Für Maurice Ravel war es eine Auftragskomposition und eine technische Übung, die er zwischen Juli und Oktober 1928 für die Tänzerin und Choreographin Ida Rubinstein schrieb.
Das für ein Ballett geschriebene Orchesterwerk wurde schnell populär. Heute ist der „Bolero“ Ravels bekanntestes Stück. Immer noch, fast hundert Jahre nach der Premiere, ist es, so steht es im Presseheft, weltweit alle fünfzehn Minuten irgendwo zu hören. Oder anders gesagt: das Stück ist auf der Erde ununterbrochen zu hören.
Ravel hätte das vielleicht gefallen. Schließlich betrachtete er die Auftragskomposition als extremes und einseitiges Experiment, in dem ein Thema ohne jede Entwicklung wiederholt wird und allmählich einer Klimax zugeführt wird. Er meinte, es sei sein einziges Meisterwerk und ergänzte: „Leider hat es aber nichts mit Musik zu tun.“
Und diese Nicht-Musik wird jetzt ständig gespielt. Ohne eine Variation und ohne jemals zu enden.
Anne Fontaine („Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft“) erzählt in ihrem Biopic „Bolero“ jetzt, sich Freiheiten nehmend, Maurice Ravels Leben nach. Im Zentrum steht das titelgebende Stück. Sie konzentriert sich auf drei Abschnitte in Ravels Leben. Nämlich als er sich Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts fünfmal, immer erfolglos, um den renommierten Prix de Rome bewarb, auf das Schreiben des Orchesterstückes „Bolero“ 1927/1928 und auf seine letzten Tage, als eine schwere neurologische Erkrankung sein Leben bestimmte. Der am 7. März 1875 in Ciboure geborene Ravel starb am 28. Dezember 1937 in Paris.
Fontaine erzählt Ravels Leben nicht als verfilmten Wikipedia-Artikel. Das ist erfreulich, aber schon während des Sehens drängt sich der Eindruck auf, dass das Ansehen einer guten Dokumentation über Ravel die mit großem Abstand und in jeder Beziehung bessere Wahl gewesen wäre.
Bolero (Bolero, Frankreich/Belgien 2024)
Regie: Anne Fontaine
Drehbuch: Anne Fontaine, Claire Barré, Pierre Trividic (Mitarbeit), Jacques Fieschi (Mitarbeit), Jean-Pierre Longeat (Mitarbeit)
LV: Marcel Marnat: Maurice Ravel, 1986
mit Raphaël Personnaz, Doria Tillier, Jeanne Balibar, Vincent Perez, Emmanuelle Devos, Sophie Guillemin, Anne Alvaro, Marie Denarnaud
Im Mai 1961 gibt das renommierte Leningrader Kirow-Ballett ein fünfwöchiges Gastspiel in Paris. Am Ende des Gastspiels bittet der Tänzer Rudolf Nurejew um Asyl.
Am Anfang von „Nurejew – The White Crow“ muss Ballettmeister Alexander Puschkin einem Apparatschik erklären, warum sein Schüler Nurejew aus dem kapitalistischen Westen nicht zurückkehrte. Puschkin versucht das zu erklären und Ralph Fiennes, der Puschkin spielt, setzt zu einer langen Erklärung an, die mit Nurejews Geburt im März 1938 in der Transsibirischen Eisenbahn irgendwo in der Nähe von Irkutsk beginnt, über seine 1955 beginnende Ausbildung am Choreographischen Institut Leningrad weitergeht und 1961 mit seiner Flucht in den Westen endet. Im Westen hatte der am 6. Januar 1993 verstorbene Tänzer eine glänzende Karriere.
Fiennes‘ dritter Spielfilm ist eine etwas spröde Charakterstudie, die auch Nurejews problematische Charaktereigenschaften zeigt. Im Original wurde sie in russisch und englisch gedreht. Gefühlt wird dabei mehr russisch als englisch gesprochen. Englisch war die Sprache, in der Nurejew sich in Paris mit seinen französischen Bekanntschaften aus der Bohème, vor allem dem Tänzer Pierre Lacotte und die Chilenin Clara Saint, unterhielt. Für die deutsche Fassung wurde anscheinend alles synchronisiert.
