LV: Jacques Lob/Benjamin Legrand/Jean-Marc Rochette: Le Transperceneige, 1984 (Schneekreuzer)
Nach der Klimakatastrophe ist die Erde ein Eisplanet. Ein Zug fährt ohne Unterbrechung um die Erde, versorgt sich autark und die Zugbewohner leben in einer radikalen Klassengesellschaft. Da entschließen sich die Unterdrückten, die in den hinteren Zugabteilen vegetieren, zum Aufstand. Ihr Ziel: der erste Wagon.
Während der diesjährigen Berlinale provozierte „Touch me not“ heftige Reaktionen. Etliche Zuschauer verließen den Saal. Die anderen applaudierten und am Ende gewann Adina Pintilles Werk den Goldenen Bären.
Jetzt läuft ihr Film im Kino an und, nun, so richtig nachvollziehbar ist der Preis nicht. Denn nackte Haut und onanierende Männer sind heute schon lange nicht mehr skandalös. Die Vermischung von dokumentarischem und inszeniertem Material ist auch nicht besonders neu. In diesem Fall bringt die rumänische Regisseurin Adina Pintille sich und ihr Team mehrmals offensiv ins Bild. So wird zusätzlich die Künstlichkeit des gesamten Films verdeutlicht. Denn „Touch me not“ ist letztendlich eine Versuchsanordnung; ein Experiment, das schon auf dem Papier eine Kopfgeburt ist.
Die Story – die Mit-Fünfzigerin Laura versucht ihre Angst vor Berührungen zu überwinden und will Sex haben – ist nur der Aufhänger für Gespräche über Sex, Gefühle und das Verhältnis zum eigenen Körper. Diese führt Laura mit Menschen, die ihre Sexualität verschieden ausleben. Dazu gehören ein Callboy, eine Transfrau und ein Rollenspiel-Therapeut. Diese Gesprächspartner spielen sich selbst. Einige sind auch Aktivisten. Eine statische Kamera nimmt die Gespräche auf. Etwaige belanglose Teile werden einfach herausgeschnitten. Diese Momente sieht man deutlich im Bild. Es wird überhaupt nicht versucht, die Bildsprünge und die damit verbundene Bearbeitung des Gesprächs zu kaschieren.
Neben Laura verfolgt Adina Pintille ausführlicher Tómas, der ebenfalls eine fiktive Figur ist und der ebenfalls Probleme mit seinem Körper und Berührungen hat. Er besucht einen Touch-Workshop. In diesem Workshop sollen Behinderte und Nicht-Behinderte sich berühren. Zu den Teilnehmenden gehören der an spinaler Muskelatrophie erkrankte Christian Bayerlein und seine nichtbehinderte Freundin Grit Uhlemann. Sie sind ebenfalls keine Schauspieler, sondern Menschen, die vor laufender Kamera von ihren Gefühlen erzählen und sich dabei berühren.
Allein diese permanente Grenzüberschreitung zwischen Fiktion und Dokumentation ist ein Problem, das durch den Schauplatz der fiktiven Filmgeschichte verschärft wird. Denn offensichtlich spielt die Filmgeschichte in einer Stadt. Aber gedreht wurde in halb Europa und die verschiedenen Drehorte sind immer wieder deutlich zu sehen und zu hören.
Und es ist nicht immer deutlich, wo die Inszenierung beginnt. Damit stehen aber alle dokumentarisch beobachteten Bilder unter dem Verdacht einer Inszenierung. Es ist eine Versuchsanordnung, bei der am Anfang zwar die Rahmenbedingungen der Anordnung erklärt werden, aber später unklar ist, wie sehr sich die Regisseurin an eben diesen von ihr selbst für den Film gegebenen Rahmen hält oder das dokumentarische Material manipuliert.
Und so versagt „Touch me not“ als Spielfilm, als Dokumentarfilm und als Filmessay.
Für einen Spielfilm ist Lauras emotionale Reise nämlich nicht nachvollziehbar genug. Sie bleibt Stückwerk unter den dokumentarischen Teilen, bei denen es prinzipiell egal ist, wo sie aufgenommen wurden, und den essayistischen Teilen, in denen die Regisseurin sich und ihre Gefühle offensiv einbringt und so die fiktionalen und realen Teile stört.
Diese Gedanken über das Ausleben der eigenen Lust und das Zeigen verschiedener Aspekte von Sexualität, Lust und Liebe mögen vielleicht in einer repressiven Gesellschaft wichtig und befreiend sein. Aber in Berlin, wo in Stadtmagazinen jedes Jahr große Berichte über den Sex der Hauptstädter erscheinen und erst vor wenigen Tagen das 13. Pornfilmfestival endete, ist das ungefähr so aufregend wie die Tageszeitung von vorgestern.
