Drehbuch: Polly Platt (nach einer Geschichte von Polly Platt und Louis Malle)
Heute würde so ein Film wahrscheinlich schon vor der ersten Drehbuchbesprechung scheitern. Denn Louis Malle erzählt in seinem US-Debüt die Geschichte von Violet, die um 1917 in New Orleans in einem Bordell aufwächst. Als sie zwölf wird, wird ihre „Unschuld“ unter den Stammgästen des Bordells versteigert. In dem familiär geführten Bordell verkehrt auch der Fotograf F. J. Bellocq, der die Bewohnerinnen fotografiert, auch Violet und ihre Mutter.
Ein sehenswertes Sittenbild, das damals selbstverständlich heftig diskutiert wurde wegen des Themas Kinderprostitution und der Nacktszenen der damals zwölfjährigen Brooke Shields.
mit Brooke Shields, Keith Carradine, Susan Sarandon, Francis Faye, Antonio Fargas, Barbara Steele
Moldawien, frühes siebzehntes Jahrhundert: Prinzessin Asa Vajda und ihr Liebhaber werden von ihrem Bruder auf einem Scheiterhaufen verbrannt, weil sie eine Hexe und er ein Vampir, vielleicht sogar Dracula höchstselbst, sein sollen.
Zweihundert Jahre später entdecken Professor Krubajan und sein Assistent Gorobec während ihrer Fahrt zu einem Ärztekongress das Grab von Asa und durch eine Verkettung unglücklicher Umstände erwecken sie sie zum Leben. Sie und ihr damaliger, ebenfalls von den Toten zurückkehrender Liebhaber Javutich wollen sich jetzt an Asas Nachfahren rächen.
Dracula, um gleich ein Missverständnis auszuräumen, das es nur in der deutschen Fassung von Mario Bavas Regiedebüt gibt, ist der aus kommerziellen Erwägungen gewählte Quasi-Name von Javutich – und, zugegeben, der Titel „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ klingt verdammt gut. Auch wenn „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ auf der Geschichte „Wij“ von Nikolai Gogol basiert. Aber auch mit dieser Geschichte hat der Film wenig zu tun. Bava, ein Fan der Geschichte, übernahm nur einige Elemente aus ihr.
Letztendlich ist das egal, weil „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ der surrealen Logik eines Alptraums folgt, rudimentär aufgehängt an der bekannten und unzählige Male wiederholten Vampirgeschichte, in der ein Vampir wieder auftaucht, Menschen aussaugt, andere Menschen ihn besiegen wollen und es eine bedrohte Jungfrau gibt.
Dazu fand Bava Bilder, die sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben, wie die Metallmaske, die auf Asas Gesicht gedrückt wird, und der ganze Film hat eine auch heute noch verstörende Atmosphäre von Sex, Sadismus, Gewalt, Angst und Wahnsinn. In einer sich an den schon damals klassischen Hollywood-Horrorfilmen aus den dreißiger und vierziger Jahren orientierenden, allerdings viel opulenteren Ausstattung mit sumpfiger Landschaft zwischen Friedhöfen und alten Gemäuern, klaustrophobisch engen Wegen durch dorniges Gebüsch und kafkaesken, teils verfallenen Gebäuden und Gemächern voller Spinnennetzen und flackernden Kerzen.
Mario Bava, der vor seinem offiziellem Regiedebüt „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ bereits bei Dutzenden Filmen Kameramann war und auch ohne Namensnennung einige Filme zumindest teilweise inszenierte, inszenierte die Horrorgeschichte mit einem deutlichen Blick auf effektive und auch effektheischerische Bilder hin. Dass Javutich und Asa, die langsam von den Toten erwacht, immer wieder aus dem Nichts auftauchen und im Nichts verschwinden, trägt zu dieser alptraumhaften Stimmung bei. Außerdem hat Barbara Steele eine Doppelrolle: sie ist Asa und Katia, die schöne Schlossherrin, in die sich Gorobec bei ihrem ersten, bedrohlich abgehobenem Auftreten, sofort verliebt. Sie ist auch die Jungfrau, die Asa töten will.
1960, als der Film in die italienischen Kinos kam, muss das, neben klinisch reinen Doris-Day- und Heinz-Erhardt-Filmen ein Schock gewesen sein. Alfred Hitchcocks grenzüberschreitender und stilbildender (Horror-)Thriller „Psycho“ (der allerdings auf einer anderen Ebene für Entsetzen sorgte) lief fast gleichzeitig in unseren Kinos an. Denn in Deutschland lief Bavas Film bereits 1961 in einer minimal gekürzten Fassung in den Kinos. In die englischen Kinos kam Bavas Film 1968 in einer stark gekürzten Fassung. Erst 1992 erschien dort eine ungekürzte Fassung.
Und heute?
Über seinen Einfluss gibt es kaum Diskussionen. So orientierte Francis Ford Coppola sich 1992 beim Set-Design von seinem Dracula-Film mehrmals an Bavas Sets. Tim Burton nannte ihn 1998 seinen Lieblingshorrorfilm und in „Sleepy Hollow“ (1999) spielte er auf ihn an. Und in zahlreichen Listen taucht er auf. Beispielsweise in Frank Schnelle/Andreas Thiemans Meta-Liste „Die 50 besten Horrorfilme“ (2010), für die sie fünfzig Bestenlisten und Umfragen der letzten Jahre auswerteten.
