TV-Tipp für den 18. Mai: Annette

Mai 17, 2023

Arte, 21.50

Annette (Annette, Frankreich/Belgien/Deutschland/USA 2021)

Regie: Leos Carax

Drehbuch: Ron Mael, Russell Mael (aka die Sparks)

TV-Premiere. Eine Opernsängerin und ein Stand-up-Comedian sind überglücklich ineinander verliebt. Als ihre Tochter Annette geboren wird, wird aus der Liebesgeschichte ein Noir-Drama, überzeugend inszeniert von Leos Carax, mit der eingängigen Musik der Sparks.

Das so entstandene Art-Pop-Musical ist gleichzeitig ein traditionelles Musical und die Dekonstruktion eines Musicals. In Cannes gab es dafür Preise für die Regie und die Musik.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Marion Cotillard, Adam Driver, Devyn McDowell, Simon Helberg, Kanji Furutachi, Rebecca Sjöwall, Nino Porzio, Ron Mael, Russell Mael, Angèle

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Filmportal über „Annette“

Moviepilot über „Annette“

AlloCiné über „Annette“

Metacritic über „Annette“

Rotten Tomatoes über „Annette“

Wikipedia über „Annette“ (deutsch, englisch, französisch)

Meine Besprechung von Leos Carax‘ „Annette“ (Annette, Frankreich/Belgien/Deutschland/USA 2021)

Meine Besprechung von Edgar Wrights Dokumentarfilm „The Sparks Brothers“ (The Sparks Brothers, USA 2021)


Neu im Kino/Filmkritik: „Annette“ – ein Film von Leos Carax, ein Musical der Sparks

Dezember 16, 2021

Es beginnt mit der typischen Sparks-Mischung aus eingängiger Musik, Ironie, Tief- und Flachsinn. Zuerst werden wir, das Publikum, um unsere vollständige Aufmerksamkeit gebeten (Tun wir gerne.). Und wir sollen mucksmäuschenstill sein und unserem Atem bis zum Ende der Show anhalten (Tun wir nicht). Dann geht es mit einer minutenlangen, ohne Schnitt gefilmten Eröffnungssequenz weiter. Es ist eine große Gesangsnummer, einem in einem Tonstudio beginnendem Singalong, zu dem die beiden Hauptdarsteller – Adam Driver als Henry McHenry und Marion Cotillard als Ann Desfranoux – durch die Straßen von Los Angeles laufen, singen und von immer mehr Menschen begleitet werden, bis sich ihre Wege für die nächsten Stunden des Abends trennen. Sie, die Opernsängerin, fährt zur Oper. Er, der Stand-up-Comedian, fährt zum Orpheum Theatre. Singen tun sie in diesen Minuten „So may we start“. Das Stück ist ein perfekter Start für einen Film oder, für Ann und Henry, der Beginn eines Arbeitsabends.

Ann und Henry sind das neue Traumpaar der Regenbogenpresse: jung, gutaussehend, erfolgreich und in hunderprozentig gegensätzlichen Bereichen des Kulturlebens arbeitend. In der Boulevardpresse-Dramturgie ist sie die Schöne und er das Biest, das in seiner Soloshow auch als „Der Affe Gottes“ auftritt. Sie sind verliebt („We love each other so much“), heiraten, kriegen eine Tochter, Annette genannt (anfangs von einer Holzpuppe gespielt), in ihrer Ehe kriselt es – und aus dem Liebesfilm wird ein Noir-Drama.

Annette“ ist der neue Film von Leos Carax, der nur alle Jubeljahre einen Film dreht. „Die Liebenden von Pont-Neuf“ (1991), „Pola X“ (1999) und, sein bislang letzter Film, „Holy Motors“ (2012) sind seine bekanntesten Filme. Nie interessierte er sich für eine platte Wiedergabe der Realität. Stattdessen sind seine Werke immer radikal stilisiert und voller akustischer und visueller Einfälle und cineastischer Verweise. Sie sind pures Kino. Da passt ein hundertprozentiges Musical gut ins Œuvre.