Touch me not (Touch me not, Rumänien/Deutschland/Tschechische Republik/Bulgarien/Frankreich 2018)
Regie: Adina Pintilie
Drehbuch: Adina Pintilie
mit Laura Benson, Tómas Lemarquis, Christian Bayerlein, Grit Uhlemann, Adina Pintilie, Hanna Hofmann, Seani Love, Irmena Chichikova
LV: Jacques Lob/Benjamin Legrand/Jean-Marc Rochette: Le Transperceneige, 1984 (Schneekreuzer)
Nach der Klimakatastrophe ist die Erde ein Eisplanet. Ein Zug fährt ohne Unterbrechung um die Erde, versorgt sich autark und die Zugbewohner leben in einer radikalen Klassengesellschaft. Da entschließen sich die Unterdrückten, die in den hinteren Zugabteilen vegetieren, zum Aufstand. Ihr Ziel: der erste Wagon.
LV: Jacques Lob/Benjamin Legrand/Jean-Marc Rochette: Le Transperceneige, 1984 (Schneekreuzer)
Nach der Klimakatastrophe ist die Erde ein Eisplanet. Ein Zug fährt ohne Unterbrechung um die Erde, versorgt sich autark und die Zugbewohner leben in einer radikalen Klassengesellschaft. Da entschließen sich die Unterdrückten, die in den hinteren Zugabteilen vegetieren, zum Aufstand. Ihr Ziel: der erste Wagon.
Warum sollte bei Kevin Costner nicht das funktionieren, was Luc Besson mit Liam Neeson gelang? Einen älteren Schauspieler zu einem veritablen Actionhelden ummodeln? Nun, dafür gibt es drei Gründe: das Drehbuch, der Regisseur und die Actionszenen. Denn „3 Days to kill“ kommt dem Ideal eines Actionfilms ohne Action erstaunlich nahe. Dafür sehen wir Kevin Costner auf einem Fahrrad durch Paris radeln.
Aber beginnen wir am Anfang: Kevin Costner spielt Ethan Renner, einen US-Geheimagenten. Sein neuester Auftrag führt ihn nach Belgrad. Dort soll er den „Wolf“, den gefährlichsten Terroristen der Welt, dessen Gesicht niemand kennt, und dessen rechte Hand, den „Albino“, bei einem Waffendeal ausschalten. Der Auftrag geht gründlich schief, sein Team wird dezimiert und weil Renner während der Verfolgung des Albinos hustend zusammenbricht, wird er von einem Arzt untersucht, der ihm sagt, dass er einen Gehirntumor habe und innerhalb der nächsten drei bis fünf Monate sterben werde.
Renner, für den der Beruf immer an erster Stelle stand, will sich jetzt mit seiner Ex-Frau (Connie Nielsen) und seiner Tochter (Hailee Steinfeld), die in Paris leben, versöhnen.
Ehe er so richtig mit der Familienzusammenführung beginnen kann, bietet die geheimnisvolle CIA-Agentin Vivi Delay (Amber Heard im Femme-Fatale-Modus) ihm ein Heilmittel an. Er muss dafür in den nächsten drei Tagen nur einige Morde begehen, wobei er auch seine Scharte in Belgrad ausbügeln kann. Denn „Der Wolf“ und „Der Albino“, stehen auch auf dieser Liste.
Wen er umbringen soll, sagt ihm Vivi immer sehr kurzfristig. Was natürlich zu ständigen Konflikten mit seiner Frau und seiner Tochter, die beide nichts davon erfahren sollen, führt. Außerdem hat er von Vivi ein Medikament erhalten hat, das in den ungünstigsten Momenten zu Bewusstseinstrübungen führt,
„Der Wolf“. „Der Albino“. Nein, das ist definitiv nicht die Geheimagentenwelt von John le Carré. Es ist auch nicht die Geheimagentenwelt von Ian Fleming. Das ist die Welt des Pulps, des fröhlichen Trashes, der keine Gedanken an Wahrscheinlichkeit und Logik opfert. Was okay wäre, wenn die Geschichte wenigstens in sich schlüssig wäre. Aber „3 Days to kill“ klatscht einfach einen Thriller an ein Familiendrama und tut so, als handele es sich um zwei vollkommen verschiedene Filme. Das funktioniert nie, aber spätestens nach dieser Szene ist das gedankenlos zusammengeschusterte Drehbuch nur noch ärgerlich: Renner bringt in einer der raren Actionszenen des Films in einem Besson-hektisch geschnittenem Faustkampf einen auf ihn angesetzten Killer um und findet bei ihm Bilder von seiner Frau und seiner Tochter. Anstatt jetzt seine Liebsten in Sicherheit zu bringen, bringt er seiner Tochter erst einmal das Fahrradfahren bei, während wir gerade vor Ärger die vordere Stuhlreihe auffressen.
