
Heute wirken die neuen Spenser-Privatdetektivromane mit ihrer vertrauten Formel wie aus einer anderen Zeit. Der am 18. Januar 2010 überraschend verstorbene Robert B. Parker bemühte sich in seinen letzten Jahren nicht, irgendeinem Trend hinterherzuhecheln. Serienkiller kommen bei ihm nicht vor. Das Frauenbild ist, nach all den weiblichen Privatdetektiven und Actionheldinnen, inzwischen doch etwas anachronistisch. Rassen- und Geschlechterfragen werden seit Jahren entlang altbekannter Argumente geführt, die in den Siebzigern neu und in einem Kriminalroman revolutionär waren. Die Romane können, wie man es aus den klassischen Privatdetektiv-Krimiserien (wie Hercule Poirot, Nero Wolfe, Lew Archer,…) kennt, in jeder beliebigen Reihenfolge gelesen werden. Die Spenser-Romane sind inzwischen das literarische Äquivalent zu einer TV-Serie, in der es nur den Fall der Woche gibt, der Hauptcast ein gut funktionierendes Ensemble ist und Gaststars selten einen zweiten Auftritt haben.
Und seine Romane wurden in den vergangenen Jahrzehnten nicht länger. In den US-Ausgaben werden sie deshalb seit Ewigkeiten mit allerlei Layout-Tricks auf über dreihundert Seiten gepimpt. In Deutschland erscheinen die Spenser-Romane seit Jahren im Pendragon-Verlag und dort haben sie alle um die 220 Seiten. Das ist die Länge, die in den siebziger Jahren ein Krimi hatte. Und 1973 erschien mit „The Godwulf Manuscript“ der erste Spenser-Roman. Seitdem veröffentlichte Robert B. Parker ungefähr jedes Jahr einen weiteren Spenser-Roman. Ein Jahr nach seinem Tod erschien mit „Sixkill“ sein vierzigster Spenser-Roman. Seitdem schrieb Ace Atkins sieben weitere von der Kritik und Spenser-Fans gelobte Spenser-Romane.
„Rough Weather“, der jetzt als „Raues Wetter“ erstmals auf Deutsch erschien, ist der 36. Spenser-Roman und es ist alles wie immer. Das gilt auch und vor allem für die Elemente, mit denen Robert B. Parker in den Siebzigern den Privatdetektiv-Roman erneuerte und seitdem alle Autoren von Privatdetektiv-Krimis beeinflusste. Bis dahin war der Privatdetektiv ein einsamer Wolf.
Parker spaltete das Wesen des Ermittlers auf. Aus einem Mike Hammer, der Ermittler, Richter und Henker war, wurden Spenser, der Privatdetektiv, und sein Freund Hawk. Er ist als großer, schwarzer Mann, der skrupellos tötet und unendlich viele Sexabenteuer mit wunderschönen Frauen hat, Spenser dunkle Seite. Spenser und Hawk unterscheiden sich nicht in ihren Werten und Ansichten, sondern in der Wahl ihrer Mittel. Während Spenser noch versucht, die Sache friedlich zu lösen, hat Hawk die bösen Buben schon ermordet. Und während frühere Privatdetektive entweder sexuell inaktiv oder überaktiv waren, ist Spenser fest mit Susan Silverman liiert. Alle sexuellen Angebote von Frauen lehnt er standhaft ab. Sie ist Psychotherapeutin und damit, wenn wir im Freudschen Schema bleiben, sein Gewissen, mit dem er endlos diskutieren kann. Mit Silverman öffnete Parker den Privatdetektiv-Krimi auch hin zur Psychologie. Thematisch beschäftigte sich Spenser in seinen ersten Fällen mit all den Themen, die damals, in den siebziger und frühen achtziger Jahren in den Schlagzeilen standen.
Heute hat sich die von Parker mit Spenser und Hawk vorgenommene Trennung fest etabliert. Aktuelle Beispiele sind die Hap-Collins-Leonard-Pine-Geschichten von Joe R. Lansdale, die Myron-Bolitar-Krimis von Harlan Coben, die Dave-Robicheaux-Krimis von James Lee Burke (auch wenn Robicheaux ein Polizist ist) oder die, aktuell eher nicht übersetzten, Elvis-Cole-Joe-Pike-Romane von Robert Crais (wobei Elvis Cole zunächst allein ermittelte).
Die Spenser-Romane liest man heute, weil man einfach noch einmal einen Abend mit den bekannten Figuren und Parkers Sprache verbringen will. Denn auch wenn das Plotting in seinem Spätwerk nicht so überragend ist, gefällt der Sound immer noch.
