wie wirkungsvoll dieses Stilmittel sein kann. Wie sehr eine Erzählerstimme die Geschichte verdichten, vorantreiben und interessanter machen kann.
In „Frankenstein“ ist sie dagegen eher überflüssig. Dass Frankensteins Kreatur redet, ist zwar neu, aber sie fügt dieser Kreatur nichts bei, was nicht schon Boris Karloff in James Whales klassischem Universal-„Frankenstein“-Film von 1931 und der Fortsetzung „Frankensteins Braut“ (1935) zeigte.
Ein weiterers Problem ergibt sich aus der von del Toro gewählten Struktur. In der Nähe des Nordpols gelangen Frankenstein und die Kreatur auf ein Schiff, das zum Nordpol fahren will. Zuerst erzählt Frankenstein dem Kapitän die Geschichte. Er will die Seeleute vor der Kreatur warnen. Danach erzählt die Kreatur die Geschichte weiter. Strukturell kann „Frankenstein“, auch wegen seiner epischen Länge von hundertfünfzig Minuten als aus zwei weitgehend unabhängigen Teilen bestehender TV-Zweiteiler gesehen werden, in dem jeder Teil einen anderen Erzähler hat. Der große Bogen vom Filmanfang zum Filmende ist höchstens rudimentär enthalten, weil Anfang und Ende auf dem Schiff spielen. Die Geschichte von Frankenstein und seiner Kreatur erfolgt dazwischen als eine banale Abfolge von Ereignisse, die frei von tragfähigen Konflikten sind. Entsprechend flach und eindimensional sind die Figuren. Das ist vor allem bei Frankenstein und der Kreatur ein Problem. Bei den anderen Figuren ist das weniger ein Problem, weil sie eh nur schnell aus der Geschichte verschwindende Stichwortgeber sind.
Auch visuell ist „Frankenstein“ enttäuschend. Die großen, prächtigen Kinobilder werden fast alle im Trailer gezeigt. Der Film spielt dann in wenigen geschlossenen Räumen, oft mit nur einer oder zwei Personen im Bild und im Raum. Das sind TV-Bilder.
All das macht del Toros „Frankenstein“, schöne Bilder hin, schöne Dekors her, musikalisch unterlegt von Alexandre Desplat, zu einer ziemlich enttäuschenden und auch überflüssigen Angelegenheit.
Frankenstein(Frankenstein, USA 2025)
Regie: Guillermo del Toro
Drehbuch: Guillermo del Toro
LV: Mary Shelley: Frankenstein, 1818 (Frankenstein oder Der moderne Prometheus)
mit Oscar Isaac, Jacob Elordi, Mia Goth, Felix Kammerer, David Bradley, Lars Mikkelsen, Christian Convery, Charles Dance, Christoph Waltz, Nikolaj Lie Kaas, Ralph Ineson
Einige Kinos zeigen an Halloween als Event Lars von Triers „Geister – Exodus“. Und deshalb gibt es jetzt schon meine Kritik; sozusagen als Werbung für die eine Nacht, an der die dritte und, so heißt es, finale Staffel der schwarzhumorigen, konventionelle Sehgewohnheiten und Erwartungen ignorierenden Krankenhausserie im Kino läuft.
Die erste Staffel von „Geister“ (bzw. „Hospital der Geister“) lief 1994, die zweite 1997 – und damals reagierte die Kritik ziemlich euphorisch auf diese durchgeknallte Mischung, die, wie „Twin Peaks“ (1990/1991) so ziemlich alle TV-Sehgewohnheiten auf den Kopf stellte. Von Trier nannte David Lynchs Serie als einen Einfluss für seine Serie. Die grandiose, von Trier wahrscheinlich unbekannte österreichische Serie „Kottan ermittelt“ mit ihrer zunehmend respektlosen Mischung aus Satire und Krimi, lassen wir mal links liegen.
Jetzt kehrt Lars von Trier in das Reichskrankenhaus in Kopenhagen zurück. Einige aus den ersten beiden Staffeln bekannten Figuren sind wieder dabei. Und natürlich das Krankenhaus, das auf den alten Bleichteichen der Stadt erbaut wurde. Seitdem gibt es dort eine ungute Verbindung von mittelalterlichem Aberglauben und modernster Medizin. Die Geister der Toten kehren zurück. Das Böse scheint, aus dem Untergrund kommend, durch die Gänge des Krankenhauses zu wabern. Das Personal ist etwas merkwürdig und die Ärzte sind noch merkwürdiger in dieser absurd-surreal-abgedrehten Welt.
Mehr oder weniger im Zentrum des Geschehens stehen Karen Svensson, eine ältere Schlafwandlerin, die im Traum von einer mysteriösen Stimme in das Reichskrankenhaus gerufen wird und fortan im und unter dem Krankenhaus nach Antworten sucht, der neue aus Schweden kommende, die Dänen aus tiefster Seele hassende Chefarzt Dr. Helmer Jr., der in der Klinik mehr über seinen verstorbenen Vater herausfinden will, ein leitender Arzt, der alle mit seinen nervigen Fragen nervt und der panische Angst vor einem fröhlich geiferndem Fahrstuhl-Troll hat, und Krankenhausdirektor Bob, der unter Fußwarzen und Minderwertigkeitskomplexen leidet und sich in einem Kleinkrieg mit dem Computer befindet.
Dann gibt es noch sich höchst seltsam verhaltende Krankenpfleger:innen, eine Gruppe „Anonymer Schweden“ die schnell von einer Selbsthilfe- zu einer Selbstjustizgruppe wird, und einen Tellerwäscher, der mit seinem Roboter-Kollegen philosophiert. Der hat anscheinend eine Fehlfunktion. Denn er lässt. als Running-Gag, stoisch die sauberen, gerade abgetrockneten Teller fallen.
Oh, und Lars von Trier tritt ebenfalls auf. Erwähnt wird auch mehrmals, nicht unbedingt lobend, die Serie „Geister“.
Von Trier erzählt das in konsequent ungesund-farbentsättigten Farben und mit einer Wackelkamera auf, die nerven soll. Gleichzeitig ist diese Handkamera eine heute dringend nötige Hommage an das von von Trier mit initiierte, heute ziemlich vergessene Dogma-95-Manifest.
