Die neunjährige Benni lebt von Wutausbruch zu Wutausbruch, von Pflegefamilie zu Pflegefamilie zu betreuter Wohnreinrichtung und zurück. Niemand hält es länger mit ihrer Zerstörungswut und ungehemmten Aggression aus. Trotzdem versucht Frau Bafané vom Jugendamt ihr zu helfen. Mit immer neuen Maßnahmen, die diesen Kreislauf beenden sollen.
Wow, was für ein Film: dicht inszeniert, nah an der Realität, klar in der Analyse und durchgehend einfache Antworten verweigernd. Der Film war ein Kritiker- und Publikumserfolg.
mit Helena Zengel, Albrecht Schuch, Gabriela Maria Schmeide, Lisa Hagmeister, Melanie Straub, Victoria Trauttmansdorff, Maryam Zaree, Tedros Teclebrhan
Die neunjährige Benni lebt von Wutausbruch zu Wutausbruch, von Pflegefamilie zu Pflegefamilie zu betreuter Wohnreinrichtung und zurück. Niemand hält es länger mit ihrer Zerstörungswut und ungehemmten Aggression aus. Trotzdem versucht Frau Bafané vom Jugendamt ihr zu helfen. Mit immer neuen Maßnahmen, die diesen Kreislauf beenden sollen.
Wow, was für ein Film: dicht inszeniert, nah an der Realität, klar in der Analyse und durchgehend einfache Antworten verweigernd. Der Film war ein Kritiker- und Publikumserfolg.
mit Helena Zengel, Albrecht Schuch, Gabriela Maria Schmeide, Lisa Hagmeister, Melanie Straub, Victoria Trauttmansdorff, Maryam Zaree, Tedros Teclebrhan
Auf einem Kreuzfahrtschiff soll der Austausch eines geklauten Bildes stattfinden. Aber weil es bei der Abfahrt Probleme gab, sind jetzt nur zwei der drei Diebe an Bord. Unter falscher Identität als Imitatoren von David Bowie und Elvis Presley für das abendliche Unterhaltungsprogramm der Reisenden. Dummerweise haben Vincent Kowalski und Nils Forsberg nicht die geringste Ähnlichkeit mit den beiden Musikern und ihre Live-Performer-Qualitäten sind auch überschaubar. Sie hatten nur die Koffer von den echten Imitatoren geklaut, um auf das Schiff zu kommen.
Auf dem Schiff treffen sie schnell auf etliche Menschen, die ihre falsche Identität mühelos durchschauen und die das von ihnen aus einem Museum gestohlene, 1915 entstandene Kasimir-Malewitsch-Gemälde „Das schwarze Quadrat“ in ihren Besitz bringen wollen. Und schon beginnt – wir befinden uns in einer Komödie – das lustige Spiel, in dem das Gemälde mehrmals geklaut, immer gesucht und oft gefälscht wird, sich alle gegenseitig betrügen und auch ermorden. Die Leiche wird dann beherzt ins Meer geworfen. Bei diesem Spiel ist keine der beteiligen Figuren mit übermäßiger Intelligenz gesegnet.
Nein, besonders plausibel ist das Setting nicht und die „Das kann mein zweijähriger Sohn besser“-Gags über moderne Kunst sollten langsam der Vergangenheit angehören. Aber anderseits trifft dieser Gag präzise das humoristische Niveau des Films.
Auch das gesamte Schiff und seine Passagiere wirken wie abgeranzte Relikte aus den Fünfziger Jahren. Ein übergewichtiger Bowie-Imitator und die auf dem Schiff installierte Videoüberwachung ändern daran nichts.
Peter Meisters prominent besetzter Debütfilm „Das schwarze Quadrat“ ist eine arg altbackene Komödie.