In „Raues Wetter“ wird Spenser von Heidi Bradshaw als persönlicher Begleiter engagiert. Er soll bei der Hochzeit ihrer Tochter auf der Insel Tashtego einfach für sie da sein. Spenser nimmt den leichten Auftrag an. Schon vor der Hochzeit weiß er allerdings, dass irgendetwas nicht stimmt. Denn zu den Hochzeitsgästen gehört Rugar, der wegen seiner Kleidung auch ‚der graue Mann‘ genannt wird. Er ist wie Spenser und Hawk. Nur ohne deren moralischen Kompass.
Unmittelbar nach der Trauung entführen Rugar und seine Männer die Braut. Dabei töten sie den Bräutigam, den Priester und vier Sicherheitsleute.
Nachdem schon die Entführung seltsam spektakulär war, geht es seltsam weiter. Denn die Entführer melden sich nicht.
Der tief in seiner Ehre gekränkte Spenser beginnt Rugar und die entführte Braut zu suchen. Wobei Spenser, ohne eine vielversprechende Spur, solange im Nebel herumstochert, bis er genug Verdächtige genervt hat, von denen einer etwas gegen ihn unternimmt.
„Raues Wetter“ ist ein typischer später Spenser-Roman: sehr unterhaltsam zu lesen, mit vielen alten Bekannten und vertrauten Gesprächen und eher lausig geplottet. In diesem Fall ist die Lösung schon relativ schnell erahnbar. Am Ende, das kann gesagt werden, ohne irgendetwas zu verraten, erreicht die Beziehung zwischen Spenser, Hawk (selbstverständlich ist er dabei) und Rugar ein neues Level.
Treue Spenser-Fans werden mit „Raues Wetter“ erfreut einige Stunden verbringen. Neulinge sollten mit den deutlich gelungeneren Spenser-Romanen aus den siebziger Jahren beginnen. Auch die sind bei Pendragon erhältlich.
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Robert B. Parker: Raues Wetter – Ein Auftrag für Spenser
(übersetzt von Marcel Keller)
Pendragon, 2018
216 Seiten
13 Euro
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Originalausgabe
Rough Weather
G. P. Putnam’s Sons, New York 2008
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Spensers frühere Begegnungen mit dem grauen Mann


Robert B. Parker: Spenser und der graue Mann
(übersetzt von Heidi Zerning)
Pendragon, 2015
256 Seiten
12,99 Euro
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Originalausgabe
Small Vices
G. P. Putnam’s Sons, New York 1997
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Neuauflage von „Der graue Mann“ (rororo thriller 1998)
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Robert B. Parker: Drei Kugeln für Hawk
(übersetzt von Emanuel Bergmann)
Pendragon, 2015
224 Seiten
12,99 Euro
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Originalausgabe
Cold Service
G. P. Putnam’s Sons, New York, 2005
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Hinweise
Homepage von Robert B. Parker
Thrilling Detective über Spenser
Wikipedia über Robert B. Parker (deutsch, englisch) und Spenser
Mein Porträt der Spenser-Serie und von Robert B. Parker
Meine Besprechung von Robert B. Parkers „Die blonde Witwe“ (Widow’s walk, 2002)
Meine Besprechung von Robert B. Parkers “Alte Wunden” (Back Story, 2003)
Meine Besprechung von Robert B. Parkers „Der stille Schüler“ (School Days, 2005)
Meine Besprechung von Robert B. Parkers „Der gute Terrorist“ (Now & Then, 2007)
Meine Besprechung von Robert B. Parkers “Hundert Dollar Baby” (Hundred Dollar Baby, 2006)
Meine Besprechung von Robert B. Parkers „Trügerisches Bild“ (Painted Ladies, 2010)
Meine Besprechung von Robert B. Parkers “Bitteres Ende” (The Professional, 2009)
Meine Besprechung von Robert B. Parkers „Wildnis“ (Wilderness, 1979)
Meine Besprechung von Robert B. Parkers „Appaloosa“ (2005)
Meine Besprechung von Robert B. Parkers „Appaloosa“ (Appaloosa, 2005) (Übersetzung)
Meine Besprechung von Robert B. Parkers “Das dunkle Paradies” (Night Passage, 1997)
Meine Besprechung von Robert B. Parkers „Miese Geschäfte“ (Bad Business, 2004)
Meine Besprechung von Robert B. Parkers „Resolution“ (Resolution, 2008)
Meine Besprechung von Robert B. Parkers „Mord im Showbiz“ (High Profile, 2007)
Meine Besprechung von Robert B. Parkers „Der Killer kehrt zurück“ (Stranger in Paradise, 2008)
Meine Besprechung von Robert B. Parkers „Brimstone“ (Brimstone, 2009)
Mein Nachruf auf Robert B. Parker
Robert B. Parker in der Kriminalakte
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