Jetzt feiert der Film an dem Ort seine Premiere, an den er nicht gehört. Jedenfalls nicht in der Erstauswertung. Denn „Mulan“ ist eindeutig für die Kinoleinwand inszeniert. Aber nachdem Disney sich entschlossen hat, seine neueste Real-Action-Verfilmung nicht im Kino anlaufen zu lassen, werde ich zu den wenigen Menschen gehören, die diesen Film, wenige Tage bevor die Coronavirus-Pandemie unser normales Leben beendete, auf einer großen Leinwand sehen konnte. Und, ja, es war eine sehr große Leinwand in einem sehr großen Kinosaal mit viel Beinfreiheit, bequemen Sitzen, einem guten Blick auf die Leinwand und ohne irgendeine den Filmgenuss störende Ablenkung. Und genau da gehört „Mulan“ mit seinen Massenszenen, seinen Kämpfen und Landschaftsaufnahmen hin.
Aber in fast allen Ländern zeigt Disney „Mulan“ jetzt ausschließlich bei seinem neuen Streamingdienst „Disney+“. In Deutschland kostet der Film zusätzlich zu den normalen Abokosten (aktuell 6,99 Euro/Monat), für den VIP-Zugang, 21,99 Euro. Also insgesamt gut dreißig Euro. Das ist viel Geld für einen Film, aber letztendlich vielleicht doch immer noch günstiger als ein Kinobesuch mit Kindern, Lebensabschnittgefährten, besten Freunden des Kindes, der überdimensionierten Mega-Popcorntüte und den ungesunden Zuckergetränken. Nur das Erlebnis ist kein Kino, sondern Fernsehen. Genaugenommen ist es ein Videoabend mit (oder ohne) Freunde.
Die Geschichte von Mulan ist bekannt. In China ist Mulan eine bekannte Figur, die erstmals in einem Volksgedicht verewigt wurde. Seitdem wurde und wird Mulans Geschichte in verschiedenen Medien immer wieder neu interpretiert. Im Westen ist Mulans Geschichte vor allem aus dem 1998er Disney-Trickfilm „Mulan“ bekannt. Der Film war ein Kritiker- und Publikumserfolg. Jetzt erhielt er die Neubearbeitung, die viele andere Disney-Filme in den letzten Jahren erhielten und die aus finanzieller Sicht durchgehend überzeugte. Aus künstlerischer Sicht nicht unbedingt.
Für die Neuverfilmung als Realfilm engagierte Disney Niki Caro, die Regisseurin von „Whale Rider“ und „Die Frau des Zoodirektors“, die aus Mulans Geschichte eine farbenprächtige Abenteuergeschichte machte.
Als China aus dem Norden von einer mächtigen, scheinbar unbesiegbaren Armee bedroht wird, erlässt der Kaiser (lange vor den Tributen von Panem) ein Dekret nach dem aus jeder Familie ein Mann eingezogen werden soll.
In der glücklich in einem fotogenen Dorf lebenden Familie Hua wäre das Mulans Vater. Er ist ein aus früheren Kriegen geschätzter und geehrter Kämpfer, der jetzt als Bauer lebt und an körperlichen Gebrechen leidet. Der alte Mann würde den Kampf gegen die Invasoren nicht überleben.
Also verkleidet die abenteuerlustige, sportliche und unbekümmerte Mulan sich als Mann und tritt in die kaiserliche Armee ein. Schon in der Ausbildung überzeugt sie durch ihre überragenden Leistungen. Als sie gegen die schwarzgekleideten Invasoren, die dank übernatürliche Hilfe fast unbesiegbar sind, in den Kampf ziehen, erweist Mulan sich schnell als der tapferste und tödlichste Krieger in der gesamten Armee. Denn immer noch wissen Mulans Kampfgefährten nicht, dass Mulan eine Frau ist.
Gedreht wurde „Mulan“ in Neuseeland und China. Regisseurin Caro setzte die prächtigen Landschaften leinwandfüllend in Szene. Die oft scheinbar schwerelosen Kampfszenen wirken auf der großen Leinwand ebenfalls besser. Auch wenn wir sie aus asiatischen Filmen noch müheloser der Schwerkraft trotzend kennen. Und für die vielen Massenszenen wurden schon mal hunderte Statisten engagiert. Dummerweise sind diese Massenszenen Kriegsszenen, in denen Soldaten im Lager trainiert werden und sich verfeindete Armeen unblutig abschlachten.
Und genau hier kommen wir zu den Dingen, die „Mulan“ dann zu einem sehr problematischen und auf ideologischer Ebene reaktionärem Film werden lassen. „Mulan“ erzählt die Geschichte einer Frau, die ihre Träume verwirklicht und am Ende von allen für ihre Leistungen anerkannt wird. Allerdings wird Mulan nur anerkannt, weil sie ihren männlichen Kollegen in jedem Punkt hoffnungslos überlegen ist. Sie wird anerkannt, weil ihre Leistungen besser sind als die der anderen. Sie geht also nicht ihren eigenen Weg, sondern sie erfüllt die Anforderungen, die an Männer gestellt werden besser als die Männer. Das hat mit Emanzipation wenig zu tun.
Noch problematischer wird es durch das Arbeitsfeld, in dem Mulan anerkannt wird. Es geht nicht um sportliche oder intellektuelle Leistungen, sondern es ist das Handwerk des Kriegers. Die Leistung eines Kriegers bemisst sich daran, wie viele Menschen er ermordet. Mulan ist darin sehr gut.
Disney ließ die Schlachten so unblutig inszenieren, dass eine kindgerechte Kinofreigabe niemals gefährdet ist. Trotzdem sind es Massaker, in denen in einem Blutrausch tausende junge Menschen massakriert werden. In einem realistischen Kriegsfilm würden die Soldaten in dem Moment durch einen Matsch aus Blut, Gedärmen, abgeschlagenen Armen, Beinen und Köpfen waten und schreiende und wimmernde junge Männer hören, die gerade auf dem Feld der Ehre verrecken.
Das ist nämlich der nächste hochproblematische Punkt an „Mulan“: wieder einmal wird die Armee zur Schule des Mannes, oder in diesem Fall zur Schule des Menschen, erhoben und das Morden (und Sterben) auf dem Schlachtfeld für das Vaterland ist dann die höchste Ehre.
„Mulan“ transportiert hier eine sehr konservative, reaktionäre Ideologie. Dass das in diesem Fall anhand eines chinesischen Nationalmythos erzählt wird, macht die Sache nicht besser. Nur exotischer.
Mulan (Mulan, USA 2020)
Regie: Niki Caro
Drehbuch: Rick Jaffa, Amanda Silver, Lauren Hynek, Elizabeth Martin (basierend auf dem Gedicht „Hua Mulan”)
mit Yifei Liu, Donnie Yen, Tzi Ma, Jason Scott Lee, Yoson An, Ron Yuan, Rosalind Chao, Nelson Lee, Cheng Pei-Pei, Gong Li, Jet Li
Länge: 115 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Hinweise
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