Für Menschen mit einem speziellem Humor und einer hohen Frustrationstoleranz ist „Geister – Exodus“ ein Fest. Alle anderen werden wahrscheinlich schon während der ersten Episode entnervt den Saal verlassen.
Und, auch wenn einem der Stil und der Inhalt gefällt, sind fünf Stunden ein hartes Brot. Wer sich das nicht in einem Rutsch antun will, muss bis zum 25. Januar 2024 warten. Dann erscheint die DVD/Blu-ray-Box. Ob im Rahmen dieser Veröffentlichung auch die ersten beiden Staffeln wieder erscheinen und ob es eine Komplettbox gibt, ist noch unklar.
Geister – Exodus(Riget: Exodus, Dänemark 2022)
Regie: Lars von Trier
Drehbuch: Lars von Trier, Niels Vørsel
mit Bodil Jørgensen, Mikael Persbrandt, Lars Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas, Tuva Novotny, David Dencik, Ghita Nørby, Nicolas Bro, Søren Pilmark, Peter Mygind, Laura
Christensen, Alexander Skarsgård, Willem Dafoe, Udo Kier
Wer hätte das gedacht? Nachdem die ersten drei Jussi-Adler-Olsen-Verfilmungen „Erbarmen“, „Schändung“ und „Erlösung“ massive Probleme hatten, machen die Macher bei der vierten Verfilmung alles richtig. Jedenfalls wenn man auf skandinavische Krimis steht und sich nicht an den oft elaborierten Plänen der Bösewichter und den Logiklöchern stört. Dass für die Verfilmung der Plot des Romans für den Film stark verändert wurde, kennen die Adler-Olsen-Fans von den vorherigen Sonderdezernat-Q-Verfilmungen.
Carl Mørck und sein Kollege Assad vom Sonderdezernat Q, der in den Keller verbannten Cold-Case-Abteilung der Polizei von Kopenhagen, stehen im Film „Verachtung“ vor einem wahrlich bizarren Rätsel. Als die Mietwohnung von Gitte Charles von Handwerkern aufgebrochen wird, entdecken sie eine luftdicht abgeschlossene Kammer. In dieser Kammer sitzen drei mumifizierte Menschen an einem Tisch. Ein Platz ist noch frei und die Mieterin der Wohnung, die seit zwölf Jahren pünktlich die Miete zahlt, ist verschwunden.
Durch die Rückblenden und den Subplot mit Dr. Curt Wad und der von ihm angeführten rechtsradikalen Partei kann man sich in Christoffer Boes Thriller schnell zusammenreimen, wie alles miteinander zusammenhängt. Entsprechend uninteressant ist für uns Zuschauer die Frage, wer der Mörder ist.
Im Roman wird das Zimmer mit den fünf Leichen erst kurz vor dem Finale entdeckt und geöffnet. Hier beginnen die Ermittlungen, weil Mørck und Assad sich wieder den Fall der 1987 spurlos verschwundenen ‚erotischen Tänzerin‘ Rita Nielsen vornehmen. Aufgrund der Umstände ihres Verschwindens glauben sie die offizielle These, dass sie sich selbst umbrachte, nicht. Als die Ermittler nach weiteren nicht gelösten Vermisstenfällen suchen, entdecken sie mehrere ähnlich gelagerte Fälle aus dem Jahr 1987. Sie fragen sich, ob es einen Zusammenhang gibt. Bei ihren Ermittlungen stoßen sie ebenfalls auf Dr. Wad und die Mietwohnung, die im Film von Gitte Charles, im Roman von Nete Rosen, geborene Hermansen, seit Jahren pünktlich bezahlt wird.
Weil Jussi Alder-Olsen den Roman auf zwei bis drei Zeitebenen (der Roman spielt 2010 und 1987, wo die Täterin sich an ihre Kindheit und Jugend in den fünfziger Jahren erinnert) spielen lässt, gibt es hier für den Leser ebenfalls keine großen Überraschungen. Der Roman zerfällt letztendlich in eine 1987 spielende Rachegeschichte und einen 2010 spielenden Ermittlerkrimi.
Der Film legt dagegen den Schwerpunkt auf den Thrillerplot, in dem Mørck und Assad gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner kämpfen müssen. Damit entwickelt sich die sinnvoll entwickelte Geschichte, mit deutlichen Unterschieden zur Romangeschichte, spannend auf die finale Konfrontation(en) zwischen Mørck, Assad, Gitte Charles/Nete Hermansen (der Mieterin der Wohnung mit dem Todeszimmer) und Dr. Wad und seiner Organisation.
Außerdem gibt es im Film zwei wichtige, im Buch nicht enthaltene Subplots. In dem einen kümmert sich Assad um eine junge, schwangere Nichte. Weil ihr Vater davon nichts erfahren soll, geht sie zu dem renommierten Abtreibungsarzt Dr. Wad, der immer noch die Gesellschaft vor lebensunwertem Leben beschützen will.
Gleichzeitig will Assad aufgrund einer Beförderung das Team verlassen. Mørck, der immer behauptet, es sei ihm egal, ist nicht damit einverstanden. Aber er sagt es nicht.
Trotzdem, und das ist die schon seit dem ersten Film überfällige Veränderung, arbeiten sie, wozu auch ihre Assistentin Rose gehört, zusammen und sie werden erstmals als sich ergänzendes und sich vertrauendes Team gezeigt. Außerdem ist Mørck nicht mehr, wie in den vorherigen Filmen (und auch noch im Buch) der blindgeleitete Sturkopf, der ohne irgendwelche Beweise Spuren verfolgt, ständig Grundlagen des Ermittlerhandwerks ignoriert und alle beleidigt. Er war bis jetzt das unaufmerksame Kind, das man mit einem Gameboy in die Ecke setzt, damit die Erwachsenen ihre Arbeit tun können. In „Verachtung“ arbeitet er endlich mit. Er ist Teil des Teams.
Das Thema des Films ist historisch verbürgt, erschreckend, immer noch aktuell und wird als Mordmotiv im Trailer noch deutlicher verraten als im Klappentext des Buches.
