Neu im Kino/Filmkritik: „Luftkrieg – Die Naturgeschichte der Zerstörung“, erzählt von Sergei Loznitsa

März 16, 2023

War die Bombardierung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg eine zwar brutale, aber letztendlich gerechtfertigte Kriegstaktik um den Nationalsozialismus zu besiegen oder ein Kriegsverbrechen? In seinem neuen Film „Luftkrieg – Die Naturgeschichte der Zerstörung“ zeigt Sergei Loznitsa, mit teilweise unbekanntem Dokumentarfilmmaterial, vor allem die Zerstörung deutscher Städte und die Folgen dieser Bombardierungen für die in den bombardierten Städten lebenden Deutschen. Das präsentiert er in einer brillant montierten Abfolge unkommentierter Bilder. Er verzichtet auf einen Off-Kommentar, Erklärungen oder Interviews mit Zeitzeugen. Es gibt nur Bilder, die zum Zeitpunkt des Geschehens entstanden. Die Interpretation überlässt er, wie auch in seinen anderen Filmen, dem Zuschauer. Und seinem Vorwissen und seinen Ansichten über die gezeigten Ereignisse. Dieses Vorgehen wirkt auf den ersten Blick wie das objektive Präsentieren von Fakten.

Das ist natürlich Quatsch. Denn durch die Auswahl und die Art der Präsentation ergibt sich eine bestimmte Lesart der Bilder und der gezeigten Ereignisse. In „Luftkrieg“ sind die Bilder so montiert, dass sie eine Geschichte ergeben, die einer typischen Hollywood-Dramaturgie von Gut und Böse folgt.

Loznitsa beginnt seinen Montagefilm mit friedlichen Bildern. Es sind, ohne dass er die Bilder im Film zeitlich präzise einordnet, sommerliche Bilder aus den dreißiger Jahren. Die Deutschen vergnügen sich auf den Sonnenterrassen. Sie tanzen. Sie lachen. Sie trinken Bier. Sie flirten. Uniformen und Nazi-Embleme sind nicht zu sehen. Sie tragen Sommerkleidung und leichte Anzüge.

Der Krieg ist weit weg.

In der Nacht fallen dann, aus heiterem Himmel und ohne irgendeine Vorwarnung, Bomben. Aus dem Hinterhalt ermorden sie diese eben gezeigten friedlichen und friedliebenden Menschen. Loznitsa zeigt Szenen mit schreienden Frauen und Kindern. Er zeigt die Zerstörungen, die die Bomben anrichten. Er zeigt Leichen.

Während die Deutschen den Schutt wegräumen, bestücken die Briten ihre Flugzeuge wieder mit Bomben, die wenige Stunden später über Deutschland abgeworfen werden.

Dazwischen schneidet er eine Ansprache von Winston Churchill, der die Bombardierungen verteidigt, und eine von Joseph Goebbels, der eben diesen Bombenterror auf das Schärfste verurteilt.

Und im Kinosessel kann man in dem Moment Goebbels nur beipflichten.

Schon davor sind die Rollen klar verteilt: die Deutschen sind die Opfer, die Briten die Täter. Sie sind Bösewichter, die nicht davor zurückschrecken, Frauen und Kinder zu ermorden. Gibt es etwas niederträchtigeres?

Diese Täter-Opfer-Umkehr gelingt, weil Loznitsa seine Bilder so anordnet, wie sie zu seiner Dramaturgie passen. Er lässt weg. Er verzichtet auf Kontext und historische Einordnungen. Er reflektiert nicht über die Herkunft der Bilder, die Propagandabilder sind. Er übernimmt, bewusst oder unbewusst, das Narrativ der Nazis.

Das macht „Luftkrieg – Die Naturgeschichte der Zerstörung“ zum feuchten Traum von Rechten, Nazis und Faschisten. Sie haben hier einen technisch perfekt gemachten Film bekommen, der ihre die Geschichte verfälschende Erzählung wiederholt und sie mit den Weihen eines weltweit anerkannten Regisseurs adelt.

Das ist im Ergebnis einfach nur ärgerlich. Und die vorhersehbare Bankrotterklärung einer Methode, die auf Erklärungen und damit das Vermitteln von Hintergründen zu den gezeigten Bildern verzichtet.

Denn über den Luftkrieg gegen Nazi-Deutschland kann man nicht reden, ohne über das was vorher geschah, zu reden. Das sind der Holocaust, ein von Deutschland begonnener Weltkrieg und, bevor die Briten zurückschlugen, die Bombardierung von London. In „Luftkrieg“ wird all das nicht erwähnt. Der Film beginnt später und zeigt nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Krieg. Er zeigt nur, wie unschuldige, nette, friedliche Deutsche aus heiterem Himmel bombardiert werden. Deutsche, die noch nach dem Krieg das ‚Dritte Reich‘ befürworteten.