Die Idee für den Film hatten die Brüder Ron und Russell Mael. Sie treten seit 1967 gemeinsam auf. Zuerst als Halfnelson, seit den frühen Siebzigern als Sparks. Seit einigen Wochen dürfte die Band über den engen Fankreis hinaus bekannt sein. Denn Anfang Oktober lief in den Kinos Edward Wrights ausführliche Doku „The Sparks Brothers“ (USA 2021) über die beiden Brüder, ihre Musik und ihr Leben. Vor allem in den Siebzigern und Achtzigern hatten sie Hits. Stilistisch legten sie sich nie fest. Aber meistens bewegen sie sich, mit einer ordentlichen Portion Humor, zwischen Pop, Discomusik und den aktuell angesagten Trends. 2009 fragte das Swedisch National Radio sie, ob sie für das Radio ein Musical schreiben wollten. Sie taten es und nannten das Ergebnis „The Seduction of Ingmar Bergman“. In dem Stück geht es darum, dass Ingmar Bergman in Hollywood einen Film drehen will. Mit mehr Geld und weniger Seele. 2013 trafen sie Leos Carax in Cannes und fragten ihn, ob er ihr Bergman-Stück verfilmen wolle. Sie fanden sich sympathisch, aber Carax lehnte ab. Er könne keinen Film drehen, der in der Vergangenheit spiele. Kurz darauf schickten sie ihm erste Ideen und Songdemos für „Annette“.

Daraus entstand jetzt, nachdem sich die Finanzierung und Produktion als schwierig und langwierig erwiesen (was auch den großen Abstand zwischen „Holy Motors“ und „Annette“ erklärt) „Annette“. Es ist das erste Film-Musical der Sparks. Es ist, wie üblich bei den Sparks, gleichzeitig ein traditionelles Musical und die Dekonstruktion eines Musicals. Erzählt wird, immer mit eingängigen, sofort zum Mitsingen einladenden Pop-Songs, eine zunehmend düstere High-Society-Liebesgeschichte im Künstlermilieu, mit einigen Spitzen gegen den Kulturbetrieb, etwas Wunderkindmythos, einem Touch #MeToo und dem Fall eines provozierenden Künstlers.

Annette“ ist ein experimentierfreudiges, dabei jederzeit zugängliches und witziges Art-Pop-Musical. In Cannes gab es dafür Preise für die Regie und die Musik.

Annette (Annette, Frankreich/Belgien/Deutschland/USA 2021)

Regie: Leos Carax

Drehbuch: Ron Mael, Russell Mael (aka die Sparks)

mit Marion Cotillard, Adam Driver, Devyn McDowell, Simon Helberg, Kanji Furutachi, Rebecca Sjöwall, Nino Porzio, Ron Mael, Russell Mael, Angèle

Länge: 140 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Filmportal über „Annette“

Moviepilot über „Annette“

AlloCiné über „Annette“

Metacritic über „Annette“

Rotten Tomatoes über „Annette“

Wikipedia über „Annette“ (deutsch, englisch, französisch)


Neu im Kino/Filmkritik: Wer sind „The Sparks Brothers“? Und warum sind sie heute so unbekannt?

Oktober 9, 2021

Bevor Edgar Wright uns am 11. November 2021 zu einer „Last Night in Soho“ einlädt, macht der Regisseur von „Baby Driver“ uns mit den Sparks Brothers bekannt. Es handelt sich dabei um die Brüder Ron und Russell Mael, die sich als Band „Sparks“ nennen, und 1974 ihren Durchbruch mit dem Hit „This Town ain’t big enough for both of us“ hatten. Später änderten sie ihren Stil; oder gingen mit der Zeit. Denn aus den Glamrock- und Powerpopsongs der siebziger Jahre wurde Disco (inclusive einer Zusammenarbeit mit Giorgio Moroder), Synthie-Pop und ein Flirt mit Techno. Sie schrieben das Musical „The Seduction of Ingmar Bergman“ und arbeiteten mit Franz Ferdinand zusammen. Ihr erster gemeinsamer Song war „Collaborations don’t work“. Ohne Humor, Selbstironie, Dekonstruktion in Wort und Bild und Vaudeville sind die Sparks halt nicht denkbar.

