Hoch verschuldet und mit einem halbseidenem Bewährungshelfer als Betreuer verlässt der Immobilienbetrüger Thomas Bellmann (Christoph Maria Herbst) das Gefängnis. Da erfährt der Waise, der seine Mutter nie kannte, dass sie ihn in ihrem Testament berücksichtigt hat und er ihr Haus erbt. Mit dem Erlös aus dem Verkauf wäre er finanziell saniert. Die Sache hat nur zwei Haken. Seine Mutter ist noch nicht tot. Aber sie liegt im Sterben. Und in dem Haus wohnt Roland Krantz (Nico Randel). Er hat ein lebenslanges Wohnrecht. Thomas denkt sich, dass er seinen Bruder aus dem Haus vertreiben kann. Er muss Roland und den Rest der Welt nur überzeugen, dass der Junge mit dem Down-Syndrom in einer betreuten Wohngemeinschaft oder einem Heim viel besser aufgehoben ist.
Dummerweise kommt der bekennende Schlagerfan Roland – „Sunny“ ist sein im Film in neun verschiedenen Fassungen dauerpräsentes Lieblingslied -, sehr gut allein zurecht. Er arbeitet in einer Werkstatt. Er trainiert in einem Verein für eine Meisterschaft im Gewichtheben. Er hat Freunde. Seine ihm wohlgesonnene Betreuerin Yessim Bayrak (Sesede Terziyan) hilft ihm ein wenig bei der Organisation seines Alltags. Und er weiß sehr genau, was er will und wie sein durchstrukturiertes und entsprechend geordnetes Leben ablaufen soll. Ein neuer Bruder gehört erst einmal nicht dazu.
Ausgehend von diesem Zusammenprall zweier unterschiedlicher Brüder erzählen Regisseur Hanno Olderdissen und Autor Clemente Fernandez-Gil (der selbst einen Sohn mit Down-Syndrom hat) eine durchgehend erwartbare Feelgood-Geschichte und die mit harmlosen Witzen garnierte, ebenso vorhersehbare Wandlung eines Betrügers zum guten Menschen.
Dass sie die Rolle von Roland mit Nico Randel, der das Down-Syndrom hat, besetzt haben, ist lobenswert. Seine Szenen gehören auch zu den besten Szenen des Films. Allerdings ist er viel zu selten im Bild und der Humor ist durchgehend viel zu nett.
Viel respektloser thematisierten die Komödien „Wir sind Champions“ (Campeones, Spanien 2018) und „Was ist schon normal?“ (Un p’tit truc en plus, Frankreich 2024) den Zusammenprall von ’normalen‘ und körperlich und geistig behinderten Menschen. In „Wir sind Champions“ soll ein cholerischer Trainer als Strafe eine chronisch erfolglose Basketball-Mannschaft trainieren. Der Film war ein Kinohit. In den vergangenen Jahren entstanden mehrere Remakes. In „Was ist schon normal?“ tauchen zwei flüchtige Verbrecher in einer Behindertengruppe unter, die auf dem Weg zu einem Urlaub in den Bergen ist. Auch diese Komödie war ein Erfolg. Das deutsche Remake von Marc Rothemund soll am 3. September 2026 im Kino starten. Alle diese Filme entstanden in Zusammenarbeit mit Behinderten. Es herrscht ein respektvoll-rauer Ton, gerne auch mal in Richtung Klamauk und Slapstick. Es gibt keine Scheu vor vermeintlichen Tabus. Jede Figur ist erinnerungswürdig, einzigartig und bekommt ihr Fett weg.
Verglichen mit diesen Filmen bleibt „Ganzer halber Bruder“ gerade so auf halber Strecke stehen.

Ganzer halber Bruder (Deutschland 2025)
Regie: Hanno Olderdissen
Drehbuch: Clemente Fernandez-Gil
mit Christoph Maria Herbst, Nico Randel, Sesede Terziyan, Michael Ostrowski, Tristan Seith, Martin Brambach, Tanja Schleiff, Rudolf Kowalki, Anja Herden
Länge: 110 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Hinweise
Filmportal über „Ganzer halber Bruder“
Veröffentlicht von AxelB 