Das schwarze Quadrat (Deutschland 2021)
Regie: Peter Meister
Drehbuch: Peter Meister
mit Bernhard Schütz, Sandra Hüller, Jacob Matschenz, Pheline Roggan, Christopher Schärf, Victoria Trauttmansdorff, Wolfram Packhäuser
Tim ist inzwischen in den Dreißigern. Trotzdem lebt er immer noch das Leben eines Pubertierenden: wenn er nicht gerade in einer hippen Social-Media-Agentur abhängt und es regelmäßig bezahlte Arbeit nennt, hängt er mit seinem WG-Kumpel Luis auf der Couch zum Computerspielen ab oder er triftt sich mit einer seiner zahlreichen Freundinnen/Sexualpartnerinnen. Normalerweise meldet er sich nach dem Sex nicht wieder bei ihr. Denn an einer langfristigen Beziehung, Heirat, Kindern und einem bürgerlichem Leben hat er kein Interesse. Wobei er auch an anderen Dingen kein erkennbares Interesse hat. Immerhin will er jetzt, nachdem auf einer Party sein erstes Buch ohne sein Wissen zu Konfetti verarbeitet wurde, sein zweites Buch schreiben.
Als er im Verkaufsraum einer Tankstelle eine junge Frau trifft, die ihm sein Stracciatella-Eis vor der Nase wegschnappt, ändert sich sein Liebesleben. Sie ist jung, selbstverständlich gut aussehend und etwas frech. Der erste Sex ist auch hemmungslos gut. Ebenso der zweite, dritte, vierte undsoweiter, bis Tim dann erstmals doch mehr als Sex haben möchte. Nur die Frau, die einfach nur ‚Ghost‘ heißt, will das nicht.
„Generation Beziehungsunfähig“ ist eine deutsche Komödie, die auf Michael Nasts gleichnamiger Sammlung von Kolumnen basiert. Weil Kolumnen schlecht verfilmt werden können, haben Regisseurin Helena Hufnagel und ihre Co-Autorin Hilly Martinek sich eine Geschichte ausgedacht, die in einer beliebig austauschbaren größeren Stadt spielt. Einige Gebäude und vor allem der Abspann verraten, dass die Komödie in Köln gedreht wurde. Aber es hätte auch genausogut Berlin, Hamburg, München, Stuttgart oder Wuppertal sein können. Die Figuren sind, höflich formuliert, blasse Fantasiefiguren, die all den erwartbaren und schon tausendmal wiedergekäuten Klischees über junge Großstädter entsprechen. Die Geschichte und die Witze sind nicht besser.
So ist vollkommen unklar, was Tims Problem ist und warum wir uns für ihn interessieren und mit ihm mitfühlen sollten. Denn er ist einfach ein Frauen ausnutzendes, egozentrisches Arschloch, das damit keine Probleme hat. Es gibt für ihn keinen Grund, warum er sein Leben verändern möchte, soll oder muss. Denn müssen muss er nichts. Niemand und nichts zwingt ihn dazu, sein Leben zu überdenken. Wenn er dann von Ghost geghosted wird, er also von jemand anderem so behandelt wird, wie er bislang Frauen behandelte, hält sich unser Mitleid in Grenzen. Schließlich tut sie nur das, was er immer tut.
Im Film wird auch nie deutlich, was am Leben als Single so schlimm ist. Außer man verfolgt die konservative Idee einer lebenslangen Bindung in einer traditionellen Kernfamilie, die problemlos den Segen des stockkonservativen katholischen Dorfpfarrers erhalten könnte.
„Generation Beziehungsunfähig“ ist ein weiteres sich in Studiokulissen abspielendes, mit anonymen Bildern einer Großstadt garniertes, in irgendeiner Parallelwelt spielendes RomCom-Gewürge, das in deutschen Filmen so schon seit Jahrzehnten serviert wird und durch Wiederholung nicht realistischer wird. So kann kein Porträt einer Generation entstehen.
Wie es anders geht, zeigt in wenigen Wochen Johanna Moder in ihrem bitterbösen Generationen- und Milieuporträt „Waren einmal Revoluzzer“. Das grandiose Drama hat alles, was „Generation Beziehungsunfähig“ nicht hat. Der aktuelle Starttermin ist der 9. September 2021.
Generation Beziehungsunfähig (Deutschland 2021)
Regie: Helene Hufnagel
Drehbuch: Helene Hufnagel, Hilly Martinek
LV: Michael Nast: Generation Beziehungsunfähig, 2016
mit Frederick Lau, Luise Heyer, Henriette Confurius, Verena Altenberger, Tedros Teclebrhan, Maximilian Brückner, Victoria Trauttmansdorff, Kida Khoor Ramadan
Die neunjährige Benni lebt von Wutausbruch zu Wutausbruch, von Pflegefamilie zu Pflegefamilie zu betreuter Wohnreinrichtung und zurück. Niemand hält es länger mit ihrer Zerstörungswut und ungehemmten Aggression aus. Trotzdem versucht Frau Bafané vom Jugendamt ihr zu helfen. Mit immer neuen Maßnahmen.