Optisch erinnert das Drama an die Filme aus den frühen sechziger Jahren, wobei die Inszenierung gelungen wechselt zwischen der alles umfassenden Strenge und den starren Regeln in der Sowjetunion, gegen die Nurejew immer wieder aufbegehrt, und der inszenatorischen Freiheit der Nouvelle Vague, die mit entfesselter Kamera durch Paris läuft. So spiegeln die Bilder die beiden Systeme und Nurejews Sicht von der Welt. Denn er sah sich nie – und war es auch nicht – als unauffälliges Ensemblemitglied. Er wollte immer der Star, der umjubelte Solotänzer, sein, der er im Westen wurde.
Nurejew wird von Oleg Ivenko in seiner ersten Filmrolle gespielt. Seit 2010 ist der ausgebildete Balletttänzer Ivenko Ensemblemitglied des „Tatar State Academic Opera and Ballet Theatre“. Daher kann Fiennes in den Ballettszenen die Tänzer ausführlich zeigen und er muss nicht zwischen ausgebildeten Tänzern und Schauspielern hin und her schneiden.
Das Ballettdrama wirkt dabei, wegen der Inszenierung, dem Aussehen der Schauspieler, den Dekors und den Schauplätzen, wie ein damals verschollener und heute wieder entdeckter Film.
Nurejew – The White Crow (The White Crow, Großbritannien/Frankreich/Serbien 2018)
Regie: Ralph Fiennes
Drehbuch: David Hare
mit Oleg Ivenko, Adèle Exarchopoulos, Chulpan Khamatova, Ralph Fiennes, Alexey Morozov, Raphaël Personnaz, Olivier Rabourdin, Louis Hofmann, Sergei Polunin, Maksimilian Grigoriyev
Anschließend, um 22.00 Uhr, zeigt Arte mit „Die Zeit die bleibt“ (Le temps qui reste, Frankreich 2005) einen weiteren Ozon-Film.
Und am 26. September läuft in unseren Kinos sein neuester Film „Gelobt sei Gott“ an. Ein sehr sehenswerter, auf Tatsachen basierender Film über den Umgang der katholischen Kirche mit Geistlichen, die Kinder missbrauchen.
mit Romain Duris, Anaïs Demoustier, Raphaël Personnaz, Isild Le Besco, Aurore Clément, Jean-Claude Bolle-Reddat, Bruno Pérard, Claudine Chatel
Weil RTL die Free-TV-Premiere von Brian Helgelands Gangster-Biopic „Legend“ (Großbritannien 2015) über die Kray-Zwillinge (Tom Hardy und Tom Hardy) erst um 1.00 Uhr nachts (nach Fußball und einer Datingshow) zeigt:
Arte, 20.15
Die Prinzessin von Montpensier (La princesse de Montpensier, Frankreich 2010)
Regie: Bertrand Tavernier
Drehbuch: Jean Cosmos, Francois-Olivier Rousseau, Bertrand Tavernier
LV: Madame de la Fayette: La Princesse de Montpensier,1662
Während des Glaubenskriegs in Frankreich zwischen Katholiken und Hugenotten wird Marie aus politischen Gründen mit dem Prinzen von Montpensier verheiratet. Aber sie liebt ihren Cousin.
Die Prinzessin von Montpensier (Frankreich 2010, Regie: Bertrand Tavernier)
Drehbuch: Jean Cosmos, Francois-Olivier Rousseau, Bertrand Tavernier
LV: Madame de la Fayette: La Princesse de Montpensier,1662
Während des Glaubenskriegs in Frankreich zwischen Katholiken und Hugenotten wird Marie aus politischen Gründen mit dem Prinzen von Montpensier verheiratet. Aber sie liebt ihren Cousin.
Weil es eine wunderschöne Überraschung gibt, die in anderen Besprechungen oft sofort verraten wird und deshalb wahrscheinlich keine Überraschung mehr ist. Aber dennoch:
Achtung. Der Trailer verrät sie nicht, verspricht aber einen vollkommen anderen Film. Meine Kritik enthält Spoiler und verrät diese Überraschung, weil ich mehr als „gefällt mir“ sagen will.
Wenn wir Claude Chabrol, diesen kühlen Analysten der französischen Bourgeoisie, nicht vermissen, dann liegt das auch an Francois Ozon, der mit seinem neuen Film „Eine neue Freundin“ wieder, allerdings mit anderen Schwerpunkten, tief in das Chabrol-Territorium vorstößt.
Auf einer Trauerfeier hält Claire vor der versammelten, gutbürgerlichen Trauergemeinde eine ergreifende Trauerrede über die lebenslange, innige, von jedem Neid und Konkurrenzdruck freie Beziehung zwischen ihr und ihrer besten Freundin, der verstorbenen Laura. Ozon illustriert Claires Rede mit Rückblenden, die eine etwas andere Geschichte erzählen. Am Ende ihrer Rede versichert sie pathetisch dem trauerndem Ehemann, dass sie sich um ihn und Lauras Baby kümmern werde. In dem Moment hört sich das wie eine Drohung an.