Von 1923 bis 1961 wurden auf der Insel Sprogø Frauen gebracht, die mit dem Gesetz oder den damaligen Moralvorstellungen in Konflikt gerieten oder für debil erklärt wurden. Dort wurden sie drangsaliert und sterilisiert. Diese Sterilisationen geschahen aufgrund damals gültiger Gesetze zur Rassenhygiene und Eugenik. In Dänemark waren für diese Gesetze und ihre Durchführung sozialdemokratische Regierungen verantwortlich.
Zwischen 1929 und 1967 wurden in Dänemark etwa elftausend Personen, vor allem Frauen, sterilisiert. Etwa die Hälfte der Fälle waren Zwangssterilisationen. In „Verachtung“ führt Dr. Wad, ein glühender Anhänger der Rassenlehre, diese Sterilisationen ohne das Einverständnis der Frauen durch.
So ist der Thriller eine willkommene Ergänzung im Feld der skandinavischen Kriminalfilme und die bislang beste Adler-Olsen-Verfilmung. All die von den Drehbuchautoren Nikolaj Arcel, Drehbuchautor der vorherigen Adler-Olsen-Verfilmungen „Erbarmen“, Schändung“ und „Erlösung“, Mikkel Nørgaard, Regisseur der Adler-Olsen-Verfilmungen „Erbarmen“ und „Schändung“, und Bo Erhard Hansen gemachten Änderungen stärken die Geschichte, ohne sie zu verraten. Im Rahmen eines konventionellen Thrillerplots wird sogar Adler-Olsens Anklage gegen die staatlich verordneten Zwangssterilisationen und sein Hinweis auf das Fortbestehen rassistischen Denkens deutlicher.
Der Roman selbst ist ein langweiliges Desaster. Über viele Seiten herrscht immer wieder Stillstand. Überraschende Wendungen gibt es nicht. Und auch sonst fehlt „Verachtung“ alles, was man von einem Thriller erwartet. Naja, eigentlich erwartet man von einem Thriller nur diese atemlose Spannung, die einen immer weiter lesen lässt, auch wenn langsam die Sonne aufgeht.
Inzwischen ist mit „Marco effekten“ für 2020 eine fünfte Sonderdezernat-Q-Verfilmung angekündigt. Dann allerdings mit Ulrich Thomsen und Zaki Youssef als Carl Mørck und Assad.
Drehbuch: Nikolaj Arcel, Bo Erhard Hansen, Mikkel Nørgaard
LV: Jussi Adler-Olsen: Journal 64, 2010 (Verachtung)
mit Nikolaj Lie Kaas, Fares Fares, Johanne Louise Schmidt, Søren Pilmark, Fanny Leander Bornedal, Clara Rosager, Luise Skov, Amanda Radeljak, Anders Hove, Nicolas Bro, Elliott Crosset Hove, Birthe Neumann, Anders Juul, Michael Brostrup, Marianne Høgsbro
Men & Chicken (Mænd & høns, Dänemark/Deutschland 2014)
Regie: Anders Thomas Jensen
Drehbuch: Anders Thomas Jensen
Um ihren Vater, den Genetiker Evelio Thanatos, kennen zu lernen, fahren die Halbbrüder Elias und Gabriel auf die Insel Ork. Das von ihm betriebene Sanatorium ist eine Bruchbude. Ihre dort lebenden Halbbrüder sind bekloppt und wollen Elias und Gabriel nicht zu ihrem Vater lassen.
Ein ziemlicher Klamauk, gedreht in den Beelitz-Heilstätten bei Potsdam.
mit Mads Mikkelsen, David Dencik, Nikolaj Lie Kaas, Søren Malling, Nicolas Bro, Ole Thestrup, Bodil Jørgensen, Kirsten Lehfeldt, Lisbeth Dahl, Rikke Louise Andersson
Ein Vorteil hat der dritte Teil einer Serie: er unterscheidet sich, jedenfalls in diesem Fall, kaum von den vorherigen Teilen und daher kann ich sagen: Wenn Ihnen „Erbarmen“ und „Schändung“ gefallen hat, wird ihnen „Erlösung“ gefallen.
Wieder spielt Nikolaj Lie Kaas Carl Mørck und Fares Fares Assad. Beide sind gewohnt überzeugend. Wieder schrieb Nikolaj Arcel das Drehbuch. Die Regie übernahm dieses Mal Hans Petter Moland, der die auf der Berlinale gezeigten Filme „Ein Mann von Welt“ und „Einer nach dem anderen“ inszenierte. Wieder sieht alles nordisch unterkühlt aus und wieder hat Jussi Adler-Olsen eine dicke Vorlage geschrieben. Inzwischen benötigt er gut sechshundert Seiten um einen Bestseller zu fabrizieren. Für den Film wurde das Konvolut auf knappe zwei Stunden eingedampft, die sich immer noch zu lang anfühlen.
Dieses Mal landet eine Flaschenpost – ja, eine richtige Flaschenpost! – auf dem Schreibtisch des Kopenhagener Sonderdezernat Q, der kleinen Abteilung im Keller des Polizeireviers für die alten, noch nicht aufgeklärten Fälle. Es ist eine Cold-Case-Abteilung, die nur Akten entstauben soll; was Kommissar Carl Mørck, seinem Kollegen Assad, der für das Finanzamt wohl immer noch kein richtiger Polizist ist, und ihrer Sekretärin Rose (Johanne Louise Schmidt) leidlich gelingt.
Sie versuchen, herauszufinden, wer den Brief mit Blut schrieb. Das erledigen sie in der gewohnten Arbeitsteilung. Während Mørck sich noch muffeliger als gewohnt in seiner Wohnung verkriecht, erledigen Assad und Rose die richtigen Ermittlungen. Sie vermuten, dass der kaum lesbare Brief von einem Kind geschrieben wurde. Allerdings wird kein Kind vermisst.
Während die Q-Abteilung langsam vor sich hin ermittelt, wissen wir Zuschauer schon mehr. Wir kennen den Täter, können sein Motiv vermuten und warten ab, bis die Herren Kommissare endlich auf unseren Wissensstand kommen.