So gemacht, stehen sich Thriller und Familiendrama ständig im Weg. Dass das Familiendrama dann auch noch eines der banalen Art ist, hilft nicht.
Garniert wird diese Verbindung mit etwas klamaukigem Witz. Denn selbstverständlich ruft das Töchterchen ihren Vater immer in den unpassendsten Momenten an, gerät in dumme Situationen und selbstverständlich lässt Daddy sich in Erziehungsfragen von einem Verbrecher, dem glücklich verheirateten Buchhalter des Terroristen, beraten, den der davor und danach verprügelt.
Die Actionszenen sind durchgängig Post-Action-Szenen. Entweder gibt es viel Wackelkamera und genug Schnitte, um auch einen asthamatischen Großvater zu einem Bruce-Lee-Verschnitt zu machen, oder es gibt die schönen Vorher-Nachher-Szenen, in denen wir zuerst einen Raum voller Bösewichter sehen und Sekunden später einen Raum voller toter Bösewichter mit einem Kevin Costner in der Mitte, der für die Leichen verantwortlich ist, aber keine Falte in seiner Jeans hat. Das ist beim ersten Mal witzig. Schon beim zweiten Mal verpufft der Witz.
Regisseur von diesem cineastischem Zugunglück ist McG. Genau der McG, der die beiden „3 Engel für Charlie“-Filme und „Terminator: Die Erlösung“ (Terminator: Salvation) ruinierte. Da wird „3 Days to kill“ zu seinem bislang besten Werk. Denn die Familienszenen sind gar nicht so schlecht inszeniert. Da verlässt er sich auf Kevin Costner, Connie Nielsen und Hailee Steinfeld, die alle viel zu gut für diesen Film sind.
Und die Aufnahmen von Paris sind schön, weil Paris eine schöne Stadt ist.
Nein, so wird das nichts mit Kevin Costner als Action-Helden. Dabei überzeugte er kürzlich in „Jack Ryan: Shadow Recruit“ und in zahlreichen Western, wie dem immer noch unterschätzten „Open Range“,zeigte er, dass er Action kann. Auch in dem Thriller „No Way Out“ machte er eine gute Figur. Er braucht allerdings einen Regisseur, der ihn als letzten Cowboy inszenieren kann. McG ist dafür eindeutig der falsche Mann.
Was für ein Bild: ein riesiger Zug rast durch eine schneebedeckte Landschaft. Aber es ist kein normaler Zug und auch kein normaler Schnee. Denn nach einem mißglückten Experiment gegen die Klimakatastrophe brach eine Eiszeit an, die alles Leben auf der Erde vernichtete. Bis auf die Passagiere des 650 Meter langen Zuges, der eine radikale Klassengesellschaft ist. Hinten im Zug sind die Armen, die vor sich hin vegetieren. Vorne die Reichen, die im dekadenten Reichtum leben. Und über allem thront Wilford, der mythische Erfinder der Maschine, die sie am Leben erhält.
Nachdem Mason, die keifende Vertreterin von Wilford, mal wieder die Armen besonders schäbig drangsalierte, entschließen Curtis und seine Getreuen sich zu einem verzweifelten Aufstand. Sie wollen sich durch den ganzen Zug nach vorne kämpfen.
„The Host“- und „Mother“-Regisseur Bong Joon-ho erzählt in seinem neuen Film, mit deutlich höherem Budget und einem Blick auf den internationalen Markt, mit eindrucksvollen Bildern diese kraftvolle Parabel eine Gesellschaft im rasenden Stillstand und den Überlebenswillen. Auch die Besetzung, mit „Captain America“ Chris Evans in der Hauptrolle und Jamie Bell, John Hurt, Ed Harris, Tilda Swinton und Octavia Spencer in weiteren wichtigen Rollen, hat eindeutig den internationalen Markt im Visier. Dennoch machte Bong Joon-ho bei seiner Inszenierung keine Kompromisse. Die klar gezeichneten Charaktere, die überhöhten Konflikte und, vor allem, die Gewaltdarstellungen sind in einer Drastik, die wir aus dem asiatischen Kino gewohnt sind.
Die einzelnen Wagons, durch die Curtis und seine Verbündeten sich kämpfen, geben oft satirisch überspitze Einblicke in die Klassengesellschaft. Curtis gelingt es sogar, sich bis zur Spitze des Zuges, in das Abteil von Wilford, zu kämpfen und er erlebt dort einige Überraschung.
Allerdings wird die unglaubwürdige Prämisse – dass nur einige Menschen in einem Zug überlebten, der sich seit Jahren um die ganze Welt bewegt – mit zunehmender Laufzeit immer unglaubwürdiger und der Kampf in seiner geraden Vorwärtsbewegung zunehmend unrealistischer. Denn ein Zug ist einfach nur ein langer schmaler Gang.