Sie hatten immer wieder, abwechselnd in verschiedenen Ländern und Kontinenten, Nummer-Eins-Hits und blieben dabei immer unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit. Denn wer die Sparks der einen Phase mag, mag nicht unbedingt die Sparks der anderen Phase.

Ein großer Teil ihres Charmes beruht auf dem gegensätzlichen Aussehen der beiden Brüder und ihrer ‚Britishness‘. Dabei sind sie aus Kalifornien kommende US-Amerikaner, deren verschrobene Musik in den späten sechziger Jahren dort nicht verstanden wurde. In England schon eher und zwischen David Bowie (in seiner Ziggy-Stardust-Phase), Queen und T-Rex fielen sie nicht weiter auf. Der Lohn waren Single-Hits, kreischende, die Bühne stürmende Teenager und Fans wie Edgar Wright, der sie Ende der Siebziger entdeckte. Jetzt setzte er ihnen mit seiner Doku „The Sparks Brothers“ ein Denkmal. Denn danach sind die Sparks die größte Band aller Zeiten.

Er erzählt ihre Geschichte chronologisch in einem Mix aus Konzertmitschnitten, alten und neuen Dokumentaraufnahmen und sprechenden Köpfen. Interviewt wurden die beiden Brüder, Weggefährten und Fans. Dieses gut erprobte Verfahren ist allerdings, wenn der Reihe nach die nächste und die nächste Platte vorgestellt wird, auf die Dauer etwas ermüdend. Denn die Sparks haben inzwischen 26 Studioalben veröffentlicht und jede dieser Platten, die selbstverständlich ein Meisterwerk ist, will gewürdigt werden. Neben den anderen Projekten der Brüder. In dem Moment wird das chronologische Verfahren zu einem Problem. Vor allem wenn es auf das mitteilungsbedürftige Fantum des Regisseurs trifft, er einen exklusiven Zugang zu dem Archiv der Porträtierten hat und diese stark in das Projekt involviert sind. Deshalb ist Wrights Doku auch keine schlanke neunzig Minuten, sondern voluminöse hundertvierzig Minuten.

Am Ende steht eine unkritische, aber vergnügliche Heldenverehrung. Denn die Brüder Ron und Russell Mael sind einfach zwei herrlich schrullige Typen. Im Interview, im Studio und auf der Bühne, wo der eine sich mit stoischer Mine (und inzwischen etwas gestutztem Charlie-Chaplin-Hitler-Bärtchen) hinter seinem Keyboard verschanzt, während der andere mit wechselnden Haarlängen singend über die Bühne springt.

The Sparks Brothers (The Sparks Brothers, USA 2021)

Regie: Edgar Wright

Drehbuch: Edgar Wright

mit Ron Mael, Russell Mael, Beck, Thurston Moore, Björk, Vince Clark, Flea, Giorgio Moroder, Todd Rundgren, ‚Weird Al‘ Yankovic, Mike Myers, Jason Schwartzman, Neil Gaiman

Länge: 141 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „The Sparks Brothers“

Metacritic über „The Sparks Brothers“

Rotten Tomatoes über „The Sparks Brothers“

Wikipedia über „The Sparks Brothers“ und die Sparks (deutsch, englisch)

Homepage der Sparks

AllMusic über die Sparks

Meine Besprechung von Edgar Wrights „The World’s End“ (The World’s End, Großbritannien 2013)

Meine Besprechung von Edgar Wrights „Baby Driver“ (Baby Driver, USA 2017)

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