Sie erfahren auch zunächst nicht, dass der Täter, der junge Missionar Johannes (Pål Sverre Hagen) von der freikirchlichen Gemeinde „Die Schüler des Herrn“, wieder zwei Kinder entführt hat. Die tiefreligiösen Eltern halten es für eine Prüfung Gottes und belügen Mørck und Assad. Oder besser Assad und Mørck.
Carl Mørck wird zwar wieder als der Protagonist verkauft. Er soll der Held der Geschichte und der Serie sein. Wir sollen mit ihm mitfiebern und leiden. Wobei Mørck sich vor allem auf das Leiden versteht. Er ist ein rechter Stinkstiefel, der nichts, aber auch absolut nichts tut, um den Fall aufzuklären. Dafür pflegt er, wie schon in „Erbarmen“ und „Schändung“, viel zu gerne seine Depression. Dieses Mal bevorzugt in seinem Haus.
Assad, sein Helfer, sein Dr. Watson, übernimmt dagegen, wie in „Erbarmen“ und „Schändung“, die ganze Arbeit. In Wirklichkeit ist er der Protagonist. Er ist, um im Bild zu bleiben, Sherlock Holmes. Auch als Mensch hat er, als Flüchtling mit ungeklärter Vergangenheit, die interessantere Biographie und damit auch die interessanteren Konflikte. Soweit sie in der Geschichte, in der es dieses Mal auch um Glaube und Religion geht, angesprochen werden. Denn in einer Detektivgeschichte – und das ist „Erlösung“ letztendlich – steht der aktuelle Fall im Mittelpunkt. Das Privatleben der Ermittler ist dagegen sekundär.
„Erlösung“ hat genau die Probleme, die ich schon bei den beiden vorherigen Adler-Olsen-Verfilmungen ansprach und die, bei allen Freiheiten, die sich die Macher bei der Verfilmung nehmen, schon in den Romanen vorhanden sind.
Erlösung (Flaskepost fra P, Dänemark/Deutschland/Schweden/Norwegen 2016)
Regie: Hans Petter Moland
Drehbuch: Nikolaj Arcel
LV: Jussi Adler-Olsen: Flaskepost fra P, 2009 (Erlösung)
mit Nikolaj Lie Kaas, Fares Fares, Jakob Ottebro, Pål Sverre Hagen, Johanne Louise Schmidt, Jacob Lohmann, Amanda Collin
Es hilft nichts. Auch die Veränderungen im Drehbuch von Nikolaj Arcel und Rasmus Heisterberg machen aus Jussi Adler-Olsen spannungsloser Geschichte „Schändung“ keinen Thriller. Die Täter sind beide Male von Anfang an bekannt, was ja nicht unbedingt ein Nachteil ist. So basiert die grandiose Krimiserie „Columbo“ auf dieser Idee. Aber in „Columbo“ sind die Verbrecher intelligent, die Konfrontationen zwischen dem Ermittler und dem Mörder sind vergnügliche Schlagabtäusche, Katz-und-Maus-Spiele zwischen intelligenten Kontrahenten, und in jeder Szene erfahren wir etwas neues. In „Schändung“, und da unterscheiden sich der Roman seine Verfilmung nicht, ist es anders. Es gibt einfach keine nennenswerten Konfrontationen und, nachdem wir die Ausgangssituation kennen, auch keine neuen Erkenntnisse. Die gesamte Geschichte quält sich über 450 Seiten (im Roman) oder gut 120 Minuten (im Film) auf ihr Ende zu. Schon am Anfang erfahren wir, dass eine Gruppe stinkreicher Internatsschüler vor zwanzig Jahren zwei Jugendliche ermordeten. Bjarne Thøgersen gestand den Doppelmord und sitzt dafür im Gefängnis. Der Fall ist offiziell abgeschlossen. Jetzt beginnt Carl Mørck vom Sonderdezernat Q, der Abteilung für alte, nicht abgeschlossene Fälle, den Fall neu aufzurollen. Im Roman weil die Akte wie von Geisterhand auf seinem schon gut gefülltem Schreibtisch auftaucht und es, anstatt sich irgendeinen ungeklärten alten Mordfall vorzunehmen, natürlich grundvernünftig ist, einfach einen geklärten alten Mordfall noch einmal zu untersuchen. Vielleicht haben die Kollegen ja Mist gebaut und vielleicht ist der geständige Täter, der sein Geständnis nicht widerrufen möchte, doch nicht der Täter. Wer jetzt glaubt, dass Mørcks Verhalten idiotisch ist, wird an Adler-Olsens Roman keine Freude haben. Aber eigentlich sollte er nach dem ersten Sonderdezernat-Q-Roman „Erbarmen“ schon vorgewarnt sein. Im Film ist Mørcks Verhalten immerhin besser motiviert: Eines Nachts begegnet er im Regen (wegen der atmosphärischen Bilder) einem offensichtlich verwirrten Mann, der ihm die alte Akte gibt. Am nächsten Tag ist er tot. Suizid. Er war ein Ex-Polizist und der Vater der beiden toten Teenager. Getrieben von dem Gefühl, dem Mann nicht geholfen zu haben, sieht Mørck sich den Fall wieder an. Zur gleichen Zeit läuft die Obdachlose Kimmie durch Kopenhagen. Sie ist eine der damaligen Täter und jetzt will sie sich an den anderen Tätern rächen. Ohne jetzt allzutief in die Psychologie einzusteigen: weil Jussi Adler-Olsen es so will und es in der Theorie doch gut klingt: während die Polizei die Täter sucht, will einer der Täter die anderen umbringen und jetzt haben wir einen Wettlauf mit der Zeit. Denn wer erreicht zuerst sein Ziel? Die Ausführung steht dann auf einem anderen Blatt und das Ende bringt diese beiden Plots mit mehr Zufall als Verstand oder innerer Logik zusammen. Unglaubwürdige Charaktere, eine unplausible Geschichte, fehlende Konfrontationen, fehlende Konflikte – das ist das Rezept für einen veritablen Langweiler, der in diesem Fall immerhin Mørcks Privatleben links liegen lässt. Dieses Fazit gilt für den Roman und die Verfilmung.