Wow, was für ein Film: dicht inszeniert, nah an der Realität, klar in der Analyse und durchgehend einfache Antworten verweigernd. Der Film war ein Kritiker- und Publikumserfolg.
TV-Premiere – und gleich ein dickes Lob an das ZDF für die Uhrzeit (sonst wird so ein Film ja gerne nach Mitternacht versteckt), für die danach folgende haltstündige, den Film vertiefende Doku „Schrei nach Liebe“ (Regie: Liz Wieskerstrauch) und den Mut, einfach mal für einen Abend das heilige Programmschema zu ignorieren. Das heute-journal beginnt deshalb um 22.40 Uhr.
Am Dienstag, den 18. Mai, gibt es um 22.15 Uhr die ebenfalls halbstündige, ebenfalls den Film vertiefende „37°“-Dokumentation „Die Wütenden – Wenn Kinder das System sprengen“ (Regie: Anabel Münstermann, Valerie Henschel).
mit Helena Zengel, Albrecht Schuch, Gabriela Maria Schmeide, Lisa Hagmeister, Melanie Straub, Victoria Trauttmansdorff, Maryam Zaree, Tedros Teclebrhan
German Films, die Auslandsvertretung des deutschen Films, schickt „Systemsprenger“ ins Rennen um den Auslandsoscar. Bis zur Verleihung sind noch einige Hürden zu nehmen, aber von den Filmen, die in der Vorauswahl waren und die ich kenne (ich kenne nicht alle), ist „Systemsprenger“ mit Abstand die beste Wahl.
Nora Fingscheidt erzählt in ihrem Debütfilm die Geschichte von Benni. Einem neunjährigen Mädchen, das sich mit allen Sozialarbeitern anlegt und durch die Netze des Systems fällt. Sie ist ein sogenannter ‚Systemsprenger‘. Keine Hilfeeinrichtung, keine Maßnahme verfängt bei ihr.
Trotzdem versucht Frau Bafané, ihre Sozialarbeiterin, weiter, den Kreislauf zu durchbrechen, in dem Benni in eine Wohngruppe kommt, einen Tobsuchtsanfall hat, bei dem sie andere Kinder verletzt und Gegenstände zerstört werden, und dann, zum Schutz der Gruppe, aus der Gruppe entfernt wird. Danach muss Frau Bafané einen neuen Ort für Bennie suchen.
Fingscheidt erzählt Bennis Odyssee durch das deutsche Hilfesystem immer nah an ihrer Protagonistin Benni, die von Helena Zengel verkörpert wird. Im Bruchteil einer Sekunde wird sie von einem netten Mädchen zu einem den Saal zusammenschreiendem Monstrum. Und sie flippt oft aus. Denn immer wenn etwas nicht so ist, wie sie es gerne hätte, bekommt sie einen Wutanfall. Als Zuschauer entwickelt man schnell eine regelrechte Angstlust. Einerseits fürchtet man sich vor ihrem nächsten Wutausbruch und den Folgen, den dieser für sie hat. Denn jeder Wutausbruch bringt sie weiter von einer dauerhaft-sicheren Umgebung, in der sie sich normal entwickeln kann, weg. Andererseits erwartet man ihn. Denn er wird kommen. Die Frage ist dabei nie ‚ob‘, sondern nur ‚wann‘. Und welche Folgen ihr Schrei nach Liebe hat.
Dieser Kreislauf und die vielen Versuche, Benni daraus zu befreien, ohne ihre Freiheit über Gebühr einzuschränken und ohne sie in einer geschlossenen Psychiatrie ruhigzustellen, zeigt „Systemsprenger“ ohne einseitige Schuldzuweisungen oder Glorifizierungen. Die Sozialarbeiter im Film sind Menschen, die Benni helfen wollen, aber an ihre persönlichen und fachlichen Grenzen stoßen. Das gilt vor allem für Frau Bafané und Michael Heller. Er ist Anti-Gewalt-Trainer für straffällige Jugendliche. Mit Benni führt er in intensiver Einzelbetreuung einen dreiwöchigen Aufenthalt in einer einsam gelegenen Hütte durch.