Luftkrieg – Die Naturgeschichte der Zerstörung (Deutschland/Niederlande/Litauen 2022)

Regie: Sergei Loznitsa

Drehbuch: Sergei Loznitsa

LV (Inspiration): W. G. Sebald: Luftkrieg und Literatur, 1999

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Luftkrieg“

Moviepilot über „Luftkrieg“

Rotten Tomatoes über „Luftkrieg“

Wikipedia über Sergei Loznitsa (deutsch, englisch) und den Luftkrieg im Zweiten Weltkrieg

Meine Besprechung von Sergei Loznitsas „Maidan“ (Майдан, Ukraine/Niederlande 2014)


Wieder im Kino & Neu auf DVD: „Maidan“ von Sergei Loznitsa

April 18, 2022

Aus aktuellem Anlass wird „Maidan“ jetzt wieder in einigen Kinos gezeigt und er erschien jetzt auch auf DVD. Das ist also eine gute Gelegenheit, sich Sergei Loznitsas acht Jahre alten Dokumentarfilm anzusehen. Bei Rotten Tomatoes hat er einen Frischegrad von hundert Prozent (was bei 26 Besprechung jetzt nicht so aussagekräftig ist) und auch bei uns wurde er zum Kinostart von der Kritik abgefeiert.

Der in Berlin lebende Sergei Loznitsa ist der international bekannteste ukrainische Regisseur. Er begann in den Neunzigern als Dokumentarfilmer und dreht seit 2010 auch Spielfilme. Zu seinen bekanntesten Werken gehören „Austerlitz“ und „Donbass“.

In „Maidan“ beobachtet er die Ereignisse auf dem Maidan. Auf dem zentralen Platz in Kiew versammeln sich ab dem 21. November 2013 Demonstrierende. Sie protestieren anfangs gegen die Nichtunterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union durch den ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch. Die friedlichen Proteste werden schnell größer. Sie eskalieren als die Polizei den Platz räumen will.

Am 21. Februar 2014 flüchtet Janukowytsch nach Russland. Kurz darauf enden die Prostete und der Film.

Maidan“ ist eine sich über diese Wochen erstreckende unkommentierte Chronik. Aufgenommen wurde sie mit einer statischen Kamera, die von den Anwesenden nicht bemerkt wurde. Sie drehen ihr oft den Rücken zu. Wenn sie auf sie zugehen, blicken sie nicht in die Kamera. Manchmal stellen sie sich auch einfach vor die Kamera. Reden auf der Bühne sind fast immer aus einer so großen Entfernung aufgenommen, dass die namenlosen Redner nicht zu erkennen sind. Normalerweise befindet die Kamera sich auf Augehhöhe mit den Protestierern. Bei einem anderen Blickwinkel könnten es Bilder aus einer Überwachungskamera sein. Es gibt keinen Off-Kommentar oder Interviews.

Es ist daher auch vollkommen unklar – jedenfalls ohne die begleitende Lektüre von Hintergrundberichten oder anderen Filmen und Nachrichtensendungen – wer hier wofür kämpft, welche Ansichten sie haben und ob ich mich mit deren Anliegen identifizieren kann und will. Es sind nur Menschen auf einem Platz.

Insofern ist „Maidan“ dann nur eine Abfolge von Bildern ohne irgendeinen Kontext. Gerade wenn es um politische Prozesse geht, sind der Kontext und Hintergrundinformationen wichtig. Erst sie ermöglichen eine Einordnung der Bilder.

Auch weil ich mit diesem rein beobachtendem Dokumentarfilmstil normalerweise wenig anfangen kann, war der Film für mich überwiegend langweilig und eine ärgerliche Zeitverschwendung. Denn in den über zwei Stunden, die „Maidan“ dauert, hätte ich einige Artikel über die Ukraine und den Maidan und den Wikipedia-Artikel und eine konventionelle TV-Doku sehen können. Dann hätte ich später beim Gespräch in woauchimmer etwas über den Maidan erzählen können.

Maidan (Майдан, Ukraine/Niederlande 2014)

Regie: Sergei Loznitsa

Drehbuch: Sergei Loznitsa

DVD

Grandfilm

Bild: 1:1,85 (PAL)

Ton: Ukrainisch (Dolby Digital 5.1 & 2.0)

Untertitel: Deutsch, Englisch

Bonusmaterial: –

Länge: 128 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Maidan“

Metacritic über „Maidan“

Rotten Tomatoes über „Maidan“

Wikipedia über „Maidan“ und Sergei Loznitsa (deutsch, englisch)

Homepage von Sergei Loznitsa


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