Jetzt, nach der zweiten Sichtung, fällt mir auf, dass ich die gewohnt wertige skandinavische Optik nicht lobte. Und in zwei Punkten war ich etwas ungenau. Bjarne Thøgersen hat seine Strafe nämlich schon verbüßt und er wurde für sein Geständnis, was den beiden Ermittlern sofort auffällt, fürstlich entlohnt. Und Kimmie ist im Film nur noch eine gequälte Seele; – was einige Wendungen psychologisch umso unverständlicher macht. Im Roman verfolgt sie konsequenter ihren Racheplan; – was psychologisch auch nicht sonderlich nachvollziehbar ist. Immerhin ist die Verfilmung gelungener als der Roman.
Ob ich jemals ein Adler-Olsen-Fan werde? Immerhin gibt es mit „Erlösung“ einen dritten Versuch, der ab Mitte Juni 2016 in unseren Kinos laufen soll und der, bis auf den Regisseur (Hans Petter Moland übernahm), mit dem bewährtem Team gedreht wird. Vielleicht ist dieser Mørck-Film, in dem es um verschwundene Kinder geht, kein Murks, für den vor allem Romanautor Jussi Adler-Olsen verantwortlich ist.
Das Bonusmaterial ist ziemlich umfangreich und auch informativ geraten, was vor allem daran liegt, dass Regisseur Mikkel Nørgaard im 26-minütigem „Making of“ ausführlich zu Wort kommt. Mit den beiden Hauptdarstellern Nikolaj Lie Kaas und Fares Fares gibt es außerdem kürzere Interviews (8 und 6:30 Minuten), die im Rahmen der Werbung für den deutschen Kinostart gemacht wurden.
Schändung – Die Fasanentöter (Fasandræberne, Dänemark/Deutschland/Schweden 2014)
Regie: Mikkel Nørgaard
Drehbuch: Nikolaj Arcel, Rasmus Heisterberg
LV: Jussi Adler-Olsen: Fasandræberne, 2008 (Schändung)
mit Nikolaj Lie Kaas, Fares Fares, Pilou Asbaek, David Dencik, Danica Curcic, Johanne Louise Schmidt
– DVD
NFP marketing & distribution (Vertrieb: Warner Bros.)
Bild: 2,35:1 (16:9)
Ton: Deutsch, Dänisch
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial: Making of, Interviews mit Nikolaj Lie Kaas und Fares Fares, Trailer, Teaser, Hörfilmfassung
Länge: 115 Minuten
FSK: ab 16 Jahre
–
Trotz einer ähnlich missgestalteten Nase und Hasenscharte sind Gabriel und Elias als Brüder vollkommen unterschiedlich. Während Gabriel frustriert Evolutionspsychologie und Philosophie an der Universität lehrt, masturbiert Elias fast ohne Unterbrechung. Talente sind halt unterschiedlich verteilt. Da ist die Videobotschaft von ihrem gerade verstorbenem Vater, dass er nicht ihr leiblicher Vater war und dass sie nur Halbbrüder sind, für Gabriel eine Erleichterung. Ihr leiblicher Vater, der Forscher Evilio Thanos, soll hochbetagt auf der entlegenen Insel Ork in einem von ihm betriebenem Sanatorium leben.
Die Brüder machen sich auf den Weg zu der 41-Seelen-Gemeinde Ork, die, wenn ihre Einwohnerzahl unter die magische Zahl vierzig sinkt, keine Gemeinde mehr ist. Sie wollen erfahren, wer ihre Mutter ist.
Dort treffen sie ihre drei Brüder, von denen sie bislang nichts wussten, die sie aber sofort an der tierischen Nase und der Hasenscharte als Brüder erkennen. Außerdem sind sie, wie Elias, nicht gerade die Hellsten. Daran ändert auch ihr Spezialwissen nichts. Sie verhalten sich wie Fünfjährige und fast jedes Gespräch endet in einer Prügelei, in der sie sich mit Holzlatten und allen anderen Gegenständen, die gerade zur Hand sind, schlagen.
Trotzdem wollen Elias und Gabriel ihre Brüder besser kennen lernen. Sie quartieren sich bei ihnen in dem verfallenem Sanatorium ein und fragen sich, welches Geheimnis hinter der verschlossenen Kellertür liegt. Und natürlich was das Geheimnis ihrer Erzeugung ist. Beides erahnen wir schnell.
„Men & Chicken“ ist ein schnell redundant werdender Klamauk. Denn dass jedes Gespräch in einer Schlägerei endet, dass sich alle auf verschiedene Art kindisch und tierisch verhalten, dass der gleiche Witz mit minimalen Variationen immer wieder und wieder wiederholt wird, langweilt schnell.
Da helfen die guten Schauspieler nicht weiter. So ist, um nur die beiden uns bekanntesten zu nennen, Mads Mikkelsen als masturbierend-blöd-naiver Elias grandios und zuerst unter der Maske kaum erkennbar. Nikolaj Lie Kaas als nicht minder depperte Bruder ist ebenfalls herrlich in seiner geistigen Beschränktheit. Auch die anderen Schauspieler beweisen einen großen Mut zur Hässlichkeit und zur Blödheit. Das erinnert dann an die ebenfalls infantile Flodder-Familie; wobei hier die ordnende Hand der Flodder-Mutter fehlt. Es ist halt ein Männerhaushalt, mit vielen Hühnern und einigen anderen Haustieren, die teilweise wie fehlgeschlagene Experimente aussehen.
Auch die Ausstattung, gedreht wurde die Co-Produktion mit dem Studio Babelsberg, unter anderem in den Beelitz-Heilstätten in Brandenburg, überzeugt mit ihrer großen Liebe zum ornamentalen Detail.
Aber wer geht schon wegen der Ausstattung in einen Film?
Andreas ist Polizist, glücklich verheiratet und ebenso glücklicher Vater. Wenn sein Sohn nachts schreit, kümmert er oder seine Frau Anne sich abwechselnd um ihn. Sie sind vorbildliche Eltern, die in einem ebenso vorbildichem Haus am See leben. Auch auf der Arbeit ist Andreas der ruhige, besonnene Polizist mit dem funktionierendem moralischen Kompass, der wild ausschlägt, als er, wieder einmal, auf Tristan trifft.