Sie sind für Benni Bezugspersonen, die aber immer auf die nötige professionelle Distanz achten und Grenzen ziehen müssen. Außerdem sind sie nicht Bennis Mutter. Benni wäre zwar gerne bei ihr, aber sie ist als Erzieherin vollkommen überfordert.
„Systemsprenger“ ist in jeder Sekunde pulsierend, frisch, kompromisslos und, gleichzeitig, emotional und analytisch. Er stellt Fragen, ohne eine Lösung zu haben. Das ist junges deutsches Kino, wie man es viel zu selten sieht. Bitte mehr davon!
Und wenn es in einem halben Jahr mit dem Oscar nicht klappt (was erwartungstechnisch für Fingscheidts nächsten Film vielleicht nicht schlecht wäre), sollte ein Produzent ihr unbedingt schnell das Geld für ihren nächsten Film geben.
Systemsprenger (Deutschland 2019)
Regie: Nora Fingscheidt
Drehbuch: Nora Fingscheidt
mit Helena Zengel, Albrecht Schuch, Gabriela Maria Schmeide, Lisa Hagmeister, Melanie Straub, Victoria Trauttmansdorff, Maryam Zaree, Tedros Teclebrhan
SWR, 00.00 Uhr Hannah Arendt(Deutschland 2012)
Regie: Margarethe von Trotta
Drehbuch: Pamela Katz, Margarethe von Trotta
Grandioses Biopic über Hannah Arendt und den Eichmann-Prozess. Mehr in meiner ausführlichen Besprechung des Films.
mit Barbara Sukowa, Axel Milberg, Janet McTeer, Julia Jentsch, Ulrich Noethen, Michael Degen, Victoria Trauttmansdorff, Klaus Pohl, Nicholas Woodeson
Bayern, 22.00 Uhr Hannah Arendt(Deutschland 2012)
Regie: Margarethe von Trotta
Drehbuch: Pamela Katz, Margarethe von Trotta
Grandioses Biopic über Hannah Arendt und den Eichmann-Prozess. Mehr in meiner ausführlichen Besprechung des Films.
mit Barbara Sukowa, Axel Milberg, Janet McTeer, Julia Jentsch, Ulrich Noethen, Michael Degen, Victoria Trauttmansdorff, Klaus Pohl, Nicholas Woodeson
ARD, 21.45 Uhr
Hannah Arendt (Deutschland 2012)
Regie: Margarethe von Trotta
Drehbuch: Pamela Katz, Margarethe von Trotta
Grandioses Biopic über Hannah Arendt und den Eichmann-Prozess. Mehr in meiner ausführlichen Besprechung des Films.
mit Barbara Sukowa, Axel Milberg, Janet McTeer, Julia Jentsch, Ulrich Noethen, Michael Degen, Victoria Trauttmansdorff, Klaus Pohl, Nicholas Woodeson
Der Film startete schon im Januar in den Kinos und hier in Berlin läuft „Hannah Arendt“ derzeit immer noch in zwei Kinos. Das gelingt nur wenigen Filmen.
Danach gibt es einige Anmerkungen dazu und ich beschäftige mich mit dem Bonusmaterial.
Die Filmkritik
Hannah Arendt.
Große Philosophin.
Hat „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ und „Eichmann in Jerusalem – Ein Bericht über die Banalität des Bösen“ geschrieben.
Und wenn Ihr Wissen über Hannah Arendt ungefähr jetzt erschöpft ist, dürfte es ihnen wie mir gehen.