Kurz darauf, wenn Claire David und sein Baby zum ersten Mal besucht, nimmt die Geschichte ihre erste überraschende Wendung. Denn die Frau im Haus, die Lauras Kleider an hat, ist David. Er zieht gerne Frauenkleider an. Seine Frau wusste es und er tut es auch nur, unbeobachtet von den Nachbarn, in ihrer Wohnung. Niemand weiß davon und niemand soll davon erfahren. Claire versichert ihm, dass sein Geheimnis bei ihr gut aufgehoben ist – und wir erinnern uns noch gut an ihr während der Trauerrede gegebenes Versprechen.
Fortan geht sie, und das ist die zweit überraschende Wendung, als ob es das natürlichste auf der Welt sei, öfters zu ihrer neuen Freundin Virginia und tauscht sich mit ihr über die richtige Kleidung, das Schminken und die Körperpflege aus. Sie werden zu richtigen Freundinnen.
Eines Tages möchte David als Virginia das Haus verlassen und alles das tun, was Frauen tun.
Francois Ozons Film „Eine neue Freundin“ basiert sehr lose auf der Kurzgeschichte „The new Girlfiriend“ von Ruth Rendell und obwohl er sich viele Freiheiten nimmt, erscheint die Geschichte, die sich auf zwei, drei Personen konzentriert, etwas dünn für einen Spielfilm. Das liegt auch daran, dass Ozon den satirischen Furor der ersten Minuten später nicht mehr erreicht und auch überhaupt nicht erreichen will. Denn die gefühlvoll erzählte Freundschaft zwischen Claire und David, in der es keine Konkurrenz gibt, wird immer wichtiger. Mit den damit verbundenem Problem, dass die verheiratete Claire jetzt immer öfter bei ihrer neuen Freundin ist, die dummerweise auch ein Mann mit einem Baby ist. Da könnte Claires Mann, wenn er in David einen Nebenbuhler vermuten würde, schon eifersüchtig werden.
Es gibt – und deshalb trägt der Vergleich zwischen Chabrol und Ozon auch nur bedingt – einen großen Unterschied zwischen ihnen. Bei Claude Chabrol schaffte das Bürgertum seine Probleme gerne mit einem Mord aus der Welt und Chabrol beobachtete sie mit einem scheinbar unbestechlichem, oft sardonischem und mitleidlosem Blick. Ozon hat einen freundlicheren, empathischeren und auch vorurteilsfreieren Blick auf seine Charaktere. Deshalb entfaltet das Verwirrspiel zwischen echten und falschen Identitäten auch immer wieder ein komödiantisches Potentizial und die Lösung des Problems wird nicht mit der Methode Chabrol versucht. Aber für das französische Bürgertum ist im Moment ein Crossdresser, der nicht verurteilt wird, wahrscheinlich genauso unangenehm wie damals ein Mörder, der nicht verurteilt wird. Und Ozon hat es geschafft, mit einer kleinen, scheinbar privaten Geschichte eine Gesellschaftsanalyse vorzulegen, die zielsicher die Tabuzonen vermisst, die die „Front National“–Wähler und die Demonstranten gegen die Homoehe haben.
Die Prinzessin von Montpensier (Frankreich 2010, Regie: Bertrand Tavernier)
Drehbuch: Jean Cosmos, Francois-Olivier Rousseau, Bertrand Tavernier
LV: Madame de la Fayette: La Princesse de Montpensier,1662
Während des Glaubenskriegs in Frankreich zwischen Katholiken und Hugenotten wird Marie aus politischen Gründen mit dem Prinzen von Montpensier verheiratet. Aber sie liebt ihren Cousin.
Die Prinzessin von Montpensier (Frankreich 2010, R.: Bertrand Tavernier)
Drehbuch: Jean Cosmos, Francois-Olivier Rousseau, Bertrand Tavernier
LV: Madame de la Fayette: La Princesse de Montpensier,1662
Während des Glaubenskriegs in Frankreich zwischen Katholiken und Hugenotten wird Marie aus politischen Gründen mit dem Prinzen von Montpensier verheiratet. Aber sie liebt ihren Cousin.
Prächtiger Historienfilm von Bertrand Tavernier, der zu einer unwürdig späten Uhrzeit seine TV-Premiere hat.