Tristan ist das Gegenteil von ihm: ein kleiner Drogenhändler mit vielen Vorstrafen, gewalttätig, dumm wie Brot und jetzt liiert mit der Junkiebraut Sanne, die in einer vermüllten Mietwohnung hausen. Aber wirklich schockiert ist Andreas, als sie in dieser Wohnung ein Baby entdecken. Andreas will es in staatliche Obhut geben, aber weil das Baby kerngesund ist, darf es bei seiner Mutter bleiben.
Außerdem kümmert sich Andreas um seinen Kollegen Simon, der nach einer Scheidung zwischen Suff und Strip-Club herumpöbelt und der seine Dienstmarke als Entschuldigung für schlechtes Verhalten benutzt.
Eines Nachts entdeckt Andreas, dass ihr Kind tot ist. Um Anne nicht zu verlieren, vertauscht er sein totes Kind mit Tristans lebendigem Kind und er versucht Anne davon zu überzeugen, dass ihr Kind noch lebt. Gleichzeitig versucht er Tristan hinter Gitter zu bringen. Dummerweise lieben Tristan und Sanne ihr Kind abgöttisch.
Das könnte jetzt der Auftakt für eine schwarzhumorige Komödie im Stil von „Arizona Junior“ von den Coen-Brüdern sein. Aber in „Zweite Chance“ gibt es nichts zu Lachen und auch nichts ist ironisch gemeint.
Es könnte auch der Auftakt für einen veritablen Kriminalfilm sein. Immerhin haben wir ein totes Baby, mehrere Verbrechen, Verbrecher und Polizisten, polizeiliche Ermittlungen und einen Polizist, der alles tut, um die zu ihm führenden Spuren zu verschwischen. Aber die Ausgangslage von „Zweite Chance“ ist viel zu konstruiert und die sich daraus entwickelnde Geschichte so krude, dass kein Krimi-Autor sich trauen würde, ernsthaft eine solche Kolportage anzubieten.
Aber als Drama über Vater- und Mutterschaft funktioniert der gut besetzte Film. Susanne Bier erzählt diese Geschichte voller Unwahrscheinlichkeiten über tote und lebendige Babys, die mehrmals vertauscht werden und einem alles toppendem Ende, nämlich so konzentriert, dass man mit den Charakteren und ihren Konflikten mitfiebert.
„Zweite Chance“ hat nämlich einen klar konturierten Konflikt. Die damit verbundenen moralischen Fragen sind auch ebenso klar erkennbar. Das Drama ist damit nah bei einem Philosophieseminar, das ernsthaft ein hypothetisches und extrem zugespitztes Problem diskutiert und sogar überraschend unterhaltsam ausfällt. Nur sollte man das Problem von „Zweite Chance“ nicht mit der Wirklichkeit verwechseln (Wer ist schon Polizist und hat gerade ein Ersatzbaby zur Hand?) – und auch nicht nachahmen.
Es hilft nichts. Auch die Veränderungen im Drehbuch von Nikolaj Arcel und Rasmus Heisterberg machen aus Jussi Adler-Olsen spannungsloser Geschichte „Schändung“ keinen Thriller. Die Täter sind beide Male von Anfang an bekannt, was ja nicht unbedingt ein Nachteil ist. So basiert die grandiose Krimiserie „Columbo“ auf dieser Idee. Aber in „Columbo“ sind die Verbrecher intelligent, die Konfrontationen zwischen dem Ermittler und dem Mörder sind vergnügliche Schlagabtäusche, Katz-und-Maus-Spiele zwischen intelligenten Kontrahenten, und in jeder Szene erfahren wir etwas neues.
In „Schändung“, und da unterscheiden sich der Roman seine Verfilmung nicht, ist es anders. Es gibt einfach keine nennenswerten Konfrontationen und, nachdem wir die Ausgangssituation kennen, auch keine neuen Erkenntnisse. Die gesamte Geschichte quält sich über 450 Seiten (im Roman) oder gut 120 Minuten (im Film) auf ihr Ende zu. Schon am Anfang erfahren wir, dass eine Gruppe stinkreicher Internatsschüler vor zwanzig Jahren zwei Jugendliche ermordeten. Bjarne Thøgersen gestand den Doppelmord und sitzt dafür im Gefängnis. Der Fall ist offiziell abgeschlossen.
Jetzt beginnt Carl Mørck vom Sonderdezernat Q, der Abteilung für alte, nicht abgeschlossene Fälle, den Fall neu aufzurollen. Im Roman weil die Akte wie von Geisterhand auf seinem schon gut gefülltem Schreibtisch auftaucht und es, anstatt sich irgendeinen ungeklärten alten Mordfall vorzunehmen, natürlich grundvernünftig ist, einfach einen geklärten alten Mordfall noch einmal zu untersuchen. Vielleicht haben die Kollegen ja Mist gebaut und vielleicht ist der geständige Täter, der sein Geständnis nicht widerrufen möchte, doch nicht der Täter. Wer jetzt glaubt, dass Mørcks Verhalten idiotisch ist, wird an Adler-Olsens Roman keine Freude haben. Aber eigentlich sollte er nach dem ersten Sonderdezernat-Q-Roman „Erbarmen“ schon vorgewarnt sein.
Im Film ist Mørcks Verhalten immerhin besser motiviert: Eines Nachts begegnet er im Regen (wegen der atmosphärischen Bilder) einem offensichtlich verwirrten Mann, der ihm die alte Akte gibt. Am nächsten Tag ist er tot. Suizid. Er war ein Ex-Polizist und der Vater der beiden toten Teenager. Getrieben von dem Gefühl, dem Mann nicht geholfen zu haben, sieht Mørck sich den Fall wieder an.
Zur gleichen Zeit läuft die Obdachlose Kimmie durch Kopenhagen. Sie ist eine der damaligen Täter und jetzt will sie sich an den anderen Tätern rächen. Ohne jetzt allzutief in die Psychologie einzusteigen: weil Jussi Adler-Olsen es so will und es in der Theorie doch gut klingt: während die Polizei die Täter sucht, will einer der Täter die anderen umbringen und jetzt haben wir einen Wettlauf mit der Zeit. Denn wer erreicht zuerst sein Ziel? Die Ausführung steht dann auf einem anderen Blatt und das Ende bringt diese beiden Plots mit mehr Zufall als Verstand oder innerer Logik zusammen.