Ronald M. Hahn und Volker Jansen vertreten, um auch einige der wenigen negativen Stimmen zu nennen, im „Lexikon des Horrorfilms“ (1985/1989) die Minderheitenmeinung: „hanebüchene Streifen…ein geistloser alter Stinkkäse…Ein völlig überbewerteter Grusler, der den Horror aus abscheulich zugerichteten Gesichtern statt aus unterschwelligem Nervenkitzel bezieht.“
Hanebüchen ist, wenn man versucht die Filmgeschichte nachzuerzählen, „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ unbestritten, aber als atmosphärischer Gruselfilm ist er heute noch enorm effektiv, kurzweilig, unterhaltsam, vergnüglich und sexy.
Koch Media veröffentlichte den Horrorfilmklassiker jetzt als Beginn ihrer „Mario Bava Collection“ erstmals auf Blu-ray in einer Blu-ray/DVD-Sammleredition mit umfangreichem Bonusmaterial, unter anderem einem hörenswerten, nicht untertitelten Audiokommentar von Filmhistoriker Tim Lucas, Interviews mit Barbara Steele und Lamberto Bava, einer geschnittenen Szene, einer umfangreichen Bildergalerie und einer alternativen Schnittfassung. Das Bonusmaterial müsste identisch mit der früheren, nicht mehr erhältlichen DVD-Ausgabe von e-m-s sein.
Die Stunde, wenn Dracula kommt (La Maschera del Demonio, Italien 1960)
Regie: Mario Bava
Drehbuch: Ennio de Concini, Mario Serandrei
LV: Nikolai Gogol: Вий, 1835 (erschienen in „Миргород“) (Wij, Kurzgeschichte)
mit Barbara Steele, John Richardson, Andrea Checchi, Ivo Garrani, Arturo Dominici, Enrico Olivieri, Antonio Pierfederici
Ton Deutsch, Englisch, Italienisch (Dolby Digital [DVD], DTS-HD Master Audio 2.0 [Blu-ray])
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial (angekündigt): Trailer, Audiokommentar, Interviews mit Barbara Steele und Lamberto Bava, Alternative Filmfassung, Geschnittene Szene, Bildergalerie
Eines kann man Ryan Gosling bei seinem Regiedebüt „Lost River“ nicht vorwerfen: dass er den einfachen Weg geht. Stattdessen drehte er einen bildgewältigen surrealen Alptraum irgendwo zwischen David Lynchs „Twin Peaks“ und Nicolas Winding Refns „Only God Forgives“, mit Terrence-Malick-Referenzen, bei dem die Bilder und die Stimmung bedeutungsschwanger die nicht vorhandene Story übertünchen sollen. Wobei Gosling sich in seinem Regiebdebüt auch überhaupt nicht für eine herkömmliche Narration interessiert.
In der herunterkommenen Ruinenstadt Lost River (gedreht wurde in Detroit), auf der ein Fluch lasten soll, lebt eine Restfamilie, bestehend aus der Mutter Billy (Christina Hendricks) und ihren beiden Söhnen Franky und Bones, in ihrem abbruchreifen Haus und ohne irgendeine ökonomische Perspektive. Ihre Nachbarn haben das Viertel schon lange verlassen.
Bones (Iain De Caestecker) sucht in verlassenen Häusern nach Schrott, den er einem Händler verkaufen kann. Dabei legt er sich mit dem Gang-Leader Bully (Matt Smith) an. Zur gleichen Zeit geht seine Mutter auf ein Angebot ihres Bankmanagers Dave (Ben Mendelsohn) zur Tilgung des Kredits ein. In einem von Miss Kitty Cat (Eva Mendes) geführtem Nachtclub, das seinen Gästen eine spezielle Show bietet (die etwas mit Sex, Blut und Gewalt zu tun hat), könne sie gutes Geld verdienen. Billy nimmt die Arbeit an.
Währenddessen verliebt Bones sich in das Nachbarmädchen Ratte (Saoirse Ronan), deren Großmutter Belladonna (Barbara Steele) dumpf auf den Fernseher und die dort laufenden alten Filme starrt. Weil Bones mit ihr die Stadt verlassen will, begibt er sich auf den Weg zum See, in dem es eine versunkene Stadt gibt.
Bis zum Ende kann man keinen Plot erkennen. Ryan Gosling geht es in seinem dunklem Märchen um ein Gefühl, das Porträt einer verlassenen Gegend und einiger Mythen, die für alles und nichts stehen. Wer will, kann daher „Lost River“ als Allegorie auf den amerikanischen Traum sehen. Oder sich von den Bildern und Stimmungen, wie bei einem Traum, einfach mitreisen lassen. Oder, wie ich, zunehmend gelangweilt und genervt gegen den Schlaf kämpfen.
Denn die einprägsamen Bilder, die Schauspieler, die Idee und was daraus hätte entstehen können, sind so unglaublich vielversprechend. Der Film selbst ist nur noch prätentiös.
RBB, 22.45 Der junge Törless(Deutschland/Frankreich 1966, Regie: Volker Schlöndorff)
Drehbuch: Volker Schlöndorff (nach einer Adaption von Herbert Asmodi)
LV: Robert Musil: Die Verwirrungen des Zöglings Törless, 1906
Österreich, am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts: Törless wird von seinen Eltern auf ein Internat geschickt. Dort beobachtet er, wie ein Mitschüler gequält wird. Was soll er tun?
Schlöndorffs Debütfilm, der schon viele seiner späteren Themen ansprach, und ein mit Preisen ausgezeichneter, kassenträchtiger Klassiker des Jungen Deutschen Films ist.
mit Mathieu Carrière, Bernd Tischer, Marian Seidowsky, Alfred Dietz, Barbara Steele, Herbert Asmodi Hinweise Filmportal über „Der junge Törless“ Rotten Tomatoes über „Der junge Törless“
Wikipedia über „Der junge Törless“ (deutsch, englisch)