Aber das ist auch keine schlechte Ausgangsposition, um sich Margarethe von Trottas neuen Film anzusehen, der ganz banal „Hannah Arendt“ heißt und vier Jahre aus ihrem Leben als reife Frau erzählt. Es sind die Jahre, in denen die damals hochgeachtete Philosophin in New York lebte, am Brooklyn College in New York lehrte, einen Kreis teils deutschstämmiger Intellektueller um sich gescharrt hatte (entsprechend flüssig wechseln sie in ihren Gesprächen die Sprachen) und sich normalerweise an ihr Alterswerk gemacht hätte, wenn nicht der Mossad 1960 Adolf Eichmann in Argentinien gefangen genommen hätte und der noch junge Staat Israel ihn vor Gericht stellen wollte. Nur vor welches? Eine internationale Gerichtsbarkeit, wie wir sie heute kennen, gab es noch nicht und Deutschland hatte an so einem Prozess überhaupt kein Interesse. Also wurde Eichmann in Jerusalem vor ein Gericht gestellt und die am 14. Oktober 1906 geborene, 1933 nach kurzer Inhaftierung aus Deutschland geflüchtete Jüdin Hannah Arendt, die bis dahin gut in ihren philosophischen Gedankengebäuden lebte, wollte in Israel den Prozess beobachten und darüber schreiben.
Margarethe von Trotta zeigt in ihrem fantastischen Film die Konfrontation der Denkerin mit dem Bürokraten und welche Folgen das für ihr Denken hatte. Dabei bleibt sie anscheinend immer sehr nahe bei den Fakten und dem damaligen Wissen. Denn neuere Forschungen über Eichmann zeichnen ein anderes Bild von ihm. Jedenfalls wollte Eichmann vor Gericht für sein Handeln keine Verantwortung übernehmen. Er habe schließlich nur Befehle befolgt. Und das sagte der unscheinbar-ungelenkte Bürokrat in ebenso bürokratischen und grammatikalisch haarsträubenden Sätzen. Dieser Unterschied zwischen monströsen Taten und unscheinbarer Person brachte Arendt auf ihren weltberühmten Begriff „die Banalität des Bösen“. In der mit zweijähriger Verspätung erschienenen Artikelserie „Eichmann in Jerusalem“ für den „The New Yorker“ und dem darauf basierendem Buch weigerte sie sich, Eichmann, wie man es von ihr erwartet hatte, zu dämonisieren. Stattdessen beschrieb sie ihn, wie sie ihn während des Prozesses erlebte und griff auch die Rolle der Judenräte an.
Sie erhielt hasserfüllte Briefe, wurde von anderen Juden angegriffen und auch Freunde wanden sich von ihr ab. Von Trottas Film endet mit einer Rechtfertigungsrede von Hannah Arendt in einem überfüllten Hörsaal, die gerade in ihrer Sprödigkeit und intellektuellen Schärfe, wie der gesamte Film, beeindruckt.
Die Regisseurin, die vor allem für ihre Porträts starker Frauen, wie „Rosa Luxemburg“, bekannt ist, zeigt Hannah Arendt (glänzend gespielt von Barbara Sukowa) als kantige, teils harsche, immer scharfsinnige Denkerin, die Spaß am intellektuellen Diskurs hatte, heftig streiten konnte und dabei niemals ihre Freundschaften vergaß. So endet mehr als ein lautstarker Disput mit einem „So, und jetzt ist gut. Lasst uns einen Tee trinken!“ und einem kleinmädchenhaftem Lachen.
Sie stand für ihre Überzeugungen, verteidigte sie, hörte aber auch den anderen zu und war bereit ihre Meinung zu ändern, weil sie verstehen und nicht verurteilen wollte. – Und gerade hier zeigt sich in ihrem Charakter und in ihrer fast ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Auseinandersetzung über ihre Texte über Eichmann (zuerst die Zeitungsartikel, später das Buch) die Aktualität des Films, der fragt, ob wir selbst denken wollen, ob wir für unsere Überzeugungen kämpfen wollen und wie wichtig uns Freundschaften sind.
Dabei ist „Hannah Arendt“ kein in blinder Ehrfurcht erstarrendes Heldinnenporträt, sondern ein mitreisendes Stück Kino, das auch einen Einblick in die damalige Ostküsten-Intellektuellenszene und das damalige Denken liefert, mit scharfzüngigen Dialogen, die, aufgrund des Themas und der Charaktere, in Richtung Thesentheater gehen. Denn wenn der „Tribe“, wie der Intellektuellenzirkel, der sich regelmäßig in Hannah Arendts Wohnung traf, miteinander stritt, dann stritten einige der größten Denker des Jahrhunderts miteinander.