Unglaubwürdige Charaktere, eine unplausible Geschichte, fehlende Konfrontationen, fehlende Konflikte – das ist das Rezept für einen veritablen Langweiler, der in diesem Fall immerhin Mørcks Privatleben links liegen lässt. Dieses Fazit gilt für den Roman und die Verfilmung.
Schändung – Die Fasanentöter(Fasandræberne, Dänemark/Deutschland/Schweden 2014)
Regie: Mikkel Nørgaard
Drehbuch: Nikolaj Arcel, Rasmus Heisterberg
LV: Jussi Adler-Olsen: Fasandræberne, 2008 (Schändung)
mit Nikolaj Lie Kaas, Fares Fares, Pilou Asbaek, David Dencik, Danica Curcic, Johanne Louise Schmidt
Länge: 120 Minuten
FSK: ab 16 Jahre
– Die Vorlage
Zum Kinostart der ersten Jussi-Adler-Olsen-Verfilmung „Erbarmen“ im Januar schrieb ich: Nach einem missglückten Einsatz wird Carl Mørck befördert und gleichzeitig abgeschoben. Er soll das neue Sonderdezernat Q leiten, das alte, nicht aufgeklärte Fälle noch einmal untersucht. Das Dezernat ist irgendwo im Keller des Kopenhagener Polizeigebäudes und erst nach Protesten erhält er einen Assistenten, der sich vor allem um die Aktenablage kümmern soll. Aber Assad ist nicht auf den Kopf gefallen. Der Flüchtling erweist sich schnell als unersetzliche Hilfe für Mørck. Gemeinsam nehmen sie sich den Fall Merete Lyngaard noch einmal vor. Die Politikerin verschwand vor einigen Jahren spurlos von einer Fähre. Die ermittelnden Beamten schlossen den Fall als mutmaßlichen Suizid ab. Aber Mørck und Assad entdecken schnell Ungereimtheiten und Lücken in den Ermittlungen. Sie gehen von einem Mord aus. In dem Moment wissen wir allerdings, dass Merete seit Jahren in einer Druckkammer gefangen gehalten wird. Ihr Entführer, der nicht mit ihr redet, will, dass sie ihm sagt, warum er sie einsperrte. „Erbarmen“ ist die Verfilmung von Jussi Adler-Olsens erstem Sonderdezernat-Q-Roman. Für die Verfilmung wurden die Ermittlungen von Mørck und Assad in eine stringente Form gebracht und auch einige Szenen wurden verändert. So gelingt es im Film Assad die Schutzmauer von Meretes geistig behindertem Bruder Uffe zu durchbrechen, indem er geduldig eine Beziehung zu ihm aufbaut. Im Roman versucht das Mørck mit der Sensibilität einer Dampfwalze. Es gibt allerdings immer noch mehrere Szenen zwischen Mørck und seinem Sohn, die nur deshalb im Film sind, weil sie in einer längeren TV-Fassung (wenn es sie gibt) oder den nächsten Adler-Olsen-Verfilmungen wichtiger werden. Immerhin ist der zweite Sonderdezernat-Q-Roman schon verfilmt und Adler-Olsen will insgesamt zehn Sonderdezernat-Q-Romane schreiben. Allerdings hat der Film, wie schon der Roman, mit einem vollkommen unglaubwürdigem Bösewicht zu kämpfen, was den Film, der von Mikkel Nørgaard in bester Skandinavischer-Thriller-Tradition inszeniert wurde, von einem spannenden Polizeithriller zu einer hanebüchenen Kriminalgeschichte werden lässt.
Auf der DVD ist im Bonusmaterial auch ein Teaser für „Schändung“, die zweite Adler-Olsen-Verfilmung, enthalten, die am 22. Januar 2015 bei uns im Kino anlaufen soll und die von dem bewährten Team vor und hinter der Kamera gemacht wurde.
Außerdem gibt es ein siebenminütiges Interview mit Regisseur Mikkel Nørgaard und ein fünfminütiges mit Hauptdarsteller Nikolaj Lie Kaas und ein 25-minütiges Making of. Das ist alles durchaus informativ, aber, abgesehen von den beiden Interviews, auch deutlich mehr Pflicht als Kür.
Erbarmen (Kvinden i buret, Dänemark/Deutschland/Schweden 2013)
Regie: Mikkel Nørgaard
Drehbuch: Nikolaj Arcel
LV: Jussi Adler-Olsen: Kvinden i buret, 2008 (Erbarmen)
mit Nikolaj Lie Kaas, Fares Fares, Sonja Richter, Mikkel Boe Følkstar, Søren Pilmark, Troels Lyby
– DVD
NFP/Warner
Bild: 2,35:1 (16:9)
Ton: Deutsch, Dänisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial: Making of, Interviews, Trailer, Teaser „Schändung“
Länge: 93 Minuten
FSK: ab 16 Jahre
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Nach einem missglückten Einsatz wird Carl Mørck befördert und gleichzeitig abgeschoben. Er soll das neue Sonderdezernat Q leiten, das alte, nicht aufgeklärte Fälle noch einmal untersucht. Das Dezernat ist irgendwo im Keller des Kopenhagener Polizeigebäudes und erst nach Protesten erhält er einen Assistenten, der sich vor allem um die Aktenablage kümmern soll. Aber Assad ist nicht auf den Kopf gefallen. Der Flüchtling erweist sich schnell als unersetzliche Hilfe für Mørck.
Gemeinsam nehmen sie sich den Fall Merete Lyngaard noch einmal vor. Die Politikerin verschwand vor einigen Jahren spurlos von einer Fähre. Die ermittelnden Beamten schlossen den Fall als mutmaßlichen Suizid ab.
Aber Mørck und Assad entdecken schnell Ungereimtheiten und Lücken in den Ermittlungen. Sie gehen von einem Mord aus.
In dem Moment wissen wir allerdings, dass Merete seit Jahren in einer Druckkammer gefangen gehalten wird. Ihr Entführer, der nicht mit ihr redet, will, dass sie ihm sagt, warum er sie einsperrte.
„Erbarmen“ ist die Verfilmung von Jussi Adler-Olsens erstem Sonderdezernat-Q-Roman. Für die Verfilmung wurden die Ermittlungen von Mørck und Assad in eine stringente Form gebracht und auch einige Szenen wurden verändert. So gelingt es im Film Assad die Schutzmauer von Meretes geistig behindertem Bruder Uffe zu durchbrechen, indem er geduldig eine Beziehung zu ihm aufbaut. Im Roman versucht das Mørck mit der Sensibilität einer Dampfwalze. Es gibt allerdings immer noch mehrere Szenen zwischen Mørck und seinem Sohn, die nur deshalb im Film sind, weil sie in einer längeren TV-Fassung (wenn es sie gibt) oder den nächsten Adler-Olsen-Verfilmungen wichtiger werden. Immerhin ist der zweite Sonderdezernat-Q-Roman schon verfilmt und Adler-Olsen will insgesamt zehn Sonderdezernat-Q-Romane schreiben.
Allerdings hat der Film, wie schon der Roman, mit einem vollkommen unglaubwürdigem Bösewicht zu kämpfen, was den Film, der von Mikkel Nørgaard in bester Skandinavischer-Thriller-Tradition inszeniert wurde, von einem spannenden Polizeithriller zu einer hanebüchenen Kriminalgeschichte werden lässt.
Erbarmen (Kvinden i buret, Dänemark/Deutschland/Schweden 2013)
Regie: Mikkel Nørgaard
Drehbuch: Nikolaj Arcel
LV: Jussi Adler-Olsen: Kvinden i buret, 2008 (Erbarmen)
Die am 23. Januar startende Verfilmung von Jussi Adler-Olsens „Erbarmen“ veranlasste mich jetzt dazu, endlich den Bestseller zu lesen. Dass ich meine Probleme mit skandinavischen Kriminalromanen habe und mir viele, wie Stieg Larsson und Lars Kepler, nicht gefallen, dürfte hinlänglich bekannt sein. Deshalb stehen Skandinavier mit ihren Wälzern nicht unbedingt ganz oben auf meiner Leseliste.
Trotzdem. Ich könnte mich ja irren und einige Skandinavier (Sjöwall/Wahlöö, Matti Rönkä, Jon Ewo [Warum hat der Unionsverlag nicht mehr den dritten Torpedo-Roman übersetzt?]) haben mir ja gefallen.
In „Erbarmen“, dem ersten Fall von Carl Mørck wird, nachdem ein Einsatz grandios schiefging, ein Polizist starb und der andere vom Kopf abwärts gelähmt ist (Remember Lincoln Rhyme?), Mørck zum Leiter des neugegründeten Dezernat Q ernannt, was eine direkte Beförderung auf das Abstellgleis ist. Denn das Dezernat Q soll alte Fälle wieder aufrollen. Aber die vom Parlament bewilligte gute Ausstattung geht, dank der liebevollen Planung von Mørcks Chef, vollständig in die normale Kriminalpolizei, während Mørck einen Platz im Keller (ganz am Ende des Ganges und dann noch einige Meter weiter) erhält. Erst nach Protesten bekommt er einen Mitarbeiter für Putz- und Hilfsarbeiten. Dieser, Hafez el-Assad, ein syrischer Immigrant mit unklarer Vergangenheit, erweist sich bald als große Hilfe, die auch oft die treibende und vernünftigere Kraft bei den Ermittlungen ist.
Als ersten Fall wählen sie das bis jetzt ungeklärte Verschwinden der Abgeordneten Merete Lynggaard aus. Sie verschwand vor einigen Jahren spurlos von einer Fähre. Offiziell wurde der Fall als Suizid abgeschlossen. Ihr geistig behinderter Bruder Uffe kam in eine noble Psychiatrie. Mørck und Assad entdecken schnell Ungereimtheiten.
In diesem Moment wissen wir, dass Merete in einem luftdicht abgeschlossenem Raum von mehreren Personen gefangen gehalten wird und, weil ein Ereignis aus Meretes Kindheit, ein Autounfall mit mehreren Toten, öfter angesprochen wird, können wir uns denken, dass es einen Zusammenhang zwischen ihrer Geiselnahme und dem Unfall gibt; – was ja kein Problem für eine ordentliche Thriller-Spannung wäre.
Aber furchtbar spannend ist „Erbarmen“ nicht. Dafür ist er viel zu unlogisch. Denn Mørck führt seine Ermittlungen ausgesprochen unprofessionell. So beginnt er die ersten Gespräche mit Zeugen, ohne die Akten gelesen zu haben. Eigentlich stolpert er die gesamte Zeit durch seine Ermittlungen. Er stochert überall herum, in der Hoffnung, dass er irgendetwas findet.
Der Bösewicht hat zwar ein gutes Motiv. Denn Rache geht immer. Aber er sperrt sein Opfer nur jahrelang ein und fragt sie ab und an, warum er sie eingesperrt habe. Bei einer falschen Antwort wird der Luftdruck in der Kammer erhöht. Das ist eine besonders unglückliche „Oldboy“-Variante (und war schon da vor allem ein Konstrukt). Denn woher soll Merete wissen, warum sie eingesperrt wird? Warum unternimmt der Geiselnehmer nichts, sondern pflegt sie jahrelang? Eine auch nur halbwegs befriedigende Antwort darauf gibt Jussi Adler-Olsen nicht.
Die Verfilmung ist ein typischer skandinavischer Thriller mit etlichen Szenen, die offenkundig die Saat für Ereignisse legen, die in den weiteren Mørck-Verfilmungen wichtig werden. Sie ist gelungener als der Roman. Vor allem weil sie deutlich weniger Lebenszeit stiehlt und die Ermittlungen logischer sind.
Inzwischen verfilmt das gleiche Team „Schändung“, den zweiten Carl-Mørck-Roman.
Jussi Adler-Olsen: Erbarmen
(übersetzt von Hannes Thiess)
dtv premium 2009
420 Seiten
14,90 Euro (dtv premium)
9,95 Euro (Taschenbuch)
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Zum Filmstart erschien ein Movie-Tie-In.
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Originalausgabe
Kvinden i buret
Politikens Forlagshus A/S, Kopenhagen, 2008
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Verfilmung
Erbarmen (Kvinden i buret, Dänemark/Deutschland/Schweden 2013)