Beim zweiten Ansehen fällt mir auf, wie kunstvoll Margarethe von Trotta und ihre Kamerafrau Caroline Champetier (zuletzt „Holy Motors“, „Von Menschen und Göttern“ und „Eine fatale Entscheidung“) das Cinemascope-Format ausnutzen und wie viele Einstellungen sie in der Halbtotale drehen, die natürlich für die große Leinwand gut geeignet ist, ein Gefühl des Raums vermittelt und auch oft mehrere Schauspieler miteinander interagieren lässt. Das ist nicht das banale „Totale“ damit wir wissen, wo die Szene spielt und dann ein Schnitt-Gegenschnitt von Gesichtern. „Hannah Arendt“ ist für die große Leinwand gemacht.
Seit dem Kinostart erhielt der Film beim Deutschen Filmpreis die Auszeichnung „Bester Spielfilm in Silber“ und Barbara Sukowa wurde als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet. Nominiert waren außerdem die Regie, das Drehbuch, die Maske und die Kostüme. Außerdem erhielt „Hannah Arendt“ den diesjährigen Gilde-Filmpreis als bester Film.
Und bei Rotten Tomatoes ist „Hannah Arendt“ mit einem Frischegrad von 88 Prozent ihr am höchsten bewerteter Film; – wobei Rotten Tomatoes bei nicht-englischsprachigen Filmen nicht besonders aussagekräftig ist und bei älteren Filmen die Bewertung eher der heutigen als der damaligen Bewertung entspricht, weil oft zeitgenössische Bewertungen und nicht-englischsprachige Besprechungen in der Datenbank fehlen. So gibt es für „Das zweite Erwachen der Christa Klages“, „Die bleierne Zeit“ und „Rosa Luxemburg“, weil es nicht genug Kritiken gibt, keine Frischegrade.
Das Bonusmaterial
Auf den ersten Blick sieht das Bonusmaterial nach dem Üblichen aus: Geschnittene Szenen, Hinter den Kulissen, zwei Clips von Premieren und ein Audiokommentar. Es ist aber mehr. Vor allem der Audiokommentar – ein informatives Gespräch zwischen Filmjournalist Robert Fischer und Regisseurin Margathe von Trotta – ist grandios. Hier zeigt sich wieder einmal, dass es eine gute Idee ist, dem Regisseur einen Gesprächspartner an die Hand zu geben. Fischer und von Trotta gehen in ihrem Kommentar, immer wieder ausgehend von den Bildern, aber nicht an ihnen festklebend, vor allem auf die realen Hintergründe und die Dreharbeiten ein. Sie erzählt auch ein wenig von den Reaktionen auf den Film. Hier war sicher der Abstand zwischen Film- und DVD-Premiere hilfreich.
Das „Behind the Scenes“ ist ein Etikettenschwindel. Denn es ist ein fundiertes, informatives und sehr journalistisches halbstündiges „Making of“, das uns fast vollständig von den üblichen „Making of“-Lobhuddeleien verschont, was sicher auch daran liegt, dass vor allem von Trotta und ihre Drehbuchautorn Pamela Katz reden.
Die beiden Premierenberichte „Premiere in Essen“ und „Premiere in Stuttgart“ sind vor allem werblich-unkritische Premierenberichte. Immerhin gibt es bei der „Premiere in Stuttgart“ längere Szenen aus Margarethe von Trottas und Winfried Kretschmanns Gespräch mit dem Publikum.
Die „Deleted Scenes“ bestehen aus einem gestrichenen Szene über einen Verkehrsunfall, den Hannah Arendt hatte, der für die Geschichte des Films nicht wirklich nötig war und der deshalb zu Recht gestrichen wurde.
Oh, und es gibt den Trailer.
Hannah Arendt (Deutschland 2012)
Regie: Margarethe von Trotta
Drehbuch: Pamela Katz, Margarethe von Trotta
mit Barbara Sukowa, Axel Milberg, Janet McTeer, Julia Jentsch, Ulrich Noethen, Michael Degen, Victoria Trauttmansdorff, Klaus Pohl, Nicholas Woodeson
–
DVD
NFP/EuroVideo
Bild: 16:9 (2.35:1)
Ton: Deutsch, Englisch (genaugenommen Deutsch und Englisch durcheinander)
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial: Deleted Scenes, Behind the Scenes, Premiere in Essen, Premiere in Essen, Trailer, Audiokommentar, Hörfilmfassung für Blinde, Booklet